Die Debatte über Rechte oder Einschränkungen für Bürger je nach ihrem Impfstatus nimmt Fahrt auf. Besonders heikel ist das Thema in der Krankenversorgung: Soll der Covid-Impfstatus verwendet werden, um Triage-Entscheidungen zu treffen? Werden Ungeimpfte dann gegenüber Geimpften bei knapper werdenden Intensivkapazitäten nachgereiht? Diskutiert wird dies zurzeit nicht nur in den USA, sondern auch in der Schweiz und Deutschland.
Ob jemand gegen Covid-19 geimpft ist oder nicht, darf nicht den Ausschlag geben über den Zugang zur Intensivbehandlung. Zu diesem Schluss kommt ein Autorenteam von Medizinethiker und Public-Health-Experten aus den USA in ihrem Beitrag für den Hasting Report-Blog (31.8.2021).
Angesichts der steigenden Zahlen in den USA und in vielen anderen Ländern sei es „verlockend, Personen die Schuld zu geben, die es vorziehen, sich trotz Zugangs zu Impfstoffen nicht impfen zu lassen.“ Die Verwendung des Impfstatus als Triage-Überlegung erster Ordnung sei jedoch derzeit klinisch nicht gerechtfertigt, da nicht davon auszugehen ist, dass geimpfte Patienten bei einer maschinellen Beatmung einen Überlebensvorteil haben, zumindest bis weitere Informationen vorliegen, resümieren die Autoren.
Der Impfstatus sei nur einer von mehreren Faktoren, die dazu beitragen können, das Überleben des Patienten vorherzusagen und kein pauschaler Ausschlussfaktor für den Erhalt von Ressourcen für die Intensivbehandlung. Außerdem sei es schwierig im Notfall, wo in sehr kurzer Zeit entschieden werden muss, festzustellen, aus welchen Gründen ein Patient keine Impfung erhalten hat. Nicht jeder Ungeimpfte sei ein „Impfverweiger.“ Eine schwerkranke Person etwa, die aus Angst vor einer Impfung nicht geimpft wurde, hat möglicherweise andere Maßnahmen ergriffen, um ihr Covid-Risiko zu verringern. Umgekehrt müsste man bei Geimpften ein etwaiges risikoreiche Verhalten als Parameter hinsichtlich einer Triage fairerweise auch hinzuziehen. Wie soll man etwa entscheiden zwischen einem Patienten, der Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit nicht eingehalten hat oder möglicherweise sogar risikoreichere Verhaltensweisen - wie eine nicht unbedingt notwendige Reise an einen Ort mit hoher Inzidenz unternommen hat - und einer schwerkranken, geimpften Person?“ fragen die Autoren.
In Deutschland trat der Ökonom Armin Falk, Mitglied der Leopoldina, vehement dafür ein, den Impfstatus zu berücksichtigen. In einem Interview sagte Falk, wenn „wir dann vor der Wahl stehen, ob ein Geimpfter oder ein Nicht-Geimpfter die Behandlung bekommt, dann würde ich sagen, dass der Impfstatus mit in die Abwägung einfließen sollte“. (vgl. FAZ, online 29.7.2021) Gegenüber Menschen, die noch zögerlich hinsichtlich der Impfung sind – wie etwa der bayerische Vize-Ministerpräsident Hubert Aigwanger –, wird Falk ungehalten: „Klappe halten, impfen lassen“, empfahl der Wissenschaftler dem Politiker öffentlich. Aigwanger hingegen verteidigte seine Haltung mit dem Recht auf freie Entscheidung. Er lehne eine Covid-19-Impfung nicht grundsätzlich ab, wolle aber noch zuwarten und spricht von einer „Jagd auf Ungeimpfte“.
Falks Äußerungen haben in Deutschland zahlreiche Reaktionen hervorgerufen. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, distanzierte sich scharf von dessen Aussagen. Zwar lägen die Vorteile der Impfung ohne Zweifel auf der Hand. „Doch Skeptiker als Polemiker und Dumme zu bezeichnen, ist sprachlich übergriffig.“ Als „ethisch verunglückt“ bezeichnete Brysch auch Gedankenspiele, nicht geimpfte Menschen bei der medizinischen Behandlung zu benachteiligen. „Das ist Diskriminierung der übelsten Art. Die Strategie einer Impfkampagne darf nicht spalten, sondern muss aufklären.“ (vgl. Berliner Zeitung, 29.7.2021)
In der Schweiz hat sich die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli ebenfalls scharf in Richtung Nicht-Geimpfter geäußert. „Wer Impfgegner ist, der müsste eigentlich eine Patientenverfügung ausfüllen, worin er bestätigt, dass er im Fall einer Covid-Erkrankung keine Spital- und Intensivbehandlung will. Das wäre echte Eigenverantwortung“, so Rickli gegenüber dem Tagesanzeiger (31.8.2021). Ungeimpfte würden das Gesundheitswesen belasten.
Die Schweizer Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle erhob Einspruch. „Es wäre ein hoch problematischer Paradigmenwechsel, eine Krankheit plötzlich als Schuld zu qualifizieren“, betont die Ethikerin (vgl. Blick, online 4.9.2021). Würden Menschen einzig aufgrund einer Impfung als mehr oder weniger lebenswert taxiert, widerspräche dies der humanitären Tradition der Schweiz. „Solche Drohungen könnten auch Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben haben“, gab Baumann-Hölzle zu bedenken.