Noch vor Jahresende wird auch in Europa der Impfstoff von Biontech/Pfizer eingesetzt werden, darunter auch in Österreich. Die Entwicklung des Impfstoffs erfolgte in Rekordzeit. Niemals zuvor hätten so viele Konkurrenten so offen und regelmäßig zusammengearbeitet, ebenso einzigartig sei die gemeinsame Anstrengung von Regierungen, Industrie, Wissenschaft und Non-Profit-Organisationen, schreibt das US-Magazin Science. Sie hat die Entwicklung der COVID-19 Impfstoffe zum wichtigsten Forschungsdurchbruch des Jahres – Breakthrough of the Year 2020 – gekürt (vgl. Science, 17.12.2020).
Wie Science-Chefredakteur H. Holden Thorp schreibt, sei erst in den letzten Wochen vor Redaktionsschluss klargeworden, dass sich die Hoffnung auf wirksame Impfstoffe erfüllen würde: „Die Errungenschaft der Covid-19-Impfstoffe ist ein Zeugnis der Arbeit vieler engagierter Wissenschaftler heute und in der Vergangenheit.“ Zugleich wirft die COVID-19-Krise aber auch ein Licht auf ein spannungsreiches Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik (vgl. ORF-Science, 17.12.2020). Science-Autor Kai Kupferschmidt spricht deshalb davon, dass nach Vertrauensverlusten die Bande zwischen Wissenschaft und Gesellschaft neu gestärkt werden müssten (vgl. Science 18 Dec 2020: Vol. 370, Issue 6523, pp. 1395-1397 DOI: 10.1126/science.370.6523.1395). Das neue mRNA-Verfahren bringt vermutlich einen der wichtigsten, größten und zukunftsträchtigsten Medizinfortschritte der Gegenwart, schreibt Joachim Müller Jung in der FAZ (2.12.2020). Wenn jedoch das Vertrauen der Menschen fehlt, erreicht man mit der besten Technik nichts.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat am 15.12.2020 erklärt, noch am 21. Dezember eine Zulassung zu ermöglichen. Der um acht Tage vorgezogene Termin kam nicht zuletzt aufgrund hohen politischen Drucks zustande – was von Beobachtern im Vorfeld allerdings nicht nur positiv bewertet wurde (vgl. Wirtschaftswoche, 14.12.2020). So fürchtet der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, dass so „die Impfskepsis der Bevölkerung“ eher zunehme. „Ich glaube nicht, dass wir der Öffentlichkeit einen Gefallen tun, wenn wir jetzt zu sehr aufs Gaspedal drücken, wir wollen ja am Ende ein großes Vertrauen in diesen Impfstoff haben“, sagt Ludwig, der selbst dem Management-Board der EMA angehört (vgl. Deutschlandfunk, 15.12.2020). Eine Impfung sei zwar ein wichtiger Schritt, doch noch nicht das Ende der Pandemie, betont der Pharmakologe. Über eine Impfpflicht zu diskutieren, hält er derzeitiger für verfrüht (ORF-Debatte Im Zentrum, 29.11.2020). Das Maskentragen werde für große Teile der Bevölkerung jedenfalls noch weit bis ins Jahr 2021 erhalten bleiben, meint Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité (vgl. Merkur, 15.12.2020), da man nicht von einer raschen Herdenimmunität ausgehen kann. Im Vergleich zu etwaigen Lockdowns ist diese Maßnahme aber die harmlosere - für Gesellschaft und Wirtschaft. Laut WHO ist eine Durchimpfungsrate von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung für eine wirkungsvolle Bekämpfung der Corona-Pandemie nötig.
In Großbritannien und in den USA handelte es sich bisher um sog. Notfallzulassungen. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Christdemokraten im Europäischen Parlament, sieht dieses Verfahren kritisch: „Bei einer Impfung geht es ja darum, gesunden Patienten einen Impfstoff zu verabreichen. Dafür ist die Notfallzulassung eigentlich nicht gedacht. Die Notfallzulassung ist für die Fälle gedacht, wo man einen lebensbedrohlich erkrankten Patienten hat, dem man nur mit einem Medikament helfen kann, das eben noch nicht zugelassen ist.“ Im Fall einer Notfallzulassung sind Pharmakonzerne von Haftungen befreit. In Europa gehe man mit dem Verfahren einer „bedingten Zulassung“ bewusst einen anderen Weg, erläutert Liese (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 7.12.2020).
„Eine bedingte Zulassung erfüllt die Anforderungen einer ordentlichen Zulassung. Das bedeutet, dass der Hersteller für Schäden haftet und dass Daten genau geprüft werden.“ Zugleich haben die Pharmakonzerne aber ausverhandelt, dass sich die EU bei möglichen Schadenersatzprozessen, etwa aufgrund von Nebenwirkungen, sich an den Zahlungen beteiligt (vgl. Handelsblatt, 11.11.2020). Wie bei jeder Zulassung gäbe es mögliche Einschränkungen „zum Beispiel für Kinder oder bestimmte Risikogruppen“ sowie die Auflage, zusätzliche Daten zu liefern. Außerdem würde eine bedingte Zulassung auch vorerst nur für ein Jahr gelten.
In Österreich wird demnächst eine Lieferung von 10.000 Impfdosen der Firma Biontech/Pfizer und im Jänner 2021 eine weitere von rund 230.000 Dosen erwartet. Die Impfungen sollen in Österreich am 27. Dezember starten. Die Hersteller sprechen von einer Wirksamkeit des Impfstoffs von bis zu 95% (vgl. Bioethik aktuell, 19.12.2020). Diese bezieht sich auf die Senkung der Wahrscheinlichkeit einer Infektion oder eines schweren Verlaufs. Wie umfassend und langanhaltend der Impfschutz ist, wird sich erst in den kommenden Monaten und Jahren herausstellen.