Als oberstes Prinzip der Menschenwürde gilt heutzutage die Autonomie; Menschenwürde wird geradezu an Autonomie gekoppelt. Die Medizinethik ist dabei zu einer ausschließlichen Autonomieethik geschrumpft, was Verkürzung und Einengung bedeutet. Darin wird nämlich der zutiefst soziale Charakter der menschlichen Natur übersehen, seine Angewiesenheit und Relationalität. Mit Blick auf Krankheit ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung.
In existentieller Not wie einer schweren Krankheit sind Patienten besonders vulnerabel. Hinzu kommt, dass das Verhältnis von Arzt und Patient immer asymmetrisch ist. Darüber hinaus wird das Wohl des Patienten von seiner Familie und seinen Freunden aus einem anderen Blickwinkel gesehen als dies der Patient selbst wahrnimmt. Ein überzogenes Selbstbestimmungsrecht, das diese Aspekte außer Acht lässt, kann beim Patienten erheblichen Schaden anrichten: Zum einen wird es ihn überfordern, zum anderen zu einer Willkür-Autonomie führen, z. B. wenn der Patient eine offensichtlich hilfreiche Therapie aus irrationalen Gründen ablehnt oder eine sinnlose Therapie einfordert. Hier einen Ausweg zu finden, stellt nicht nur eine juristische, sondern vor allem auch eine große Herausforderung für das Vertrauensverhältnis von Arzt, Patient und dessen Angehörigen dar. Die optimale Entscheidung zum Wohl des Patienten kann nur in einem dialogischen Prozess gemeinsam mit ihm ergründet werden: Es ist nötig, als Arzt Gespräche so zu „führen“, dass Informationen, aber auch Emotionen, Hoffnungen und Nöte thematisiert werden, so dass es zu einer guten Entscheidung kommt.
Die aktuelle Ausgabe von IMAGO HOMINIS widmet sich dem Spannungsfeld von Autonomie und Beziehung im medizinischen und bioethischen Kontext.
Der Philosoph Thomas Hoffmann (Fernuniversität Hagen) differenziert in seinem Beitrag die Begriffe Autonomie, Selbstbestimmung und Willkürentscheidungen und zeigt den Autonomiebegriff und die damit verbundenen neuzeitlichen Missverständnisse aus philosophischer Perspektive. Der Medizinhistoriker und Ethiker Axel W. Bauer (Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg) erläutert tragende Elemente des Autonomiebegriffs im bioethischen Diskurs der 1990er Jahre und stellt sie in ihren zeithistorischen Kontext. Der Medizinethiker Franz Josef Illhardt (Universität Freiburg) geht in seinem Beitrag den Einschränkungen der Patientenautonomie und Zurechnungsfähigkeit nach, ausgehend von einem Fall der sog. Ethik-Beratung. Er hinterfragt die Autonomie als Basis für den „informed consent“ und die Rhetorik der Autonomie. Pflegewissenschaftler Stefan Hauser (Evangelische Hochschule Darmstadt) geht der Frage nach, was es heißt, unter den Bedingungen einer „asymmetrischen Kommunikation in der Pflege“ die Selbstbestimmung des Patienten zu achten. Die Juristinnen Maria Kletecka-Pulker und Katharina Leitner (Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien) berichten über eine Studie, die sich mit den Ursachen der geringen Inanspruchnahme von Patientenverfügungen (4,1 Prozent) und Vorsorgevollmachten(2 Prozent) in der Bevölkerung beschäftigt.