Neue Richtlinien für Good Medical Communication Practice
Dem Einfluss der Informationstechnologie kann sich heute niemand entziehen – ob privat oder im beruflichen Umfeld. Das trifft auch auf Ärzte und Patienten zu. Information und Werbung sind im Zuge dieser Entwicklung immer enger verschränkt, denn Information soll auch das Interesse an Personen, Gesinnungen und Produkten wecken.
Dieser Werbeprozess ist längst nicht mehr auf das Modell des marktschreierischen Anpreisens beschränkt (wie noch vor zwei Generationen), sondern ist interaktiv geworden, und dies dank Internet und damit dem Wegfall örtlicher und zeitlicher Begrenzungen. Für den Anbieter ist durch zahllose Links die Möglichkeit der Zusatz- und Detailinformation gegeben, während der Konsument den Vergleich zwischen verschiedenen Angeboten mitunter übersichtlich einsehen kann.
Was Wunder, dass auch Ärzte den Zugang zur Selbstbewerbung suchten, der ihnen hierzulande als „nicht standeswürdig“ lange verwehrt war. Man hat die Portale zu Arztpraxen auf dem indischen Subkontinent belächelt und fotografiert, wenn dort bis zu 20 oder mehr „Diplomas“ und „Degrees“ aus aller Welt die Fähigkeiten des Inhabers gegenüber den Konkurrenten herausstreichen sollten – und insgeheim bedauert, nicht auch in der Heimat sein Licht auf einen öffentlichen Leuchter stellen zu dürfen (Ärztegesetz 1976 § 9/1, Werbeverbot).
Diese Regelung wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr aufgeweicht: Ärzte wandelten ihre Ordinationen in Institute oder gar „Kliniken“ um, stellten sich selbst als Primarius an und betrieben Werbung im Sinne der „Firma“. Das Stichwort „Werbeverbot“ kommt im Österreichischen Ärztegesetz 1998 nicht mehr vor, an seine Stelle (§ 53/1) trat das Verbot der „unsachlichen, unwahren, das Standesansehen beeinträchtigenden Information“ (vgl. Artikel 1 von „Arzt und Öffentlichkeit“, Richtlinie beschlossen von der Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer am 12.12.2003).
Unsere deutschen Nachbarn gehen nun einen neuen Weg. Die gravierenden Veränderungen des ärztlichen Berufsbildes sind im Oktober 2010 zum Anlass für eine Stellungnahme der „Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin“ (Zentrale Ethikkommission, ZEKO) der deutschen Bundesärztekammer geworden.1 Im Folgenden wird diese Stellungnahme erläutert und mit eigenen Feststellungen ergänzt.
Der in der Deklaration von Helsinki 1964 festgeschriebenen „Good Medical Practice“ ist nun eine „Good Medical Communication Practice“ zur Seite zu stellen. Zu den rein ökonomischen Aspekten der Führung einer Arztpraxis wird festgestellt, dass durch die mageren Verträge mit gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV, ähnlich wie hierzulande) ein Trend zur individuellen Gesundheitsleistung zu beobachten ist, die nicht von der GKV getragen werden (analog den Leistungen im „kassenfreien Raum“, die von den Patienten selbst bezahlt werden müssen).
Wenn also etwas auf dem Gesundheitssektor nicht „auf Krankenkasse“ geht, sondern auf die eigene Tasche fällt, wird es zur „Ware“, wobei der Preis variabel nach Ort und Anbieter und damit auch verhandelbar ist. Meist handelt es sich dabei um Anti-Ageing, kosmetische Chirurgie, Lifestyle, Wellness bis hin zu Neuroenhancement, wobei der Arzt zum Gesundheitsberater degradiert wird. Andrerseits werden die Ärzte selbst konkurrenzorientierten Bewertungsformen unterworfen, die im Internet abrufbar sind, wie „Die 100 besten Ärzte“ und ähnliches mehr.
Bezüglich ökonomischer Information ist zwischen konkreter, nicht profitorientierter Sachinformation (wie medizinische Leistungen einer Anstalt, Kontakte für Selbsthilfeorganisationen) und jenen Internet-Portalen zu unterscheiden, die von industriellen Sponsoren erstellt werden und offen kommerziell orientiert sind.
Explizite Werbung wurde in Deutschland für die freien Berufe liberalisiert, wenn auch in jenen Grenzen, die im geltenden österreichischen Ärztegesetz (§ 53/1, siehe oben) formuliert sind. Es ist aber zu bedenken, dass Werbung nicht nur auf Bedürfnisse reagiert, sondern diese auch weckt. Wenn also Patienten mit Informationen überschwemmt werden, die das kritische Verständnis des Laien übersteigen bzw. falsche Hoffnungen wecken (Werbung für „wunscherfüllende Medizin“, Enhancement etc.), dann kommt es zur weiteren Entkopplung der Arzt-Patienten-Beziehung, bis hin zur Gesundheitsgefährdung der letzteren.
Aus ethischer Sicht ist festzuhalten, dass das spezifische Verhältnis von Arzt und Patient sich von anderen Dienstleistungs- und Informationsverhältnissen unterscheidet. „Medizinische Informationen und Leistungen sind nicht Dienstleistungen wie alle anderen. Grundsätze wie ‚nihil nocere’ und ‚neminem laedere’ gelten für ärztliche Werbung und Kommunikation nicht weniger als für die eigentliche ärztliche Behandlung“, betonen die Autoren.2
Die neuen Kommunikationstechniken können unbestreitbare Vorteile für Ärzte und Patienten mit sich bringen, wenn sie der vernünftigen Kontrolle nicht verlustig gehen. Diese besteht für den Patienten z. B. im Kontakt mit Leidensgenossen (über Selbsthilfegruppen) und in der Einholung einer „zweiten Meinung“ bezüglich der eigenen Erkrankung; für den Arzt bestehen sie im schnellen Zugang zu einer Vorabinformation bzgl. neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Diagnostik und Therapie. Andrerseits kann schwerlich nachvollzogen werden, wenn diese Möglichkeit zur Selbstinformation der Patienten in den USA gleich als „national goal“ bezeichnet wurde.3 Die Gefahr von zu viel und unselektierter Information ist zweifellos gegeben, inklusive der mangelnden Unterscheidbarkeit von mehr oder weniger seriösen Angeboten, woraus Missverständnisse, Fehlverhalten bis zum Verzicht auf die notwendige Konsultation des Arztes resultieren können.
Doch auch für den Arzt ist es nicht erstrebenswert, sich der an einem Irrtum festhaltenden Patienten zu erwehren (Hypo-, nein: Cyber-chonder).
Für die ethische und rechtliche Bewertung ist festzuhalten, dass Grundsätze wie nil nocere und neminem laedere auch für die ärztliche Werbung gelten müssen. Die persönliche Integrität und das Recht auf Selbstbestimmung sind zentrale ethische Prinzipien. Der Patient, der die Werbung gleich wie alle anderen Formen der Information für seine Gesundheit, Heilung, Vorbeugung etc. nutzen kann, darf nicht enttäuscht werden und muss weit entfernt vom Verdacht gehalten werden, im Arzt einem profitorientierten Vermarkter von Gesundheitsleistungen zu begegnen.
Rechtlich erlaubt und ethisch unbedenklich ist es, wenn ein Arzt mit seinen Zusatzqualifikationen, Profilen und fundierten wissenschaftlichen Erfahrungen wirbt, grundsätzlich auch mit Leistungen im „kassenfreien Raum“ nach exakter Aufklärung des Patienten über die Kosten-/Nutzen-Abwägung. Die Umgehung bzw. Missachtung derartiger Prinzipien ist unerlaubt, sowie auch die Berufung auf „Ärzte-Rankings“, aufdringliche Werbung („… der beste Arzt weit und breit…“), Angebote für stationäre Durchuntersuchung oder Gesundheitscheck in einer Privatklinik, womöglich unter Vermischung von ärztlichen und nichtärztlichen Leistungen und/oder Gewährung von Rabatten bei periodisch wiederholten Maßnahmen (analog Service-Vertrag o. ä.). Besonders heikel ist die Werbung mit Ausnutzung der Schwäche und Unsicherheit der Adressaten, wie Kinder, Jugendliche und psychisch labile Personen. Problematisch ist bekanntlich die Werbung mit kosmetischen Operationen, wenn keine offenkundige körperliche Beeinträchtigung vorliegt und der Verdacht besteht, einem Modetrend oder dergleichen Rechnung tragen zu wollen. Hier besteht die Gefahr, dass eine latente Neurose (Dysmorphophobie) zu einer ganzen Serie von weiteren Eingriffen „ausgenutzt“ werden kann. Dem kann der verantwortungsbewusste Operateur begegnen, indem er präoperativ eine psychiatrische Exploration zur Regel macht.
Zusammenfassend: Die Stellungnahme der ZEKO betont, dass die neuen Techniken größere Spielräume für die qualitätsgesicherte ärztliche Information geschaffen haben, wobei rechtliche Rahmenbedingungen für die säuberliche Trennung gegenüber reinen Werbemaßnahmen sorgen müssen. Erlaubt ist, was der zusätzlichen Information und dem Vertrauen zwischen Arzt und Patient dient; verboten ist, was die Gesundheit und persönlichen Rechte des Patienten gefährdet. Das Arzt-Patienten-Verhältnis setzt nach wie vor und unabdingbar den persönlichen Kontakt voraus, der durch Internet und eMail nicht ersetzbar ist. Im Sinne der „Good Medical Communication Practice“ müssen die neuen Techniken und Medien zu einem bestmöglichen Informationsfluss zwischen Arzt und Patient ausgeformt werden, zum Schutz des letzteren im Hinblick auf seine Würde und Autonomie.
Referenzen
Univ.-Prof. Dr. Friedrich Kummer, IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
fkummer(at)imabe.org