Kommentar zum Fall

Imago Hominis (2001); 8(1): 66-70
Enrique H. Prat, Karl Radner

Der geschilderte Fall zeigt deutlich das Dilemma, in dem sich die moderne Pränataldiagnostik befindet. Einerseits werden durch bildgebende Verfahren, wie der Sonographie frühzeitig Abweichungen der biometrischen Parameter von der Norm ermöglicht, anderseits ist natürlich der Schluss auf eine genetische Anomalie nicht zwingend abzulesen. Es folgert daraus ein sprunghaftes Ansteigen der invasiven Verfahren zur Zellgewinnung zum Zwecke einer zytogenetischen Analyse.

In dem Fall wird angeführt, dass der sonographische Befund einer Erweiterung des Nierenbeckens mit einer Trisonomie 21 in etwa 3-4% der Fälle korelliert, das Risiko bei der Punktion einen Abortus zu erleiden, beträgt zwischen 1-4%. Über die Ausprägung des Down Syndroms kann natürlich keine Aussage gemacht werden – es wird allerdings bei Durchführung der Untersuchung der werdenden Mutter im positiven Fall automatisch die Interruptio als logische Konsequenz suggeriert. Auf die Möglichkeit eines Abortus als Folge der Punktion wird zumeist zuwenig eingegangen.

Die „technokratisch“ orientierte Medizin fordert zusehends mehr, alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen und der Patientin (besser: der schwangeren Frau) anzubieten. Vor diesem Hintergrund wird die zytogenetische Präntaldiagnostik als Normalität angesehen, die bei allen möglichen sonographischen, auch geringfügigen Abweichungen gefordert wird. Ursächlich sind einerseits die rechtliche Absicherung des Arztes, andererseits der Wunsch der werdenden Mutter nach einem gesunden Kind. Letztere wissen allerdings in vielen Fällen über mögliche Konsequenzen gar nicht Bescheid und unternehmen diese Untersuchungen im Vertrauen auf das richtige Handeln ihres Arztes und in der Hoffnung auf eine Therapiemöglichkeit. Viele erfahren erst nach der Punktion, dass eine solche nicht existiert und werden mit der schrecklichen Konsequenz einer Abtreibung als „therapeutische Konsequenz“ konfrontiert.

Bei der ethischen Beurteilung der Pränataldiagnostik in der Praxis muss berücksichtigt werden, dass der Arzt sich unter einem dreifachen gesellschaftlichen Druck befindet:

1. Erwartungsdruck: Die werdenden Eltern sind von der Machbarkeit der modernen Medizin überzeugt und wollen, das die Entscheidung vom Arzt getroffen wird. Die Aufklärung kommt meistens zu kurz. Dazu haben die Medien, die auf sehr undifferenzierte Weise über die sogenannten Errungenschaften der Medizin berichten, beigetragen.

2. Legaler Druck: Ärzte sind leider verpflichtet, ihren Patientinnen auch diese Option anzubieten, anderenfalls machen sie sich rechtlich einer fahrlässigen Unterlassung schuldig oder könnten zumindest von den Patienten als „schlechte“ Ärzte angesehen werden.

3. Wirtschaftlicher Druck: Es wurden Abteilungen, Ambulanzen, Stationen eingerichtet, die sich ausschließlich mit diesem Zweig der „Geburtshilfe“ beschäftigen – diese Einheiten suchen nach einer „Überlebensberechtigung“ und forcieren die invasive Diagnostik, unterstützt durch Zuweiser aus dem niedergelassenen Bereich.

Eine Handlung ist aber nicht schon deshalb sittlich richtig, weil sie gesetzeskonform ist und mehrheitlich erwartet wird, bzw. weil viele sie tun und viel Geld auf dem Spiel steht. In der heutigen pluralistischen Gesellschaft ist die Unterscheidung zwischen Recht und Moral ganz wichtig geworden. Im österreichischen Strafgesetz wird die Abtreibung als verbotene Tötung behandelt, die unter gewissen Bedingungen straffrei bleibt. Ethisch ist aber eine Abtreibung niemals zu rechtfertigen.

Was zur Routine geworden ist und alle tun, ist nicht schon deshalb sittlich in Ordnung. Dass die Mehrheit der Kollegen in einem solchen Fall eine Chorionzottenbiopsie anbieten würde, reicht nicht aus, um diese Praxis als das ethisch Richtige zu benennen. Was für einen Sinn hat diese Biopsie, wenn sie die Frau und eventuell ihren Mann nur vor die einzige Alternative stellt: Schwangerschaftsabbruch ja oder nein?

Natürlich wird der Arzt der Patientin bei der Aufklärung erzählen, dass diese und jene Risiken vorhanden sind und wird ihr mitteilen, dass man sie bei einer Chorionzottenbiopsie etwas genauer abschätzen könnte. In einem Land, in dem die Abtreibung bis zur 12. Woche straffrei ist (aus „genetischer“ Indikation sogar bis zur Geburt), würde er sich strafbar machen, wenn er der Patientin die Abtreibungsoption unterschlägt. Ethisch kommt es stark darauf an, wie er mit der Patientin darüber spricht. Im besprochenen Fall, leider gar nicht so unüblich, wie es aus Berichten mancher Eltern zu entnehmen ist, scheint der Arzt diese Option direkt zu suggerieren und eher darauf zu drängen, dass alles getan wird, damit die Geburt eines defekten Kindes zeitgerecht verhindert werden kann. Ist dieses Verhalten in Ordnung?

Die Schuldfrage ist sicherlich noch nicht richtig gelöst, aber durch sie wird die Abtreibungsdiskussion manchmal soweit emotionalisiert, dass sie kaum lösbar erscheint. Hier soll diese Frage ausgeklammert werden.

Wenn man dabei bleibt, dass das Leben eines unschuldigen Menschen unantastbar ist und der Mensch ab der Befruchtung Mensch ist und daher das Recht auf Lebensschutz besitzt, stellt sich die Frage, ob es, wenn der Arzt eine Abtreibung mit Wort und Tat suggeriert oder nahelegt, ethisch gesehen bereits eine Verletzung gegen das Lebensrecht eines bereits lebenden Menschen ist. Je nachdem, wie es gesagt wird, kann es als Versuch aufgefasst werden, eine mögliche Abtreibung auszureden, oder es kann als eine bedingte Anstiftung zur Tötung, ja sogar als Mord bewertet werden.

Ob eine Chorionzottenbiopsie durchgeführt wird oder nicht und ob danach eine Abtreibung veranlasst wird oder nicht, ist prinzipiell eine Entscheidung der Patientin und ihres privaten Umfeldes. Aber abgesehen davon, dass bei vielen Abtreibungen die abtreibende Frau ethisch gesehen am wenigsten die moralische Verantwortung trägt, würde man es sich zu einfach machen, wenn man den Arzt aus jeder Verantwortung herausnimmt. Es ist nicht nur eine Entscheidung der Patientin. Es ist auch eine Entscheidung des Arztes. Die Asymmetrie der Arzt-Patient Beziehung gibt dem Arzt eine Autorität, die über das Medizinische hinausreicht. Mit seinem Verhalten und seinen Worten beeinflusst er bewusst oder unbewusst die Entscheidungen der Patienten. Dieser Verantwortung war sich der Arzt immer bewusst. Die Entscheidung des Arztes besteht darin, wie er die Aufklärung und die Betreuung der Patientin gestaltet. Die ethische Bewertung dieses Falles und überhaupt des Verhaltens des Gynäkologen in ähnlichen Situationen muss im Lichte der ethischen Argumentation zum „Scandalum“ (Ärgernis) bzw. zur „Cooperatio ad malum“ (Mitwirkung zum Bösen) beleuchtet werden.

Unter Ärgernis wird in der Ethik eine Handlung (Worte oder Taten) verstanden, die an sich oder ihren Umständen nach geeignet ist, den Nächsten zur Sünde zu verführen. Das Ärgernis ist direkt, wenn man die unsittliche Tat des Nächsten wünscht, dazu anrät oder sie befiehlt und indirekt, wenn man sie nicht beabsichtigt, sondern nur zulässt, obwohl man sie als Folge des eigenen Tuns voraussieht.1 Das Ärgernis ist auf jeden Fall unsittlich, aber die Unsittlichkeit des direkten ist bedeutend größer als die des indirekten. Im gegebenen Fall sind die Voraussetzungen für das direkte Ärgernis gegeben, wenn die Worte des Arztes als eine bedingte Aufforderung zur Abtreibung aufgefasst werden können. Sollten sie nur als eine neutrale, an sich unbeteiligte Information betrachtet werden können, ohne jegliche bedingte Aufforderung zur Abtreibung – dies geht aus dem Text nicht hervor –, könnte man meinen, es handle sich dann um ein indirektes Ärgernis. Dies ist aber hier nicht der Fall, weil der Arzt, mindestens wie jeder andere Mensch, moralisch verpflichtet ist, dort, wo es ihm möglich ist, das Leben des Nächsten zu schützen; und in diesem Fall darf er die Möglichkeit einer Tötung, sollte sich die Behinderung bestätigen, nicht als eine rein fremde Angelegenheit betrachten. Er würde damit das Leben des Embryos nicht genügend schützen und daher seiner Pflicht (Unantastbarkeit des Lebens) nicht nachkommen.

Und nun betrachten wir den Fall im Lichte der „cooperatio ad malum“: In der Ethik unterscheidet man zwischen formeller und materieller Mitwirkung. Die erste liegt vor, wenn die Handlung des anderen als solche gewollt wird; von materieller Mitwirkung wird gesprochen, wenn eine tatsächliche Hilfe gewährt wird, obwohl die Handlung des anderen selbst nicht gewollt wird. Die materielle Mitwirkung kann unmittelbar sein, wenn man direkt an der Handlung teilnimmt, oder mittelbar, wenn man dem Täter irgendwelche Mittel liefert. Eine formelle Mitwirkung bei einer unsittlichen Handlung ist immer auf jeden Fall unsittlich. Das heißt, wer bei der Entscheidungsbildung um Abtreibung die Entscheidung für die Abtreibung suggeriert oder aufdrängt, wirkt bei der Entscheidung formell mit, er bejaht sie. Materiell kann die Mitwirkung nur dann bezeichnet werden, wenn der Mitwirkende unter einem gewissen Zwang handelt, d.h. genötigt ist, sonst kann er nicht behaupten, dass er die Handlung an sich ablehnt. Die materielle Mitwirkung bei einer unsittlichen Handlung kann ethisch legitimiert werden, wenn sie nach den Regeln der Handlung mit Doppelwirkung (einer guten und einer schlechten Wirkung) zugelassen werden kann. Diese Regeln wären: 1. Die negative Folge der Handlung darf nicht angestrebt werden. Sie muss, soweit es geht, sogar vermieden werden. 2. Die negative Folge muss objektiv den Charakter einer Nebenwirkung haben und darf nicht die Hauptwirkung einer solchen Handlung sein. 3. Die negative Folge darf nicht Mittel zur Erreichung der Hauptfolge sein. 4. Die negative Folge muss in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Handlung stehen. Wichtig sind auch zwei weitere Unterscheidungen: einmal zwischen nächster (proxima) und entfernter (remota) Mitwirkung, je nachdem, ob die Mitwirkung eine von der bösen Handlung nahe oder entfernte Tätigkeit ist; und dann kommt es noch auf die Unterscheidung zwischen notwendiger und nicht notwendiger Mitwirkung an.

Die Empfehlung einer diagnostischen Maßnahme zur Feststellung von Malformationen, mit einer Befürwortung der Abtreibung im Falle der Malformationen, wäre keine materielle, sondern formelle Mitwirkung bei der Entscheidung. Diese wäre auf jeden Fall unsittlich, weil der Arzt von sich aus die bedingte Entscheidung zur Abtreibung empfiehlt.

Materielle Mitwirkung ist dann gegeben, wenn der Arzt gegen eine Abtreibung ist, aber jene Informationen gibt, die zur Abtreibungsentscheidung führen können. Wenn er es nicht tut, macht er sich rechtlich gesehen strafbar. Darf er überhaupt diese Informationen zurückhalten? Es wäre, wie schon gesagt, rechtswidrig. Auch ethisch muss er prinzipiell dem Patienten, der letztlich immer die Einwilligung zur Behandlung geben soll, alle Informationen, die zur Behandlung gehören, geben. Hier aber befindet sich der Arzt in einer ganz besonderen Situation, in der er zwei Patienten vor sich hat, wobei der eine Patient die Mutter, der andere den Embryo darstellt.

Aber auch diese Vertretung hat seine ethischen Grenzen, denn der erwachsene Patient muss sich nach den besten Interessen des Embryos entscheiden, und sein Leben steht ihm niemals zur Disposition. Es handelt sich in unserem Fall auch nicht um eine Behandlung. Im hypothetischen Fall, dass der Arzt zur moralischen Gewissheit kommen würde, dass er durch Unterlassung einer Aufklärungsmaßnahme, ohne zu lügen, eine Abtreibung verhindern kann, wäre eine Verschwiegenheit prinzipiell, d.h. ohne Berücksichtigung anderer möglicher Umstände, ethisch gerechtfertigt. Das Lebensrecht eines Menschen steht vor der Aufklärungspflicht. Dies ist aber in der Wirklichkeit kaum möglich, erstens, weil niemand wissen kann, was für eine Entscheidung die Patientin treffen wird, und zweitens, weil die Aufklärung noch keine Abtreibungsentscheidung unmittelbar bewirkt. Es ist klar, dass mit diesem an sich ethisch richtigen Verhalten der Arzt ein gewaltiges Risiko eingehen würde, denn hier klaffen positives Recht und Ethik auseinander.

Nun stellen wir uns die Frage: Wie sollte sich ein gegen jegliche Abtreibung eingestellter Arzt verhalten, damit bei eventueller Mitwirkung der Regel der zulässigen Handlung mit Doppeleffekt Genüge getan wird? Wenn er richtig aufklärt, sind die guten Folgen, dass er seine Aufklärungspflicht gegenüber der Patientin erfüllt, seine Berufsbefugnis behält, seine Familie erhalten kann, die Chance hat, Abtreibungswillige zu überreden, usw. Die eventuelle schlechte Folge ist, dass sich die Patientin möglicherweise für die Abtreibung entscheidet und es ihm nicht gelingt, sie davon abzubringen, d.h. er kann nicht verhindern, was er verhindert hätte, wenn er nicht aufgeklärt hätte. Nur der Arzt, der bei der Aufklärung an sich etwas Gutes tut, muss mit allen legitimen Mitteln versuchen, die negative Folge, die nicht aus seiner Handlung unmittelbar hervorgeht, zu vermeiden (1. Regel), d.h. er muss versuchen, die Patientin vom Gedanken an die Abtreibung abzubringen. Die negative Folge hat für ihn den Charakter der Nebenwirkung, und zwar einer fernen Nebenwirkung, weil auch, wenn er sich massiv gegen die Entscheidung stellt, die Entscheidung mit Hilfe eines anderen Kollegen getroffen wird (2. Regel). Die negative Folge ist sicher keine unmittelbare Wirkung der positiven (3. Regel). Und nun zur vierten Regel: Es muss ein Verhältnis zwischen der guten und der schlechten Folge geben. Man muss hier genau definieren, was man abwägt: eine sichere gute Folge gegen eine mögliche Handlung der Patientin, die der Arzt an sich nicht bewirkt, aber vermeiden hätte können. Hier stehen Aufklärungspflicht und Lebensschutz im Konflikt. Vom ethischen Standpunkt aus genügt die einfache Vermutung des Arztes nicht, dass die Patientin die Tötung der Leibesfrucht vor hat, damit seine prinzipielle Verpflichtung zur Aufklärung in das Gegenteil umschlägt, d.h. in die Verpflichtung nicht aufzuklären. Dazu wäre die moralische Gewissheit (begründete Überzeugung trotz nicht ausreichender zwingender Beweise) notwendig. Die Verhältnismäßigkeit wäre also gegeben, wenn der Arzt die schlechte Folge als sehr ungewiss betrachten kann, vor allem dann, wenn er meint, sie mit gutem Grund, möglicherweise durch sein Überredung, verhindern zu können.

Zusammenfassend kann gesagt werden:

1. Pränataldiagnostische Verfahren wie Ultraschall, Doppler, Echokardiographie etc., die zu Absprache mit Neonatologen, Kinderchirurgen, etc. und somit zu einem besseren outcome des Neugeborenen führen können und auch zahlreiche Fälle mit einer tatsächlichen Therapiemöglichkeit aufzudecken imstande sind, sollen und müssen der werdenden Mutter verstärkt angeboten werden.

2. Aus der Untersuchung abgeleitete Risikoparameter und sogenannte „soft marker“ hinsichtlich einer chromosomalen Aberration müssen mit äußerster Zurückhaltung und Kritik vorgetragen werden. Insbesondere müssen die werdenden Eltern über die Risiken eines diagnostischen Eingriffs aufgeklärt werden. Eine intensive und nachhaltige Aufklärung und Beratung hat über die Konsequenzen der Punktion zu erfolgen. Hier muss aber mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass eine Abtreibung für einen Christen auf gar keinen Fall zu rechtfertigen ist.

3. Ganz konkret sollte also der ethisch richtig handelnde Arzt über die Risiken ohne Übertreibung aufklären und dabei die Chorionzottenbiopsie für den Fall anbieten, dass, aus welchem Grund auch immer, die Patientin und ihre Familie Genaueres wissen wollen. Um dem Gesetz Genüge zu tun, müsste er auch die Frage der Fristen zur Abtreibung anschneiden, aber es würde genügen, dies in negativem Sinn zu tun, indem er etwa sagt: „So dringend ist es nicht, denn abtreiben wollen wir auf keinen Fall, zumindest möchte ich nichts damit zu tun haben, es wäre etwas Furchtbares…“

Referenzen

  1. Mausbach J., Ermecke G., Katholische Moraltheologie, Aschendorfsche Verlagsbuchhandlung, Münster 1959, 2. Band § 26

Anschrift der Autoren:

Prof. Dr. Enrique H. Prat
Landstraßer Hauptstraße 4/13
A-1030 Wien

Dr. Karl Radner
Facharzt für Gynäkologie
Meidlinger Hauptstraße 7/1/1/2
A-1120 Wien

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