Müssen Kinder, die nach künstlicher Befruchtung zur Welt gekommen sind, mit negativen gesundheitlichen Folgen rechnen? Mehrere Studien haben in den vergangenen Jahren dafür Hinweise geliefert (vgl. Bioethik aktuell, 27.6.2016 und Bioethik aktuell, 17.9.2012).
Ein konkreter Veracht erhärtet sich nun: Schweizer Forscher haben in einer im Journal of the American College of Cardiology publizierten Studie (September 2018, DOI: 10.1016/j.jacc.2018.06.060) gezeigt, dass IVF-Kinder ein signifikant höheres Risiko für Bluthochdruck schon im Jugend- und jungen Erwachsenenalter aufweisen. Für den Kardiologen Urs Scherrer vom Inselspital Bern ist dieses Ergebnis „sehr beunruhigend“.
Die Arbeit des Kardiologenteams in Bern zeige erstmals, wie bei IVF-Kindern aus Gefäßveränderungen innerhalb weniger Jahre ein klinisch relevanter Bluthochdruck entsteht, sagt Scherrer, selbst Teil des Teams, gegenüber der NZZ (online, 7.9.2018). Die gemessene Bluthochdruck-Häufigkeit von mehr als 15 Prozent bei 17-Jährigen, die durch IVF entstanden sind, sei schon „sehr außergewöhnlich“.
In einer früheren Untersuchung wies das Team mithilfe von morphologischen und funktionellen Tests bei 65 IVF-Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren eine vorzeitige Alterung der Blutgefässe nach (vgl. Bioethik aktuell, 14.1.2013). Diese ließ sich auf keine elterliche Vorbelastung zurückführen, die natürlich gezeugten Geschwister der untersuchten IVF-Kinder hatten kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Für die Forscher sind die im Rahmen einer IVF eingesetzten Verfahren und Materialien per se Ursache für die vorzeitige Gefäßalterung, wobei noch unklar ist, welche Faktoren hier negativ bestimmend sind.
In den ersten Tagen nach der künstlichen Befruchtung werden die Embryonen in einer Nährlösung im Brutschrank kultiviert. Wissenschaftler vermuten bereits seit längerem, dass diese - nicht standardisierte - chemische und hormonelle Mixtur epigenetische Veränderungen hervorrufen kann (vgl. Bioethik aktuell, 10.10.2016). Eine Modifikation des Erbguts auf molekularer Ebene kann auf subtile Weise zu gesundheitlichen Langzeitschäden führen (Bluthochdruck, Spätfolgen von niedrigerem fetalen Wachstum, geringeres Geburtsgewicht, Asthma, Stoffwechselerkrankungen usw.).
Für die Bioethikerin Susanne Kummer sind die jüngsten Erkenntnisse in mehrfacher Hinsicht beispielhaft. „Wir sehen, wie immer mehr kritische Studien erscheinen, die auf Gesundheitsrisiken der künstlichen Befruchtung für Kinder und Frauen hinweisen. Es stimmt nachdenklich, wenn Verantwortungsträger in Reproduktionskliniken und Politik sich dennoch vor einer umfassenden Aufklärung über IVF scheuen“, kritisiert Kummer. „Solche Daten beunruhigen offenbar und passen nicht ins Hochglanz-Werbebild der Wunschbabykliniken. Heute warnen wir Schwangere davor, dass Alkohol das ungeborene Kind schädigen kann. Warum sprechen wir dann nicht auch offen über die gesundheitlichen Risiken einer künstlichen Befruchtung?“
Kummer fordert knapp drei Jahre nach Einführung des neuen Fortpflanzungsmedizingesetzes in Österreich klare Konsequenzen: „Wir brauchen dringend Investitionen in Langzeitstudien nach IVF, transparente Aufklärung über Risiken der künstlichen Befruchtung und deren gesundheitsgefährdenden Aspekte. Ebenfalls gefördert werden muss die Forschung für alternative Methoden und Ursachenforschung bei Unfruchtbarkeit“, fordert die Bioethikerin. Die Reproduktionsmedizin ist ein weltweiter Markt mit Milliardenumsätzen. „Es ist verantwortungslos, für ein Verfahren zu werben oder es staatlich zu subventionieren, dessen Folgen bis heute klinisch nicht umfassend überprüft sind“, betont Kummer.
Für den Schweizer Kardiologen Scherrer ist die Zeit reif, die künstliche Befruchtung als kardiovaskulären Risikofaktor wie zum Beispiel Rauchen, Inaktivität oder Übergewicht zu sehen. Jugendliche sollten deshalb über die Art der Zeugung wie auch den Schwangerschaftsverlauf Bescheid wissen, damit diese ins Behandlungskonzept einfließen können. Es zeige sich immer mehr, dass diese früheste Phase im Leben einen entscheidenden Einfluss auf die spätere Gesundheit habe.
Für Erstaunen sorgte jedenfalls, dass die Medienabteilung des Inselspitals Bern trotz internationalen Interesses nicht über die hauseigene Studie berichtete. Das Inselspital Bern betreibt ein eigenes Kinderwunschzentrum. Auf internes Nachfragen hieß es, die Ergebnisse könnten „direkt einen anderen Fachbereich der Insel-Gruppe tangieren“, berichtete die NZZ (online, 6.9.2018). Dass die aktuellen Forschungsergebnisse die Debatte über die In-vitro-Fertilisation beeinflussen werden, mit möglicherweise negativen ökonomischen Folgen für den Bereich der künstlichen Befruchtung, erkläre laut Beobachtern die Zurückhaltung der hauseigenen Presseabteilung.