Kommentar zum Fall: Behandlungsabbruch beim Patienten K.
Es liegt in der Natur so komplexer Fälle, daß es dafür keine Patentlösungen gibt. Die Diskussion soll an einigen markanten Abläufen des Falles aufgehängt werden und es wird versucht, dann doch einen allgemeinen Lösungsansatz für die Probleme, die in diesem Fall auftreten, zu finden.
Wie immer, so gibt es auch in diesem Fall aufgrund der gebotenen Kürze der Beschreibung einige Unschärfen und medizinische Unklarheiten, zum Beispiel die postoperative Nachbetreuung, sowohl nach der ersten Operation, als auch nach der Platzbauch- und Nachblutungsoperation. Es ist aus der Fallbeschreibung auch nichts über die organisatorische Struktur und Verantwortungsaufteilung in diesem Haus bekannt. Auch ist zum Beispiel nicht klar, wer der diensthabende Arzt ist usw.
Es soll aber auf diese rein medizinischen Belange nur soweit eingegangen werden, als sie auch ethische Fragen aufwerfen.
Was wissen wir über den Patienten K.?
Abgesehen von ein paar persönlichen Daten und seinen medizinischen Diagnosen oder Vermutungsdiagnosen erfahren wir, daß der Patient vom Chirurgen über den Schwierigkeitsgrad der Operation und die möglichen Komplikationen aufgeklärt wird und daß K. dennoch auf seinem Wunsch, operiert zu werden, beharrt. Rechtlich gesehen entsteht zwischen Patient und Arzt ein Behandlungsvertrag, der dadurch zustande kommt, daß nach Aufklärung des Patienten durch den behandelnden Arzt, der aufgeklärte, mündige Patient in die Behandlung einwilligt. Erst dann darf der Arzt die vorgeschlagene Behandlung durchführen. Dies hängt zum Teil mit der etwas eigenartigen Stellung der ärztlichen Handlung im Rahmen des Strafgesetzes zusammen.
Aufgrund der immer mehr in den Vordergrund gerückten Autonomie des Patienten hat der Patient auch das Recht, in die Behandlung immer wieder einzugreifen. Die Behandlungsverweigerung stellt ein Grundrecht des Patienten dar. Die Frage ist: Darf der Patient eine Behandlung verlangen? Der Patient hat das Recht auf eine Behandlung lege artis, nach schulmedizinischen Kriterien. Allerdings hat auch der Arzt das Recht, eine Behandlung, die vom Patienten gefordert wird, zu verweigern (Ausnahmen sind hier lediglich Erstehilfeleistungen).
Das heißt, im konkreten Fall hatten die Chirurgen erhebliche Bedenken wegen der Schwierigkeit der Operation, und es wäre durchaus die Möglichkeit gewesen, den vom Patienten geforderten Eingriff unter den vorbestehenden Bedingungen abzulehnen.
Wir erfahren dann später noch im Gespräch mit dem Internisten die Einstellung des Patienten zum Leiden und vor allem auch, wie sich der Patient unter keinen Umständen ein Weiterleben vorstellen kann.
Internes Konsilium
Es wird bezüglich der Operationsfreigabe der Internist konsultiert. Dieser stellt eine schwere internistische Kontraindikation fest und gibt keine Operationsfreigabe. Es wird zwar eine intensive Therapie versucht, aber es kann keine wesentliche Besserung des pulmonalen Zustandes erreicht werden. Darüber wird der Patient auch von den Internisten aufgeklärt: über das extrem hohe Operationsrisiko und daß er die Operation nicht überleben würde. Die Aufklärung geht auch in die Richtung, daß mit schweren Komplikationen zu rechnen ist, die möglicherweise einen noch schlechteren Zustand ergeben als er derzeit sei. Es wird dem Patienten auch eine Alternative in Form eines Maschendrahtstents angeboten. Der Patient besteht jedoch auf die Operation.
Aus dem Fallbericht muß angenommen werden, daß der Patient in internistischer Behandlung war und daß von internistischer Seite dem Patienten von einer Operation dringendst abgeraten wurde, es wurde auch keine Freigabe gegeben. Aus medizinischer Sicht sollte der Begriff Freigabe in diesem Zusammenhang nicht verwendet werden. In dem Fall wäre es günstiger, von einer Risikoklassifizierung auszugehen, und es ist offensichtlich, daß der Patient in der höchsten Risikostufe einzustufen ist.
Diese Risikoklassifizierung beeinflußt dann das chirurgische Aufklärungsgespräch, sowie das Vorgespräch mit dem Anaesthesisten (hat es in diesem Fall je stattgefunden?).
Auch wenn der Patient weiterhin zur Operation drängt, so müssen mit dem Patienten – und zwar jetzt von Seite des Operateurs – in Form einer Szenarien-„was-wäre-wenn"-Aufklärung, alle Möglichkeiten des weiteren Verlaufes durchbesprochen werden.
Wenn auch der Patient ein Recht auf Behandlung lege artis hat, ein Erfolg der Behandlung kann vom Patienten nicht eingefordert werden, und der Arzt kann einen solchen Erfolg nicht versprechen.
Aufklärung:
Im Falle des Herrn K., wo mit großer Wahrscheinlichkeit ein ungünstiger Ausgang zu erwarten war, erscheint es unerläßlich, das Aufklärungsgespräch auch im Team, nämlich im Team Chirurg, Internist, Anaesthesist, Patient, zu führen. Entscheidend ist, es sehr klar oder möglichst klar herauszufinden, was den Patienten bewegt, was er möchte, was er sich erwartet, durchaus auch, wie er sterben möchte!
Vom Patienten selbst erfahren wir einige Äußerungen, wie zum Beispiel: Lieber sterben als jämmerlich zugrunde gehen. Hier ist zu hinterfragen, was versteht der Patient unter „jämmerlich zugrunde zu gehen". Es ist mit dem Patienten zu besprechen, was er sich unter einer Intensivbehandlung vorstellt, wie er zur künstlichen Beatmung steht, usw.
Alle Beteiligten müssen sich aber im klaren sein, daß es eine objektive Darstellung des wahrscheinlichen oder des günstigsten und des ungünstigsten Behandlungsverlaufes nicht geben kann. Es ist als Tatsache anzuerkennen, daß von den einzelnen Fachrichtungen die Möglichkeiten des eigenen Faches durchaus höher eingeschätzt werden als die eines anderen Faches. Gerade zwischen interner und chirurgischer Disziplin kommt es oft zur Selbstüberschätzung der eigenen fachlichen Möglichkeiten, ein Umstand, den man in aller gebotenen Demut zur Kenntnis nehmen sollte.
Patientenautonomie:
Gerade mit der in der letzten Zeit vermehrt diskutierten, sogenannten Autonomie des Patienten, gehen auch rechtliche Entscheidungen, die in Richtung ungerechtfertigter und eigenmächtiger Heilbehandlung zielen, einher.
Im Konkreten: Wenn der Patient nicht in die Behandlung einwilligt, dann darf sie nicht weitergeführt werden. Es heißt dies aber nicht, daß jegliche Behandlung abzubrechen ist, sondern es bezieht sich diese Einschränkung auf die curative Behandlung, auf die Therapie im eigentlichen Sinne. Palliative oder symptomatische Therapie, inkludierend Schmerztherapie und Deckung der Basisbedürfnisse hat aber uneingeschränkt weiter zu erfolgen. In diesem Zusammenhang muß man klar aussprechen, daß die ärztliche Tätigkeit in diesen Fällen auch Sterbebegleitung in allgemeinster Form zu umfassen hat. Schon allein das Wort ist sicherlich im Rahmen eines Aufklärungsgespräches eine schwierige Hürde, im konkreten Fall des Patienten K. wäre es aber angezeigt gewesen, auch diese Bereiche zu diskutieren. Letztendlich sind ja gerade in den eigentlich von vornherein ausgeklammerten Problemen die allergrößten Schwierigkeiten aufgetreten. Dazu kommt noch die Problematik des bewußtlosen bzw. durch Medikamente eingeschränkt entscheidungsfähigen Patienten, besonders wenn dann nach allgemeiner Auffassung bei Entscheidungen der sogenannte mutmaßliche Wille des Patienten heranzuziehen ist.
Wie anders könnte aber der mutmaßliche Wille des Patienten erfaßt werden, als in Vorgesprächen, die jedoch nur in freundschaftlicher Atmosphäre mit einem hohen Vertrauensvotum von beiden Seiten geführt werden können. Zu bedenken ist aber, daß aufgrund des Wissensvorsprunges des Arztes das Verhältnis Patient-Arzt immer einseitig zugunsten des Arztes verschoben sein wird. In schwierigen Fällen, so wie es der Fall K. darstellt, sollte daher dem Patienten eine Vertrauensperson zur Seite gestellt werden. Dies sieht übrigens auch das neue KAG vor. Diese Vertrauensperson kann ein Freund, ein naher Angehöriger oder eine sonstige, vom Patienten gewählte, mündige Person sein.
Insoferne diese Person allerdings nicht als Sachwalter eingesetzt ist, kommt dieser Vertrauensperson keinerlei Entscheidungsbefugnis zu, sie kann aber den Ärzten hilfreich zur Seite stehen, um die Entscheidungsfindung zu erleichtern, wenn es darum geht, bei einem bewußtlosen Patienten zu beurteilen, ob er in diese oder jene Behandlung einwilligen würde (mutmaßlicher Wille des Patienten).
Das ist nämlich der springende Punkt – und auch immer wieder für den Fall des Patienten K. anzuwenden: Die Fragestellung lautet nämlich nicht: Muß ich den Patienten operieren, intubieren usw., sondern die Fragestellung lautet: Darf ich den Patienten intubieren, beatmen, usw., weil der Patient es so wünscht?
Diese Unterscheidung ist deswegen wichtig, weil der Arzt, wenn er die Gewißheit hat, daß die von ihm vorgesehene therapeutische Aktion mit dem Willen des Patienten, oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten kollidiert, diese Behandlung nicht durchführen darf. Das heißt, die Behandlung ist dann abzubrechen.
Damit wird die Entscheidungsfreiheit des Patienten zunehmend mehr zum schützenden Gut erhoben.
Ob dadurch die Probleme für Ärzte, die vor schwierigen Entscheidungen stehen, geringer werden, ist zu bezweifeln. Auf der anderen Seite gehen Tendenzen ganz klar in die Richtung der zunehmenden Verrechtlichung des Patient-Arzt-Verhältnisses und sind – so wie es den Anschein hat – nicht aufzuhalten. Wir Ärzte sollten allerdings durchaus in der Lage sein, das Positive an diesen Tendenzen zu erkennen und für den Patienten heilbringend anzuwenden. Der Fall K. ist geeignet aufzuzeigen, welch wesentlicher Stellenwert dem Patienten zukommt und wie wichtig es ist auszuforschen und zu dokumentieren, wie sich der Patient sein Weiterleben und Sterben vorstellen könnte. Mit dieser „neuen" Erkenntnis sind Konflikte, wie sie in dem Fall auftreten, patientengerecht lösbar.
Wenn es um die Fragestellung geht, was erwartet sich der Patient, was möchte der Patient, was möchte der Patient nicht oder unter keinen Umständen, dann ist es auch sinnvoll, sich mit den Patiententestamenten zeitgerecht auseinanderzusetzen. Patiententestamente können unter Umständen hilfreich sein, ärztliche Entscheidungen zu erleichtern (mögliche Kenntnisse über den mutmaßlichen Willen des Patienten vermitteln), sind aber niemals tatsächliche Entscheidungshilfen.
Vom Patienten K. wissen wir, daß er mehrfach feststellt, lieber zu sterben als jämmerlich zugrunde gehen zu wollen. Dieser Umstand ist im Fallbericht nicht näher erläutert, möglicherweise betrifft es aber auch die gesamte intensivmedizinische Behandlung, die vom entsprechend aufgeklärten Patienten K. ohnedies abgelehnt worden wäre. Wäre dies der Fall, dann dürfte – wie schon oben ausgeführt – diese ganze intensivmedizinische Therapie bzw. auch wahrscheinlich ein Teil der Nachoperationen gar nicht durchgeführt werden.
Das Gleiche trifft für die Entscheidung des diensthabenden Arztes zu, der feststellt, daß die Prognose infaust sei und er daher keine Intubation veranlaßt oder durchführt.
Behandlungsverzicht – Behandlungsabbruch:
Dazu ist festzustellen, daß eine curative Behandlung abgebrochen werden muß, wenn keine Therapienotwendigkeit besteht oder wenn keine Therapiemöglichkeit besteht oder wenn der Patient die Therapie verweigert. Andererseits ist eine intensivmedizinische Behandlung sicherlich dann anzuwenden, wenn sich durch die Intensivmedizin eine Chance ergibt, einen für den Patienten als lebenswert erachteten Zustand zu erreichen. Wie immer ist in diesen Grenzbereichen die Antwort schwierig zu finden.
Einfach ist es, wenn der Patient die Intensivmedizin verweigert, solange er klar bei Bewußtsein ist. Was er ablehnt, darf nicht durchgeführt werden.
Dies gilt auch, wenn vom Patienten mit ausreichender Gewißheit bekannt ist, daß er die intensivmedizinische Behandlung verweigert, oder wenn vom Patienten bekannt ist, daß er einen Zustand, der durch die Intensivmedizin erreicht werden kann, ablehnt, zum Beispiel als Apalliker zu leben. Wichtig ist aber festzuhalten, daß es sich hier um die Einschränkung bezüglich Heilmaßnahmen handelt und daß eine symptomatische Therapie mit Übergang in die Sterbebegleitung immer geboten ist und nie aufgegeben werden darf.
Die Entscheidung über so schwierige Problemstellungen kann nur im Behandlungsteam unter Einbeziehung von Bezugspersonen gefällt werden.
Niemals sollten solche Entscheidungen im Alleingang getroffen werden. Dem diensthabenden Arzt ist vor einer so schwerwiegenden Entscheidung dringend geraten, ein Konsilium einzuberufen und bis zur Entscheidung des Konsiliums „lege artis" zu behandeln. Eine nachgewiesenermaßen und für alle erkennbar unwirksame Therapie muß allerdings eingestellt werden.
Konsilium:
Im Team aller betroffenen Behandler unter Beinbeziehung der eventuellen Vertrauensperson ist zu klären:
- Die Wirksamkeit der Therapie,
- die Einstellung des Patienten zur Therapie, um daraus die Entscheidung abzuleiten ob Behandlungsabbruch oder Behandlungsverzicht vorliegt.
Ist es der Wunsch des Patienten, die Therapie nicht mehr weiterzuführen, dann liegt ein Therapieverzicht vor, und die Therapie ist abzubrechen.
Oder es handelt sich um einen aus medizinisch Gründen durchzuführenden Behandlungsabbruch, weil
- der Patient im Sterben liegt,
- die Therapie sinnlos oder
- die Therapie gefährlich ist.
Im Konsilium, und das haben die Diskussionen in den Ärzterunden immer wieder gezeigt, sollten nur einstimmige Beschlüsse berücksichtigt werden. Liegen Gegenstimmen vor, so sind diese genauestens zu begründen, Stimmenthaltungen sind nicht zulässig. Konsensfindungen innerhalb des Behandlungsteams sind schriftlich niederzulegen und unter Einbeziehung des mutmaßlichen oder tatsächlich bekannten Patientenwillens zu dokumentieren. Diese Entscheidungen sind nicht nur ethisch, sondern auch rechtlich tragfähig und führen letztendlich zu einer prozeßhaften Verbesserung der Entscheidungsfindung.
Bei Vorliegen auch nur einer Gegenstimme liegt kein tragfähiger Konsens vor, weder für noch gegen einen Behandlungsabbruch. Zu beachten ist aber, daß dem Patienten mit seiner Möglichkeit auf Therapieverzicht innerhalb des Behandlungsvertrages eine Sonderstellung eingeräumt wird.
Der Fallbericht beinhaltet eine 2. Krankengeschichte, die eines 70 jährigen Mannes, der aufgrund eines Schlaganfalles eine gute Prognose hätte, wenn er auf einer Intensivstation behandelt werden könnte. Da alle Intensivstationsbetten belegt sind, wird der Vorschlag gemacht, den Patienten K. zu extubieren und in Ruhe sterben zu lassen. Chirurgen und Anaesthesisten lehnen dies ab, mit der Begründung, der Patient K. würde umgebracht werden. Von internistischer Seite wird eingebracht, daß die Intubation primär schon nicht indiziert gewesen wäre und daß die Prognose infaust sei und daß der Patient mehrfach betont hätte, nicht auf einer Intensivstation überleben zu wollen.
Mit der Abwägung, für welchen Patienten die Behandlung sinnvoller wäre und daher durchgeführt werden soll, nämlich für den 70 jährigen Mann mit der Hemiparese (halbseitige Lähmung) und guten Chancen oder den 68 jährigen Patienten K. mit den schlechten oder gar keinen Erfolgschancen, wird das Problem der begrenzten Möglichkeiten und Ressourcenbegrenzung in die Diskussion gebracht.
Hier gilt, wie schon oben ausgeführt: Ist die Prognose tatsächlich infaust, so muß die Therapie abgebrochen werden. Widerspricht die Therapie den Vorstellungen und der Einwilligung des Patienten, dann muß die Therapie abgebrochen werden. Ist die Behandlung vom Patienten gewünscht, und besteht durch die Behandlung Aussicht auf Erfolg, den Patienten in einen Zustand zu bringen, den er als Behandlungsziel akzeptiert, dann muß die Behandlung weitergeführt werden. Im anderen Falle ist sie abzubrechen. Es sind dann sterbebegleitende Maßnahmen und eine symptomatische Therapie angesagt. Hier wird von internistischer Seite korrekt ins Treffen geführt, daß vom Patienten her mehrfach betont wurde, daß er nicht auf einer Intensivstation weiterleben wolle und daß er ein Überleben mit nur schweren Schäden ohnedies ablehnt. Ist dies zutreffend und entspricht es tatsächlich dem Willen des Patienten, dann muß die Therapie ohnedies abgebrochen werden.
Die Diskussion ist also auf der richtigen Ebene zu führen, dann ergibt sich auch eine Möglichkeit der Konfliktlösung.
Von chirurgischer und anaesthesieologischer Seite wird argumentiert, daß der Patient durch die Maßnahme der Einstellung der künstlichen Beatmung umgebracht werden würde.
Dazu sind einige medizinische Bemerkungen notwendig:
Wenn der Patient durch Abstellen der künstlichen Beatmung umgebracht wird, dann würde dies bedeuten, daß er keine eigenständige Atmung mehr besitzt, im anderen Fall könnte man den Tubus belassen um die Atemwege offenzuhalten und den Patienten spontan selbst atmen lassen.
Bei Ateminsuffizienz ist allerdings mit einer Verschlechterung des Patientenzustandes zu rechnen.
In dem einen Fall führt also bei bestehendem Atemstillstand das Abschalten der Maschine zwingend und direkt zum Tod des Patienten, das heißt die Handlung des Arztes führt unmittelbar direkt zum Tod. Zu klären ist, ob dieses direkte Abschalten geboten ist, zum Beispiel wegen mangelnder Behandlungseinwilligung des Patienten bzw. wegen infauster Prognose. Dann ist nämlich entweder der gebotene Therapieabbruch bzw. Therapieverzicht gegeben. Besteht noch Spontanatmung beim Patienten K., dann führt bei seinem schlechten Allgemeinzustand das Abstellen der Beatmungsmaschine möglicherweise oder sogar wahrscheinlich zum Tod. Der Tod des Patienten K. wird aber nicht beabsichtigt, sondern zugelassen, aus einem guten Grund.
Tatsächlich muß man einwenden, daß es die im Fall konstruierte Ressourcenverknappung in dem Sinne derzeit (noch) nicht gibt. Statistisch gesehen stehen in europäischen Großstädten und Umgebung jederzeit ausreichend Intensivbetten zur Verfügung.
Trotzdem erscheint es angebracht, auch diesen Themenkreis zu diskutieren. Die Problematik, die ins Spiel gebracht wird ist die, daß durch das Abschalten der Beatmung jetzt unabhängig von allen anderen oben ausgeführten Bedingungen, ein Patient, nämlich K., dadurch sterben würde, daß man das Gerät einem anderen Patienten, für den es sinnhafter einzusetzen wäre, zur Verfügung stellt.
Handeln wird hier prinzipiell und übergeordnet entweder als ein Tun oder ein Unterlassen gesehen.
Jegliches sittlich zu bewertendes Handeln kann durch eine negative Pflicht nicht zu töten – oder eine positiven Pflicht zu helfen – motiviert sein.
Liegt eine Entscheidungskollision zwischen negativen und positiven Pflichten vor, dann hat die Beachtung der negativen Pflicht Vorrang. Dem hat sich ärztliches Handeln schon seit jeher unter der Motivation des „nil nocere" verpflichtet gefühlt.
Die Verletzung einer negativen Pflicht zugunsten einer positiven würde nämlich bedeuten: Ich nehme einer Person etwas weg, worüber ich kein Verfügungsrecht habe. Eine weitere Unterscheidung wird immer wiederum gefällt zwischen den beabsichtigten und den zugelassenen Folgen.
Im konkreten Fall kann die Darstellung so sein, daß abzuwägen ist zwischen zwei positiven Pflichten (welchen von beiden helfe ich?), und ich treffe dann die Entscheidung für einen Patienten und nehme den Tod des anderen Patienten in Kauf, ohne daß ich den Tod des Patienten beabsichtige.
Hier ist also sehr genau zu unterscheiden zwischen beabsichtigen und zulassen, zwischen verursachen und geschehen lassen.
In dem einen Fall läßt man zu, daß der Patient (der im konkreten Fall des Patienten K. vielleicht ohnedies schon im Sterben liegt) stirbt. In dem anderen Fall beabsichtigt man, dem Patienten zu helfen. Eine Absicht, K. zu töten oder auch nur, ihm zu schaden, liegt aber nicht vor. Die unter Umständen eintretende Verschlechterung oder sogar der Tod werden lediglich zugelassen, um eine positive Pflicht zu erfüllen.
Diese Entscheidung ist nur auf der Gewissensebene zu treffen.
Nachdem es sich um außerordentlich schwerwiegende Entscheidungen mit nicht mehr rückgängig zu machenden Folgen handelt, sollten auch solche Entscheidungen prinzipiell nur im Konsilium getroffen werden.
Auch das Konsilium ist gut beraten, wenn es bei kontroversiellen Standpunkten für die Beibehaltung der eingeschlagenen Therapie eintritt. Gewissensentscheidungen einzelner Konsiliumsmitglieder sind nicht durch Mehrheitsentscheidungen beugbar.
Univ. Doz. Dr. Titus Gaudernak ist Primarius im KH Mödling.