Inanna Reinsberger vom Austrian Institute for Heath Technology Assessment (AIHTA) hat sich in einer Studie (AIHTA Policy Brief 012/2022: Regelung und Finanzierung von pränatalen Screening- und diagnostischen Untersuchungen auf fetale Anomalien in ausgewählten europäischen Ländern) mit dem Vergleich der Pränataldiagnostik in sechs europäischen Ländern (Deutschland, Schweiz, Niederlande, Großbritannien, Norwegen und Italien) befasst. Die Biologin forscht im Bereich Prävention und Screening, Mutter-Kind-Gesundheit und Public Health. In einem Interview mit dem Standard (19.7.2022) weist sie darauf hin, dass ein Ergebnis ihrer Untersuchungen darin besteht, dass durch den nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) auf drei Formen von genetischen Trisomien (21, 18 und 13) Eltern keine zusätzliche Sicherheit erlangen, sondern durch unsichere Testresultate nur noch mehr verunsichert werden.
Generell fehle es an Zeit in der täglichen Praxis, um eine gute Beratung vornehmen zu können, auch fehle der Überblick, welche Untersuchungen es in der Schwangerschaft überhaupt gibt. Vorbildlich scheinen hier Länder, in denen die Beratung fixer Bestandteil von Screening-Programmen ist oder wo Hebammen mit spezieller Ausbildung involviert sind. Anders in Norwegen und den Niederlanden: Dort hat der NIPT-Test das Ersttrimester-Screening ersetzt.
Im Gespräch weist Reinsberger darauf hin, dass das Alter der Schwangeren einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob ein positives NIPT-Testergebnis eine niedrige oder hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit habe. Außerdem kritisiert sie die Indikationen für eine Erstattung durch die Krankenkasse: „Der Test wird bezahlt, wenn es Hinweise auf Trisomien gibt, wie ein auffälliger Ultraschall. Er wird aber auch dann bezahlt, wenn eine Frau gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist. Wenn sie zum Beispiel sagt, dass der Gedanke daran, dass das Kind das Downsyndrom haben könnte, sie zu sehr belastet.“
Qualitätsmängel beim prädiktiven Wert des Tests bestehen weiter
Schwerwiegende Qualitätsmängel im Hinblick auf den positiven Vorhersagewert des Tests kommen ebenfalls zur Sprache: „Die Kritik daran ist, dass der Test nicht die Kriterien erfüllt, um eine Kassenleistung zu sein. Er kann weder die Gesundheit der Schwangeren noch die des ungeborenen Kindes erhalten oder verbessern. Er dient lediglich dazu, den werdenden Eltern zu sagen: Gibt es eine Trisomie oder nicht?“ Und: „Es gibt auch die Befürchtung, dass die Einführung als Kassenleistung dazu führen könnte, dass der Test als Routine in der Schwangerschaft angesehen wird. Das führt zu mehr Druck auf die werdenden Eltern.“
Die Behauptung der Bluttest-Hersteller, wonach diese Tests Fehlgeburten reduzieren können, weil sie die gefährliche Fruchtwasseruntersuchung ersetzen, halten Mediziner schon seit einiger Zeit für unseriös (vgl. Bioethik aktuell, 10.2.2020). Nicht-invasive Pränataltests (NIPT) gelten als Wachstumsbranche. Immer mehr neue Tests drängen auf den boomenden Markt. Heute stehen Trisomien im Fokus, längst wird aber an Bluttests gearbeitet, die Informationen über Diabetes-, Alzheimer- oder Brustkrebsrisiko liefern sollen, erläutert IMABE-Direktorin Susanne Kummer. „Der Druck auf Schwangere, ein makelloses Kind zur Welt zu bringen, wird durch die vermeintlich leicht anzuwendenden Bluttests steigen“, gibt die Ethikerin zu bedenken. Laut einem Report von Research and Markets betrug das weltweite Volumen des NIPT-Marktes im Jahr 2021 2,4 Milliarden US-Dollar, bis 2025 sollen es 4 Milliarden US-Dollar sein.
Da in Deutschland seit 1. Juli 2022 der Trisomiebluttest von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird, möchte eine nun gegründete interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Pränataldiagnostik im Deutschen Bundestag darauf hinarbeiten, dass das pränatale Screening auf Trisomie 21,18 und 13 „auf keinen Fall zur Routine in der Schwangerschaft werden darf“. Da weitere Tests auf genetische Dispositionen in der Entwicklung und vor der Zulassung stehen, werde hier ein gesamtgesellschaftliches Risiko gesehen.
Jedes dritte auffällige Ergebnis ist falsch – das Kind ist dann völlig gesund
Die Entscheidung über den Test als Kassenleistung wurde in Deutschland vom Gemeinsamen Bundesausschuss Ärzte-Krankenkassen am 19. August 2021 in einem Beschluss gefällt. Geändert wurden damit die Mutterschafts-Richtlinien. Der Beschluss enthält ein eindringliches Beispiel über den prädiktiven Vorhersagewert des Bluttests. Unter der Überschrift: "Zuverlässigkeit: Beispiel Down-Syndrom“ wird erklärt: „Das Verhältnis von richtigen zu falschen Befunden hängt davon ab, wie wahrscheinlich eine Trisomie ist. Diese Wahrscheinlichkeit hängt unter anderem vom Alter ab. Stellen Sie sich eine Gruppe von 10.000 Schwangeren vor, von denen 10 ein Ungeborenes mit einem Down-Syndrom haben. Wenn alle diese Frauen ein auswertbares Ergebnis erhalten, ergibt sich Folgendes: 10.000 Frauen erhalten ein Testergebnis. Bei 15 Frauen ist der Test auffällig. 10 Frauen haben tatsächlich ein Kind mit einem Down-Syndrom. 5 Frauen haben kein Kind mit einem Down-Syndrom, obwohl der Test auffällig war. Mit anderen Worten: In diesem Beispiel ist jedes dritte auffällige Ergebnis falsch (bei 5 von 15 Frauen).“ Mit diesem Hinweis ist zugleich die Unsicherheit beschrieben, die ein positives Testergebnis hinterlässt und die Notwendigkeit erläutert, zur Erlangung von Klarheit eine Chorionzottenbiopsie oder eine Amniozentese mit dem Risiko einer Fehlgeburt vorzunehmen.