Novellierung des Ethikkodex der PHARMIG. Österreichische pharmazeutische Industrie wird glaubwürdiger

Imago Hominis (2005); 12(1): 13-15
Margit Spatzenegger

1. Zum Hintergrund

Die pharmazeutische Industrie befindet sich an einem Schnittpunkt interdisziplinärer Verantwortung zwischen Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Recht und vor allem dem Wohl des Letztverbrauchers, dem Patienten. Mit dem raschen Fortschritt von Wissenschaft und Technik vervielfältigen sich die Regulierungen und Vorschriften für die Entwicklung und Zulassung neuer Arzneimittel, wie dies etwa am Beispiel der Guidelines der International Conference on Harmonization (ICH) deutlich wird. Ganz dem derzeitigen internationalen Trend verschärfter Regulierungen entsprechend und offenbar die Wichtigkeit ethischen Handelns im Hinblick auf die großen interdisziplinären Anforderungen erkennend, hat die Pharmig ihren Verhaltenskodex novelliert. Seit 1. Jänner 2005 ist eine überarbeitete Ausgabe des Verhaltenskodex der Pharmig, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, in Kraft. In der Ankündigung behauptete der Präsident des Verbandes Hubert Dreßler, „die pharmazeutische Industrie habe ihre Hausaufgaben gemacht und sei Vorreiter in Europa“.

2. Grundsätze des Verhaltenskodex

Interessanterweise fast zeitgleich mit dem Erscheinen der Helsinkideklaration 1963 unterwerfen sich alle Österreichischen Arzneimittelunternehmen freiwillig selbst auferlegten ethischen Richtlinien, die im Pharmig-Verhaltenskodex zusammengefasst sind. Die Pharmig hat die Aufgabe übernommen, für die Einhaltung und Bestimmung dieses Kodex zu sorgen. Die Richtlinien konzentrieren sich vor allem auf die Weitergabe von Information über Arzneimittel, betreffen die Vermarktungsaktivitäten nach der Zulassung der Arzneimittel und regeln auch die Information der Fachkreise (2), insbesondere die Werbetätigkeit und den Umgang mit Ärzten (4). Auch auf die Laien- oder Publikumswerbung (3) wird entsprechend dem Arzneimittelgesetz und dem Werbekodex der IGEPHA hingewiesen.

Der Verhaltenskodex lehnt sich an jene Gesetze an, die die Pharmaindustrie betreffen, insbesondere an das Arzneimittelgesetz. Da es sich um einen Ethikkodex handelt, gehen die Richtlinien aber weit über das hinaus, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Er regelt z. B. Form und Inhalt von mündlichen Informationen (2.1), von schriftlichen Unterlagen (2.2), von Aussendungen (2.3) und von Inseraten (2.4). Wie viele Ärztemuster ein Arzt in der Ordination oder auf Kongressen erhalten (2.5) darf, ist ebenso geregelt wie die Einladungen von Ärzten und die Mitnahme von Begleitpersonen auf wissenschaftliche Kongresse (2.7), angemessene Gastfreundschaft (2.8), Abgabe von Hilfsmittel (2.6) und sonstige Geschenke (2.9). Einerseits ist der Kodex nach innen gerichtet. Er gilt für die Mitglieder der Interessensgemeinschaft der pharmazeutischen Industrie als Anleitung zum ethisch korrekten Handeln. Die Verbindlichkeit der Richtlinien schützt die Pharmaindustrie insgesamt gegen einzelne Trittbrettfahrer, die sich kurzfristig Vorteile schaffen, indem sie sich nicht an die ethischen Standards halten und dadurch den Ruf der Branche nachhaltig schädigen können. Der gute Ruf der Pharmaindustrie ist nicht nur eine zusätzliche Verzierung sondern auch ein Kapital, das der ganzen Branche ökonomisch zu Gute kommt.

Andererseits hat der Kodex auch nach außen hin eine wesentliche Kommunikationsaufgabe. Er stellt klar, worauf sich der Außenstehende verlassen darf, er sichert auch die Überprüfbarkeit einer beobachteten oder vermuteten Handlungsweise in Übereinstimmung mit dem Verhaltenskodex. Notfalls kann bestimmtes Fehlverhalten auch bestraft werden.

3. Neuerungen

Dem Umfang und dem Inhalt nach gibt es nur geringfügige Abänderungen. Vor allem nennenswert wäre hier, dass Veranstaltungen für Ärzte wie Kongresse, Symposien oder Workshops der „wissenschaftlichen Information und/oder der Fortbildung dienen“ und „grundsätzlich (!?) im Inland stattfinden“ müssen.

Eine bedeutende Neuigkeit stellen die zusätzlichen Strafbestimmungen und das Verfahren bei eingegangenen Beschwerden dar. Die bisherigen Strafen bei Verletzungen – Offenlegung in einer Publikation der Pharmig, Information der Muttergesellschaft des betroffenen Unternehmens, Information des Generalsekretariates des Europäischen Verbandes und Ausschluss aus der Pharmig – werden nun durch Geldstrafen, die bei schwerwiegenden Verstößen bis EUR 100.000,– betragen können, ergänzt. Obwohl die neuen Strafbestimmungen sehr bedeutsam sind, vermögen sie allein dem Kodex nicht jene Verbindlichkeit zu verleihen, die hier notwendig ist. Dazu war die in der Novellierung nun vorgesehene zweite Instanz bei der Beurteilung von Beschwerden notwendig. Bisher sah der Kodex einen Fachausschuss, bestehend aus 10 stimmberechtigten Mitgliedern als einzige Instanz zur Bearbeitung von Beschwerden vor, der die Entscheidungen über allfällige Strafen zu treffen hatte. In der Novellierung wird, nach dem bewährten deutschen Modell von „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.“ (http://www.fs-arzneimittelinstustrie/), ein Schiedsgericht als zweite Instanz eingeführt. Von den Parteien sind nun unabhängige Experten als Schiedsrichter namhaft zu machen. Damit ist die Unabhängigkeit dieser freiwilligen Gerichtsbarkeit sichergestellt. Trotzdem muss man die Aussage Dreßlers relativieren, „dass unser Verhaltenkodex kein zahnloses Instrument ist, sondern sogar im Gegenteil die Zähne ganz schön scharf sind“. Der Kodex ist nur ein wenig schärfer geworden.

4. Kritik und Anregungen

Bisher war der Kodex tatsächlich ein zahmes und lahmes Instrument. Die Führung der pharmazeutischen Industrie ist sich offensichtlich der Wichtigkeit der Richtlinien insbesondere bezüglich des Umgangs mit Ärzten bewusst. Kenner der Branche jedoch wissen, dass die Weitergabe wissenschaftlicher Information bisher nicht unbedingt ethischen und sachlich wissenschaftlichen Kriterien entsprach. Gerade aber im Hinblick auf den Respekt vor der Autonomie und dem Wohl des Patienten ist wahrheitsgetreue und sachliche Information von größter Bedeutung. Ohne geeignete Strafen und ohne entsprechende Prozessordnung kann dies auch nicht gelingen. Der neue Verhaltenskodex ist bestimmt ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Man darf aber skeptisch sein, ob die Änderungen ausreichen werden. Dies betrifft aber nur zum Teil das Ethos der Pharmaindustrie, denn zur Zusammenarbeit gehören immer zwei, also die Ärzte beziehungsweise die im Kodex nicht genannten Apotheker müssten auch mitspielen. Daher verlangt die Pharmig immer wieder zurecht, dass auch die Ärzteschaft ihre Hausaufgaben macht. Diese Aufgaben werden aber wahrscheinlich nur wahrgenommen werden, wenn der Sinn eines Ethikkodex verdeutlicht werden kann.

Daher sollen einige Anregungen, wie der Verhaltenskodex gerade im Bezug auf verantwortliche Entscheidungen gelesen beziehungsweise wie er erweitert werden könnte, folgen:

Der Kodex soll zum „self-governing“ anleiten. Damit ist der Mut zur Eigenverantwortung gemeint im Gegensatz zu einem sklavenhaften Abhängigkeitsdenken von einzelnen Richtlinien und Markttrends. Derzeit wird die pharmazeutische Industrie geradezu von einer Flut von detaillierten Regulierungen überschwemmt. Dabei gilt es den großen Überblick zu behalten und nicht das Ziel und den Zusammenhang bei der sehr kostspieligen und zeitaufwändigen Entwicklung und Vermarktung eines Arzneistoffes aus den Augen zu verlieren. Der Kodex sollte helfen, nicht nur einzelne Richtlinien zu erfüllen, sondern die dahinterliegenden allgemeinen Prinzipien und Tugenden transparent zu machen und damit eine eigenverantwortliche Entscheidung mit Klugheit und Hausverstand zu ermöglichen. Eine erweiterte Einleitung zu den allgemeinen Grundsätzen wäre hierfür wahrscheinlich erforderlich. Der Kodex soll aber auch auf die Wichtigkeit des „self-making“ hinweisen. Das heißt, dass jede gesetzte Handlung letztendlich immer die eigene Identität schafft. Die Entscheidungen der pharmazeutischen Industrie hinsichtlich der Entwicklung von Arzneimitteln einer bestimmten Indikationsgruppe, ihre Vermarktung sowie die Informationsweitergabe formen die Pharmaindustrie und machen sie zu dem, was sie sein soll. Und dies ist schließlich ihr Kapital für die Zukunft. Würden in diesem Zusammenhang vielleicht Bonuspunkte einen Anreiz bieten, beispielsweise die Neuentwicklung von Arzneimitteln zu fördern, die von größter Bedeutung für die Zukunft wie Demenz und chronische Krankheiten sind, anstelle des Anwachsens der Anzahl von Generika und „Life-style“-Produkten?

Schließlich soll der Kodex die Bedeutung des „self-telling“ von Entscheidungen hervorheben. Entscheidungen und ihre Folgen sind keine Privatangelegenheit, sondern sie müssen mit anderen geteilt werden. Auf diesen letzten Punkt scheint der Kodex bisher den größten Wert gelegt zu haben, indem er auf eine wahrheitsgetreue Information der Ärzte und letztlich der Patienten pocht und damit die ethische Gesinnung öffentlich hervorheben will. Das ist lobenswert, allerdings zu wenig, wenn die beiden oben genannten Kriterien fehlen. Denn oft ist die Firmenphilosophie leider zu einem Papier mit leeren ethischen Grundsätzen als Aushängeschild reduziert. Leider läßt auch die sachlich wissenschaftliche und wahrheitsgetreue Information durch Pharmareferenten sehr zu wünschen übrig.

5. Fazit

Ethisches Verhalten scheint in der Pharmaindustrie an Bedeutung zu gewinnen. Die Novellierung des Ethikkodex der Pharmig ist ein erster Schritt allerdings nur auf dem Papier. Wie ernst es die Pharmaindustrie mit der Ethik meint, wird sich erst in der Praxis, in der Förderung ethischen Handelns und nicht zuletzt in der Bereitschaft zu einer Erweiterung und Vertiefung des Inhaltes des Verhaltenskodex erweisen.

Anschrift der Autorin:

Dr. Margit Spatzenegger
Die Autorin ist derzeit in der Pharmaindustrie tätig.
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
Margit.Spatzenegger(at)gmx.net

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