Österreich steuert auf die erstmalige Legalisierung von Suizidbeihilfe per Jahresbeginn 2022 zu, hat aber den dafür als Bedingung gestellten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung bislang nicht umgesetzt: Diese Kritik haben Experten in der Wiener Zeitung (27.11.2021) geäußert. Assistenz zur Selbsttötung werde zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem es noch lange keine flächendeckende Palliativversorgung und Schmerzlinderung gibt, so der gemeinsame Tenor, berichtet Kathpress (29.11.2021).
Suizidbeihilfe drohe somit bei Suizidgedanken aufgrund einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder anhaltender Symptome das erste Mittel der Wahl zu werden, nicht die Palliativversorgung.
Der Ausbaugrad der abgestuften Versorgung sei "erst zur Hälfte umgesetzt", berichtete die Palliativmedizinerin Christina Grebe, Vizepräsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich. Gefordert wurde diese Versorgung jedoch zuletzt im Dezember 2020, und zwar von höchster Stelle: Durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der im Zuge der Liberalisierung des assistierten Suizids Zugang zu Palliativmedizin für alle Betroffenen verlangt hatte. Allerdings war ein solides Netz für Hospiz- und Palliativversorgung schon 2002 versprochen worden, mit Einrichtungen von Lehrstühlen und Unilehrgängen ab 2005 und einer umfassenden Definition dieser Versorgung im österreichischen Strukturplan Gesundheit 2010.
Aktuell sei es noch immer so, "dass ein Palliativpatient bis zu drei Wochen warten muss, bis Hilfe kommt. Da ist es dann vielleicht zu spät", ergänzte gegenüber der "Wiener Zeitung" die Ethikerin Susanne Kummer vom Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE). Ebenfalls könne der Fall eintreten, dass die zugesagte Palliativbetreuung nach 28 Tagen nicht verlängert wird. Damit würden Menschen in existenziellen Krisensituationen und mit ihren Schmerzen strukturell alleingelassen und nur noch wollen, dass es vorbei ist. Ein Zustand, den Kummer stark kritisierte: "Wo von selbstbestimmtem Suizid die Rede ist, muss es auch Wahlfreiheit zum Leben geben. Da haben wir ein Ungleichgewicht."
Laut Ankündigungen der Regierung ist für den Palliativ- und Hospizausbau die Schaffung eines Fonds geplant, über den der Bund ab 2022 den Ländern jährlich einen Zweckzuschuss zur Verfügung stellen soll. Vorgesehen ist eine Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden, für die es im ersten Jahr allein vom Bund 21 Mill. Euro und in der Folge 36 Mill. (2023) und 51 Mill. Euro (2024) geben soll. Ob es klappt, dass bei voller Ausschöpfung durch Länder und Gemeinden 2024 bereits insgesamt 153 Millionen zur Verfügung stehen, scheint jedoch fraglich: Nicht zuletzt, da das Palliativ-und Hospizwesen nicht regelfinanziert ist und die Zuständigkeiten nicht eindeutig zwischen dem Gesundheits- und Sozialbereich und den Sozialversicherungen abgestimmt sind.
Laut dem Präsidenten der Österreichischen Palliativgesellschaft, Dietmar Weixler, wäre eine Frist für den Start der Suizidbeihilfe nötig gewesen, um zuvor Klarheit bei dieser Abstimmungsfrage zu schaffen, bevor über eine konkrete Mitwirkung befunden wird.
Ungewiss ist beim Sterbeverfügungsgesetz, dessen Regierungsvorlage nun beim Parlament liegt, unter anderem noch die Finanzierung der Suizidassistenz - von der ärztlichen Aufklärung bis hin zum tödlichen Präparat aus der Apotheke, das der Betroffene dann selbst einnehmen muss. Laut Regierungsvorlage müssen zwei Ärzte, einer von diesen mit palliativmedizinischer Qualifikation, die Schwere der Krankheit bestätigen und auch, dass die suizidwillige Person entscheidungsfähig ist. Der Dachverband der Sozialversicherungen hat bereits klargestellt, nur Kosten einer Krankenbehandlung würden von einer gesetzlichen Sozialversicherung abgedeckt, nicht jedoch ärztliche Aufklärung und allenfalls erforderliche begleitenden Maßnahmen bei Suizidbeihilfe.
Scharf kritisiert wurde, dass die Regierung die Einwände - von insgesamt 138 Experten darunter Fachverbände wie Apothekerkammer, Ärztekammer, Psychiatervereinigungen, aber auch der Bioethikkommission und Ethikern - praktisch ignoriert hat. In zahlreichen der Stellungnahmen (vgl. Bioethik aktuell, 11.11.2021) war gefordert worden, den irreführenden Begriff "Sterbeverfügung" zu streichen - Assistenz zum Suizid ist kein natürlicher Tod - und durch "Suiziderklärung" zu ersetzen. Das zuständige Justizministerium (Grüne) leitete die Regierungsvorlage zum "Sterbeverfügungsgesetz" bereits am 18. November an den Justizausschuss beinahe unverändert weiter, der sich am 7. Dezember damit befassen wird. Die Juristin und Mitglied der Bioethikkommission, Stephanie Merckens, zeigt sich "enttäuscht" (vgl. IEF, online 23.11.2021). Es stelle sich die Frage, was die Politik daran hindere, "auf Experten zu hören". Aller Voraussicht nach wird das Gesetz in der Plenarsitzung des Nationalrates (15./16.12.) beschlossen werden.