Dass Kinder nach künstlicher Befruchtung später höhere gesundheitliche Risiken haben, wird von namhaften Fortpflanzungsmedizinern immer häufiger thematisiert (vgl. Bioethik aktuell, 27.6.2016 und Bioethik aktuell, 14.5.2012). Neue Publikationen im Fachjournal Human Reproduction weisen darauf hin, dass die Nährlösung, in denen die Embryonen nach der künstlichen Befruchtung in den ersten Tagen schwimmen, für spätere Gesundheitsschäden mitverantwortlich ist.
Die Nährmedien versuchen die Bedingungen im Mutterleib zu simulieren, während der Embryo in der Petrischale heranreift. Er befindet sich in dieser Zeit in einer extrem vulnerablen Phase, so der Embryologe Arne Sunde von der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Olavs Universitätskrankenhaus Trondheim in Norwegen. Denn genau in dieser Phase zwischen Befruchtung und späterer Einnistung werde laut Wissenschaftlern das gesamte Genom und Epigenom des Embryos umgebaut. Umso erstaunlicher sei es, so die Forscher in Human Reproduction (2016, doi:10.1093/humrep/dew157), dass die Kulturmedien für menschliche Gameten und Embryonen mit „erstaunlich wenig Standardisierung und viel Experimentieren“ erstellt wurden. Bis heute wird die genaue Zusammensetzung von den Herstellerfirmen unter Verschluss gehalten.
Die Kulturmedien enthalten eine Reihe von Komponenten, die die epigenetische Reprogrammierung und andere Entwicklungen beeinflussen, die zu schädlichen Auswirkungen auf den Embryo und das Neugeborene führen können (fetales Wachstum, Geburtsgewicht, Wachstum in der Kindheit). Bei Neugeborenen mit einem zu geringen Geburtsgewicht nimmt das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen oder auch Diabetes mellitus Typ 2 erheblich zu.
Hans Evers, Gynäkologe und Herausgeber von Human Reproduction kritisiert im Editorial (2016; 31(10): 2159), dass er weit mehr über die Zutaten seiner Erdnussbutter wisse als über den Chemiecocktail, in den die Embryos eingelegt werden. Zu Beginn der Reproduktionsmedizin waren es einfache Salzlösungen, heute gibt es Produkte mit mehr als 80 Zutaten, darunter Aminosäuren, Lipide und Hormone, die das Wachstum anregen sollen. Angesichts einer neuen Studie sei es keine Option mehr für klinische Embryologen, nicht über die exakte Zusammensetzung ihrer IVF Kulturmedien Bescheid zu wissen, betont Evers.
In dieser Studie haben Reproduktionsmediziner in den Niederlanden erstmals die Wirkung von zwei handelsüblichen IVF-Nährflüssigkeiten auf Kinder miteinander verglichen. Die randomisierte kontrollierte Studie umfasse 836 holländische Paare, die sich einer IVF unterzogen. 383 Babys wurden im Beobachtungszeitraum von 22 Monaten geboren. Ergebnis: Es gab eine eindeutige Korrelation zwischen dem Kulturmedium und einem niedrigem Geburtsgewicht (vgl. Human Reproduction, Doi: 10.1093/humrep /dew156). Heute weiß man, dass kleine Unterschiede im Geburtsgewicht subtile Störungen widerspiegeln können, die sich erst später im Leben manifestieren. „Das bedeutet, dass wir vorsichtig sein müssen. Wir sollten nicht mehr blind neue Kulturmedien übernehmen oder andere Veränderungen im Labor- oder in klinischen Verfahren, ohne zunächst rigoros deren Wirksamkeit und Sicherheit geprüft zu haben“, schreiben die Wissenschaftler.
Es sei „beunruhigend, dass nur zwei oder drei Tage in einem Medium Auswirkungen auf Jahre haben können“, so Evers gegenüber New Scientist (online, 24.8.2016). Die Mediziner fordern deshalb nun absolute Transparenz der Unternehmen hinsichtlich der Zusammensetzung der Nährlösungen für IVF-Kinder.