Es ist wichtig, Vertreter der Pflege und Institutionen zu hören, ihnen Rechtssicherheit zu geben und sie zugleich zu kreativen Lösungen zu ermutigen. Das betont die Wiener Ethikerin Susanne Kummer. Menschen in Gesundheitsberufen waren angesichts der belastenden COVID-19 Maßnahmen vielfältig moralischem Stress ausgesetzt. Betroffene sollten deshalb selbst in zukünftige Pandemie-Konzepte im Gesundheitsbereich miteinbezogen werden. „Gesetze könnten immer nur einen Rahmen bieten, innerhalb dessen es Spielräume gibt, um nicht bloß technisch, sondern human zu handeln.“ Ältere Menschen dürften nicht bloß darauf reduziert werden, ein schützenswerter Risikofall zu sein. Sie bräuchten gerade in Ausnahmesituationen „Sauerstoff für die Seele in Form von menschlicher Nähe“, so Kummer.
Lebensqualität, Schutz vor Ansteckung und Menschenrechte müssen in zukünftigen Verordnungen klug gegeneinander abgewogen werden, aus den Erfahrungen sollte man lernen. „Wir wissen heute, dass soziale Isolation das Sterblichkeitsrisiko deutlich erhöhen kann. Menschen leiden mehr unter körperlichen Einschränkungen und physischen Schmerzen, wenn sie einsam und alleine sind“, betont Kummer. Einsamkeit bedeutet den Verlust von sinnstiftenden Beziehungen und sozialer Teilhabe. Der Lockdown hat Menschen diesen Verzicht von außen auferlegt, sodass es auch zu einem Verlust von Selbstbestimmung gekommen ist“.
Der Lockdown habe gerade in jener Gruppe, die geschützt werden sollte, viel Leid verursacht. Für die Zukunft sollten „realistische Konzepte“ ausgearbeitet werden, nach denen sich Pflegeheime orientieren können, um erforderliche Einschränkungen „so gering wie möglich zu halten“. Das betont die Leiterin der Pflegeanwaltschaft Niederösterreich, Lisa Haderer (vgl. Standard, online, 29.7.2020). „Menschen brauchen Menschen, besonders am Ende eines Lebens.“
In der Corona-Pandemie wurden ältere Menschen – wenn auch zu ihrem Schutz – isoliert und in ihrer Freiheit beschränkt. Statt dass andere „rigoros über sie bestimmen“, sollte man „den Menschen auch die Eigenverantwortung wieder zurückzugeben“, fordert Haderer. Für infizierte Personen brauche es eigene Stationen mit qualifizierter Betreuung, um eine weitere Ausbreitung des Virus im Pflegeheim zu verhindern.
Darüber hinaus sollten sowhol Pflegeheimbewohner als auch Angehörige selbst über Besuche entscheiden dürfen. Denn: Soziale Kontakte in Pflegeheimen seien extrem wichtig, da die Familie oder der Besuch von Freunden oft das Einzige sei, was älteren Menschen „noch Freude im Leben“ bereite. Sterben könne man in Pflegeheimen auch nicht durch Isolation generell verhindern. Es gehe um die „Lebensqualität der Bewohner und Bewohnerinnen in der letzten Lebensphase“, so die Patientenanwältin.
Die Akademie für Ethik in der Medizin hat ein hilfreiches Diskussionspapier mit pflegeethischen Reflexionen zu den Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 vorgelegt (vgl. COVID-19: Handlungsempfehlungen, Stellungnahmen und Positionspapiere aus Medizin, Pflege und Ethik). Darin enthalten sind auch Vorschläge, ein „menschenwürdiges Leben unter den Bedingungen der Pflegebedürftigkeit in Pandemiezeiten“ zu ermöglichen - auf der Ebene der direkten pflegerischen Versorgung bis hin zur institutionellen und gesellschaftspolitischen Ebene.