Vier Antragsteller – unter ihnen eine MS-Patientin und ein im „Sterbehilfe“-Bereich tätiger Arzt – sehen zudem die aktuelle Gesetzeslage als „zu eng gefasst“, weshalb sich die Höchstrichter mit einem ganzen Katalog von Liberalisierungs-Forderungen befassen müssen (ÖGHL-Pressemitteilung, 26.6.2023). Zuletzt hatte die ÖGHL 2019 das Verbot der „Mitwirkung am Selbstmord“ (§78) und der Tötung auf Verlangen (§79) mit Unterstützung des Schweizer Vereins Dignitas vor den VfGH gebracht. In ihrem Urteil gab der VfGH im Dezember 2020 den Anträgen statt (Bioethik aktuell, 17.12.2020): Das Recht auf Selbstbestimmung schließe auch ein Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung mit ein, so die Höchstrichter. Den ÖGHL-Antrag zur Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen lehnte der VfGH hingegen aus formalen Gründen ab.
Sterbeverfügungsgesetz als Ausgleich zwischen „Selbstbestimmung“ und „Schutz“
In Österreich trat in Folge im Jänner 2022 das „Sterbeverfügungsgesetzes“ (StVfG) in Kraft (Bioethik aktuell, 17.12.2021). Darin sollte ein Ausgleich gefunden werden zwischen der vom VfGH eingeforderten Achtung der „Autonomie“ und dem ebenfalls geforderten „Schutz“ – vor Missbrauch, von vulnerablen Gruppen und vor der Gefahr einer schleichenden gesellschaftlichen Veränderung mit Blick auf Kranke und ältere Menschen. In etlichen Ländern wird die Tötung oder Selbsttötung von Patienten bereits als „normal“ angesehen, wie dies Studien in der Schweiz (Bioethik aktuell, 7.6.2023) oder den Benelux-Staaten (Bioethik aktuell, 12.2.2021) nahelegen.
Die Rede von „aktiver Sterbehilfe als Lebensverlängerung“ ist irreführend
Tötung auf Verlangen würde „Leben retten“ und „Leben verlängern“, so lautet ein immer wieder vorgebrachtes Argument der ‚Sterbehilfe‘-Befürworter (Bioethik aktuell, 8.3. 2022). Auch die ÖHGL argumentiert damit, dass Patienten derzeit jetzt „gezwungen“ wären, ihren Suizid „früher“ – nämlich solange sie das tödliche Mittel noch selbst einnehmen können – zu vollziehen, so Anwalt Wolfram Proksch. Die „Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe“ sei „lebensverlängernd“, da beispielsweise MS-Patienten die Option hätten, dass ihr Leben erst zu einem späteren Zeitpunkt beendet wird – damit würde „Leben verlängert“ (Standard, online 26.6.2023).
Für die Wiener Ethikerin Susanne Kummer geht das Argument der ‚Lebensverlängerung‘ im Kontext von ‚Sterbehilfe‘ von falschen Prämissen aus: „Bleiben wir präzise: Aktive Sterbehilfe verlängert nicht das Leben, sondern verschiebt willkürlich Tötungszeitpunkte“, so Kummer. Damit würden ‚Sterbehilfe‘-Vertreter tatsächlich einen „wunden Punkt“ ansprechen: Studien zeigen, dass die Diskussion darüber, wann nun der beste ‚Sterbetag‘ sei – der auch immer wieder verschobenen werden kann – zum alles dominierenden Thema wird und damit auch zu einer großen Belastung für Patienten, Ärzte und auch Angehörige. Anstelle von Gesprächen über Leidensminderung und Hilfe bei Suizidgedanken, engt sich der Radius der Gespräche auf den Tötungszeitpunkt ein“, so IMABE-Direktorin Kummer.
Gewissensfreiheit der Ärzte geht ‚Sterbehilfe‘-Befürwortern „zu weit“
Dass Kranken- und Pflegeanstalten ihre Patienten weder über die Möglichkeiten von Beilhilfe zum Suizid aufklären, noch Hilfestellung dabei leisten müssen, ist den Antragstellern ebenfalls ein Dorn im Auge. Ärzte würden diese Hilfe und auch die Aufklärung und Begutachtung „sogar aus Gewissensgründen ablehnen“, sagt ÖGHL-Anwalt Wolfram Proksch. Das gehe ihm „zu weit“. Wenn der Staat in Spitälern schon keine Angebote für einen professionell durchgeführten assistierten Suizid macht, dann solle dies wie in der Schweiz zumindest für private ‚Sterbehilfe-Vereine‘ erlaubt sein.
Palliativgesellschaft: Es gibt kein Recht auf einen assistierten Suizid
„Ärzte und Pflegenden sehen sich dem Leben ihrer Patienten verpflichtet, ihre Nöte und Leiden professionell und kompetent zu lindern, auch wenn es anstrengend sein kann und Geld kostet. Töten zählt nicht zu ihrem Ethos und auch nicht zu ihren Dienstleistungen“, betont Ethikerin Kummer. Autonomie könne nicht einseitig geschützt werden. Freiheitsrechte haben auch jene, die im Gesundheitsbereich tätig sind. Entsprechend erklärt das österreichische Gesetz ausdrücklich, dass keine Personen – weder natürliche noch juristische – dazu gezwungen werden dürfen, Selbsttötungen zu unterstützen oder dabei in irgendeiner Form mitzuwirken.
„Es gibt kein Recht auf einen assistierten Suizid“, betonte der Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, Dietmar Weixler, kürzlich im IMABE-Interview (Bioethik aktuell, 15.2.2023). Dies haben auch die Straßburger Richter bekräftigt. Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention könne kein Recht auf Beihilfe zum Suizid abgeleitet werden, auch nicht in Form von konkreten Informationen oder Unterstützung beim Suizid (Bioethik aktuell 12.4.2022).
Anstatt jenen im Gesundheitsbereich Tätigen ihre Wertehaltungen vorzuwerfen, ist es geradezu ein Gütesiegel des medizinischen Ethos, dass sie dem Leben gegenüber nicht wertneutral sind. Wie rasch durch ein ‚Sterbehilfe‘-Gesetz dies ins Gegenteil verkehrt wird, zeigt die Entwicklung in Kanada: Dort organisiert das Gesundheitsministerium bereits ein eigenes Curriculum für Ärzte, damit sie das Euthanasie-Programm Medical Assistance in Dying (MAID) qualitätsgesichert durchführen (Bioethik aktuell, 11.2.2023).
Weiterer Verfahrensablauf
Der Verfassungsgerichtshof muss nun prüfen, ob der Antrag grundsätzlich zulässig ist. Ob und wann ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet wird, ist noch offen. Die ÖGHL stellt sich auf ein längeres Verfahren ein.