Sollen ein Euthanasie-Verbot sowie ein Gesetzesanspruch auf palliativmedizinische Begleitung in die österreichische Verfassung? Laut Medienberichten hatten sich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP auf dieses Vorhaben geeinigt (vgl. Wiener Zeitung, online, 29. 11. 2013). Auch die Österreichische Palliativgesellschaft fordert in einer Online-Petition eine Verankerkung des Schutzes der Menschenwürde in der Verfassung sowie einen Ausbau der palliativmedizinischen Betreuung (vgl. IMABE November 2013).
IMABE-Direktor Johannes Bonelli, selbst jahrzehntelang als Intensivmediziner tätig, begrüßt beide Vorhaben. Ein Blick nach Belgien und die Niederlanden genüge, um zu erahnen, was es für unsere Zukunft bedeutet, wenn die Euthanasie von Staats wegen legitimiert werden soll, gibt Bonelli zu Bedenken. Als erstes Land der Welt will Belgien nun auch aktive Sterbehilfe für Minderjährige legalisieren, etwa bei Leukämie oder Hirntumoren. Der Senat gab dafür grünes Licht (vgl. RP-online, 13. 12. 2013). Das Vorhaben rief scharfe Proteste hervor: Euthanasie für Lebensmüde, aber nicht kranke Personen, für Neugeborene - und nun auch für Kinder?
„Wer meint, ein Verbot der Euthanasie schränke die Autonomie des Individuums ein oder würde gar Ärzte zu einer Lebensverlängerung um jeden Preis zwingen, operiert mit einem wirklichkeitsfremden Autonomiebegriff bei Schwerkranken. Hier geschieht eine Umdefinierung des ärztlichen Auftrags, gegen die wir uns entschieden wehren“, so Bonelli. Aus standesethischer Sicht ist für den Mediziner klar: Die ärztliche Unterstützung einer Selbsttötung ist nicht nur eine individuelle Angelegenheit, sondern trifft die gesamte Ärzteschaft. „Niemals kann es Aufgabe des Arztes sein, den Tod als professionelle Dienstleistung anzubieten“, betont der Internist. Aus dem Recht auf Selbstbestimmung könne kein Recht auf Selbsttötung abgeleitet werden und schon gar nicht das Recht bzw. die Pflicht des Arztes zur Tötung seiner Patienten.
Die Identität des eigenen Berufsethos lassen sich die Ärzte sicher nicht von außen aufoktroyieren. „Es wäre zu fragen, wie eine andere Berufsgruppe (z. B. die Polizei oder das Militär) reagieren würde, wenn man von ihnen verlangen würde, Selbstmordwillige zu exekutieren.“ Studien zeigen außerdem, dass das Hauptmotiv für den Todeswunsch nicht körperlicher Schmerz ist, sondern ein psychisches Problem wie Depression, Hoffnungslosigkeit und Angst. Die Antwort auf Depressionen und Hoffnungslosigkeit könne aber nicht Tötung sein, sondern medizinische Hilfe, Beratung und Beistand.
Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle, ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten - ist das die Zukunft des Sterbens? „Offenbar fühlen sich Mediziner zunehmend selbst als Herren über Leben und Tod ihrer Patienten“, warnt der Internist. Laut einer Regierungsstudie leisten niederländische Ärzte in 25% der Fälle aktive Euthanasie bei Patienten, die gar nicht darum gebeten hatten. Sie hätten eine „zu geringe Lebensqualität“ oder „unerträgliches Leiden“, so die Begründung. „Hier bahnt sich eine Herrschaft von Menschen über Menschen an, die letztlich das Vertrauen zwischen Arzt und Patient, zwischen Eltern und Kindern zerrüttet“, kritisiert der IMABE-Direktor.
Bonelli plädiert außerdem für eine „Entwirrung der Begriffe“: Es gebe Handlungen mit Tötungsabsicht - also Sterbehilfe im Sinne der Euthanasie - durch Verabreichung eines Medikaments oder durch Unterlassung gebotener therapeutischer Maßnahmen. Diese seien ethisch niemals rechtfertigbar, weil sie direkt auf den Tod des Patienten abzielen. Davon zu unterscheiden seien medizinisch-therapeutische Handlungen, die in erster Absicht dem Patienten das Leben erleichtern, etwa durch eine Schmerztherapie. Dass dabei negative Effekte auftreten können - etwa Sepsis unter Chemotherapie oder die Reduktion der Lebensdauer aufgrund schädigender Nebenwirkungen bei hoch dosierten Schmerzmitteln usw.) ist ein allgemein ethisch anerkanntes Prinzip. „Die Aufgabe des Arztes ist nicht Sterbehilfe im Sinne von Tötung, sondern Lebenshilfe im Sinne von Schmerzlinderung und Beistand“, betont der Arzt.
Bonelli sieht eine klaren Auftrag: „Was wir brauchen, ist eine neue Kultur des Sterbens und der Leidensbewältigung. Diese Kultur kann nicht darin bestehen, den Tod als professionelle Dienstleistung einzufordern. Hier schlägt die Sterbekultur in eine Kultur des Todes um. Diese ist freilich gegen den Menschen selbst gerichtet, denn wenn das absolute Tötungsverbot aufgehoben wird, dann wird gleichzeitig auch die bedingungslose soziale Verpflichtung gegenseitiger Fürsorge gerade für die Schwächsten unserer Gesellschaft aufgehoben.“