Die ethische Argumentation zugunsten von Euthanasie und assistiertem Suizid lebt von verdeckten anthropologischen Prämissen, die weder der realen Situation schwerkranker und sterbender Patienten gerecht werden noch dem Menschen überhaupt. Die Überhöhung der Autonomie übersieht nämlich die existentiell soziale Dimension des Menschen: seine fundamentale Angewiesenheit auf andere, sein Eingebunden-Sein in Gemeinschaft.
Umso wichtiger scheint es, dass sich angesichts des Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) in Österreich Ärzte, Pflegende und Mitarbeiter in Langzeit-, Hospiz- und Palliativeinrichtungen die Frage stellen, wie sie mit Todeswünschen von Patienten umgehen sollen. Wie werden Sterbewünsche überhaupt wahrgenommen? Was bedeuten sie? Wie soll man darauf reagieren?
Sterbewünsche am Lebensende sind komplex. Gesetze, die den assistierten Suizid und Tötung auf Verlangen regeln, machen sie noch komplexer. Dieser Komplexität widmet sich die kommende Ausgabe von Imago Hominis mit dem Schwerpunkt "Assistierter Suizid" (2/2022).
Ist die Einbindung in eine Aufklärungstätigkeit im Rahmen des StVfG für Ärzte moralisch vertretbar? Oder beinhaltet sie eine Komplizenschaft bzw. Mitwirkung des aufklärenden Arztes am Suizid des Betroffenen? Der katholische Moraltheologe Franz Josef Bormann (Universität Tübingen) nähert sich dem österreichischen Gesetz aus moraltheologischer Perspektive. Er rückt dabei die Rolle der beteiligten Ärzte auf Grundlage der traditionellen Mitwirkungslehre (cooperatio ad malum) in den Fokus. Bormann kommt zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme an der ‚Aufklärung‘ unter den konkreten rechtlichen Umständen für Ärzte moralisch kaum rechtfertigbar ist. Ihre Tätigkeit führt vorhersehbar zur Ermöglichung assistierter Suizidhandlungen. Ihre Tätigkeit ist damit Teil der prozeduralen Anforderungen an einer legalen Suizidassistenz und weist einen unmittelbaren Bezug zur nicht nur nach christlichem Verständnis moralisch unzulässigen Suizidhandlung auf.
Wie kann ein offenes, sorgendes Gespräch geführt werden mit Menschen, die Suizidgedanken oder -wünsche äußern? Die Schweizer Onkologin Karin Nestor (Palliativmedizin Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, St. Gallen) greift in ihrem Beitrag auf den Wiener Psychiater und Pionier in der Suizidforschung, Erwin Ringel (1921 – 1994), zurück. Sie analysiert die Herausforderungen, vor denen Gesundheitsberufe angesichts der Suizidalität ihrer Patienten stehen.
Der Schweizer Psychiater und Psychotherapeut Raimund Klesse (Chur) analysiert anhand der Entwicklungen in der Schweiz, wie begleitete (Selbst-)Tötungen eine effektive Suizidprävention verhindern und in der Schweiz die Zahl der Suizide massiv erhöht hat. Suizidbeihilfe kann zu gravierenden psychischen Folgeerscheinungen bei allen Beteiligten führen und sollte daher aus den Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens ferngehalten werden.
Der Versuch des österreichischen Gesetzgebers, die Legalisierung nur auf solche Fälle einzuschränken, in denen der Suizident an einer schweren und unheilbaren Krankheit leidet, wird voraussichtlich keinen Bestand haben, erläutert der Jurist Jacob Cornides (Brüssel). Der Rechtswissenschaftler Michael Memmer (Universität Wien) widmet sich der Entwicklung der Strafbarkeit des Selbstmords und des assistierten Suizids in Österreich aus rechtshistorischer Sicht.
Unter dem Titel „Beihilfe zum Suizid: Können wir die Last tragen?“ stellt der Philosoph und Theologe Clemens Sedmak (Center for Social Concerns, University of Notre Dame/Indiana, USA) vier Fragen zum Urteil des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes. Als Philosoph – und als Betroffener.
Die IMAGO HOMINIS-Ausgabe Assistierter Suizid 02/2022 kann hier bestellt werden.