Schwangeren wird unabhängig von einer medizinischen Relevanz empfohlen, einen nichtinvasive Pränataltest (NIPT) vornehmen zu lassen. Das kritisiert eine interfraktionelle Initiative von 121 Abgeordneten von SPD, CDU/CSU, Grünen, FDP im Deutschen Bundestag. Sie fordern eine entsprechende Untersuchung. welche Folgen es in der Praxis hat, dass die Kosten der NIPT seit Juli 2022 von den Krankenkassen übernommen wird. Ursprünglich war der Test nur für Frauen mit entsprechenden Risikofaktoren vorgesehen (Bioethik aktuell, 10.2.2020).
Bluttests werden auch ohne Verdacht auf Risiko bei Schwangeren eingesetzt
Die Abrechnungszahlen zum NIPT in den ersten zwölf Monaten seit Kassenzulassung – von Juli 2022 bis Juni 2023 - bestätigen, was Kritiker von Anfang moniert hatten: Sobald der Test nicht von den Betroffenen selbst, sondern vom Staat bezahlt wird, kommt es offenbar zu einem überbordenen Angebot an pränatalen Untersuchungen, die weder im Dienst des Kindes noch der Schwangeren stehen (Bioethik aktuell, 19.3.2019).
Bei einer Geburtenrate in Deutschland, die im November 2023 bei 631.000 Kindern für das Jahr 2023 lag, hatten 137.914 schwangere Frauen im ersten Halbjahr 2023 einen NIPT als Krankenkassenleistung genutzt - ein Rekordwert, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online 25.4.2024). Das bedeutet einen NIPT auf weniger als drei Geburten. Dies sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass der vorgeburtliche Trisomienbluttest nicht nur in begründeten Einzelfällen zum Einsatz komme, wie es die Mutterschaftsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vorsehe, sondern bereits zur Routineuntersuchung in der Schwangerschaft geworden sei, mahnen die Abgeordneten,
Die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen sinkt nicht, sondern steigt tendenziell an
Das Argument, mit den Trisomie-Bluttests die Zahl risikobehafteter Fruchtwasseruntersuchungen zu verringern, hatte sich in den ersten Monaten nach der Zulassung der Erstattungsfähigkeit des Tests nicht bestätigt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen ist tendenziell angestiegen.
Im Raum steht die Annahme einer Fehlversorgung im großen Stil: Die Tests sind höchstwahrscheinlich in fast wertloser Größenordnung falsch positiv und stellen einen Anlass für eine weitere Abklärung des Befundes dar. Die Richtigkeit der Tests wird in Einzelfällen nicht überprüft. War der Test auf Trisomien falsch positiv, ist das Ungeborene gesund, es kommt aber zu einer Aktivierung der üblichen Leistungskette inklusive Fruchtwasserpunktion.
Aufgespürt wird die plazentare DNA der Mutter, nicht die fetale DNA des Kindes
Zugrunde liegt eine methodische Schwierigkeit: Anders als bei direkten Bluttests etwa auf Blutzucker, Herzinfarktmarker oder auf erhöhte Blutfette mit Rückschlüssen auf den untersuchten Organismus nutzt der NIPT-Test Bruchstücke von zirkulierenden Zellbestandteilen der mütterlichen Plazenta. Es handelt sich somit um eine indirekte Messmethode mit vagen Schlussfolgerungen auf den Gesundheitszustand des Fetus.
Die entnommene Blutprobe enthält – anders als das Fruchtwasser – keine Zellen des Fetus selbst. Gemessen werden chromosomale Veränderungen beim Zellwachstum der Plazenta. Der Bundesverband der Frauenärzte spricht irreführend von einem Test, mit dem sich „kindliches Erbgut“ in der Schwangerschaft auf Chromosomenstörungen nachweisen lässt.
Pränatalmediziner: Die Fehldiagnose der Bluttest liegt bei 40 bis 50 Prozent
Thomas von Ostrowski vom Berufsverband Niedergelassener Pränatalmediziner gibt die Quote an falsch positiven NIPT bei der Trisomie 21 mit "40 bis 50 Prozent" an, was das Verfahren schon aus mathematischen Überlegungen wertlos macht. Eine solche Treffer-Wahrscheinlichkeit könnte auch mit einem Würfel erreicht werden. Ein positives Testergebnis mache dann in der Praxis stets eine Fruchtwasseruntersuchung erforderlich, die eigentlich vermieden werden sollte, so Ostrowski (SWR-Puls, 24.4.2024).
Falsch-positive Befunde gibt es oft bei jungen Frauen ohne Risiko
Laut Ostrowski gebe es besonders bei Trisomie 18 und 13 "sehr häufig falsch-positive Befunde", vor allem bei jüngeren Frauen, wo keinerlei Indikation besteht, diesen Test durchzuführen. Der Pränatalmediziner hält den Ultraschall für die gebotene Methode, mit der 95 Prozent der Trisomien 18 und 13 erkannt werden können. Etwa 3 Prozent der Trisomien beim Kind werden nicht mit dem Bluttest entdeckt, sind also falsch-negativ. Laut Ostrowski sind die NIPT-Tests nicht zur Diagnostik des Ungeborenen geeignet. Der Test sei als Kassenleistung für jede Schwangere falsch platziert.
Bluttest dient nicht der Therapie, sondern der Selektion
Hinzu kamen in der politischen Diskussion grundsätzliche Bedenken ethischer Art. Einer der Antragsteller im Deutschen Bundestag, der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe: „NIPT als Kassenleistung ist ein humanitärer Rückschritt“, so Hüppe gegenüber der taz (23.4.2024). Der Test wirke der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen entgegen und führe zu mehr Abtreibungen ungeborener Kinder mit Behinderungen, „Der Test dient nicht der Therapie, sondern der Selektion“. Zudem habe der Status als Kassenleistung der NIPT eine Imageverbesserung gebracht. Frauen, die ihn ablehnten, gerieten unter Rechtfertigungsdruck. Manche Ärzte seien schon dazu übergegangen, einen Bluttest zu empfehlen, indem Patientinnen gefragt werden, sich zu überlegen, ob sie denn ein behindertes Kind haben wollen (Bioethik aktuell, 7.10.2019).
Kritik: Die Indikation für den Bluttest ist nirgendwo festgelegt worden
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung weist auf Schwachstellen bei der Zulassung des Bluttests hin (FAZ, 25.4.2024): Der Gemeinsame Bundesausschuss Ärzte-Krankenkassen (G-BA), der über die Finanzierung als Kassenleistung entscheidet, habe weder in den Mutterschaftsrichtlinien (MuRL) noch in den „Versicherteninformation Bluttest auf Trisomien / Der nicht invasive Pränataltest (NIPT) auf Trisomie 13, 18 und 21“ ausreichend informiert, in welchen dieser Bluttest zur Anwendung kommen sollte.