Bioethik Aktuell

Transaffirmative Therapie: Deutscher Kinderpsychiater warnt vor irreversiblen Schäden

Der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung sollte hinterfragt werden - zum Schutz der Betroffenen

Lesezeit: 04:00 Minuten

Der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte setzt sich seit Jahren für eine evidenzbasierte Behandlung von Minderjährigen ein, die im Annehmen ihres Geschlechts Probleme haben. In seinem jüngst erschienenen Buch „Hinter dem Regenbogen“ (Kohlhammer 2024) tritt er offen gegen den vorherrschenden transaffirmativen Behandlungsansatz ein und plädiert für eine sachlichere Debatte.

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Die Behandlung von Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie wird sowohl in der Medizin als auch in der Gesellschaft heftig diskutiert. Der Münchner Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte (Universitätsklinikum München) äußert sich in einem NZZ-Interview (online, 11.10.2024) kritisch zur gängigen Praxis der Pubertätsblockade. Zudem sei die Sprache rund um das Thema Transgender ideologisiert und unwissenschaftlich. Dies mache einen ergebnisoffenen fachlichen Diskurs unmöglich.

Empfehlungen der Fachgesellschaften sind zu einseitig

Konkret stellt Korte die neue Behandlungsleitlinie für den deutschen Sprachraum, erstellt von 27 Fachgesellschaften, in Frage (Bioethik aktuell, 27.5.2024). Diese sieht für die Behandlung von Geschlechtsdysphorie bei Minderjährigen ausschließlich die sogenannte transaffirmative Therapie vor („Dutch-Protokoll“). Transaffirmativ bedeutet, dass das von Kindern und Jugendlichen neu deklarierte Geschlecht immer therapeutisch, medikamentös und später auch operativ bestätigt („affirmiert“) werden solle. Zahlreich namhafte Jugendpsychiater aus Deutschland und auch die Schweizerische Gesellschaft für Kinder- und Jungendpsychiatrie haben die Leitlinie inzwischen scharf kritisiert. Der Hauptkritikpunkt: der vorschnelle Einsatz von Pubertätsblockern.

Was ist das Problem mit Pubertätsblockern?  

Pubertätsblocker blockieren die Freisetzung bestimmter Hormone aus der Hirnanhangsdrüse, die die Pubertät auslösen. Das Problem der Pubertätsblockade sieht Korte darin, dass sie Jugendliche auf einen Weg führen, von dem sie nur schwer wieder abkommen. Studien bestätigen, dass etwa 95 Prozent der Kinder, die Pubertätsblocker erhalten, auf ein unumkehrbares „Gleis gesetzt werden“ und sich später für die Einnahme von Hormonen des anderen Geschlechts und mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsangleichende Operation entscheiden.

Aus früheren Studien geht allerdings hervor, dass die große Mehrheit der Kinder mit Geschlechtsdysphorie, die eine natürliche Pubertät durchlaufen, ihr Geschlecht später vorbehaltlos akzeptieren. Wenn dieser Prozess jedoch durch Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormontherapien unterbrochen wird, kommt es häufig zu schwerwiegende irreversible Nebenwirkungen wie Unfruchtbarkeit, langfristige Beeinträchtigung der Knochengesundheit, der sexuellen Erlebnisfähigkeit und der Gehirnentwicklung. In Schweden sind Pubertätsblocker für Minderjährige inzwischen verboten (Bioethik aktuell, 1.10.2021), Frankreich warnt vor einem vorschnellen Einsatz von Pubertätsblockern, ebenso der 400-Seiten umfassende Cass-Review aus Großbritannien (Bioethik aktuell, 24.4.2024)

Das Suizid-Argument ist wissenschaftlich nicht haltbar

Die Befürworter des transaffirmativen Ansatzes empfehlen bei Geschlechtsdysphorie im Kindesalter schnell zu handeln, da ohne hormonelle Therapie ein hohes Suizidrisiko bestehe. Diese Argumentation hält Korte für höchst unprofessionell und wissenschaftlich nicht haltbar. Es gebe keine Belege dafür, dass hormonelle Behandlungen das Suizidrisiko senken (Bioethik aktuell, 7.12.2023). Den betroffenen Minderjährigen gehe es psychisch häufig sehr schlecht. Das lasse sich allerdings verstärkt durch vorliegende psychische Grunderkrankungen der Betroffenen erklären, wie Depression, Angststörungen, Autismus. Bestätigung bekommt Korte von der Wiener Psychiaterin Bettina Reiter: Die psychischen Vorerkrankungen sollten neben der Geschlechtsdysphorie vorrangig behandelt werden, so Reiter im IMABE-Interview (21.3.2024).

Geschlechtsdysphorie – ein „Scheitern an den Klippen der Pubertät“

Wie kann nun betroffenen Minderjährigen geholfen werden? Einfach einer 13-Jährigen sagen: 'Nein, du bist kein Junge!'? Kein verantwortungsvoller Psychiater würde so handeln, entgegnet Korte. Vielmehr gehe es darum, Jugendliche in ihrer Selbstdiagnose empathisch zu hinterfragen. „Es handelt sich in den allermeisten Fällen um ein schmerzhaftes Entfremdungserleben des gesunden, sich jedoch in der Pubertät verändernden Körpers“.  Dies können viele Gründe haben. Vor allem im Internet kursieren viele geschlechtsspezifische Erwartungen, mit denen Jugendliche konfrontiert und überfordert werden. Eine Ablehnung der Pubertät und des eigenen Geschlechts kann auch aus einer Abwehr von Sexualität, Geschlechter- und Altersrollen resultieren, so Korte.

Die Identifikation von Jugendlichen mit einem anderen Geschlecht müsse zunächst hinterfragt werden. „Ich halte es für dringend geboten, in einer ergebnisoffenen Psychotherapie mit dem oder der Jugendlichen gemeinsam zu ergründen, ob und inwiefern er oder sie glaubt, typischen Geschlechtsklischees entsprechen zu müssen.“ Eine gute Therapie arbeitet immer ergebnissoffen, anstatt Kindern sofort das irreversible Translabel zu verpassen und aggressive hormonelle Behandlungen einzuleiten.

Das Problem von Ideologie und Sprache

Der Münchner Kinderpsychiater sieht die Debatte stark von politischen und gesellschaftlichen Ideologien geprägt. Für ihn ist klar, dass egozentrische, identitätsbezogene Sprache und die damit verbundene Identitätspolitik einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft und die Entwicklung von Therapieansätzen haben. Dazu kommt die fehlende Toleranz gegenüber anderen Meinungen. „Wer den transaffirmativen Ansatz infrage stellt und auf faktenbasierter Gendermedizin besteht, dem droht heute schnell der Rufmord mittels AfD-Keule.“ Korte war auch schon persönlich mit Drohungen konfrontiert.

Andere Länder rücken von diesem Ansatz ab

Transaffirmative Kollegen hätten Alexander Kortes Warnrufe lange Zeit als absolute Minderheitsmeinung dargestellt. Dies sei seit der Veröffentlichung des Cass-Reviews nicht mehr möglich. Deutschland und die Schweiz stehen nun mit ihrem Leitfaden zur Pubertätsblockade international alleine da. In anderen europäischen Ländern, darunter Schweden, Finnland, Großbritannien und Frankreich, lehnen Ärzte inzwischen aggressive hormonelle Behandlungen von Transgender-Kindern ab (Bioethik aktuell, 11.4.2022).

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