Entwicklung und Wirkmechanismen der sog. „Pille danach“

Imago Hominis (2000); 7(4): 254-255
Walter Rella

Geschichtliche Entwicklung

Schon bald nach Einführung der oralen hormonalen Kontrazeption entstand der Wunsch nach einer postcoital anwendbaren hormonalen Möglichkeit der Schwangerschaftsverhinderung, da hiedurch auch ungeplanter und ungeschützter Geschlechtsverkehr folgenlos ermöglicht würde. Primäres Ziel ist in diesem Fall nicht die Unterdrückung der Ovulation und somit Verhinderung der Empfängnis, sondern die Verhinderung der Einnistung eines durch den Geschlechtsakt möglicherweise bereits erschaffenen menschlichen Keimes. Dieser Eingriff wird in der Literatur hormonale Interzeption im Unterschied zur hormonalen Kontrazeption genannt und die zur Rede stehenden Mittel heißen „postcoitale Interzeptiva“, „morning after pill“ oder „Pille danach“.

Die ersten, Ende der 60-er Jahre entwickelten Präparate enthielten ausschließlich eine hohe Dosis von künstlichen oder natürlichen Östrogenen. Sie waren in ihrer Wirkung sehr sicher, mußten aber postcoital 5 Tage lang eingenommen werden und führten regelmäßig zu Übelkeit und Erbrechen, sowie zu Zwischenblutungen oder einer verzögerten Menstruation. Außerdem beobachtete man eine relative Zunahme ektopischer Schwangerschaften. Wegen dieser Unannehmlichkeiten begann man in den 70-er Jahren mit dem Einsatz von Östrogen-Progestagen-Kombinationen. Bewährt hatte sich eine Formel von 1 mg dl-NG und 0,1 mg EE2. Das entspricht etwa der fünffachen Dosis eines heute üblichen Kontrazeptivums. Bei, im Vergleich zu Östrogen allein, gleich guter Wirkung bot ein solches Präparat den Vorteil einer nur zweimaligen Einnahme (12h bis maximal 72h postcoital) mit entsprechend geringeren Nebenwirkungen und einer eher früher einsetzenden Menstruation, was den Frauen die Phase ängstlicher Erwartung verkürzte. In den letzten 10 Jahren ging die Entwicklung der Pille dahin, die Östrogendosis zu reduzieren, da Östrogene am meisten für Nebenwirkungen und Komplikationen der Pille verantwortlich waren. Aus diesem Grund war es bis dahin auch ein Risiko, die „Pille danach“ mehr als einmal (2 Dosen) während eines Zyklus anzuwenden. Entsprechend war man bemüht, ein postcoitales Interzeptivum zu entwickeln, welches ohne Östrogen auskam. Obwohl eine reine Gestagenpille (0,75 mg Levonorgestrel) unter dem Namen Postinor® in Ungarn und Südamerika bereits seit 20 Jahren als Postkoitalpille in Verwendung ist, wurde bei uns erst vor kurzem ein derartiges Präparat mit demselben Inhaltsstoff (0,75mg LNG) unter dem Markennamen Vikela® zugelassen. Es ist postcoital zweimal einzunehmen, und zwar die erste Dosis innerhalb 24h und die zweite Dosis 12-24h danach. Unter dieser Voraussetzung können 95% der zu erwartenden Schwangerschaften verhindert werden. Bei späterer Einnahme bis zu 72h nach natürlichem Verkehr sinkt die Verhinderungsrate bis auf 58%. Obwohl vom Hersteller nicht empfohlen, kann dieses Interzeptivum auch mehrmals im Zyklus angewendet werden, da nur unbedeutende Nebenwirkungen (Zyklusstörungen, Übelkeit) zu erwarten sind.

Wirkungsmechanismus

Im Beipackzettel von Vikela® steht hiezu: „Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt. Bei der verwendeten Dosierung dürfte Levonorgestrel die Ovulation unterbinden und dadurch eine Befruchtung verhindern, wenn der Geschlechtsverkehr kurz vor der Ovulation stattgefunden hat, also zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung am größten ist. Möglicherweise verhindert es auch die Nidation. Es wirkt jedoch nicht, wenn die Einnistung bereits begonnen hat.“ Diese Einschätzung ist nicht ganz korrekt. Man kennt den Wirkmechanismus der postkoitalen Gestagenpille sehr genau.

Die höchste Empfängnisbereitschaft besteht am Tag des LH-Peaks. Wird Vikela® bis 2 Tage vor dem Peak eingenommen, so wird der Eisprung wahrscheinlich verhindert. Demnach wirkt Vikela® als Kontrazeptivum, wenn die sexuelle Vereinigung bis 3 Tage vor dem LH-Peak (dh. in der Regel bis zum 8. Zyklustag) stattgefunden hat. Danach verschwindet der kontrazeptive Effekt und kann man zum Zeitpunkt der höchsten Fruchtbarkeit daher nicht mehr mit einem solchen rechnen. Ähnliches gilt für die durch das Progestagen Vikela® beeinträchtigte Kapazitation der Spermien: sie kommt zu spät. In den meisten Fällen, in welchen eine Schwangerschaft zu erwarten ist, wird diese deshalb nicht durch Kontrazeption, sondern durch Interzeption verhindert werden.

Was versteht man unter Interzeption? Man versteht darunter alle Ereignisse, welche zwischen Konzeption und Nidation zu einer Verhinderung der Schwangerschaft führen. Diese geschieht auf 2 Ebenen: Auf der Ebene des Endometriums und auf der des Corpus luteum. Am Endmetrium verdrängt das Progestagen auf Grund seiner weitaus höheren Affinität das natürliche Progesteron von seinen Rezeptoren. Das natürliche Wechselspiel von E2- und P-Rezeptoren, welches die Sekretionsphase aufbaut und unterhält, wird damit unterbunden. Da die Halbwertszeit von L-NG 5 Tage beträgt, ist dieser Effekt anhaltend, sodaß ein inaktives Endometrium resultiert, in welchem sich der Keimling nicht verankern kann und keine Nahrung findet. Auf der Ebene des Corpus luteum führt die hohe Dosis an Progestagen zu einer vorzeitigen Alterung und Involution. Es kommt daher zu einer durch das Progestagen verursachten Corpus luteum Insuffizienz, welche zu einer verfrühten Abbruchblutung führt, sobald die Wirkung von L-NG abgeklungen ist. Die herbeigesehnte vorzeitige Blutung und eine gleichzeitig durch das künstliche Gestagen bewirkte Verzögerung der Tubenmotilität und des Eitransports führen dazu, daß der verspätete Keim das verfrüht abgestoßene Endometrium nicht mehr erreicht, um sich dort einzunisten, selbst dann, wenn es dafür noch empfänglich gewesen wäre. Allenfalls kann es auch hier zu ektopischen Schwangerschaften kommen.

Ethische Bewertung

Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass die „verlässliche“ Wirkweise der Pille auf zwei unterschiedliche Effekte zurückzuführen ist. Wenn die Pilleneinnahme hinreichende Zeit vor dem zu erwartenden Eisprung erfolgt, so wird dieser mit größter Wahrscheinlichkeit unterbunden. Der herangereifte Follikel springt nicht, das bedeutet, dass keine reife Eizelle vorhanden ist, die befruchtet werden könnte. Hat hingegen der Eisprung aber schon stattgefunden, bevor die Pilleneinnahme erfolgt, dann kommt es durch Vikela® zum Wachstumsstop der Gebärmutterschleimhaut und in der Folge zur Abbruchsblutung. Das bedeutet, dass die Eizelle, die möglicherweise befruchtet wurde, keine Möglichkeit hat, sich im Uterus einzunisten. Demnach wirkt die Pille im zweiten Fall als „Frühabortivum“. Auch, wenn man davon ausgehen kann, dass nicht in allen Fällen der Einnahme die Ovulation unmittelbar davor stattgefunden hat, so kann man doch davon ausgehen, dass Vikela® in einer beträchtlichen Zahl der Fälle doch als frühabtreibendes Mittel anzusehen ist. Und daher ist ihre Verwendung ethisch nicht zu rechtfertigen.

Anschrift des Autors:

Dr. Walter Rella, Arzt für Allgemeinmedizin
Küb Nr. 12, A-2671 Küb

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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