Vogelgrippe
Bis vor wenigen Monaten wusste der Normalbürger noch nichts mit „H5N1“ anzufangen, noch beunruhigte ihn eine drohende Grippepandemie. Das änderte sich schlagartig, als in Ostasien die ersten Menschen tatsächlich an „Vogelgrippe“ starben und die Behörden – von der WHO bis zum Österreichischen Gesundheitsministerium ab Jänner 2005 – mehr oder weniger geheime Notfallpläne entwickelten. Nun war der Medienrummel nicht mehr aufzuhalten. Seit etlichen Wochen dürfen Hühner auch in Österreich nur noch hinter Gittern gehalten werden, Millionen Stück Geflügel wurden geschlachtet. Alles Hysterie? Oder notwendige Vorsorgemaßnahmen? Die ausgebrochene Vogelgrippen-Panik wirft die Frage auf, wie man verantwortungsvoll mit Vielleicht-Katastrophen umgehen soll.
Zu den Fakten und Zahlen: Dass spezielle Stämme von Grippeviren Geflügelpest verursachen können, ist bereits seit dem vorigen Jahrhundert bekannt. Neu hingegen scheint ihre Pathogenität auch für Menschen, die in engstem Kontakt zu erkrankten Vögeln standen. So sind zwischen 1997 und 2005 mehr als 120 Personen an einer Infektion mit dem H5N1-Typ in Thailand, Kambodscha, Vietnam und Indonesien erkrankt. Von ihnen starben 64 Menschen nachweislich an der Infektion. Sie standen alle in direktem, langfristig unhygienischem Kontakt mit erkranktem Geflügel. Soweit die Fakten. Etliche Punkte werden in Wissenschaftskreisen diskutiert. Werden sich die Vogelgrippe-Viren durch Zugvögel auch auf andere Erdteile verbreiten? Schaffen sie es, sich durch Anpassung über Wildkatzen und Schweine der Infektiosität für den Menschen zu nähern? Unklar ist auch, ob sich die Vogelpestviren mit gängigen human pathogenen Grippeviren kreuzen könnten, sodass eine Pandemie mit einem „Supervirus“ von bisher nie da gewesenem Ausmaß auftreten würde. Horrorszenarien sprechen gar von einer Auslöschung von 25 bis 50 Prozent der Weltbevölkerung.
Die Rolle der WHO und nationaler Gesundheitsbehörden
Die WHO und nationale Gesundheitsbehörden reagierten rasch. Seit dem Bekanntwerden der ersten Todesfälle beim Menschen wurde eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, die primär die Eradifizierung lokaler Infektionsherde und die unmittelbare Eindämmung der Ausbreitung zum Ziel hatten. Sie bestanden im Keulen von Hausgeflügel, strikten Ein- bzw. Ausfuhrverboten und flächendeckenden Impfaktionen von Millionen Stück von Geflügel in den betroffenen Regionen und Ländern. Dies führte bei Tierfarmern und Kleinzüchtern zu nachhaltiger wirtschaftlicher Benachteiligung.
Die Anstrengungen zur Herstellung eines für den Menschen wirksamen Vakzins haben hingegen derzeit keine konkrete Aussicht auf Erfolg, zumindest was die nächsten 2 bis 3 Jahre betrifft. Gegen Influenza-A/H5N1-Viren gibt es derzeit nur für Vögel einen wirksamen Impfstoff. Menschen, so die Empfehlung der Gesundheitsorganisationen, sollten die gängige Influenza-A-Impfung in Anspruch nehmen. Ein Ansturm auf die herkömmliche Grippeimpfung setzte ein, auch in Österreich. So musste etwa die November-Grippeimpfaktion der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse für 10 Tage unterbrochen werden. Wegen der Vogelgrippe habe heuer die Nachfrage nach Grippeimpfungen im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent zugenommen, hieß es aus der Presseabteilung. Das habe kurzfristig zu Versorgungsengpässen geführt. Je besser die Durchimpfung einer Population, desto weniger kann eine Epidemie Fuß fassen. So weit zum positiven Nebeneffekt der Vogelgrippe-Ansteckungsangst. In Deutschland stieg die Zahl der Impfwilligen von 18 Millionen (2004) auf 21 Millionen (2005), es sind jedoch in diesem Jahr insgesamt nur 20 Millionen Dosen lieferbar. Merkwürdig ist, dass laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach Anfang Dezember 53% der deutschen Bevölkerung überzeugt war, dass das Risiko, selbst an Vogelgrippe zu erkranken, nicht sonderlich groß sei. Nur 5% beantworteten die Frage: „Fühlen Sie sich persönlich durch die Vogelgrippe gefährdet?“ positiv. Der Unterschied zur BSE-Krise vor vier Jahren ist bemerkenswert: Damals gaben 54% der Befragten an, sich persönlich durch die Rinderseuche BSE gefährdet zu sehen.
Ein Geschäft mit Tamiflu?
Gleichzeitig mit dem Aufruf zur gängigen Grippeimpfung wurde die Versorgung mit dem Neuraminidasehemmer Oseltamivir (Tamiflu®, Roche) in großem Stile angeregt. Die Prophylaxe und Therapie baut auf die Hemmung der Neuraminidase durch das oral verabreichte Tamiflu®. Das führte zu einem ungeahnten Ansturm auf das Medikament. Eine rasche Nachproduktion von Tamiflu erwies sich als illusorisch. Trotz Lockerung der Patentbestimmungen kann sie in ausreichendem Maß nicht vor 2007 erwartet werden. Sogar nach Aufstockung der Roche-eigenen Produktionsstätten und Auslagerung an sieben Zulieferfirmen wird es dennoch notwendig sein, Unterlizenzen zu vergeben. Damit muss sich die Anlaufzeit für die Produktion erheblich verzögern. Mit den derzeit verfügbaren Kontingenten an Tamiflu können nur etwa 20 bis 50 Millionen Menschen versorgt werden, wogegen der globale Bedarf auf einige Milliarden geschätzt wird. Die bis dato verfügbaren Tamiflu-Kontingente wurden vorsorglich von offiziellen Stellen angekauft (Militär, Land- und Stadtverwaltungen). Der Einzelverbraucher hatte kaum eine Chance, an das Präparat heranzukommen. Auch Zwischenhändler versuchen inzwischen am großen Tamiflu-Kuchen mitzunaschen: Privatfirmen tätigten Großeinkäufe des Grippemittels und legen Vorräte an, obwohl es keinerlei Anzeichen für eine Grippewelle oder gar eine Pandemie gebe, mutmaßt die Herstellerfirma Roche. Deshalb kündigte das Unternehmen kürzlich einen zeitweisen Lieferungstopp des Grippemittels Tamiflu an private Händler in den USA an – bis es Anzeichen für eine Grippewelle gebe, so eine Roche-Sprecherin.
Dass die Erzeugerfirma kräftig am Tamiflu-Verkauf verdient, ist keine Frage. Innerhalb der letzten Monate verzeichnete das Basler Unternehmen eine sagenhafte Umsatzsteigerung von über 20 Prozent, von der die Aktionäre profitieren. Interessantes Detail am Rande: Anfang November erklärte sich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen eines Interessenkonflikts als Regierungsmitglied und Großaktionär in allen Entscheidungen zur vorbeugenden Bekämpfung der Vogelgrippe für befangen. Rumsfeld war seit 1997 bis zu seinem Eintritt in die US-Regierung im Jahr 2001 Präsident von Gileads Forschungsabteilung, die wesentlich an der Entwicklung des Vogelgrippe-Medikaments Tamiflu beteiligt war. Das US-Magazin „Fortune“ schätzte Rumsfelds Beteiligung an Gilead Sciences Inc. auf einen Wert von fünf bis 25 Millionen Dollar. Der Wert der Gilead-Aktien kletterte durch den Tamiflu-Verkauf von 35 auf 47 Dollar. Allein das US-Verteidigungsministerium hatte schon im Juli 2005 Tamiflu für 58 Millionen Dollar bestellt. Rumsfeld legte erst im November den zuständigen Behörden seine Millionen-Beteiligung an jener Pharmafirma offen. Laut „Fortune“ erhält Gilead von Roche für den Verkauf von Tamiflu eine Lizenzgebühr von zehn Prozent.
Behörden, Medien und ihre Verantwortung
Die Medien befinden sich im Zuge von Vielleicht-Katastrophen in einer heiklen Situation. Einerseits sind sie zur prompten Berichterstattung angehalten, andererseits sollten sie den sich überstürzenden, manchmal einander widersprechenden Meldungen kritisch und ausgewogen gerecht werden. Im Fall der Vogelgrippen-Angst hat diese Ausgewogenheit gefehlt. Als es zu neuerlichen Infektionsfällen kam (Ural, Türkei, Kroatien) und prompt hektisch und reißerisch verfasste Kommentare dazu erschienen, gab es plötzlich von oberster Stelle Aufrufe zur Kalmierung. Als unbefangener Konsument von Nachrichten wurde man einem Wechselbad unterzogen, was zu Unsicherheit, Misstrauen oder – noch schlechter – Indifferenz gegenüber Medienberichten führen kann. Wichtig ist der informative Einsatz der Medien bezüglich Grippeimpfung und Verhalten beim Umgang mit Vogelkadavern. Verzichtbar hingegen ist die Konstruktion von Horrorszenarien mit Superviren und Dezimierung der Weltbevölkerung.
Einer Umfrage der Zeitschrift ärztemagazin zeigt, dass sich zumindest Ärzte nicht von einer medialen Panikmache anstecken lassen: Alle (100%) schätzen die Gefahr einer Pandemie gering bis sehr gering ein, 20% empfehlen Vorsorgemaßnahmen nur für besorgte Menschen, während 54% keinerlei Prophylaxe für nötig halten.
Sachinformation statt Panikmache
Eine Vogelpest ist wirtschaftlich ein gravierendes Ereignis, für so manche Bevölkerungsgruppierungen (besonders in Asien) sogar eine Katastrophe. Gemessen daran tritt die aktuelle Gefahr für die menschliche Gesundheit in den Hintergrund:
- Die Vogelgrippeviren sind für Vögel und nur in Ausnahmefällen für Menschen pathogen.
- Außerhalb von Ostasien sind nur sporadische Fälle von Tierinfektionen nachgewiesen worden.
- Wo auch immer Vogelpest konstatiert wird, wird durch die bestehenden Sanktionen die Seuche eingegrenzt.
- Die humane Pathogenität wurde bislang nur bei engem, langzeitigem und darüber hinaus unhygienischem Kontakt mit Geflügel beobachtet.
- Ein „Überspringen“ von Vogel- auf humane Pathogenität mit der Formierung eines Supervirus ist wohl nur an das Auftreten beider Epidemien in örtlicher und zeitlicher Kongruenz gebunden.
- Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist bislang nicht möglich.
Mittlerweile haben die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), die WHO und zahlreiche nationale Behörden, auch das Österreichische Gesundheitsministerium, einen Gang zurück eingelegt. Man warnt vor einer „Pandemie-Psychose“. Die Zahl von nur 120 Infektionen innerhalb von 8 Jahren sei gering, wenn man die hohe Bevölkerungsdichte und den unhygienischen Umgang mit Geflügel in den entsprechenden Regionen in Ostasien berücksichtigt. Auch sei aus den derzeit zur Verfügung stehenden Daten nicht auf die regelhafte Übertragung auf den Menschen zu schließen. Eine „übliche“ Grippewelle, wie sie jährlich Europa erreicht, sei viel aktueller und gefährlicher. Bereits im frühen Jahr 2005 hat sie allein in Deutschland etwa 20.000 Menschen das Leben gekostet.
Univ.-Prof. Dr. Friedrich Kummer, Imabe-Institut
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
fkummer(at)imabe.org
Fakten „Vogelgrippe“
Unter Vogelgrippe versteht man die Erkrankung von Geflügel an einem Virus der Gruppe Influenza-A, der sich von humanpathogenen Stämmen durch bestimmte Muster des Hämagglutinins (H) und der Neuraminidase (N) unterscheidet. Der aktuell für Aufregung sorgende Stamm der Vogelgrippe trägt die Bezeichnung H5N1.
Hämagglutinin ermöglicht die Anhaftung der Viren an den Zellen (in diesem Falle jener des unteren Respirationstraktes), die Neuraminidase fördert die Freisetzung der nächsten Virusgeneration aus der betroffenen Zelle.
Der Subtyp H5N1 wurde 1997 erstmals anlässlich einer Vogelpest in Hongkong identifiziert. Später und an anderen Orten wurden differente Erreger der Geflügelpest gefunden (H9N2, H7N7). Schließlich wurde 2004 in Vietnam ein Subtyp identifiziert, der sich lediglich in 10 Aminosäuren von H5N1 unterscheidet.
Die bisher für den Menschen pathogenen Influenza-A-Viren tragen Strukturbezeichnungen wie H1N1 bzw. H3N2. Influenza-B-Viren entsprechen einer „normalen Grippe“. Sie weisen keine Subtypen auf.