30 Jahre Fristenlösung: Die Geschichte eines sozialen Rückschritts
Nach 30 Jahren Fristenregelung in Österreich soll die brisante Frage, worin der tatsächliche Fortschritt der Straffreistellung des Schwangerschaftsabbruchs besteht, einer Analyse standhalten. Es war wichtig, dass die in Not geratenen Frauen nun nicht mehr auf lebens- und gesundheitsgefährdende „Engelmacher“ angewiesen sind. Abtreibung kann unter bestimmten Voraussetzungen bei hygienisch-medizinischen Optimalbedingungen durchgeführt werden. Das kann man gelten lassen. Frauen sollen nicht auch noch für ihr eigenes Leben ein Risiko eingehen müssen. Darüber hinaus war die Tatsache, dass die Frauen sich einer Straftat schuldig gemacht haben, sehr belastend. Vor dem Gesetzgeber sind sie nicht mehr für das Tötungsdelikt strafbar, was nicht gleichbedeutend mit der Freisprechung durch das eigene Gewissen ist.
Eine Frau denkt normalerweise angesichts ihrer vielleicht unerwarteten Mutterschaft nicht zuerst und nur an Abtreibung. Vielleicht passt es ihr momentan nicht in den „Kram“, ein Kind bekommen zu müssen. Vielleicht kann sie es nicht so rasch verkraften, dass ihr Leben eine entscheidende Wende erfahren soll. Wie schwer tut sich jemand, wenn er gewohnheitsmäßig immer und überall den eigenen Willen durchsetzt, mehr oder weniger nur, weil es ihm halt gerade so passt. Vielleicht aber auch sieht sich die Frau durch den Druck der Umwelt plötzlich einer Belastung ausgesetzt, der sie sich nicht gewachsen fühlt. Aus den Umständen heraus, die ihre Notlage definieren, sieht sie keine andere Lösung mehr. Die unerwartet durchkreuzten Pläne, oder einfach die Abwehr gegen eine Situation, die von außen auferlegt scheint, das plötzliche Alleingelassensein, die fehlende Hilfe durch die nächsten Angehörigen, aber letztlich auch der ganzen Gesellschaft, oder noch andere ungenannte Gründe lassen sie an die Lösung durch Kindes-Beseitigung glauben. Dass diese „Schein“-Lösung immer mit physischen und psychischen Risken einhergeht und sich längst als nicht so harmlos herausgestellt hat, wie die Abtreibungsbefürworter sie gerne in bagatellisierter Form darstellen, ist mittlerweile klar geworden. Es ist schlichtweg falsch, Abtreibung als eine unter anderen Alternativen zu sehen. Dem stimmen sogar Abtreibungsbefürworter zu.
Worin soll sich nun in den letzten Jahrzehnten die Situation der Frau verbessert haben? Es wäre schon ein gewisser Fortschritt, wenn die Zahl der Abtreibungen durch die Gesetzesregelung deutlich zurückgegangen wäre, und deutlich weniger Frauen auf einen Eingriff dieser Art zurückgreifen würden.
Die Statistik spricht hier eine klare Sprache. Was sagt diese? Was die Zahl der Abtreibungen betrifft, so kann Österreich noch immer keine Äußerungen machen. Es gibt nämlich keine statistischen Erhebungen, und offensichtlich sind auch keine erwünscht. Deutschland beispielsweise konnte keinen Rückgang verzeichnen, im Gegenteil: Es gibt eine steigende Tendenz, vornehmlich bei Abtreibungen an Minderjährigen. In der Zwischenzeit wird auch nicht mehr die soziale Extremsituation der Frauen, die noch als verständliches Argument gelten konnte, ins Treffen geführt. Die Diskussion in den 60er-Jahren hatte das Augenmerk auf die Notlage der Frauen gelenkt, die, weil ungewollt schwanger, finanziell abhängig, ohne Rückhalt im eigenen Umfeld, die Hilfe der „Engelmacher“ beanspruchen mussten. Mit dem sozialen Notstand kann Deutschland, das in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ein wahres Wirtschaftswunder erlebt hat und sich im oberen Spitzenfeld der reichsten Nationen platzieren konnte, nur schwer argumentieren. Auch wenn es von Österreich keine Zahlen gibt, dürften diese sich ähnlich verhalten. Die Frauen, die unerwartet schwanger werden, befinden sich wohl in einer Notsituation, die viel komplexer ist. Ein Kind kann leicht die labile Partnerschaft zerstören, ein Kind kann die ohnehin schwierige Karriereplanung durchkreuzen, ein Kind kann in die soziale Isolation führen, weil weder Familie noch Freundeskreis Verständnis aufbringen kann, ein Kind schränkt die Bewegungsfreiheit in jeder Hinsicht ein, ein Kind kostet Geld… Die Last dieser Perspektiven kann einer jungen, alleingelassenen Frau unerträglich werden.
Was wird aus einer Gesellschaft, wenn ihre Mitglieder nicht mehr ausreichend Mut besitzen, sich auf die Mutterschaft/Vaterschaft einzulassen? Wie „abgelebt“ ist eine Gesellschaft, deren Mitglieder kein Interesse mehr am Nachwuchs haben? Wieso findet die Solidargemeinschaft keine geeigneten Mittel, um ihre Solidarität mit jenen Frauen zu zeigen, die ohne Hilfe ihre Situation nicht meistern können? Wie kann eine Gesellschaft vergessen, dass sie auch Interesse an den Nichtgeborenen aufbringen muss, weil diese letztendlich ihre Zukunft und gesunde Selbstregeneration garantieren? Warum gibt es noch immer keine flankierenden Maßnahmen, die den Frauen in ihrer Notlage beistehen? Jene Maßnahmen, die vor 30 Jahren zur Zeit der Einführung der Fristenlösung in Österreich unter der Ära Kreisky versprochen wurden? Das Ziel sollte doch darin bestehen, die Strafe für die Abtreibung aufzuheben und den schrecklichen Abusus illegaler Abtreibungen zum Stillstand zu bringen, aber gleichzeitig alle Maßnahmen zu setzen, damit keine Frau jemals mehr auf diese in jedem Falle sehr belastende Lösung zurückgreifen müsse. Wie eindrucksvoll wirken in diesem Zusammenhang Beispiele einfacher und heroischer Menschen, wie die selige Mutter Teresa, die den Frauen Unterkunft, Sicherheit und Aufklärung gewährte. Oder andere Initiativen, die oft ohne jemals bekannt zu werden, den Frauen in diesen kritischen Zeiten Geborgenheit geben und damit die Zukunft wieder heller werden lassen! Dass solche Lösungen nicht „billig“ sind, weder materiell, noch psychisch oder vom mitmenschlichen Einsatz her gesehen, muss nicht eigens erwähnt werden. Dass sie möglich sind, ist Tatsache.
Scheinbar ist die Gesellschaft trotz größter demographischer Probleme, die mittlerweile ins Politikerbewusstsein Eingang gefunden haben, nicht bereit, diese Hilfestellungen zu leisten. Wie sensibilisiert die Thematik ist, beweist die Heftigkeit der öffentlichen Reaktion etwa im Zusammenhang mit der Diskussion in Salzburg über eine mögliche Verpflichtung für öffentliche Krankenhäuser, Abtreibungen durchzuführen. Oder: in Wien soll demnächst ein Demonstrationsverbot für Lebensschutzorganisationen vor Abtreibungsanstalten eingeführt werden, das wurde unlängst von einer sozialistischen Stadträtin angekündigt. Frauen sollten ungehindert Zugang zu Abtreibungsanstalten haben. Und Lebensschützer, die ein Aufklärungsgespräch und soziale Hilfestellungen anbieten, werden als lästige Störenfriede deklariert.
Fazit: Der von einigen Gruppen beklatschte Fortschritt, der die Straffreistellung des Schwangerschaftsabbruchs sein soll, muss eindeutig als sozialer und moralischer Rückschritt gewertet werden. Wenigstens unter dem Aspekt der Solidarität: den Frauen wird hygienisch-steril geholfen. Eine Hilfe für ihre menschenwürdige Zukunft und gutes Überleben, sogar mit einem Kind, will die Gesellschaft aber nicht leisten. Mit der Fürsorge für neu ankommende Menschenkinder und mit den damit verbundenen Sorgen will sie sich aber nicht belasten lassen.
Dr. Notburga Auner, Imabe-Institut
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