Bioethik Aktuell

Interview des Monats: „Kinder aus Leihmutterschaft haben Angst, offen über ihre Erfahrungen zu sprechen“

Bei Leihmutterschaft entscheidet nicht die Frau, sondern „der Kunde" über ihren Körper

Lesezeit: 07:51 Minuten

Leihmutterschaft ist ein weltweites Business. Von den betroffenen Kindern spricht im Reich der Wünsche von Erwachsenen niemand. Die US-Französin Olivia Maurel bricht als Betroffene dieses Tabu. Im IMABE-Interview erzählt die Feministin, die von einer US-Leihmutter geboren wurde, warum es keine "ethische" Leihmutterschaft gibt und warum Kinder darunter leiden.

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Bioethik aktuell: Wenn es um Leihmutterschaft geht, ist vom Wunsch der Erwachsenen die Rede, die Perspektive der Kinder kommt nicht vor. Könnten Sie als jemand, der durch Leihmutterschaft geboren wurde, einen Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen mit dieser Reproduktionspraktik geben?

Olivia Maurel: Als meine Eltern anfingen, über Kinder nachzudenken, war meine Mutter bereits 48 Jahre alt. Mein Vater, der 11 Jahre jünger ist als meine Mutter, wollte unbedingt ein leibliches Kind haben. Sie hatten genug Geld und entschieden sich 1991, eine Leihmutterschaft in den USA durchführen zu lassen. Mit der ersten Leihmutter klappte es trotz mehrerer IVF-Zyklen innerhalb eines Jahres nicht, sie wurde nicht schwanger. Die Agentur vermittelte daraufhin eine andere Leihmutter, mit der es dann sofort funktioniert hat. Bei der künstlichen Befruchtung wurden ihre eigenen Eizellen verwendet – sie ist also auch meine biologische Mutter.

Nach meiner Geburt wurde ich sofort von meiner leiblichen Mutter getrennt und meinen Eltern übergeben, die bald darauf eine Geburtsurkunde erhielten, in der sie als meine Eltern eingetragen wurden. Es gab darin keinen einzigen Hinweis auf Leihmutterschaft, IVF oder Eizellspende.

Bioethik aktuell: Wissen Sie etwas über die Umstände der Entscheidung Ihrer leiblichen Mutter, Leihmutter zu werden?

Maurel: Finanzielle Not war ein wichtiger Faktor. Meine leibliche Mutter war mehrfach geschieden und musste vier Kinder durchbringen. Außerdem hatte sie einige Jahre zuvor ein Kind bei einem tragischen Unfall verloren und wollte diesen Verlust ausgleichen, indem sie einem Paar half, das sich ein Kind wünschte. Sie unterzog sich einem von der Agentur angebotenen Gutachten, erwähnte aber offenbar nie ihre psychischen Probleme. Angesichts der finanziellen Interessen kann man auch davon ausgehen, dass eine Leihmutterschafts-Agentur keine gründliche Bewertung vornimmt.

Bioethik aktuell: Haben Ihre Eltern Sie über die Umstände Ihrer Empfängnis und Geburt informiert?

Maurel: Meine Eltern haben mir nie etwas über meine Herkunft erzählt. Zu meinem Vater hatte ich ein enges Verhältnis, anders als zu meiner Mutter. Als ich sieben Jahre alt war, begann ich mich zu fragen, ob meine Mutter nicht zu alt sei, um meine leibliche Mutter zu sein. Sie wollte mir ihr Alter nicht sagen, aber schließlich fand ich einen Ausweis, auf dem ihr Geburtsjahr stand. Seitdem wuchs in mir die Gewissheit, dass sie nicht meine leibliche Mutter war. Mit 17 begann ich, im Internet nach Antworten zu suchen und recherchierte über Adoptionsagenturen in jenem US-Bundesstaat, in dem ich zur Welt kam. Dabei stieß ich auf Leihmutterschaftsagenturen – und da machte es bei mir Klick. Mir wurde klar, dass ich durch eine Leihmutterschaft zur Welt gekommen sein musste.

Bioethik aktuell: Wie hat sich das seelisch auf Sie ausgewirkt?

Maurel: Ich habe meine Eltern nie damit konfrontiert, aber während der Pubertät erlebte ich eine schwere Identitätskrise. Vor meinen Eltern musste ich so tun, als wüsste ich nichts von meiner wahren Herkunft, während ich allen anderen von meiner Geschichte erzählte. Ich entwickelte eine bipolare Störung und eine gespaltene Persönlichkeit. Dies führte zu Drogen- und Alkoholmissbrauch, zu euphorischen und depressiven Zuständen, die wiederum zu einer Überdosis Drogen, Vergewaltigung, Selbstmordversuchen und Abtreibung führten.

Glücklicherweise lernte ich mit Anfang 20 meinen jetzigen Ehemann kennen. Er und meine Schwiegermutter halfen mir, stabiler zu werden. Ich erzählte ihnen von Anfang an, dass ich durch eine Leihmutterschaft geboren wurde und große Angst vor dem Verlassenwerden hatte. Dank der bedingungslosen Liebe, Unterstützung und Geduld meines Mannes konnte ich mich langsam erholen. Ich heiratete und wurde recht jung selbst Mutter. Ich hatte jedoch große Angst, weil ich 25 Prozent der Gene meiner Kinder nicht kannte und nicht wusste, ob ich möglicherweise genetische oder andere Krankheiten an sie weitergeben würde.

Schließlich machte ich im Alter von 30 Jahren einen DNA-Test. Der bestätigte mir, dass ich durch Leihmutterschaft geboren worden war. Durch den Test fand ich einen Cousin und einen Onkel in den USA, die mich schließlich mit meiner leiblichen Mutter zusammenbrachten.

Bioethik aktuell: Stehen Sie in Kontakt mit anderen Personen, die von Leihmutterschaft betroffen sind? In Deutschland gibt es mittlerweile schon eigene Selbsthilfegruppen von Betroffenen.

Maurel: Ja, ich bin mit acht Personen in Kontakt. Alle haben Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit. Eine von ihnen wurde von einem alleinstehenden Mann gekauft, der sie ihr ganzes Leben lang missbraucht hat. Eine andere, die selbst der LGBTQ-Community angehört, hat Angst, sich gegen Leihmutterschaft auszusprechen, weil sie fürchtet, als homophob abgestempelt zu werden, und die Beziehung zu ihren Eltern aufs Spiel zu setzen. Es gibt noch viel mehr Kinder, die von Leihmutterschaft betroffen sind. Die meisten von ihnen haben jedoch Angst, offen über ihre Erfahrungen zu sprechen, weil sie das Gefühl haben, dass sie ihren Eltern Loyalität und Dankbarkeit schulden. Das Webportal https://anonymousus.org sammelt solche Geschichten und Erfahrungen von Menschen, die von Reproduktionstechnologien wie Leihmutterschaft betroffen sind.

Ich habe auch das Kind hinter dem berühmten Baby M Fall in den USA kennengelernt. Es war der erste Rechtsfall, bei dem ein Gericht eine Leihmutter dazu verpflichtete, ihr Kind an die Bestelleltern gegen ihren Willen abzugeben. Sie konnte das Kind zwar noch gelegentlich sehen, aber das machte die Situation nicht besser. Es heißt immer wieder, dass es für Leihmutterschafts-Kinder ratsam sei, mit der leiblichen Mutter in Kontakt zu bleiben. Aber in allen Fällen, die ich kenne, hat das die Kinder nur traumatisiert, weil sie sich trotzdem von ihrer Mutter verlassen fühlten.

Bioethik aktuell: Werden Frauen, die sich als Leihmutter zur Verfügung stellen, und die Besteller von Agenturen, Kliniken und Ärzten genügend über mögliche Folgen und Risiken informiert?

Maurel: Leihmutterschaftsverträge enthalten einige Informationen über die Risiken, denen Leihmütter ausgesetzt sein können, vom Verlust der Gebärmutter bis hin zu tödlichen Komplikationen. Viele potenzielle Risiken werden jedoch verschwiegen. Es gibt auch keine Informationen über die negativen psychologischen Auswirkungen der Leihmutterschaft auf die Kinder. Weder die Agenturen noch die Ärzte oder andere Beteiligte informieren die Wunscheltern und Leihmütter angemessen über die möglichen Risiken dieser Praxis.

Nach der Entbindung kümmert sich auch niemand darum, wie es den Leihmüttern geht, weder psychisch noch physisch. Wir wissen nicht einmal, wie viele Frauen an den Folgen der Leihmutterschaft gestorben sind, vor allem, wenn sie nicht während, sondern an den Folgen der Leihmutterschaft gestorben sind.

Bioethik aktuell: Die Risiken betreffen ja nicht nur die Frauen, sondern auch die Kinder…

Maurel: Leihmütter müssen erhebliche Risiken auf sich nehmen, etwa eine hohe Dosis an Hormonen, damit sie überhaupt schwanger werden. Vor kurzem ist eine US-Studie erschienen, die von unerwünschten Folgen wie Schwangerschaftskomplikationen, postpartalen Depressionen und chronischen Gesundheitsproblemen nach einer Leihmutterschaft berichtet. Es gibt jedoch bislang kaum Studien über die kurz- und langfristigen Risiken dieses Verfahrens.

Was die Kinder betrifft, so beruft sich die Leihmutterschaftsindustrie häufig auf eine Studie von Susan Golombok, die behauptet, dass Leihmutterschaft keine negativen psychologischen Auswirkungen auf die betroffenen Kinder hat. Die Studie beruht jedoch auf einer sehr kleinen Stichprobe von Kindern und weist zahlreiche methodische Mängel auf.

Bioethik aktuell: Die EU hat kürzlich ihre Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels geändert und die „Ausbeutung durch Leihmutterschaft“ in die Liste der Straftaten auf EU-Ebene aufgenommen. In welchem Sinne ist Leihmutterschaft ausbeuterisch und gibt es überhaupt Frauen, die sich ganz frei für Leihmutterschaft entscheiden?

Maurel: Man kann nie von einer „freien Entscheidung“ der Leihmutter sprechen. Viel eher heißt es da „Der Kunde entscheidet über meinen Körper“. Die Leihmutterschaftsverträge nehmen den Frauen viele Freiheiten: Sie dürfen nicht trinken, was sie wollen, sie müssen zu bestimmten Zeiten schlafen, sie dürfen keinen Sex mit ihrem Mann haben usw. Es ist eine Hochrisikoschwangerschaft, von der keiner weiß, wie sie verlaufen wird. Die Leihmutter kann nicht darüber entscheiden, ob sie das Kind nach der Geburt weggeben will oder kann.

Ich sage immer: Angenommen, wir nehmen den ganzen finanziellen Anreiz weg, dann wette ich, dass sich keine Frau dazu bereit erklärt, all die schädlichen Hormone zu sich zu nehmen, neun Monate Schwangerschaft und die Geburt auf sich zu nehmen und dann am Ende ihr Baby wegzugeben. Für mich ist Leihmutterschaft immer erzwungen und immer ausbeuterisch.

Bioethik aktuell: In Deutschland hat eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission die Legalisierung der altruistischen Leihmutterschaft empfohlen. Es soll eine Aufwandsentschädigung geben und eine engere Verbindung zu den Wunscheltern. Was halten Sie von der altruistischen Leihmutterschaft? Gibt es Ihrer Meinung nach ethisch vertretbare Formen der Leihmutterschaft?

Maurel: Wie ich bereits erwähnt habe, ist es höchst fraglich, ob es für das Kind wirklich von Vorteil ist, die Leihmutter von Zeit zu Zeit zu sehen. Stellen Sie sich ein Kind vor, das gelegentlich von seiner Mutter besucht wird. Am Ende ist sie immer weg, und das Kind fühlt sich immer wieder verlassen. Eine weitere Frage ist, wie die Regierung eine engere Verbindung zwischen den Wunscheltern, dem Kind und der Leihmutter durchsetzen will.

Was die altruistische Leihmutterschaft betrifft, so sehe ich nicht, was sie ethisch vertretbarer macht. Es handelt sich dabei trotzdem um einen Vertrag, der den Austausch eines Kindes gegen irgendeine Form der Bezahlung vorsieht, auch wenn diese als Aufwandsentschädigung bezeichnet wird.

Die Frauen werden auch in dem Fall zu Gebärmüttern reduziert und ihr Fortpflanzungssystem wird ausgebeutet. In den allermeisten Fällen handelt es sich auch bei altruistischen Leihmüttern um arme Frauen in prekären Situationen, die Geld brauchen. Nur weil man den Begriff „altruistisch“ oder „ethisch“ der Leihmutterschaft voranstellt, wird sie dadurch nicht besser.

Bioethik aktuell: Die Casablanca-Deklaration, deren Sprecherin Sie sind, setzt sich für die weltweite Abschaffung der Leihmutterschaft ein. Warum halten Sie ein internationales Verbot und nicht etwa eine gute Regelung für notwendig?

Maurel: Man kann nicht etwas Schlechtes gut regeln, so wie es auch keine guten Optionen gibt, den Organhandel oder die Sklaverei zu regeln. Auch wenn die Sklaverei heute noch existiert, war es absolut notwendig, sie weltweit abzuschaffen, weil sie gegen die Menschenwürde verstößt. Einen Schwarzmarkt wird es immer geben, aber Legalisierung und Regulierung werden die Praxis nicht stoppen oder humaner machen. Nur, wenn die Leihmutterschaft verboten wird, können jene, die vermitteln und daran Geld verdienen verurteilt und gestoppt werden.

Das Gespräch führte Bioethik aktuell-Redakteurin Antonia Busch-Holewik.

Institut für Medizinische
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