Verwirrung um "Sterbehilfe" in der Bioethikkommission
Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat im Juni 2011 „Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende“ vorgelegt.1 Dahinter steht die Erkenntnis, dass die herkömmlichen Begriffspaare aktiv-passiv und direkt-indirekt für die medizinisch-ethische Beurteilung von Handlungen in der Situation von Sterben und Tod Anlass zu Missverständnissen geben und daher im medizinischen Alltag wenig hilfreich sind. Das liegt freilich weniger an den Begriffen selbst, sondern daran, dass uns deren Sinngehalt heutzutage weitgehend abhanden gekommen ist. Trotzdem ist das grundsätzliche Bemühen, hier Klarheit zu schaffen, durchaus zu begrüßen.
Die Bioethikkommission hat als Vorlage die Stellungnahme des deutschen Nationalen Ethikrates verwendet. Dagegen wäre ja grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn man diese eingehend studiert und genau hinterfragt hätte.
Die Bioethikkommission empfiehlt, die bisher verwendete Terminologie von aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe aufzugeben und folgende Begriffe einzuführen: Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende, Sterben lassen. Davon werden weiters die Mitwirkung am Selbstmord sowie die Tötung auf Verlangen unterschieden, die gemäß der geltenden österreichischen Rechtslage strafbare Handlungen sind.
Blickt man jedoch auf die Definitionen dieser Begriffe, wie sie von der Bioethikkommission in ihren Empfehlungen dargelegt werden, so findet man gleich am Anfang keinen relevanten Unterschied zwischen den Termini „Sterbebegleitung“ und „Therapie am Lebensende“. Zur Sterbebegleitung heißt es: „Unter den Begriff der Sterbebegleitung fallen Maßnahmen zur Pflege, Betreuung und Behandlung von Sterbenden…“. Zur Therapie am Lebensende: „Zu Therapien am Lebensende zählen alle medizinischen Maßnahmen, einschließlich palliativmedizinischer Maßnahmen, die in der letzten Phase des Lebens erfolgen mit dem Ziel, die Lebensqualität zu verbessern, das Leben zu verlängern oder Leiden zu mindern.“ Worin sich diese beiden Definitionen unterscheiden, erscheint zunächst einmal rätselhaft. Denn in beiden Fällen handelt es sich um eine recht allgemeine Beschreibung der Palliativmedizin ohne Bezug zur ethischen Kategorie der Sterbehilfe bzw. der Euthanasie. Wirft man allerdings einen Blick in die Stellungnahme des deutschen Nationalen Ethikrates von 2006, so wird sofort klar, dass von den österreichischen Autoren der Kernpunkt der Unterscheidung nicht aufgegriffen wurde. In der Stellungnahme des Nationalen Ethikrates heißt es nämlich unter dem Begriff Therapie am Lebensende: „Dazu gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, sei es durch eine hochdosierte Schmerzmedikation oder eine starke Sedierung, ohne die eine Beherrschung belastender Symptome nicht möglich ist.“ In der herkömmlichen Terminologie würde dieser Fall unter den Begriff der aktiven indirekten Sterbehilfe fallen, und man sieht schon, dass die Termini „Therapie am Lebensende“ und „Sterbebegleitung“ bereits in nuce unzureichend sind und zu Missverständnissen Anlass geben, wenn sie nicht ausführlich kommentiert werden.
Auch der Begriff des „Sterben zulassen“ wird in den Empfehlungen sehr undifferenziert behandelt, dort heißt es: „Eine unter kurativer Therapiezielsetzung als lebensverlängernd bezeichnete medizinische Maßnahme kann unterlassen werden, wenn der Verlauf der Krankheit eine weitere Behandlung nicht sinnvoll macht.“ Sterben zulassen kann allerdings nicht nur durch ein Unterlassen (Behandlungsverzicht), sondern auch durch ein aktives Tun erfolgen (z. B. Abschalten der Beatmungsmaschine). Diese Verdeutlichung wäre für die ärztliche Praxis geradezu essentiell.
Ebenso nicht erfasst wird mit der neuen Begrifflichkeit eine Situation, bei der eine an sich lebensrettende Maßnahme verweigert wird (passive direkte Euthanasie).
Genau genommen wird auch die willkürliche Tötung von Menschen (vor allem Kranker, Alter und Behinderter), z. B. durch die Überdosierung eines Medikamentes, nicht erfasst.
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass das Anliegen, die Terminologie im Umgang mit kranken Menschen am Lebensende zu präzisieren, ein berechtigtes Anliegen ist. Leider ist dies der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt nicht gelungen. Im Gegenteil: Die vorgeschlagenen Begriffe sind verwirrend, vieldeutig und geben Anlass zu weiteren Missverständnissen. Ganz wesentliche ethische Grenzfälle am Lebensende werden überhaupt nicht erfasst. Man hat den Eindruck, als hätten diese Empfehlungen Leute am „grünen Tisch“ verfasst, die keine Erfahrung mit den praktischen Problemen am Krankenbett haben. Die missglückten Formulierungen der Bioethikkommission zeigen auch, dass die herkömmliche Handlungsklassifizierung in aktiv-passiv und direkt-indirekt wohl durchdacht ist und dass man auf sie nicht gänzlich verzichten wird können. Allerdings erscheint es notwendig, diese Begriffe wieder mit Leben zu erfüllen und ihre praktische Bedeutung für die heutigen Bedürfnisse neu zu präzisieren.
Wahrscheinlich sollte man auf die so vieldeutigen Ausdrücke „Sterbebegleitung“ und “Therapie am Lebensende“ überhaupt ganz verzichten und grundsätzlich nur zwischen den Begriffen „Sterbehilfe“, „Euthanasie“, und „Sterben lassen“ unterscheiden. Die Kennzeichnung für Sterbehilfe sollte dann nur im eigentlichen Sinne des Wortes und daher nur in einem positiven Zusammenhang als (palliative) Hilfe verstanden werden, auch wenn diese Hilfe indirekt eine Lebensverkürzung bewirken sollte. Unter Euthanasie hingegen würde man immer eine direkte Tötung verstehen, sei sie nun ein aktives Tun oder eine passive Unterlassung von lebensrettenden Maßnahmen. Sterben lassen kann, wie gesagt, sowohl durch passiven Behandlungsverzicht als auch durch aktiven Behandlungsabbruch erfolgen. Ethisch besteht zwischen beiden Fällen kein Unterschied. Aber gerade deshalb hat diese Unterscheidung als Orientierungshilfe in der Praxis eine wichtige Funktion.
Referenzen
- „Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende“ der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, 27.6.2011, www.bka.gv.at/DocView.axd (letzter Zugriff: 6. Februar 2012)
Univ.-Prof. Dr. Johannes Bonelli
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