Für Schwerkranke und sterbende oder ältere Menschen, die sich in ihrer letzten Lebensphase befinden, wächst die Bedeutung von spirituellen Bedürfnisse und existentiellen Fragen. Die im Gesundheitssystem Tätigen fühlen sich jedoch meist für die inneren Nöte ihrer Patienten nicht zuständig – noch werden sie dafür ausgebildet. Wie kann eine spirituelle Begleitung als Teil einer ganzheitlichen Versorgung ist, im klinischen und pflegerischen Alltag besser verankert werden?
Neues Ausbildungsprogramm stärkt Gesundheitspersonal in spirituellen Fragen
Genau hier setzt das Modellprojekt Spirituelle Begleitung am Lebensende (Curriculum Spiritual/Existential Care interprofessionell, SpECi) an, das 2020 von der Deutschen Diakonie und Caritas, der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und dem Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) gegründet wurde. Ziel ist es, Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen zu befähigen, spirituelle Bedürfnisse ihrer Patienten zu erkennen und kompetent darauf einzugehen. Dabei kommt dem Signalisieren einer Gesprächsbereitschaft oft schon eine große „lösende“ Bedeutung zu. Die Ausbildung wird von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zertifiziert.
Fragen nach dem Sinn des Lebens und die Suche nach innerem Frieden sind zentral
Spirituelle Bedürfnisse lassen sich konkret festmachen: Sie zeigen sich im Bedürfnis, über den Sinn im Leben zu sprechen, über die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod, die Frage nach einem Sinn in Krankheit oder Leiden bis hin zum gemeinsamen Beten. Unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit spielt auch das Bedürfnis nach innerem Frieden bei Patienten eine große Rolle. Betroffene wollen mit jemandem über Ängste und Sorgen reden können, ungelöste Dinge aus ihren Leben klären, aber auch noch positive Erfahrungen machen wie das Verweilen in der Natur.
Menschen wollen etwas von sich verschenken und brauchen Liebe
Menschen am Lebensende spüren auch häufig das Bedürfnis nach Weitergabe und Generativität. Sie wollen selbst jemandem Trost spenden, eigene Lebenserfahrungen weitergeben und etwas von sich verschenken. Zudem möchten sie die Gewissheit haben, dass das eigene Leben sinn- und wertvoll war. Beziehungen und die Verbundenheit mit Angehörigen werden besonders wichtig, Liebe, Zuwendung und Zuneigung zu erfahren, aber auch anderen schenken zu können.
Patientenzufriedenheit wächst bei bessere Begleitung
Dass Spiritualität tatsächlich einen Unterschied machen kann, zeigen die ersten Ergebnisse aus der Begleitstudie, über die das Deutsche Ärzteblatt (online 18.9.2023) berichtet. 87 Prozent der befragten Patientinnen und Patienten fühlten sich durch in Spiritual Care geschulten Fachkräfte gut begleitet und 79 Prozent in ihren spirituellen Bedürfnissen unterstützt, so Studienleiter Arndt Büssing von der Universität Witten/Herdecke.
Befragt wurden 92 Pflegefachkräfte, die bislang an den Schulungen teilnahmen, sowie 774 Patienten und 356 Angehörige an sieben teilnehmenden Standorten. Die Pflegekräfte waren zu 58 Prozent in Alten-/Pflegeheimen tätig, zehn Prozent in der Geriatrie, 16 Prozent auf Palliativstationen, 12 im Prozent im Bereich Hospiz und vier Prozent in Krankenhäusern.
Auch Angehörige profitieren von Spiritual Care
Bei vielen Patienten hätten religiöse Bedürfnisse eine Rolle gespielt, aber mehr noch Bedürfnisse nach innerem Frieden und Generativität sowie nach familiärer Unterstützung. „Spirituelle Bedürfnisse von Schwerkranken sind hoch und bleiben es während des Aufenthalts häufig auch. Sie können als Vitalzeichen bezeichnet werden, als Sehnsucht nach einem Leben in Fülle“, sagt Büssing, der seit 2010 die Professur für Lebensqualität, Spiritualität und Coping an der Universität Witten/Herdecke innehat. Aber auch die An- und Zugehörigen hätten häufig solche Bedürfnisse bei der Auseinandersetzung mit Tod, Krankheit und Behinderung.
Höhere Kompetenz im Umgang mit spirituellen Nöten steigert auch Arbeitszufriedenheit
Büssings Begleitstudie belegt auch, dass die durch SpECi geschulten Fachkräfte von dem 40 Stunden umfassenden Kurs profitieren: 85 Prozent hätten angegeben, dass der Kurs sie sicherer gemacht habe, mit den spirituellen Bedürfnissen von schwerkranken und sterbenden Patienten und Patientinnen umzugehen und 85 Prozent von ihnen wären danach deutlich häufiger als zuvor auf diese Bedürfnisse eingegangen.
Positiv habe sich der Kurs auch auf das Wohlbefinden und die Arbeitszufriedenheit des medizinischen und pflegerischen Personals ausgewirkt: 71 Prozent des Personals habe sich besser in ihren eigenen spirituellen Bedürfnissen unterstützt gefühlt – und das, obwohl die Befragungen während der Pandemie stattfanden und sie aufgrund Einschränkungen stark belastet waren.
Generell wünschten sich 87 Prozent der Fachkräfte mehr Zeit für Gespräche über spirituelle Bedürfnisse. Für ein Gesundheitssystem, das einen umfassenden Versorgungsauftrag – trotz aller ökonomischer Belastungen – ernst nimmt, sollte die Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse nicht nur optional, sondern unabdingbar sein, betont der Wissenschaftler.