Am 16. Dezember hat der Nationalrat das neue Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) beschlossen. Damit ist ab 1.1.2022 die Mithilfe an Suiziden unter bestimmten Bedingungen straffrei. Kritisiert wurde im Vorfeld die knappe Begutachtungsfrist und dass Einwände von insgesamt 138 Stellungnahmen und Expertenvorschläge zur Verbesserung des Gesetzes praktisch übergangen wurden (vgl. Bioethik aktuell, 6.12.2021). So war in zahlreichen Stellungnahmen gefordert worden (vgl. Bioethik aktuell, 6.11.2021), den irreführenden Begriff "Sterbeverfügung" zu streichen - Assistenz zum Suizid ist kein natürlicher Tod - und durch "Suiziderklärung" zu ersetzen (vgl. Bioethik aktuell, 11.11.2021). Auch viele andere Fragen in der Umsetzung blieben offen.
Die wesentlichen Eckpfeiler lauten: Die suizidwillige Person muss volljährig, entscheidungsfähig und – so ist es im Gesetz konkret formuliert – entweder an einer unheilbaren Krankheit leiden, die zum Tod führt, oder an einem dauerhaft schweren Leiden erkrankt sein, das sie in der gesamten Lebensführung beeinträchtigt. Weder psychische Erkrankungen noch Behinderung oder Altersgebrechlichkeit sind ausgeschlossen. Möchte der Betroffene einem Suizid mittels tödlichem Gift, ist ein mehrstufiges Prozedere Pflicht. Soll der Suizid durch eine andere Methode geschehen, etwa mittels Schusswaffe, die durch einen Dritten ausgehändigt wird, ist dagegen keine "Sterbeverfügung" nötig, was ebenfalls scharf kritisiert wurde.
Betroffene müssen in ihren Suizidängsten über Alternativen aufgeklärt werden – von einem Palliativmediziner und einem zweiten Arzt, der wohl in der Regel der Hausarzt sein wird. Die Wartefrist beträgt nur 12 Wochen. Die beiden Ärzte sollen die Entscheidungsfähigkeit prüfen. Fachgesellschaften aus dem psychosozialen Bereich hatten gefordert, dass bei der ärztlichen Begutachtung immer auch eine psychologische oder psychiatrische Expertise einfließen sollte, und zwar unabhängig davon, ob eine psychische Krankheit vorliegt oder nicht. Daraus wurde nichts.
Die sog. "Sterbeverfügung" kann man beim Notar errichten lassen, wo erneut ein Aufklärungsgespräch stattfinden muss. Anschließend darf die Person ein tödliches Medikament aus einer Apotheke abholen oder holen lassen, die dieses vertreibt. Einnehmen muss sie es aber schließlich selbst. Allerdings: Kein Arzt, Pflegender oder Apotheker darf gezwungen werden, bei Selbsttötungen mitzuwirken und auch keine Institution. Sie dürfen eine Mitwirkung ablehnen.
Für IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer bedeutet das neue Gesetz eine „klare Zäsur. "Bislang gab es in Österreich einen rechtlich abgesicherten Konsens: Sterben in Würde heißt, dass für Menschen in Krankheit alles getan wird, um ihre Schmerzen zu lindern und Beistand zu leisten. Nun steht auch die Mithilfe bei einer Selbsttötung als Option zur Verfügung. "
Die Frage laute nun, „wie wir gemeinsam verhindern, dass Menschen in existentiellen Krisensituationen oder aufgrund schwerer Erkrankungen in naher Zukunft meinen, dass nun Sterbehilfe-Organisationen für sie zuständig sind“. Dieser Wandel könne schleichend geschehen, man müsse sehr aufmerksam bleiben und gegensteuern, so die Ethikerin, die an die WHO erinnert, wonach "jeder Suizid einer zu viel ist."
Sorge bereitet Kummer, dass das bisherige Selbstverständnis von Medizin und Pflege á la longue unter Druck geraten könnte: "Ärzte und Pflegende haben eine Garantenstellung für das Leben und sehen sich nicht als Tötungsgehilfen." Zudem wolle nicht jeder Mensch, der einen Sterbewunsch äußert, auch wirklich sterben. Es bestünde nun die Gefahr, dass Suizid- oder Sterbewünsche als „pure Handlungsaufforderung“ verstanden werden.
"Sterbewünsche am Lebensende sind komplex. Komplexe Situationen brauchen komplexe Hilfen, keine einfachen Antworten". Es sei daher ein Gebot der Stunde, dass sich Gesundheitsberufe verstärkt im Umgang mit Suizid – und Sterbewünschen sowie im Bereich Palliativ Care fortbilden.
Positiv bewertet Kummer, dass das Gesetz die Gewissensfreiheit des Gesundheitspersonals absichert und dass auch Einrichtungen Beihilfe zum Suizid ablehnen dürfen, ohne deswegen benachteiligt zu werden. Für bedauerlich hält sie, dass der Gesetzgeber nun zwar die Beihilfe zum Suizid erlaubt. „Das angekündigte Gesetz zum versprochenen wohnortnahen und flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung wurde aber nicht beschlossen. Das ist kein gutes Signal.“
Bloße „Hinweise“ auf Palliativ- und sonstige Angebote, die dem Suizidgefährdeten laut Suizidbeihilfe-Gesetz gegeben werden müssen, genügen nicht – höchstens, um Checklisten abzuhaken. „Was nützen die besten Hinweisen über Alternativen, wenn man gleichzeitig keinen Zugang dazu hat? Was Patienten brauchen, sind Erfahrungen. Wer von einer „Autonomie zum Suizid“ spricht, muss auch in Zukunft eine „Wahlfreiheit zum Leben“ ermöglichen, so die Ethikerin.