Was bringt das neue Fortpflanzungsmedizingesetz?

Imago Hominis (2015); 22(1): 6-9
Stephanie Merckens

Nach jahrzehntelanger Diskussion unter Experten wurde das neue österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) schließlich in weniger als drei Monaten durch die Entscheidungsgremien gejagt. Trotz massiver Kritik hatte man im November 2014 die äußerst knappe Frist von zwei Wochen Begutachtungsfrist nicht verlängert. Dennoch langten mehr als 110 Stellungnahmen ein. Unter enormen Zeitdruck wurde eine höchst kontroverse, viel zu kurze öffentliche Diskussion um die Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes geführt. Die Thematik bewegt, geht es doch um so hoch sensible Fragen wie leidvolle Sehnsucht nach einem Kind, technische Machbarkeit, marktgesteuerte Hoffnungen und ethische Grenzziehung.

Zuletzt hatten tausende Bürger über das Aktionsbündnis „www.kinderbekommen.at“ in 1,3 Millionen Emails gegen das neue Gesetz protestiert. Zahlreiche Experten, NGOs, Behindertenverbände und kirchliche Organisationen forderten eine Entschleunigung und eine Zurücknahme der Novelle, um eine breite, ausgewogene gesellschaftspolitische Debatte in diesem ethisch hochsensiblen Bereich zu ermöglichen. Der politische Wille dazu fehlte.

Die letzte legistische Hürde nahm das Gesetz mit Beschluss im Bundesrat am 5. 2. 2015. Ab 1. 6. 2015 werden somit wesentliche Änderungen der österreichischen Rechtslage in Kraft treten.

Auslöser der Novelle waren zwei Judikate: Sollen lesbische Paare in Österreich mithilfe einer Samenspende Kinder bekommen können? Ja, urteilte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seinem Erkenntnis (10. 12. 2013, G 16/2013 und G 44/2013). Es sei verfassungswidrig und diskriminierend, wenn lesbische Frauen in Lebensgemeinschaft von der Erfüllung eines Kinderwunsches ausgeschlossen werden, so die Begründung. Damit schloss sich das Höchstgericht der umstrittenen Rechtsansicht der Antragstellerinnen an: Die Beschränkung der Fremdsamenspende in vivo auf Frauen in heterosexueller Partnerschaft widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz.

Zum zweiten hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Italien wegen des Verbots der Präimplantationsdiagnostik (PID) (Costa und Pavan gg. Italien, Urteil vom 28. 8. 2012, Bsw. 54270/10) verurteilt. Da in Italien die Abtreibung wegen eugenischer Indikation erlaubt sei, dürfe man die PID zumindest nicht grundsätzlich verbieten.

Beide Judikate führten dazu, dass sich der österreichische Gesetzgeber nunmehr verpflichtet fühlte, nicht nur die Öffnung der Reproduktionsmedizin für lesbische Paare zu beschließen, sondern auch gleich die Eizellspende und Präimplantationsdiagnostik zuzulassen.

Beides war rechtlich keinesfalls zwingend, auch wenn die Einführung der Präimplantationsdiagnostik – also der Selektion von Embryonen vor Transfer in den Mutterleib – politisch gesehen eine 50:50 Entscheidung war. Angesichts der EGMR-Judikatur hing die Öffnung der PID wie ein Damokles-Schwert über unserer Rechtsordnung. Politisch hatte man also zu wählen zwischen Prinzipientreue und Abwarten – oder die Gelegenheit zu nützen, die PID so eng wie verhandelbar zu beschränken.

Was wiederum die Eizellspende betrifft, bestand überhaupt kein Grund zur Eile. Schon gar nicht rechtlich. Abgesehen davon, dass der EGMR das Verbot der Eizellspende aus dem Blickwinkel des Jahres 1999 in seinem Urteil vom 3. 11. 2011 (S. H. and Others v. Austria, application no. 57813/00) eben erst bestätigt hatte, hat er auch aufgetragen, sich laufend mit den Bedenken und Entwicklungen in diesem Bereich auseinanderzusetzen. Gerade diese Auseinandersetzung hat aber nicht stattgefunden, könnte aber durchaus beweisen, dass die Bedenken aus 1999 weiter aktuell, ja sogar bestätigt sind.

Mit dem neuen FMedG wurden gleich mehrere wesentliche Prinzipien des bisherigen österreichischen Reproduktionsrechtes verlassen. Galt bisher noch der Grundsatz, durch die medizinisch unterstützte Fortpflanzung möglichst keine Aufspaltung der Elternschaft zu erreichen, wird diese mit Zulassung der Eizellspende trotz hohem technischen Aufwand und kontrollierbarer Planbarkeit von Staats wegen in Kauf genommen, ja sogar über den IVF-Fonds finanziert.

Der Einstieg erfolgte durch die schon bisher mögliche Fremdsamenspende in vivo. Diese ist im Unterschied zur Eizellspende technisch weder aufwendig noch mit medizinischen Risiken verbunden. Umso mehr ist sie schwer kontrollierbar. Die Eizellenspende hingegen ist ein medizinisch durchaus einschneidender Eingriff mit wesentlich höheren gesundheitlichen, psychosozialen und Missbrauchs-Risiken für alle Beteiligten und macht zudem eine dritte Person (Eizellspenderin) ohne lebensbedrohliche Notwendigkeit zur Patientin. Eine Ungleichbehandlung zur Samenspende wäre demnach nicht nur rechtfertigbar, sondern scheint sogar geboten.

In einem zweiten Schritt verabschiedet sich der Gesetzgeber mit der Novelle des FMedG vom Grundsatz der heterosexuellen Elternschaft. Das in diesem Zusammenhang nicht einmal in den erläuternden Bemerkungen eine Auseinandersetzung mit dem Kindeswohl stattgefunden hat, sondern bloß auf den VfGH verwiesen wird, ist auffallend und kann zumindest als Versuch gewertet werden, einen Kommentar zur durchaus umstrittenen Wertung des Höchstgerichts zu vermeiden.

Umso bemerkenswerter ist, dass dem Kindeswohl im letzten Moment doch noch eine prominente Stellung eingeräumt wurde. Noch in 3. Lesung wurde explizit die Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Auswahl der Methode medizinisch unterstützter Fortpflanzung in § 3 aufgenommen. Die Reichweite dieses Kriteriums bleibt abzuwarten, könnte aber etwa bei der Frage der konkreten extrakorporalen Fertilisationsverfahren (IVF oder ICSI) wesentlich sein.

Was den Schutz von Embryonen betrifft, ist das neue Gesetz widersprüchlich. Während man sich auch bei dieser Reform zur Vermeidung überzähliger Embryonen bekennt und diesen Grundsatz durch verschiedene Subsidiaritäten und Beschränkungen zu verfolgen sucht, wird er nicht herangezogen, um eine unterschiedliche Behandlung der Fremdsamenspende in vivo und in vitro zu rechtfertigen. Vielmehr kippt die Beschränkung der Fremdsamenspende auf das Inseminationsverfahren (Befruchtung im Mutterleib, in vivo) zugunsten der Eizellspende (immer in vitro), wodurch automatisch ein viel weiterer Anwendungsbereich der In-vitro-Befruchtung und damit der Zeugung überzähliger Embryonen und der präimplantiven Selektion gegenüber der früheren Rechtslage eröffnet wird.

Der noch viel weitreichendere Bruch mit den bisherigen Prinzipien ist aber jedenfalls die Öffnung der Reproduktionsmedizin für die Präimplantationsdiagnostik: Wird schon bei der Öffnung des FMedG für gleichgeschlechtliche Paare der therapeutische Ansatz der medizinisch unterstützten Fortpflanzung verlassen, so wird er im Zusammenhang mit der PID regelrecht pervertiert. Was den Embryo betrifft, kann von Therapie keine Rede sein. Im Widerspruch zur grundsätzlichen Intention des Gesetzgebers, überzählige Embryonen zu vermeiden, werden für die PID bewusst Embryonen gezeugt, die von vornherein nicht für die Fortpflanzung verwendet werden sollen. Darüber hinaus ist eine Therapie der genetisch auffälligen Embryonen zum derzeitigen Zeitpunkt weder intendiert noch möglich. Will man unter Therapie in diesem Zusammenhang jedoch die Kinderwunschbehandlung der potentiellen Eltern verstehen, so wäre die zu therapierende Krankheit das Risiko, ein erbkrankes bzw. schwer beeinträchtigtes Kind zu gebären und die Behandlung die Selektion aus mehreren zu diesem Zweck gezeugten kindlichen Embryonen. Durch die Öffnung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung allein zu Zwecken der Präimplantationsdiagnostik wird zudem das ursprüngliche „ultima ratio“-Prinzip de facto ausgehebelt, da eine Unfruchtbarkeit in diesen Fällen ja gerade nicht Voraussetzung ist.

Zusammenfassend basiert die jüngste Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes also auf einer recht einschneidenden Abkehr bisheriger Prinzipien. Betrachtet man die einzelnen konkreten Bestimmungen, so kann man erkennen, dass der durch die Abkehr eröffnete legistische Spielraum nicht extensiv ausgenützt wurde. Zumindest wurde immer wieder versucht, über Subsidiaritäten, Kontroll- und Aufklärungsmechanismen und Untersuchungsbeschränkungen Grenzen einzuziehen.

Im Konkreten heißt das:1

  1. An der Legaldefinition der „entwicklungsfähigen Zelle“ wurde festgehalten.
  2. Medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur unter Paaren (gemischt- wie gleichgeschlechtlich, letzteres nur bei Lesben) möglich – alleinstehende Personen sind weiterhin ausgeschlossen (§ 2 Abs 1), wodurch auch die Leihmutterschaft verhindert werden soll.
  3. Samen, Eizellen oder Hoden- und Eierstockgewebe dürfen für eine künftige medizinisch unterstützte Fortpflanzung auch weiterhin nur aus medizinischer Indikation kryokonserviert werden (§ 2b). Social Egg Freezing ist demnach nicht erlaubt.
  4. Medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur bei einer der vier Voraussetzungen möglich (§ 2 Abs 2):
    1. Unfruchtbarkeit
    2. Übertragung einer schweren Infektionskrankheit
    3. Lesbische Partnerschaft
    4. Präimplantationsdiagnostik
  5. Präimplantationsdiagnositk (§ 2a) wird unter drei unterschiedlichen Beschränkungen erlaubt:
    1. Beschränkung nach der Indikation:
      1. nach dreifachem fehlgeschlagenen Transfer entwicklungsfähiger Zellen UND der Vermutung, dass die Ursache in einer genetischen Disposition der Embryonen liegt;
      2. nach dreifacher ärztlich bestätigter Fehl- oder Totgeburt UND der Vermutung, dass die Ursache in einer genetischen Disposition des Kindes (sic!) liegt;
      3. bei genetischer Disposition zumindest eines Elternteils zur Übertragung einer schweren Erbkrankheit (welche in § 2a Abs 2 ebenfalls näher definiert wird).
    2. Beschränkung des Umfangs der Untersuchungen:
      1. Es dürfen nur jene Untersuchungen durchgeführt werden, die für die Abklärung der erlaubten Indikationen (Herbeiführung einer Schwangerschaft, Vermeidung einer Fehl- bzw Totgeburt bzw. Erbkrankheit) unabdingbar erforderlich sind.
      2. Eine Geschlechtsbestimmung ist nur zulässig, wenn die Erbkrankheit geschlechtsabhängig ist.
    3. Beschränkung nach Art der Untersuchungsmethoden (siehe unten)
  6. Die Eizellspende (§§ 2b und 3) wird in Grenzen erlaubt: wenn die Kinderwunschpatientin unfruchtbar und unter 45 und die Spenderin zwischen 18 und 30 Jahre alt ist.
  7. Subsidiaritäten wurden gestärkt:
    1. bei mehreren zumutbaren Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung darf nur diejenige angewendet werden, die
      1. mit weniger gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Gefahren für die beteiligten Personen verbunden ist;
      2. bei der weniger entwicklungsfähige Zellen entstehen;
      3. bei der Auswahl ist das Kindeswohl zu berücksichtigen.
    2. bei der Auswahl gleichwertiger Untersuchungsmethoden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen oder die Gefahr einer Fehl- oder Totgeburt oder Erbkrankheit auszuschließen, ist jene Methode anzuwenden, die in einem früheren Stadium ansetzt bzw. weniger invasiv ist.
  8. Die Aufklärung (§ 7) wurde insofern ausgebaut, als eine 14-tägige Bedenkzeit zwischen Aufklärung und Durchführung einer medizinisch unterstützen Fortpflanzung eingeführt wird und der Arzt verpflichtet wird, eine psychologische Beratung vorzuschlagen sowie auch auf die Möglichkeit hinzuweisen, andere unabhängige Beratungseinrichtungen zu konsultieren.
  9. Im Sinne der Vermeidung überzähliger entwicklungsfähiger Zellen wurde versucht, den § 10 FMedG (neu) auf zweifache Weise zu konkretisieren:
    1. Der begrenzende Zyklus wurde in Bezug zur behandelten Frau gesetzt, womit klargestellt werden sollte, dass der weibliche Zyklus (Periode) und nicht ein mehrere empfängliche Phasen umfassender Kryo-Zyklus gemeint ist.
    2. Zudem dürfen bei der Vereinigung von Ei- und Samenzellen nur so viele Eizellen befruchtet und nunmehr in Folge auch eingebracht werden, wie nach medizinischem Stand notwendig sind. Inwieweit diese Regelung allerdings tatsächlich eine Änderung der bisherigen Praxis bewirkt, ist fraglich.
  10. Das Kommerzialisierungs- und Vermittlungsverbot (§ 16) wurde verschärft, durch
    1. Konkretisierung der Aufwandsentschädigung, die immer dann als (verbotenes) entgeltliches Rechtsgeschäft gilt, wenn und soweit sie die nachgewiesenen Barauslagen übersteigt
    2. Verbot auch jeder Werbung für die Überlassung oder Vermittlung von Samen, Eizellen oder entwicklungsfähiger Zellen.
  11. Die bisherige Aufzeichnungs- und Berichtspflicht wurde ausgebaut und eine umfassende Statistik und Berichtspflicht u. a. der Gesundheit Österreich GmbH über die durchgeführte Präimplantationsdiagnostik wurde eingeführt (§ 21).
  12. Im Gentechnikgesetz wurden unter die für den Gentechnikausschuss zu bestellenden Experten auch Kinderärzte aufgenommen sowie die Festlegung von Unvereinbarkeitsregeln vorgeschrieben (§ 97 GTG).

Bei näherem Hinsehen erkennt man daher durchaus das Ringen um einen politischen Kompromiss. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass grundsätzliche Grenzen überschritten wurden. Und gerade weil der legistische Spielraum nicht ausgenützt wurde, ist eine Skepsis gegenüber der Haltbarkeit des Kompromisses mehr als angebracht.

Referenzen

  1. Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 (77/ME), www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00077/fname_372959.pdf (letzter Zugriff am 9. März 2015)

Anschrift der Autorin:

Dr. Stephanie Merckens
Juristin am Institut für Ehe und Familie, Wien
Mitglied der österreichischen Bioethikkommission am Bundeskanzleramt
stephanie.merckens(at)ief.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: