Akzeptanz der Homöopathie steigt, doch wissenschaftliche Beweise fehlen

Imago Hominis (2010); 17(1): 6-7
Johannes Bonelli

In den „Allensbacher Berichten“ 14/2009 des Instituts für Demoskopie Allensbach werden die Ergebnisse einer Befragung präsentiert, wonach heute mehr als die Hälfte (57%) der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland wenigstens einmal ein homöopathisches Mittel eingenommen hat. 1970 hat hingegen nur jeder 4. Westdeutsche schon einmal selbst Homöopathika genommen. Hauptgrund für die Beliebtheit homöopathischer Präparate sei die geringe Nebenwirkungsrate bzw. deren gute Verträglichkeit. Nach Meinung der Konsumenten hätten homöopathische Präparate in erster Linie bei Erkältungen und leichter Grippe (60%), Magen- und Darmbeschwerden, Kopfschmerzen sowie Schlaflosigkeit geholfen. Eine Verschreibung durch den Arzt oder Heilpraktiker hält nur eine Minderheit für notwendig (26%).

Die Homöopathie wurde bereits um 1800 von Samuel Hahnemann begründet. Die Grundelemente seines Denkens wurden in erster Linie von religiösen Ideen des Vitalismus geprägt. Danach haben Arzneimittel eine geistige Kraft, die durch „Verschüttelung“ freigesetzt und auf das flüssige Medium übertragen werden kann.1 Der esoterische Hintergrund solcher Theorien ist ziemlich offensichtlich. Hahnemann lehnte Methoden der Naturwissenschaften weitgehend ab. Diese Einstellung hat sich auch bei den heutigen Befürwortern der Homöopathie nicht wesentlich geändert.2 Auch heute akzeptieren die meisten Homöopathen nicht, dass die Homöopathie nach den Methoden der konventionellen Wissenschaften untersucht und kritisiert wird, denn Homöopathie hat ein eigenes Wissenschaftsverständnis.3 Dem Vergleich mit standardisierten, klinischer Überprüfungsmethoden kann (und will?) sie nicht standhalten. Erst kürzlich konnte anhand einer Metaanalyse aus 110 Studien gezeigt werden, dass die unter der Homöopathie zu beobachtenden Effekte bestenfalls als Placebowirkungen einzustufen sind.4 Diese Erkenntnis wird wohl auch durch die vorliegende Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach unterstützt, wenn man bedenkt, dass die stärksten Effekte bei selbstlimitierenden Virusinfekten (Erkältung, leichte Grippe) oder bei typisch psychosomatischen Erkrankungen (Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit) beobachtet wurden. Befragt wurde anscheinend ein Querschnitt durch die Bevölkerung ab dem 16. Lebensjahr. Man fragt sich, welchen Sinn solche Befragungen haben sollen, wenn sie derart ungezielt konzipiert sind. Viel interessanter und auch problematischer wären jene Patienten, die ernstlich krank sind und dennoch ausschließlich vom Homöopathen behandelt werden. In den Umfrageergebnissen klingt freilich auch eine gewisse Skepsis der Bevölkerung gegenüber den modernen Arzneimitteln der Schulmedizin und deren Nebenwirkungen an. Solche Vorbehalte sind durchaus ernst zu nehmen, wenn man bedenkt, dass in der Schulmedizin immer häufiger Medikamente mit erheblichen Nebenwirkungen verschrieben werden. Man denke z. B. an die zunehmend rigorose Anwendung von Chemotherapeutika in der adjuvanten Therapie von Karzinompatienten.

Wissenschaftliche Studien zum Wirkungsmechanismus von Placebo sind jedoch rar, wenngleich gerade in kontrollierten Doppelblindstudien die beachtliche Wirksamkeit von Placebo eindrucksvoll belegt wird. Aber auch ohne Studien weiß jeder Arzt aus eigener Erfahrung, dass die Persönlichkeit des Arztes, die Art und Weise, wie er mit seinen Patienten umgeht und insbesondere die Zeit, die er ihm widmet einen erheblichen Einfluss auf den Heilerfolg hat. Erstaunlich ist daher die Tatsache, dass offensichtlich 74% der Patienten es nicht für notwendig erachten, dass homöopathische Mittel vom Arzt oder Heilpraktiker verschrieben werden sollten. Dies widerspricht eigentlich der gängigen Meinung, wonach der Erfolg der Homöopathie zu einem Großteil durch den größeren Zeitaufwand und die erhöhte Zuwendung der Homöopathen erklärbar ist (was für die zitierte Studie nur begrenzt gilt, zumal weitgehend gesunde Patienten befragt wurden). Möglicherweise spielt aber doch auch die Faszination eines vermeintlichen „Zaubertranks“ (bekanntlich ein alter Traum der Menschheit und aller Alchimisten) beim Placeboeffekt eine größere Rolle, als gemeinhin angenommen wird. Wenn aber der Placebo-Effekt offensichtlich eine unterstützende Wirkung auf die Wirksamkeit vieler Heilmethoden hat, so wäre es sicher wünschenswert, wenn sich die Ärzteschaft mit diesem Phänomen eingehender wissenschaftlich auseinandersetzen würde, um den Placebo-Effekt einerseits gezielt und optimal einzusetzen,5 um aber auch andrerseits dessen Missbrauch bei paramedizinischen Praktiken hintanzuhalten.

Referenzen

  1. Frass M., Wulkersberger B., Friehs H., Pro Homöopathie: Was unterscheidet Homöopathie von Placebo?, Imago Hominis (2006); 13: 240-243
    Hahnemann S., Schmidt J. M., Kaiser D. (Hrsg.), Gesammelte kleine Schriften, Haug Verlag, Heidelberg (2001), S. 723
  2. Pilar C., Religionsäquivalente in der Medizin am Beispiel der Homöopathie, Imago Hominis (2006); 13: 213-228
  3. vgl. Gypser K.-H., Homöopathie – Grundlagen und Praxis, Verlag C. H. Beck, München (1998), S. 26 f
    Dellmour F., Naturwissenschaft versus Homöopathie? Die Bedeutung von Denkrahmen und Modell für die Wissenschaft, in: König P. (Hrsg.), Durch Ähnliches heilen, S. 178
  4. Shang A. et al., Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy, Lancet (2005); 366: 726-732
    Hitzenberger G., Contra Homöopathie, Imago Hominis (2006); 13: 244-245
  5. Finniss D. G. et al., Biological, clinical, and ethical advances of placebo effects, Lancet (2010); 375: 686-695

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Johannes Bonelli, IMABE
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