Kritische Reflexionen zur ‚reproduktiven Autonomie‘
Zusammenfassung
Der Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘ bereitete seit 1994 auf internationaler Ebene den politischen Boden dafür, dass heute Paare oder Singles de facto jegliche technisch verfügbaren Mittel nützen können, um sich den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Dies führt zu erheblichen ethischen Problemen, sowohl zu Lasten der Kinder als auch jener, die in den technischen Prozess der künstlichen Befruchtung, Eizell- oder Samenspende oder Leihmutterschaft involviert sind. Die medizinischen und psychologischen Folgen für Kinder und Frauen werden im öffentlichen Diskurs ausgeblendet. Es bedarf einer kritischen Reflexion des vorherrschenden Autonomiebegriffs, damit auch die Bedingungen für ein gutes Leben des anderen geachtet werden.
Schlüsselwörter: IVF, Leihmutterschaft, Eizellspende, Social Egg Freezing, reproduktive Autonomie, Ethik
Abstract
Since 1994, the concept of ‘reproductive autonomy’ has prepared the ground internationally for the fact that today couples or singles can use practically all technically available means to fulfill their wish to have a child. This leads to considerable ethical problems, to the detriment of the children and those involved in the technical process of artificial insemination in the laboratory, of egg or sperm donations or surrogacy. The medical and psychological consequences for children and women are ignored in the public discourse. A critical reflection on the prevailing concept of autonomy is needed so that the conditions for a good life of the other are also respected.
Keywords: IVF, surrogacy, egg donation, social egg freezing, reproductive autonomy, ethics
0. (M)Ein Leben aus dem Labor – ein fiktiver Entstehungsbericht
Chor: Teueres Kind, wer gebar dich?
Ödipus. Wie, welchen Eltern? Bleib!
Wer hat mich gezeugt?1
König Ödipus (5 Jh. v. Chr.)
„Den Anfang meines Lebens kann ich kurz erklären: Mein Vater masturbierte im Labor und gab dort seine Samen ab. Eine junge Frau in der Ukraine hat viele Hormone zu sich genommen, und anschließend hat man ihr unter Narkose 17 Eizellen entnommen. Die Leihmutterschaftsagentur hat dann den Rest organisiert. Ein KI-gesteuerter Roboter spritzte jeweils eine einzige der Millionen von Samenzellen meines Vaters direkt in die Eizellen der Ukrainerin, damit es mit der Befruchtung klappt.2 Wir waren am Ende acht befruchtete Eizellen, die in einer Nährlösung im Reagenzglas schwammen und dann in einen Wärmeschrank gebracht wurden, wo man uns wieder mit einer KI-gesteuerten Kamera überwachte. Die machte ganz viele Fotos von uns, um unsere Qualität zu prüfen.3 Dann haben die Ärzte entschieden, wer von uns der Frau implantiert werden soll. Diese Frau hätte ja eigentlich meine leibliche Mutter sein sollen. Bei mir war es aber eine andere Frau, die gegen Geld mit mir schwanger war, weil meine Mutter schon zu alt ist. Die ersten neun Monate meines Lebens war ich also im Bauch dieser Fremden, sie lebt in Thailand. Genetisch stamme ich aber von einer Ukrainerin ab, die ihre Eizellen abgegeben hat, weil sie Geld für den Hausbau gebraucht hat.4 Sie ist ein Teil von mir. Mit meiner thailändische Mutter verbinden mich die ersten neun Monate meines Lebens, wo sie für mich da war. Auch für meinen Zwillingsbruder. Sie hat das Geld gebraucht, deshalb hat sie das gemacht. Meine Eltern haben mich dann nach der Geburt abgeholt. Richtig verwandt bin ich ja eigentlich nur mit meinem Vater, der auch die Leihmutter bezahlt hat. Meinen behinderten Bruder haben meine Eltern, bei denen ich jetzt lebe, bei meiner Leihmutter zurückgelassen.5 Sie hätte meinen Bruder eigentlich abtreiben sollen, aber die Leihmutter wollte das nicht. Jetzt wächst mein Bruder bei ihr auf. Das finde ich schade, aber meine Eltern sagen, dass es das Problem der Thailänderin ist, nicht ihres. Im Vertrag war immer klar, dass sie nur ein gesundes Kind haben wollten. Und das bin ich. Irgendwie ist das schon alles ein wenig schräg, aber ich bin meinen Eltern dankbar für alles, was sie für mich gemacht haben und dass es mich jetzt gibt. Meine eigenen Kinder will ich aber später lieber selbst bekommen.“
Loretta, 15 Jahre
1. Die Technisierung der menschlichen Fortpflanzung
Als am 25. Juli 1978 Louise Brown als allererstes Kind nach künstlicher Befruchtung – ,In-vitro-Fertilisierung‘ (IVF) – zur Welt kam, wurde dies als medizinische Sensation gefeiert. In Österreich und Deutschland kam 1982 das erste IVF-Kind zur Welt, in der Schweiz 1985. Schätzungen zufolge leben inzwischen weltweit acht Millionen Menschen, die nach extrakorporaler Befruchtung geboren worden sind.6
Ursprünglich galt ethisch und rechtlich der nicht therapierbare Eileiterverschluss als uneingeschränkte Indikation für die IVF und war auf verheiratete Frauen beschränkt. Innerhalb kürzester Zeit weitete sich das Spektrum der Indikationen für reproduktionsmedizinische Eingriffe jedoch auch auf Lebensentwürfe ohne jeden pathologischen Hintergrund aus. Je nach nationaler Gesetzeslage kann heute fast jeder, der ein Kind haben möchte, mittels medizintechnischer Verfahren, entsprechenden Wunschbaby-Kliniken oder Agenturen und gegen entsprechende Geldsummen auch ein Kind bekommen.7 Dabei ist das ‚Recht auf reproduktive Autonomie‘ wirkmächtig. Es erhebt den Anspruch, jedwedes medizintechnische oder gentechnisch verfügbare Verfahren nutzen zu dürfen, um sich den Wunsch nach einem Kind – mit oder ohne Partner – zu erfüllen. Dazu zählen die künstliche Befruchtung mit eigenen Keimzellen oder genetisch fremden (Samen- bzw. Eizellspende), Social Egg Freezing, das Austragen eines Kindes via Leihmutterschaft, Vor-Selektion von ‚genetisch auffälligen‘ Embryonen (Präimplantationsdiagnostik) bis hin zur Wahl des Geschlechts oder einer Keimbahnmanipulation (‘Enhancement’). Das Verfahren steht Alleinstehenden offen, Singles nach der Menopause, Witwen bzw. homosexuellen Paaren (mit Samenspende, Eizellspende und Leihmutter).
Das Alter der Erstgebärenden liegt in Europa bei etwa 30 Jahren. Im Hinblick auf die wachsende Zahl von Frauen, die sich noch im Alter von über 40 oder nach der Menopause ihren Kinderwunsch erfüllen wollen, sprechen Reproduktionsmediziner mittlerweile von ,geriatrischer Geburtshilfe‘ als einem wachsenden Marktsegment, das durch Techniken wie Eizellspende und Social Egg Freezing angekurbelt wird.
Was früher als schicksalhaft galt – sei es ungewollte Kinderlosigkeit, sei es die Geburt eines Kindes mit Behinderung – rückt angesichts der gen- und reproduktionstechnologischen Entwicklungen immer weiter in den Bereich des Machbaren. Kinderlosigkeit ist kein Schicksal mehr oder Ergebnis von Lebensentscheidungen oder biologisch auferlegter Grenzen wie Alter oder Geschlecht. Die Technik sprengt diese ‚Fesseln‘ und verheißt damit Kontrolle und grenzenlosen Autonomiegewinn.
Eine Arbeitsgruppe der WHO ging 2017 noch einen Schritt weiter: Menschen sollen auch dann als unfruchtbar gelten, wenn sie einfach keinen geeigneten Sexualpartner gefunden haben oder ein Kind für sich haben möchten, aber allein sind – Singles, lesbische Frauen oder auch homosexuelle Männer mit Kinderwunsch.8 Für letzteres braucht es allerdings auch Frauen, die als Leihmütter diese Kinder austragen. Der Terminus ‚infertil‘ wird damit endgültig aus dem medizinischen Kontext herausgelöst und in eine ‚sozial bedingte Unfruchtbarkeit‘ umgedeutet.
Ursprünglich galt ja das – für Frauen und Kinder gesundheitsbelastende und kostspielige – Verfahren einer künstlichen Befruchtung ethisch und rechtlich nur als ‚ultima ratio‘. Es sollte also nur dann angewendet werden, wenn alle anderen medizinischen Möglichkeiten, bereits auf natürlichem Weg eine Schwangerschaft zu erreichen, ausgeschöpft waren. Nun geht es nicht mehr um die Heilung oder Überbrückung von Pathologien. Die Reproduktionsmedizin behandelt nicht mehr Patienten, sondern Kunden, deren Wünsche sie erfüllen. Als ‚Indikation‘ genügen die (selbst gewählten) Lebensumstände, in der es keinen Platz für eine/n Partner/in oder eine Schwangerschaft gab. Es zählt allein der individuelle Wunsch nach einem Kind. Eine krankheitsbedingte physische Infertilität ist keine Voraussetzung mehr, um eine medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Diese Position vertritt die WHO ganz offen. Sie fördert eine Bevölkerungspolitik, die ein universales Recht auf ein Kind proklamiert, und die auch staatlich finanziert werden soll.9
In der Lobbyarbeit jener, die eine Legalisierung von Leihmutterschaft und Eizellspende vorantreiben, wird häufig mit beschönigenden und einseitigen Argumenten gearbeitet. Nicht selten stehen dahinter jene, die selbst von der Reproduktionsmedizin und Leihmutterschaft finanziell profitieren. Assistierte reproduktionsmedizinische Techniken (ART) sind zu einem profitablen Industriezweig geworden, an dem viele Akteure mitverdienen. Der globale IVF-Markt von 21,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 soll bis 2031 auf schätzungsweise 90,8 Milliarden US-Dollar ansteigen, was einer jährlichen Wachstumsrate von 16,1% entspricht.10
2. Eine reproduktive Zumutung
Ohne das ‚Rohmaterial‘ Ei- und Samenzelle, ohne Frauen, die ihren Körper als Kinder-Produktionsstätte vermieten, und ohne Millionen von menschlichen Embryonen, die in Stickstofftankbehälter tiefgekühlt zunächst über Jahre gelagert11 und dann doch ‚entsorgt‘ werden, sind die multiplen Wünsche von Menschen, die ohne jeglichen pathologischen Hintergrund eine IVF in Anspruch nehmen, nicht erfüllbar. Die Autonomie der einen wird damit zur Zumutung für andere – auch für die so entstandenen Kinder.
Auffallend ist sowohl an der Debatte zur Eizellspende als auch jener zur Leihmutterschaft, dass sie sich vor allem auf die Sicht jener Paare beschränkt, die mit Hilfe dieses Verfahrens der Reproduktionsmedizin hoffen, ein Kind zu bekommen. Vom Kinderwunsch und von Selbstbestimmung ist die Rede. Konsequent ausgeblendet werden jedoch jene Frauen, die sich selbst als Gebärkörper oder ihre Eizellen als Rohstoffmaterial zur Verfügung stellen, ihre Motive und ihre häufig prekären sozialen Verhältnisse. Völlig ignoriert wird die Perspektive des Kindes, das genetisch als Patchwork-Kind ohne Vater oder ohne Mutter entworfen wird und in seine Biografie drei oder vier Elternteile integrieren muss, von denen manche anonym bleiben.
Das Konzept der ‚reproduktiven Autonomie‘ konzentriert sich auf Menschen, deren Kinderwunsch so absolut gesetzt wird, dass potenzielle Risiken und entwürdigende Praktiken Dritter als minimale Kollateralschäden oder Minderheitenprobleme abgetan werden. Der gesamte Markt der reproduktiven Techniken (ART) lebt aber von Abhängigkeiten und Zumutungen, Fremdentscheidungen über Dritte, erzwingt die Vernichtung von menschlichen Existenzen und lebt von Marktmechanismen, die die Ausbeutung von Personen in vulnerablen Lebenssituationen begünstigen. Autonomie ist kein monologisches Prinzip. Sie muss in die relationale Dimension des Menschen eingebettet werden.
3. Der Leitbegriff der ‚reproduktiven Autonomie‘
Das ethische Grundproblem der extrakorporalen Befruchtung im Reagenzglas liegt darin, dass ein Kind nicht in der personalen Vereinigung von Mann und Frau gezeugt, sondern im Labor ‚gemacht‘ wird. Dies zieht im Kontext menschlicher Existenzwerdung eine Folge von ethischen Problemen nach sich. Allerdings lässt der laufende biopolitische Diskurs keine ethische Debatte mehr zu. Der Begriff der ‚reproduktiven Autonomie’ wird strategisch als biopolitisches Machtmittel eingesetzt, um sich gegenüber einer kritisch-ethischen Reflexion zu immunisieren.
Die Verheißung einer Autonomie, die auch über die Quellen des Lebens verfügt und nicht mehr an die Vorgaben und Grenzen der eigenen und der Leiblichkeit anderer gebunden ist, ist wirkmächtig und befeuert den Diskurs. Dass im Kontext medizinischer Anwendungen, die die Existenzwerdung eines Menschen betreffen, die Würde des Menschen und die daraus abzuleitenden Prinzipien der Schadensvermeidung und Fürsorge gleichfalls eine entscheidende Rolle spielen, wird konsequent verschwiegen.
3.1 Biopolitik ersetzt Bioethik
Im derzeitigen fortpflanzungs-medizinischen Diskurs wird Bioethik weitgehend durch Biopolitik ersetzt. Moral wird durch Recht ersetzt, eine kritische normative Ethik ist lästig und unerwünscht. Als Feigenblatt dürfen nationale Ethikkommissionen im Nachhinein absegnen, was bereits Fakt und politisch erwünscht ist. Das philosophische Konzept der ‚Selbstbestimmung‘ ist im Zuge dieser Entwicklung zu einem machtpolitischen Begriff mutiert mit dem Ziel, „tiefer liegende Fragen der ethischen Bewertung moderner Fortpflanzungstechnologien aus dem Diskurs auszublenden“, wie Katharina Beier feststellt.12
Dabei wird mit einem utopischen Autonomiebegriff operiert: Kein Mensch schwebt alleine im Weltall oder lebt auf einer seligen Insel der Autonomie. Wir alle sind in Gemeinschaft eingebettet. Autonomie wird überhaupt erst durch Mitmenschen und auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen ermöglicht; sie wirkt im Gegenzug in das Zusammenleben hinein und auf jene, die von unseren Entscheidungen betroffen sind. Deshalb gilt: Eine „Selbstbestimmung, die die Autonomie des Gegenübers missachtet, ist gerade keine. Positiv formuliert: Zur Autonomie gehört es, die Autonomie des anderen Menschen zu beachten, sie anzuerkennen. Insofern ist sie auch eine Selbstbegrenztheit, die die Unverfügbarkeit des anderen Menschen ausdrücklich bejaht“13. Zudem ist ein Autonomiebegriff fragwürdig, der sich individualistisch einzig an Wunsch und Willen des Einzelnen festmacht. Autonomie ist nicht einfach Willkür, sondern setzt die Reflexion voraus, was das gute Leben ausmacht – für alle.
Damit wird deutlich: Auch wenn der Wunsch nach einem Kind legitim ist, lässt sich daraus kein individuelles ,Recht auf ein Kind‘ ableiten. Richtig ist: Kein Mensch darf daran gehindert werden, eine Familie zu gründen, dies halten die internationalen Menschenrechte fest. Aus diesem ,Abwehrrecht‘ folgt jedoch nicht im Umkehrschluss ein ,Anspruchsrecht‘ – weder auf einen fehlenden Partner noch auf ein fehlendes Kind. Es widerspricht der Würde des Menschen, verfügbares Wunschobjekt für Dritte zu sein.
3.2 Recht auf (k)ein Kind: Die UN-Konferenzen in Kairo (1994) und Peking (1995)
Ursprünglich entstammt der Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘ dem Kontext der Abtreibungsdebatte. Viele der sogenannten ‘first wave’-Feministinnen, sahen in der Möglichkeit zur Mutterschaft der Frau die Ursache ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung. Jede Frau sollte selbst über ihre Fruchtbarkeit und Schwangerschaft bestimmen dürfen – mittels Verhütung und Abtreibung. So fordert die US-amerikanische Feministin Shulamith Firestone im Jahr 1975, dass das erstrangige Ziel der Revolution zur Befreiung der Frau darin bestünde, sie von der Bürde des Kinderkriegens zu befreien.14 Firestone bezeichnet die Schwangerschaft als bloß „zeitweilige Deformation des menschlichen Körpers für die Arterhaltung“15 und fordert die „(…) Befreiung der Frauen von der Tyrannei der Fortpflanzung durch jedes nur mögliche Mittel (…)“16. Interessant ist, dass sie im Diskurs um die Abtreibung als Frauenrecht auch die künstliche Befruchtung als Befreiungsverheißung ins Spiel bringt. Sobald sich nämlich Frauen, so Firestone, durch Verhütung und Abtreibung weigern würden, Kinder zu bekommen, müssten Männer eine technische Lösung für den Nachwuchs finden. „Die Befruchtung im Reagenzglas“ sei deshalb „nur eine Frage der Zeit“17. Drei Jahre später wurde erstmals ein Kind nach künstlicher Befruchtung geboren.
Die Idee, die menschliche Fortpflanzung komplett ins Labor – von der Befruchtung bis zur Geburt aus einer künstlichen Gebärmutter – zu verlegen, tauchte bereits in den 1950er Jahren auf. Mütter könnten sich damit die Strapazen und Unannehmlichkeiten einer Schwangerschaft ersparen, ihre jugendliche Figur behalten und das Baby nach Hause bringen, wenn es ‚fertig‘ ist. Ein gewichtiges Argument für den Einsatz einer künstlichen Gebärmutter sei, dass damit die reproduktive Freiheit gefördert und die Gleichstellung der Geschlechter und sexuellen Minderheiten unterstützt würde.18
Politische Durchschlagskraft erlangte der Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘ durch die UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 199419 und die UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Bejing20. Mit der Verabschiedung des Kairoer Aktionsprogramms erkannten 179 Staaten die „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ als Teil des Rechts auf Gesundheit an. Ein Jahr später hob die UN-Weltfrauenkonferenz in Peking die „reproduktiven Rechte für Frauen“ hervor. Gleichzeitig verschwand darin das Wort ‚Mutter‘ zugunsten des Wortes ‚Gender‘: Gender kam im Abschlussdokument 219 Mal vor, das Wort ‚Mutter‘ nur 17 Mal. Heute spricht man geschlechtsneutral von ‚schwangeren Personen‘, die leiblich-biologische Vorrangstellung der Frau im Zusammenhang mit der Fortpflanzung wird als diskriminierend abgelehnt und sprachlich ausgelöscht. Das Abschlussdokument der Peking-Konferenz 1995 betont die reproduktive Entscheidungsfreiheit als Grundrecht aller Paare und Einzelpersonen, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt.21
4. Wer sind meine Eltern? Die Identität des Kindes nach Eizellspende und Leihmutterschaft
„Das kann nicht sein, dass ich,
ergreifend solche Zeichen,
nicht meine Herkunft bring ans Licht!
Unmöglich! Ich muss es klar ergründen!
Was immer mag, das breche auf!
Aber meinen Ursprung,
und sei er auch gering:
Ich werd ihn sehen wollen.“
König Ödipus22
Die Reproduktionsmedizin zwingt der menschlichen Fortpflanzung eine Ent-leiblichung auf, fragmentiert sie und splittert sie in einzelne technische Prozesse auf. Die genetischen ,Bestandteile‘ – Eizelle, Samenzelle, Gameten von Dritten, Leihmutter usw. – werden im Zuge der technischen Fortpflanzung neu miteinander ,kombiniert‘.
Bei der sog. Samenspende wird die Eizelle einer Frau nicht mit dem Samen ihres Partners, sondern eines anonymen Spenders befruchtet – heterologe Fertilisation. Bei einer Schwangerschaft mit Fremdeizellen wird dem Kind zusätzlich auferlegt, mindestens zwei Mütter zu haben: die leiblich-genetische und die leiblich-austragende Mutter. Das Kind hat drei Elternteile (eine leiblich-genetische Mutter, einen Ziehvater und einen leiblich-genetischen Vater) oder im Fall der gesplitteten Mutterschaft auch vier. Seine leiblich-genetischen Eltern wird das Kind in der Regel nie kennenlernen. Leibliche und soziale Elternschaft werden vorsätzlich gesplittet.
4.1 Wunschkinder im familiären Niemandsland
Besonders bei Kindern, die durch Samen oder Eizellen von Dritten entstanden sind, trifft das Problem der Entgrenzung im Sinne einer Entpersonalisierung und damit Beziehungslosigkeit zu: Männer als Samenproduzenten, Frauen als Eizellproduzentinnen. Das daraus resultierende Kind wird irgendwo im Labor erzeugt. Es ist zwar ihr jeweils leiblich-genetisches Kind, sie werden aber nie elterliche Verantwortung für es übernehmen. Angesichts hunderttausender Kinder, die weltweit bereits nach anonymer Samen- oder Eizellabgabe zur Welt gekommen sind, stellt sich die Frage, welches Vater- und Mutterbild damit unterstützt wird: Kinder in die Welt zu setzen, ohne für sie Verantwortung zu übernehmen?
Menschliche Samenbanken haben sich inzwischen zu einem lukrativen Geschäftszweig entwickelt. Laut einem Bericht der Human Fertilization and Embryology Authority (HFEA) aus dem Jahr 2022 wurden in Großbritannien 2.800 Samenspender-Kinder im Jahr 2018 geboren, rund dreimal so viele wie 2006. Der sprunghafte Anstieg wird auf die Klientel von Frauen zurückgeführt, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben oder solche, die ohne Mann ein Kind bekommen und großziehen wollen (“Single Mothers by Choice”), so der Report.23 Insgesamt wurden seit 1991 in Großbritannien 70.000 Kinder nach Samen- und Eizellspende geboren. Die USA und Dänemark decken 50% des Spermabedarfs der britischen IVF-Industrie.24
Der Diskurs fokussiert ausschließlich auf die Rechte von Erwachsenen und Wunscheltern. Problematisch ist, dass konstant ausgeblendet wird, wie dieses Leben für Kinder lebbar ist. Sie haben keine Stimme. Gene sind zwar nicht alles, aber Gene sind auch nicht einfach nichts. Unsere Genese, unsere leibliche Herkunft zu kennen, ist Teil unserer Identitätsfindung, die frühen Bindungen entscheidend für die spätere Persönlichkeitsentwicklung. Die Kenntnis der genetischen Herkunft ist als Recht in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben. Dieses Recht wird missachtet, stattdessen werden immer mehr ,Wunschkinder‘ im familiären Niemandsland geboren. Damit wird dem Kind bewusst eine fremde Herkunft auferlegt, die zu bewältigen eine große Herausforderung bedeutet.25 Dazu zählen ,Patchwork‘-Embryos aus Samen- oder Eizellen Dritter, oder Embryonen, die anschließend in Dienstleistungsverträgen von ‚Tragefrauen‘ oder ‚Mietmüttern‘ ausgetragen werden.
Inzwischen verschaffen sich die Betroffenen Gehör: Weltweit spricht sich eine steigende Zahl von inzwischen erwachsenen Personen gegen die Art und Weise aus, wie sie ins Leben gekommen sind. Das Gefühl, vertauscht, nicht angenommen oder fremd zu sein – Spenderkinder ahnen häufig, dass irgendetwas in ihrer Familie nicht stimmt. Immer häufiger entdecken Betroffene auch zufällig über DNA-Kits Ungereimtheiten in der Familiengenese.26 Viele von ihnen fühlen sich als „genetische Waisenkinder“. Bei dem Versuch, die eigenen Verwandtschaftsbeziehungen herauszufinden, geraten etliche in eine Identitätskrise. Bei den Mitgliedern der Donor Sibling Registration (DSR), einem US-Register, das den Kontakt zwischen dem Nachwuchs von ein und demselben Samenspender ermöglicht, wurden dazu unter 165 Kinder, die alle durch Fremdsamenspende entstanden sind, Daten erhoben.27 Das Ergebnis: 92% aller Kinder wollten wissen, wer ihre genetischen Verwandten sind. 64% aller Befragten suchten sowohl nach Halbgeschwistern als auch nach ihrem genetischen Vater, 13% nur nach dem Samenspender und 15% nur nach Halbgeschwistern. Ein Großteil der Kinder gab als Grund für ihre Teilnahme an dieser Umfrage an, dass ihnen etwas von ihrer persönlichen und genetischen Identität fehle.
Im Zuge der Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes in Österreich wurde bereits 2015 ein zentrales Eizell- und Samenspenderregister eingefordert. Mit der Einrichtung eines zentralen Registers sollten Kinder ab dem vollendeten 14. Lebensjahr Auskunft über ihre leiblichen bzw. Abstammungseltern erhalten können. Doch Papier ist geduldig: Bis heute gibt es in Österreich kein derartiges Register – der Antrag ruht seit Jahren in einer ministerialen Schublade.
4.2 Die ausgelöschte Mutter
Im Zuge der Entkoppelung der Weitergabe des Lebens vom Akt der personal-leiblichen Vereinigung von Mann und Frau kommt es zu fragwürdigen Verhältnissen gegenüber dem eigenen Körper. Der Leib wird instrumentalisiert, es kommt zu Selbstvermarktung, Fremdnutzung und Ausbeutung. In seiner extremen Form wird dies bei der sogenannten ‚Leihmutterschaft‘ deutlich.
Die Rede von ‚Leihmüttern‘ ist euphemistisch. Frauen werden rein zum Zweck des Gebärens angemietet. In diesem Zusammenhang von Freiwilligkeit und Autonomie zu sprechen, ist ein Hohn. Diese Frauen stammen aus prekären Verhältnissen, brauchen Geld für ihre Familien und werden von den Agenturen häufig unmenschlich in Massenunterkünften wie ‚Bruthennen‘ gehalten. Das Geschäft machen die Agenturen, die je nach Land zwischen 30.000 und 120.000 Euro pro Kind verdienen.28
Gelöscht wird auch die leiblich-genetische Mutter als jene Frau, die ihre Eizelle verkauft bzw. abgeliefert hat. Beim Begriff ‚Eizellspende‘ wird so getan, als ob es sich um eine akzidentelle Beziehung zum Kind handeln würde. Tatsache ist, dass das Kind von der ‚Spendermutter‘ leiblich abstammt, in der Regel ohne später Kontakt zu ihr zu haben oder zu wissen, wer sie ist.
Nun könnte jemand einwenden, dass eine Frau, die ein genetisch fremdes Kind für andere austrägt, verdienstvoll handelt und noch dazu ihre prekäre Lebenslage aufbessern kann. Es mag rechtmäßig und sogar heldenhaft sein, einem kranken Menschen eine Niere zu spenden, um dessen Leben zu retten und dabei das Risiko einzugehen, mit nur einer Niere zu leben. Es stimmt zwar, dass man seinen Körper gebrauchen darf, um anderen zu helfen, doch nicht jeder ‚Gebrauch‘ des Körpers ist ethisch gleichbedeutend. Warum soll das zur Verfügung-Stellen des Körpers einer Frau im Falle der Leihmutterschaft nicht genauso verdienstvoll sein?
Die Antwort dazu bedarf einer näheren Analyse: Ist das Verhältnis einer Frau zu ihrer Niere gleichzusetzen mit dem Verhältnis zu einem Kind, das sie erwartet? Offenkundig handelt es sich substanziell um etwas anderes: Eine Schwangerschaft bedeutet für eine Frau ein entscheidendes Erlebnis in ihrem Leben, das sie in existenzieller Weise prägt. Und dies deshalb, weil Schwangerschaft immer auch Mutterschaft bedeutet. Eine Schwangere erwartet jemand, nicht etwas. Schwangere Frauen sind keine lebenden Brutkästen oder Maschinen, sondern Mütter in Erwartung ihres Kindes. Bei einer Fehlgeburt empfinden angemietete Frauen den Verlust des Embryos oder Fetus als den Verlust des eigenen Kindes.
Die primäre Form der Mutterschaft ist die leibliche, andere mögliche Formen der Mutterschaft leiten sich von dieser ursprünglichen ab. Dazu zählt beispielsweise eine Adoption. Sie führt zu einer gewissen Mutter- und Vaterschaft, die sich aber von der leiblichen Elternschaft unterscheidet. Die Adoptiveltern springen ein, um eine Lücke zu schließen. Bei der Adoption ist die wichtige Person in erster Linie das verlassene Kind und seine Bedürfnisse, in zweiter Linie erst geht es um die Adoptiveltern. Im Fall von der Leihmutterschaft ist es genau umgekehrt: Erwachsene erfüllen sich ihr Bedürfnis nach einem Kind.
Es stimmt: Nicht jede Form der ‚Mutterschaft‘ setzt Schwangerschaft voraus. Aber jede Frau, die schwanger ist, ist Mutter. Hier zeigt sich die existenzielle Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen und seiner Beziehungen. Wenn eine Frau neun Monate ein Kind in sich trägt und nährt, dann kommt es zu einer tiefen Mutter-Kind-Beziehung. Im Zuge eines Leihmutterschaftsvertrages muss sich die leiblich-austragende Mutter per Vertrag aber dazu verpflichten, keine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen, es im Falle einer Behinderung abzutreiben und es unverzüglich nach der Geburt den Eltern bzw. der Agentur auszuhändigen. Erst dann hat sie Anspruch auf Bezahlung. Alles, was daran erinnert, dass sie leiblich-biologisch die Mutter des Kindes ist, muss in den offiziellen Dokumenten ausradiert und unsichtbar gemacht werden. Sie wird aus der Biografie des Kindes gelöscht. Es wundert nicht, dass post-partale Depressionen bei Leihmüttern signifikant höher sind.29
Die mit der Leihmutterschaft verbundene Ent-Personalisierung und Ent-Leiblichung der Weitergabe des Lebens suggeriert, wie Firestone es schon formulierte, dass der Körper der Frau hier einfach ersetzbar ist. Nun, vieles ist dank der Medizin ‚ersetzbar‘ geworden – denken wir beispielsweise an die Dialyse oder den Einsatz von Spenderorganen. Kann dann nicht auch eine Frau eine andere, die nicht schwanger werden kann, beim Kinderkriegen ‚ersetzen‘? Pablo Requena hat dazu treffend ausgeführt, dass Schwangerschaft keine funktionale Tätigkeit ist, die einfach durch jemand anderen ‚ersetzt‘ werden kann. Schwangerschaft bedeutet immer Mutterschaft – und Mutterschaft ist immer individuell, leiblich-geistig, personal und existenziell.
Eine Person, sagt Requena, könne bei vielen Tätigkeiten vertreten werden: Ein Lehrer kann sich beim Unterrichten, sogar der Kanzler bei Teilnahme an bestimmten Veranstaltung etwa durch einen Regierungsminister vertreten lassen usw. Wo eine Vertretung funktioneller Natur ist, sind die Auflagen höher: So kann ein Notar bei einer bestimmten Tätigkeit nicht durch einen seiner Angestellten im Notariat ersetzt werden, wohl aber durch einen anderen Notar. In anderen Fällen hingegen ist die Unmöglichkeit einer Vertretung persönlicher Natur: Es gibt Tätigkeiten oder vielmehr Beziehungen, bei denen niemand ersetzt werden kann. Ein eindeutiges Beispiel ist der Geschlechtsverkehr: Niemand kann von einer anderen Person verlangen, dabei ‚ersetzt zu werden‘. Wenn man das täte, wäre damit eine komplett andere Beziehung hergestellt. Ähnlich verhält es sich mit der Leihmutterschaft. Da es sich um eine Beziehung handelt, die die Person in existenzieller Weise einbezieht, wird die Frau, die austrägt, zur Mutter.30
Hinzu kommt, dass Kinder schon in der Schwangerschaft maßgeblich von der Mutter geprägt werden. Die Weggabe des Säuglings an Fremde ist eine traumatische Erfahrung für ein Kind.31 Bei Leihmutterschaft wird der Bruch dieses Beziehungsgeschehens, den es meist ungeplant und schicksalhaft auch bei Adoptiv- und Pflegeverhältnissen gibt, bewusst in Kauf genommen, angestrebt und vertraglich abgesichert. Bindungen, die im Mutterleib allein schon durch die Physiologie eines gemeinsamen Versorgungssystems entstehen, werden dabei gezielt übergangen. Auch der genetische Austausch, der sich während der Schwangerschaft zwischen Kind und Mutter vollzieht, erfährt später keine soziale Anbindung mehr. Die Bestell-Eltern verbünden sich damit unreflektiert mit der Reproduktionsmedizin gegen die Entwicklungsbedürfnisse ihrer Kinder.32
5. Medizinische Risiken
Die Risiken, denen Frauen ausgesetzt sind, wenn sie sich einer hormonellen Überproduktion von Eizellen unterziehen, ein fremdes Kind austragen, bzw. die Risiken für die betroffenen Kinder sind keineswegs harmlos. Fachgesellschaften kritisieren die Legalisierung der Eizellspende, die gesundheitlich auf Kosten der involvierten Frauen und Kinder geht.33 In den Argumentationen würden die gesundheitlichen Risiken, die mit der Kinderwunscherfüllung via Eizellspende einhergehen, völlig außer Acht gelassen. Zugleich werden betroffene Frauen über Risiken und mögliche Spätfolgen des invasiven Eingriffs im Unklaren gelassen.
5.1 Samen und Eizellen gewinnen: Was heißt hier Diskriminierung?
Häufig wird das Argument gebracht, dass die Samen‚spende‘ doch schon erlaubt sei, die Eizellen‚spende‘ jedoch nicht, was einer Diskriminierung gleichkäme. Müsste nicht im Sinne der Gleichbehandlung deshalb auch die Eizellspende genauso legal werden?
Die besser als ‚Eizellabgabe‘ bezeichnete Prozedur setzt einen invasiven, gesundheitsbelastenden und risikobehafteten medizinischen Eingriff voraus. In einem Gutachten vom April 2022 zur Legalisierung der Eizellspende hinsichtlich der Wirkungen auf die Spenderin, die Empfängerin und das Kind analysierten Fachautorinnen mehr als 50 Studien. Sie kommen zu dem Schluss: „Aus medizinischer Sicht kann die Eizellabgabe daher in diversen Aspekten nicht mit der Samenspende gleichgesetzt werden. Zwar handelt es sich in beiden Fällen um die Abgabe menschlicher Geschlechtszellen, jedoch sind die Voraussetzungen für diese Abgabe und somit die Auswirkungen auf die sog. Spenderinnen so unterschiedlich, dass ein Vergleich unangemessen ist.“34 Als besonders problematische Nebenwirkung ist das Ovarielle Überstimulationssyndrom (OHSS) zu nennen, das auch bei gesunden jungen Frauen selten, aber doch zu schweren krankenhauspflichtigen Überstimulationen mit Wasseransammlung in Bauch und Lunge, Luftnot sowie Beeinträchtigungen der Leber- und Nierenfunktion führen kann. Durch den invasiven Eingriff der Abpunktion der Eizellen kann es zu Verletzung von Blase, Darm und Blutgefäßen kommen; er kann zu Entzündungen führen, die eine mögliche Beeinträchtigung der eigenen Fruchtbarkeit der Geberin zur Folge haben können.35 Auch mehrere Todesfälle nach Eizellspenden wurden publiziert.36
Fazit: Die Eizellstimulation und -entnahme ist ein ungleich größerer Eingriff in die körperliche Integrität der Frau als eine Samenspende beim Mann. Sie ist im Gegensatz zur Abgabe von Samen mit hohen gesundheitlichen und psychosozialen Risiken verbunden. Eine gegenüber der Samenspende verschiedene Behandlung ist daher begründet und geboten.
5.2 Gesundheitliche Risiken für Eizellempfängerin
Kaum diskutiert wird darüber, was eine Schwangerschaft nach Eizellspende für die austragende Frau bedeutet. Nach und nach werden Studien publiziert, die sich mit dem erhöhten Gesundheitsrisiko für Mutter und Kind im Zuge einer Leihmutterschaftsschwangerschaft oder Schwangerschaft mit fremden Eizellen beschäftigen. So haben Frauen bei einer Schwangerschaft mit Eizellspende ein bis zu fünffach höheres Risiko für schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen als Frauen nach spontaner Schwangerschaft. Eine 2019 publizierte US-Studie untersuchte 11.703 Schwangerschaften, in denen Frauen ein genetisch fremdes Kind austrugen. In 30% der Fälle kam es zu schweren gesundheitlichen Komplikationen: Noteinlieferungen auf die Intensivstation, akute Bluttransfusionen und ungeplante Gebärmutterentfernungen. Außerdem litten die Schwangeren signifikant häufiger an peripartalen Blutungen.37
5.3 Gesundheitliche Risiken für Kinder
Für Ungeborene entstehen im Zuge einer Eizellspenden-Schwangerschaft erhebliche gesundheitliche Risiken. Vor allem ein gefährlicher Bluthochdruck in der Schwangerschaft, der hohe Anteil von Frühgeburten, die auf eine intensivmedizinische Betreuung angewiesen sind sowie eine Vielzahl an Not-Kaiserschnitten fällt auf.38
5.4 Das Fremde in mir: Wie Eizellempfängerinnen eine Schwangerschaft nach Eizellspende erleben
Eine Schwangerschaft mit einem genetisch fremden Kind hat erhebliche psychische Folgen. An der Medizinischen Universität Wien wurde 2014 eine der wenigen Arbeiten im deutschen Sprachraum dazu publiziert und kommt zu folgenden Schluss: „Speziell bei einer Schwangerschaft nach Eizellspende zeigt die klinische Erfahrung, dass das erwartete Glück, die Bindung zum Kind und die (z. T. idealisierte) Elternschaft bereits nach dem ersten positiven Schwangerschaftstest, im Verlauf der Schwangerschaft und/oder unmittelbar nach der Geburt oft ambivalenter erlebt werden als erhofft. Zweifel und ablehnende Gedanken/ Gefühle, die mit Angst, Verunsicherung, Schuld und Scham verbunden sind, können auftauchen.“39
Aus der klinischen Praxis berichtet die Wiener Studie folgende Fälle:
- Eine 42-jährige Patientin, schwanger nach Eizellspende mit Zwillingen, hält das „doppelt Fremde“ nicht aus, sie lässt in der 20. SSW (!) eines der beiden Kinder abtreiben.
- Eine 39-jährige Patientin hat nach der Geburt eines Babys durch Eizellspende große Probleme, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen: „Was habe ich da getan?“
- Eine 57-jährige Patienten hat 12 Schwangerschaftsabbrüche hinter sich. Der einzige Sohn ist vor kurzem verstorben. Sie „möchte wieder ein Kind, um nicht allein zu sein.“40
6. Soziale Aspekte
6.1 Leben gegen Geld
Bei der Abgabe der eigenen Eizellen an andere Frauen ergeben sich zusätzliche ethisch schwerwiegende Probleme wie ,Aufwandsentschädigungen‘ als verdeckte Bezahlung und potentielle Ausbeutung. Gerne werden die Augen vor dem international steigenden Eizellenhandel verschlossen und der damit verbundenen Degradierung des Körpers der Frau zu einem Rohstofflieferanten. Die Kommerzialisierung und damit die Ausbeutung von Frauen in prekären Lagen nehmen zu.41
Wer von Freiwilligkeit und Altruismus von Eizellspenderinnen oder Leihmüttern spricht, übersieht die Tragik jener, die sich als Fortpflanzungsarbeiterinnen anbieten. Frauen stellen sich im Regelfall aus finanzieller Not als lebende Brutkästen oder Eizell-Lieferantinnen zur Verfügung. Geld spielt immer eine Rolle, selbst dort, wo Leihmutterschaft kommerziell verboten ist. Wirtschaftliche Nöte zählten zu den Hauptfaktoren.42 Ob man das nun ‚Aufwandsentschädigung‘ nennt oder ‚Bezahlung‘, ändert nichts an der Tatsache, dass es dabei um eine Form von Handel geht. Dasselbe gilt für die Eizellspende. Keine junge Frau, die tatsächlich über die medizinischen Risiken dieses Eingriffs aufgeklärt wurde, unterzieht sich freiwillig dieser potentiell gesundheitsschädigenden Prozedur – außer, sie braucht Geld.
6.2 Social Egg Freezing: Kinderwunsch auf Vorrat
In die Schlagzeilen gelangte das Social Egg Freezing im Jahr 2015, als Unternehmen wie Apple und Facebook ihren weiblichen Angestellten anboten, die Kosten für das Einfrieren von Eizellen teilweise zu erstatten. Dahinter steht auch das Geschäftsinteresse, junge Frauen möglichst ‚unschwanger‘ zu halten, damit sie für den Arbeitsmarkt ‚produktiv‘ sind. Gleichzeitig werden illusionäre Hoffnungen geweckt: Social Egg Freezing suggeriert, dass Frauen ihre Fruchtbarkeit ‚auf Eis‘ legen und jederzeit, wenn es ins Arbeits- und Lebenskonzept passt, ihren Kinderwunsch erfüllen können. Demgegenüber zeigen die Daten ein ernüchterndes Bild: Nicht nur die Qualität der Eizellen sinkt mit steigendem Alter, auch der Organismus der Frauen ist für Komplikationen leichter anfällig. Bei minus 196 Grad kann man zwar Eizellen einfrieren, aber nicht den eigenen Körper. Der Organismus der Frau altert, eine IVF-Schwangerschaft ist mit Risiken – und Kosten – behaftet. Die American Society of Reproductive Medicine hat 2014 darauf hingewiesen, dass bei einer künstlichen Befruchtung ab 38 Jahren 90% der Frauen gar nicht schwanger werden. Nur 2 bis 12 % der aufgetauten und künstlich befruchteten Eizellen sind implantationsfähig. Die reproduktionstechnische Hoffnung auf ein Kind ist damit vorhersehbar für 98 bis 88% der Frauen von vorneherein geplatzt.43 Frauen, die im fortgeschrittenen Alter schwanger werden, haben zudem ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftsdiabetes, Präeklampsie, Kaiserschnitt und Frühgeburt eines Kindes mit niedrigem Geburtsgewicht.44
Die Chance, dass eine Frau nach Einfrieren ihrer Eizellen selbst in jungen Jahren und späterer künstlicher Befruchtung überhaupt ein Kind bekommt, liegt unter der 10-Prozent-Marke – je älter die Frau, desto geringer. Eine 2013 im Journal Fertil Steril publizierte Übersichtstudie untersuchte die Daten von 1.805 Frauen (Durchschnittsalter 34 Jahre), die sich zwecks künstlicher Befruchtung hormonell stimulieren ließen und von denen 13.000 Eizellen entnommen und tiefgefroren wurden. 60% der Eizellen erwiesen sich nach dem Auftauen jedoch als unbrauchbar. Von den restlichen 40% ließen sich zwar einige befruchten, nisteten sich aber dann nicht in der Gebärmutter ein. Mehr als 95% der Embryonen gingen im Mutterleib zugrunde. Unterm Strich überlebten nur 4,3% (!) der erzeugten Embryonen (224 Lebendgeburten, darunter Zwillinge und Drillinge), was 1,7% der aufgetauten Eizellen entspricht.45
Die Rede von weiblicher Selbstbestimmung und reproduktiver Autonomie im Kontext des Social Egg Freezings entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Sigrid Graumann spricht von einer „neuen Sozialpflichtigkeit des weiblichen Körpers“46. Der Konflikt um Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird auf den Rücken der einzelnen Frau abgewälzt. Frauen haben das Problem einer kinderfeindlichen Arbeitswelt selbst zu lösen, in der Familiengründung immer noch einen Karriereknick bedeutet. „Wenn die Frage der Elternschaft immer mehr individualisiert wird, schwindet auch die politische und gesellschaftliche Verpflichtung, sich um strukturelle Verbesserungen der Vereinbarkeit zu kümmern.“47 Elternschaft wird mit dem Angebot des Eizellen-Einfrierens gesellschaftlich nun Frauen zugewiesen. Man medikalisiert ein soziales und existentielles Problem, die Technik soll das Problem lösen, ohne strukturelle Veränderungen durchzuführen. Welche Verantwortung Männer für ein positives Klima in Arbeit und Gesellschaft für Familie und Kinder leisten sollen, bleibt im Dunkeln.48
7. Fazit
In einer Gesellschaft, in der die Entkoppelung von Sexualität und menschlicher Fortpflanzung normal geworden ist, ist auch die künstliche Befruchtung zu einer Art Standardverfahren mutiert. Das Bewusstsein für die ethischen Brüche, die die Technisierung der menschlichen Fortpflanzung bedeutet, ist dabei kaum vorhanden. Die ethischen Konflikte der IVF sind nicht Folge später aufkommender Technologien, sondern der Methode von Anfang an inhärent. Sie führt zu einer grundlegenden Änderung der Einstellung zum menschlichen Leben als solchem. Im Zuge der extrakorporalen Befruchtung gerät die menschliche Existenzwerdung unter die Deutungshoheit der Produktherstellung. Diese Ent-Personalisierung widerspricht der Würde des Menschen – des Kindes ebenso wie der Eltern.
Die Zeugung von menschlichem Leben ist, wie wir gesehen haben, kein rein biologischer oder bloß technischer, sondern ein in Beziehung eingebetteter und Beziehung stiftender Akt.
Ein gezeugtes Kind ist immer mehr als bloß ein Produkt des Wollens und Tuns seiner Eltern, es ist nicht hergestellt, sondern empfangen. Es kann gewünscht oder nicht gewünscht, ,geplant‘ sein, doch selbst dann ,passiert‘ die Empfängnis als unverfügbarer Akt. Die Ent-Leiblichung und Herstellung des Lebens im Labor verändert die Perspektive von Grund auf. Hier treten Ärzte und das Laborteam in die erste Reihe, während die Subjekthaftigkeit der Eltern in den Schatten eines technischen Vorgangs tritt, den sie über sich ergehen lassen. Das Paar stellt nur noch sein genetisches ,Rohmaterial‘ zur Verfügung. Gleichzeitig mutiert der Embryo in der Petrischale immer mehr zu einem Objekt, zur produzierbaren Sache, er ist nicht mehr jemand, sondern etwas. Nicht nur die Existenz, sondern auch die ,Qualität‘ muss im Zuge der Logik des Herstellens den Wünschen und Ansprüchen entsprechen. Tut es das nicht, wird es zum Nicht-Wunsch-Kind, das ausgesondert und vernichtet wird.49
Es ist daher Zeit, gezielt neue Wege einzuschlagen: Der ärztliche und gesellschaftliche Umgang mit Paaren mit ungewollter Kinderlosigkeit sollte sich von seiner Fixierung auf die technisierte Fortpflanzung verabschieden. Paare, die ungewollt kinderlos sind, stehen in einer Sinnkrise, deshalb müssen Perspektiven jenseits der Technik entwickelt werden.50
Der Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘ bedarf einer ethischen Eingrenzung. Nicht Wunsch noch Willkür oder technische Machbarkeit geben dabei den Rahmen vor, sondern eine Neubesinnung darüber, was das ‚gute Leben‘ ausmacht und zwar für alle Betroffenen. Angesichts des Sogs der Machbarkeit braucht es eine neue kulturelle und ganzheitlich medizinische Kompetenz51 im Umgang mit ungewollter Kinderlosigkeit.
Referenzen
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- Ein Blick nach Großbritannien zeigt die Ausmaße: In den Jahren 1991 bis 2012 wurden in 3,5 Millionen Embryonen im Zuge der IVF-Verfahren erzeugt, davon wurden 1,3 Millionen den Frauen implantiert. In nur rund 15% der Fälle führte das Verfahren zu einer Schwangerschaft. Etliche Embryonen hatten keine ausreichende Qualität, um in die Gebärmutter eingepflanzt zu werden. Mehrere Tausend Embryonen wurden der Forschung ‚gespendet‘ und damit ebenfalls vernichtet. Schließlich blieben 1,7 Millionen Embryonen übrig und wurden entsorgt. Vgl. Steve Doughty, 1.7 million embryos created for IVF have been thrown away, and just 7 per cent lead to pregnancy, Dailymail, 31.12.2012.
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Letzter Zugriff auf sämtliche Webseiten am 21.8.2023.
Mag. Susanne Kummer
Direktorin
Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik
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