Ethische Kriterien zur Rechtfertigung von Tierversuchen in der Medizin
Zusammenfassung
Die Anwendung ethischer Kriterien auf Probleme transdisziplinärer Moralitätsdiskurse ist angemessen, sofern sie konsistent ist, den Diskursteilnehmern ethische Orientierung liefert und die Komplexität der Problemstellung bewahrt. Bei der ethischen Rechtfertigung von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung erzeugt die einseitige Berücksichtigung kontraktualistischer, kantischer oder utilitaristischer Ansätze Schwierigkeiten hinsichtlich der inneren Konsistenz, Konflikte mit moralischen Intuitionen oder problematische Simplifizierungen im Zuge einer reduktionistischen Betrachtungsweise. Ein sachgerechter ethischer Rechtfertigungsdiskurs erfordert einen Perspektivenpluralismus, der verschiedene ethische Kriterien zu einer multikriteriellen Theorie der Moral verbindet.
Schlüsselwörter: Tierversuche, biomedizinische Forschung, Tierethik, Speziesismus
Abstract
The application of ethical criteria on problems of transdisciplinary discourses on morality is adequate as long as it is self-consistent, provides ethical orientation for participants and maintains the complexity of the problem. In the justification of animal testings in biomedical research the unilateral consideration of contractualist, kantian or utilitarian approaches leads to difficulties regarding the consistence of the theory, conflicts with moral intuitions or problematic simplifications in the course of a reductionistic view. An appropriate ethical justification discourse requires pluralism of perspectives which combines different ethical criteria to a multicriterial theory of morale.
Keywords: animal testing, biomedical research, animal ethics, speciesism
1. Perspektivenpluralismus als Merkmal philosophischer Reflexion
Eine verbreitete Erwartungshaltung gegenüber philosophischen Beiträgen zu ethischen Anwendungsfragen im Rahmen interdisziplinärer Diskurse lässt sich so beschreiben, dass der Leser zu erfahren hofft, was ‚die‘ Philosophie zu der jeweils diskutierten Frage beizutragen hat. Wie wirtschaftliche, politische, medizinische oder religiöse Erwägungen unter dem Strich für oder gegen eine bestimmte Praxis sprechen, so erwartet man, dass sich auch die philosophisch-ethischen Erwägungen am Ende auf ein positives oder negatives Votum reduzieren lassen. Im Fall widerstreitender Voten sollen sodann mit den in einer Demokratie üblichen Mitteln zur Kompromissfindung all die genannten Dimensionen des Themas gegeneinander abgewogen werden, wobei sich das Votum der philosophischen Ethik in einigen Fällen nicht-ethischen Sachzwängen unterordnen muss, während es diese in anderen Fällen ggf. aufzuwiegen vermag.
Obwohl es Philosophen gibt, die sich in eben dieser Weise erfolgreich am Prozess der demokratischen Meinungsbildung über ethische Anwendungsfragen beteiligen, erscheint uns diese Vorgehensweise problematisch. Denn nur in Ausnahmefällen wird ein Votum, das ein einzelner Vertreter der philosophischen Ethik in einem bestimmten Anwendungsdiskurs abgibt, dem Votum ‚der‘ philosophischen Ethik in dieser Sache entsprechen. Es ist ein Wesensmerkmal der Philosophie, dass sie weder eine homogene Methodik verfolgt, noch zu homogenen Ergebnissen gelangt. Der Pluralismus1 an Methoden und Perspektiven ist für das Fach und intradisziplinär betrachtet insbesondere für diejenigen Disziplinen, die sich mit normativen Fragen beschäftigen, derart konstitutiv, dass ihn abzubilden überall dort ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit sein muss, wo sich Philosophen nach außen hin nicht als Einzelpersonen, sondern als Vertreter ihres Fachs über ein ethisches Problem äußern.
Der eigentliche Beitrag, den die philosophische Ethik im Rahmen interdisziplinärer Anwendungsdiskurse zu leisten vermag, besteht unserer Auffassung nach daher nicht so sehr in der begründeten Stellungnahme für oder gegen eine bestimmte gesellschaftliche Praxis, sondern im Aufzeigen der mannigfaltigen Perspektiven, Kriterien und Argumente, deren Kenntnis eine wichtige Orientierungsfunktion2 innerhalb dieser Diskurse erfüllt und deren Reflexion die Voraussetzung dafür bildet, eine ethisch wertende Stellungnahme als wohl begründet bezeichnen zu können. Ziel der ethischen Rechtfertigung in diesem Sinne ist es nicht, den aus nichtethischen Erwägungen gewonnenen Pro- und Contra-Einstellungen gegenüber der diskutierten Praxis ein weiteres Votum hinzuzufügen. Vielmehr soll die Diskussion als solche um eine zusätzliche Ebene der Reflexion erweitert werden, deren Einnahme den Modus der Entscheidung über das in Frage stehende Problem insgesamt zu einem ethisch reflektierten macht. Dadurch wird eine ihrem Inhalt nach ethisch gerechtfertigte Entscheidung zwar noch nicht garantiert, jedoch ermöglicht und vorbereitet. Der Akt der Entscheidung über ethische Anwendungsfragen selbst gehört aus unserer Sicht nicht zur philosophischen Ethik als wissenschaftliche Disziplin, sondern in den Bereich individuellen und institutionellen Handelns; er kann daher nur Gegenstand, nicht jedoch zugleich Teil oder Ergebnis der philosophisch-ethischen Reflexion sein.
2. Worüber wir sprechen und was wir voraussetzen
Im Folgenden soll es um ethische3 Kriterien zur Rechtfertigung von Tierversuchen4 in der biomedizinischen Forschung gehen. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ein Unterschied besteht zwischen der ethischen Rechtfertigung und dem Nachweis der moralischen Unbedenklichkeit solcher Versuche.5 Was einer ethischen Rechtfertigung bedarf, ist niemals moralisch unbedenklich, sofern eine Debatte nicht lediglich symbolisch, aus pseudolegitimatorischen Gründen, geführt wird. Vielmehr wird durch den Versuch einer ethischen Rechtfertigung von mit tierischem Leid verbundenen Versuchen bereits anerkannt, dass es sich hier um ein ethisches Problem handelt: Mit Leid verbundene Tierversuche sind im Falle des Scheiterns jeder ethischen Rechtfertigung moralisch zu verurteilen, ohne dass ihre moralische Unrechtmäßigkeit durch eine zusätzliche, positive Argumentation erst noch erwiesen werden müsste.
Ethischen Argumenten zur Rechtfertigung von Tierversuchen stehen neben ethischen Gegenargumenten zusätzlich nichtethische Argumente entgegen. Im Fall von Tierversuchen in der klinischen Forschung sowie der biomedizinischen Grundlagenforschung, also der tierexperimentellen Exploration an der Schnittstelle von Biologie und Medizin zur Entwicklung neuer Medikamente und Therapien zum Wohle der Gesellschaft, zielen diese Argumente häufig auf das kritische Hinterfragen der Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser Versuche. In der Tat sind diese Punkte entscheidend. Da das den Tieren in den Versuchen zugefügte Leid real und greifbar, der durch den Einsatz dieser Mittel angestrebte Nutzen für zukünftige Patienten zum Zeitpunkt der Versuche hingegen hypothetisch und der Zusammenhang zwischen beidem nicht immer ersichtlich ist, ist die Diskussion über alle drei dieser Faktoren unverzichtbar.
Wenn sich in einem konkreten Fall zeigen lässt, dass mindestens eine alternative Methode ebenso gut oder besser geeignet ist, eine neue Therapie zu erproben, dann ist es nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich geboten, diese Alternative zu ergreifen und das entsprechende Tierexperiment zu unterlassen. So gilt bei der Zulassung von Forschungsanträgen in Deutschland grundsätzlich das ‚3R-Prinzip‘ (Replacement, Reduction, Refinement), das die Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken optimieren helfen soll, indem man, wo möglich, auf den Tierversuch ganz verzichtet, die Zahl der Tiere vermindert und Leiden und Schäden von Versuchstieren durch schonendere, weniger belastende Versuche vermeidet.6 Natürlich kann man dennoch die Notwendigkeit von Tierversuchen prinzipiell infrage stellen und beispielsweise unterstellen, dass man sich, etwa aufgrund einschlägiger Lobby-Interessen, nicht ausreichend um Alternativen bemüht. In ähnlich grundlegender Weise lässt sich gegen die Nützlichkeit von Tierversuchen argumentieren. Wer die Aussagekraft derartiger Versuche generell für zu gering hält, etwa weil er die Übertragbarkeit von Versuchsergebnissen von Tieren auf den Menschen per se negiert, muss deren Nützlichkeit bestreiten, unabhängig davon, ob es sinnvolle Alternativen gibt oder nicht.
Ob Tierversuche, deren Durchführung das Wohl oder Leben der Versuchstiere in negativer Weise beeinflusst, ohne dass ihre Nützlichkeit und Notwendigkeit als gewährleistet gelten können, überhaupt einer ethischen Rechtfertigung fähig sind, erscheint fraglich. Nützlichkeit und Notwendigkeit (im Sinne von Alternativlosigkeit) werden damit zu entscheidenden Faktoren innerhalb des ethischen Diskurses. Der Nachweis der Nützlichkeit und Alternativlosigkeit konkreter Versuche ist jedoch nicht Gegenstand einer genuin ethischen Diskussion.7 Um in dieser Frage im Einzelfall zu einer Entscheidung zu gelangen, ist es unverzichtbar, dass sich die Diskussionsteilnehmer kritisch und umfassend über die fachwissenschaftlichen Fakten und Verfahrensweisen wie Zahl und Art der verwendeten Tiere, erzielte Erfolge, Haltungsbedingungen, Art und Ablauf von Versuchen etc. informieren.8 Da dies dem Laien in der Regel nicht möglich ist, lässt sich die fachgerechte Beurteilung der Nützlichkeit und Notwendigkeit von Tierversuchen nicht durch demokratische Abstimmungsverfahren ersetzen, sondern setzt einen Expertendiskurs voraus, der dem ethischen Diskurs vorausgehen oder ihn begleiten muss.
Im Folgenden sei um der ethischen Analyse willen zugestanden, dass es zumindest einige Fälle von Tierversuchen gibt, die tatsächlich notwendig und geeignet sind, Therapien und Medikamente, die für den Menschen in einem nicht unerheblichen Maße nützlich sein können, zu entwickeln und zu erproben. Unser Fokus wird auf der Frage liegen, ob es ethische Kriterien gibt, anhand derer die Durchführung dieser Tierversuche abzulehnen oder zu befürworten ist.
3. Kriterien der philosophisch-ethischen Rechtfertigung
Schaut man sich im breiten Angebot der Kriterien zur philosophisch-ethischen Rechtfertigung gesellschaftlicher Praktiken um, so fällt zunächst auf, wie schwer sich einige der gewohnten ethischen Kriterien auf Probleme der Tierethik im Allgemeinen und die Problematik von Tierversuchen im Besonderen anwenden lassen. Besonders stechen hier diejenigen Theorietraditionen hervor, welche davon ausgehen, dass die moralische Gemeinschaft derjenigen, die moralische Rechte haben und denen gegenüber moralische Verpflichtungen bestehen können, mit der Gruppe der moralischen Akteure zusammenfällt.
3.1 Kontraktualismus und Kantianismus
So sieht etwa der Kontraktualismus die Moral als einen künstlich von Menschen geschaffenen Kooperationsvertrag, dessen wechselseitige Befolgung grundlegende Interessen schützt, die jeder Akteur aufgrund seiner Eigenschaft als vernünftiger und kooperationsfähiger Akteur notwendig haben muss, so dass die Errichtung von Sanktionsmechanismen, durch welche diese Interessen geschützt werden, im Eigeninteresse jedes Einzelnen liegt.9 Moralische Forderungen, die nicht vom Eigeninteresse des Handelnden konstituiert werden oder die auf Sanktionsmechanismen beruhen, welche durch die Autorität des Vertrages nicht legitimiert sind, werden als ungerechtfertigt zurückgewiesen.10 Da Tiere in diesem Kooperationsvertrag keine Vertragspartner sein können, sind sie dem kontraktualistischen Ansatz nach nicht Teil der moralischen Gemeinschaft.
Ähnlich ist der Stand der Tiere in der kant-ischen Ethik. Aufgrund seiner praktischen Vernunft existiert der Mensch nach Kant als Selbstzweck. Er verfügt über die Fähigkeit zur Autonomie, d. h. zur Erkenntnis und zur selbst auferlegten Einhaltung des Moralgesetzes, aus der sich wiederum seine Würde ableitet. Unter Würde versteht Kant die Eigenschaft der Nichtersetzbarkeit. Eine Würde hat, an wessen Stelle nichts Anderes gesetzt werden kann.11 Weil sich diese Unersetzbarkeit jedoch aus der Autonomie und damit aus der praktischen Vernunft ableitet, über die Tiere nicht verfügen, sind Tiere auch für Kant nicht Teil der moralischen Gemeinschaft.
Da Kontraktualismus und Kantianismus darin übereinstimmen, dass nur derjenige Objekt moralischer Handlungen sein kann, der selbst moralischer Akteur ist, während als moralische Akteure nur diejenigen gelten, die über Vernunft (in einem anspruchsvollen Sinne) verfügen, lassen sich Tiere in beiden ethischen Traditionen allenfalls indirekt berücksichtigen. Im Kontraktualismus geschieht dies etwa durch das freiwillige Bekenntnis Einzelner zu einer von tierfreundlichen Idealen getragenen Quasi-Moral, das die Idealisten untereinander, nicht jedoch Außenstehenden gegenüber zu moralischen Sanktionen gegenüber nichtidealistischem Verhalten berechtigt.12 Im Kantianismus wird Grausamkeit gegenüber Tieren als Verstoß gegen unsere selbstbezogene moralische Pflicht zur charakterlichen Vervollkommnung interpretiert.13 Während also der Kontraktualismus nichts Problematisches darin sehen kann, wenn jemand zuhause seinen Hund quält, solange niemand mit tierfreundlichen Neigungen davon erfährt, stellt der Kantianismus das Ertränken junger Katzen zum Zeitvertreib moralisch auf dieselbe Stufe, auf die heute nach Meinung einiger auch das Spielen gewaltverherrlichender Videospiele gehört.
In beiden Lagern finden sich jedoch einzelne Denker, die versuchen, den klassischen Ansatz der jeweiligen Theorietradition so zu verändern, dass auch Tiere zur moralischen Gemeinschaft gerechnet werden müssen. Im Fall des Kontraktualismus argumentiert etwa Mark Rowlands dafür, den aus John Rawls Theorie der Gerechtigkeit bekannten ‚Schleier des Nichtwissens‘ dahingehend zu erweitern, dass die Subjekte, die über die möglichen Regeln einer gerechten Gesellschaft reflektieren, nicht nur ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre soziale Herkunft und weitere subjektiv kontingente Faktoren ausblenden sollen, sondern ebenso ihre Spezieszugehörigkeit.14 In Anknüpfung an deontologische Ethiken schlägt Tom Regan vor, statt von einer vernunftkonstituierten Würde von einem inhärenten Wert bestimmter Wesen zu reden, welcher analog zur Würde die Selbstzweckhaftigkeit dieser Wesen begründen soll und immer dann vorliegt, wenn sich ein Wesen als Subjekt seines eigenen Lebens erfährt.15
Vorstöße dieser Art werden von vielen Teilnehmern am Diskurs über Tierrechte als ein Schritt in die richtige Richtung empfunden. Philosophisch betrachtet sind sie jedoch höchst problematisch. Ihre Strategie lässt sich grob so umreißen: Anhänger einer bestimmten Moralkonzeption stellen fest, dass die Anwendung der normativen Kriterien eines von ihnen präferierten und philosophiehistorisch erfolgreichen Ansatzes in bestimmten Bereichen zu Ergebnissen führt, die ihren moralischen Intuitionen widersprechen. Bei dem Versuch, die Theorie so abzuändern, dass sie gemessen an ihren Intuitionen befriedigendere Ergebnisse hervorbringt, wird die Theorie so stark verändert, dass ihre ursprüngliche Moralkonzeption in der neuen Version der Theorie nicht mehr wiederzuerkennen ist. Es sind vor allem zwei Fragen, auf die Reformer dieser Art eine Antwort schuldig bleiben:
- Warum sollte ein Anhänger des Kontraktualismus bzw. Kantianismus, der das in diesen Ansätzen verfochtene Konzept von Moralität für zutreffend hält, die Einbeziehung der Tiere in die moralische Gemeinschaft für normativ geboten halten?16 Für einen Kontraktualisten basiert Moral auf durch Eigeninteresse motivierter, wechselseitiger Kooperation, für einen Kantianer gründet sie in der Vernunftfähigkeit des Akteurs und der von seinen Handlungen Betroffenen. Direkte moralische Pflichten gegenüber Wesen zu postulieren, die weder zur Kooperation fähig sind noch über praktische Vernunft verfügen, ist keine rein kosmetische Anpassung dieser Theorien an die besonderen Bedingungen eines konkreten Anwendungsbereichs, was an sich schon problematisch genug wäre. Vielmehr kommt es dem Eingeständnis gleich, dass die dem jeweiligen Ansatz zugrundeliegende Moralkonzeption defizitär ist.
- Wenn die ursprüngliche Moralkonzeption des jeweiligen Ansatzes von den Reformisten partiell oder vollständig aufgegeben wird, so lässt sich die normative Begründung dieser klassischen Moralkonzeptionen auf die neu geschaffenen Theorien nicht mehr anwenden. Die zweite offene Frage lautet daher, was in den reformistischen Theorien an die Stelle dieser normativen Begründungen tritt und ob die neue Begründung ähnlich plausibel und potenziell wirkmächtig ist. Der Kontraktualismus beansprucht, eine Minimalmoral zu liefern, die den einzelnen Menschen zu nichts verpflichtet, was seinem langfristigen Eigeninteresse zuwiderläuft. Der Kantianismus setzt beim Begriff des unbedingten Sollens an und leitet aus diesem durch eine streng formale Methodik objektive moralische Pflichten ab, wobei der Rückgriff auf empirisch kontingente Fakten als verunreinigender Irrweg auf der Suche nach der objektiven Grundlage der Moral verworfen wird.17 Es erscheint schwer vorstellbar, wie die zur Begründung dieser Theorietraditionen vorgetragenen Argumente Theorien stützen sollen, die zwar an den zentralen Ideen eines Gesellschaftsvertrages bzw. objektiver moralischer Pflichten festhalten, gleichzeitig jedoch die Tiere einzubeziehen versuchen, die uneigennützig in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden sollen bzw. deren unterstelltes, rein sinnliches Erleben ihrer eigenen Subjektivität angeblich objektive moralische Pflichten ihnen gegenüber konstituiert. Es ist offensichtlich, dass hier neue, in sich konsistente normative Begründungen benötigt werden, denen bei näherer Betrachtung dann nicht mehr der Charakter einer kontraktualistischen oder kantischen Argumentation zugesprochen werden kann, da sich das zugrundegelegte Moralkonzept fundamental von der kontraktualistischen bzw. kantischen Konzeption von Moralität unterscheidet.
Kontraktualistische und kantische Kriterien für sich genommen scheinen somit für das Projekt einer ethischen Rechtfertigung von Tierversuchen, deren Nützlichkeit und Alternativlosigkeit als erwiesen gelten kann, ungeeignet zu sein.
3.2 Utilitarismus
Während der Kontraktualismus die auf das Eigeninteresse bezogene Klugheit und der Kantianismus die Vernunft ins Zentrum ethischer Überlegungen rückt, geht der Utilitarismus davon aus, dass es der Nutzen im Sinne eines Erzeugens von Freude bzw. des Vermeidens von Leid empfindungsfähiger Wesen ist, dem in der Ethik unser Hauptinteresse gelten sollte.18 Die prominenteste Theorie dieser Art stellt, mindestens in Bezug auf die Tierethik, der von Peter Singer entwickelte Präferenzutilitarismus dar.
Das Hauptkriterium des Singer’schen Präferenzutilitarismus ist das Prinzip der gleichen Interessenabwägung.19 Voraussetzung dafür, Interessen haben zu können, ist für Singer die Fähigkeit zu leiden und sich zu freuen: „Wenn ein Wesen leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung dafür geben, sich zu weigern, dieses Leiden zu berücksichtigen.“20 ‚Berücksichtigung‘ heißt, dass das Leid in das utilitaristische Nutzenkalkül eingehen muss. Bedeutsame Interessen dürfen niemals kleineren Interessen geopfert werden. Dabei mögen Unterschiede hinsichtlich der Komplexität des Nervensystems und der intellektuellen Fähigkeiten verschiedener Lebewesen Auswirkungen auf die Intensität ihrer Leidenserfahrungen haben. Bei der Würdigung dieser Unterschiede ist nach Singer jedoch über Speziesgrenzen hinweg nach den konkreten mentalen Fähigkeiten der Individuen zu fragen. Der Mehrheit der Vertreter einiger Tierarten spricht Singer aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten den Status von Personen zu, während er z. B. Säuglinge und geistig schwer behinderte Menschen nicht als Personen gelten lässt.21
Insbesondere auf deutschem Boden hat bereits die bloße Diskussion dieser Theorie einen schweren Stand.22 Dies beruht weniger auf Singers tierethischer Position, dort ist er insbesondere Tierschützern ein willkommener Vordenker, als vielmehr auf seiner Haltung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen, Infantizid und Sterbehilfe. Auf all diesen Gebieten widerspricht der Präferenzutilitarismus sowohl in seinen Ergebnissen als auch in der Art und Weise seiner Argumentation in den Augen vieler seiner Gegner grundlegenden moralischen Intuitionen. Singer selbst hält dies jedoch für unproblematisch. In Abgrenzung zu anderen Autoren wie etwa John Rawls, die dem ‚Überlegungsgleichgewicht‘, verstanden als eine weitestgehende Übereinstimmung der Ergebnisse einer moralphilosophischen Theorie mit unseren Alltagsintuitionen, im moralphilosophischen Diskurs Bedeutung zumessen, meint Singer, moralische Intuitionen seien nichts weiter als unzureichend reflektierte Spontanurteile.23 Diese Spontanurteile verhalten sich zu den Argumenten, die sich aus der korrekten Anwendung einer guten philosophischen Theorie ergeben, wie sich in der Mathematik grobe Schätzungen zu einer genauen Berechnung verhalten. Im Falle eines Konfliktes von Intuitionen mit subtilen, theoriegeleiteten Überlegungen muss man sich daher nicht etwa um einen Kompromiss bemühen, sondern Erstere zugunsten Letzterer vollständig zurückstellen.
In der Anwendung des Präferenzutilitarismus auf die Problematik der Tierversuche zeigt sich diese kompromisslose Haltung Singers insbesondere dort, wo er implizit oder explizit das Argument der Austauschbarkeit anwendet. Generell lässt sich dem Utilitarismus vorwerfen, dass er moralische Subjekte bzw. Objekte lediglich als austauschbare Träger von Interessen behandelt. Von Wert ist letztlich nur die Befriedigung von Interessen. Um wessen Interesse es dabei geht, darf keinen Unterschied machen. Gerade in diesem objektiven Universalismus sieht Singer die Stärke utilitaristischer Theorien.24 Er schlägt daher vor, nur solche Tierversuche als moralisch gerechtfertigt zu betrachten, die wir bereitwillig auch an Mitgliedern unserer eigenen Spezies durchführen würden, sofern diese den üblicherweise bei derartigen Experimenten eingesetzten Versuchstieren hinsichtlich ihrer mentalen Fähigkeiten gleichen.25
Die hinter dieser Argumentationsweise stehende Behauptung ist: Wenn auf den ersten Blick ungleiche Fälle unter Rückgriff auf (ausschließlich) diejenigen Kriterien, welche die utilitaristische Theorie bereitstellt, als gleichartig erscheinen, so sind sie gleichartig. Wer meint, es liege ein ethisch relevanter Unterschied darin, ob wir ein Experiment statt an einem Hund an einem verwaisten Säugling mit vergleichbaren mentalen Fähigkeiten durchführen, täuscht sich.
Bei näherer Betrachtung haben wir es hier jedoch nicht mit einem Argument, sondern vielmehr mit einem Postulat zu tun, das ein Bekenntnis zum Präferenzutilitarismus nicht etwa nur zum Ziel, sondern bereits zur Voraussetzung hat. Um es mit den Worten von Bernard Williams zu sagen: „Das einzige theoretische Rüstzeug, das man dem entgegenzusetzen braucht, ist die Entschlossenheit, sich nicht einschüchtern zu lassen.“26 So lässt sich mit demselben Recht behaupten, nicht etwa erst der Austausch eines Versuchstieres gegen einen menschlichen Säugling mit analogen mentalen Fähigkeiten, sondern bereits der Austausch des Versuchstieres gegen ein anderes Tier derselben Art könne einen Unterschied für die moralische Beurteilung der Situation machen. Wenn die den Versuch durchführende Person keinen Unterschied zwischen der Durchführung eines schmerzhaften Experiments an einem ihr unbekannten Hund27 und seiner Durchführung an ihrem eigenen Haustier sieht, so liegt es keineswegs auf der Hand, dass diese Person für ihre moralische Objektivität zu loben ist.
Der Fehler, der Singer hier unterläuft, lässt sich unter Rückgriff auf G. E. Moores Theorie des ‚organischen Ganzen‘ erklären. Substitutionen, so könnte man sagen, sind nur dort legitim, wo zwei Gegenstände jeweils für sich als ‚organisches Ganzes‘ betrachtet denselben Wert haben. Von Bedeutung ist dabei für Moore, dass der Wert eines solchen ‚organischen Ganzen‘ nicht immer mit der Summe der Werte seiner Teile übereinstimmt.28 So mag die Tatsache, dass ein Hund nicht irgendein Hund ist, sondern das Haustier des Versuchsleiters, für sich betrachtet moralisch neutral sein. In Verbindung mit der Zufügung von Leid durch den Versuchsleiter mag sich dennoch ergeben, dass selbst unter der Voraussetzung, dass die Konsequenzen beider Handlungen hinsichtlich ihrer Nutzenbilanz identisch sind, ein größerer (oder auch geringerer) Unwert darin liegt, den eigenen Hund diesem Leiden auszusetzen als einen anderen. Ob dies so ist oder nicht, lässt sich nur durch Rückgriff auf eben jene Intuitionen entscheiden, die Singer in seiner Theorie als irrelevant auszublenden versucht.
Wie oben angesprochen, liegt der eigentliche Beitrag, den die philosophische Ethik zu moralischen Anwendungsdiskursen leisten kann, gerade nicht in einer reduktionistischen Simplifizierung der jeweils diskutierten Problemstellung zum Zweck ihrer leichteren Handhabbarkeit in der Praxis, sondern im Aufzeigen und Gewichten aller Perspektiven, aus denen man das Problem sinnvollerweise betrachten und für oder gegen einen bestimmten Lösungsweg argumentieren kann. In seinem kompromisslosen Absolutheitsanspruch, der grundlegende moralische Intuitionen ebenso wie alternative ethische Kriterien gezielt ausblendet, wird der Singer’sche Präferenzutilitarismus für sich betrachtet eben dieser Funktion nicht gerecht. Trotz seines aus Sicht der Tierethik vielversprechenden Ansatzes erweist sich Singers Theorie im Ganzen als mangelhaft, da sie an den bekannten Problemen des Utilitarismus krankt.29
3.3 Gefühls- und Tugendethiken
Anders als der betont nüchtern und intellektualistisch auftretende Utilitarismus, in dem es um die Quantifizierung, Maximierung und Folgenberechnung von Interessensbefriedigungen geht, legen andere ethische Theorietraditionen den Schwerpunkt nicht auf die Konsequenzen einer Handlung, sondern auf die einer Handlung zugrundeliegenden Motive, Haltungen und Charaktereigenschaften sowie auf die Einstellungen, mit denen wir diesen im Prozess der moralischen Beurteilung begegnen.
So meint im Lager der Gefühlsethik etwa Schopenhauer, es liege auf der Hand, dass nur das Mitleid die Bezeichnung als wahrhaft moralische Triebfeder verdient.30 Die Philosophen der britischen Moral Sense Tradition,31 die ebenfalls den Gefühlsethiken zuzurechnen ist, würden Mitleid hingegen in vielen Fällen zwar als moralische Tugend gelten lassen, kennen daneben jedoch zahlreiche andere Tugenden, zu denen auch die (teilweise nach kontraktualistischen Vorstellungen konzipierte) Gerechtigkeit gehört. Von den Anfängen der Tugendethik in der griechischen Antike, insbesondere bei Aristoteles, unterscheidet die Moral Sense Philosophen, dass sie nicht von in der Natur angelegten, objektiven Zwecken und Zielen der Lebewesen ausgehen, die es zu erkennen und zu verwirklichen gilt, sondern Moralität als etwas von Menschen auf natürliche Weise (durch einen ‚moralischen Sinn‘) Konstituiertes – jedoch nicht willkürlich Konstruiertes – auffassen.32
Trotz der gegenwärtigen Renaissance insbesondere neoaristotelischer Versionen der Tugendethik haftet der Redeweise von Tugenden etwas Altbackenes und Unmodernes an. Dies hat nur teilweise mit dem altertümlichen Begriff selbst zu tun. Entscheidender ist, dass Ethik in den aktuellen Diskussionen in der Regel als auf Veränderung bzw. Rechtfertigung politischer Strukturen, gesellschaftlicher Institutionen und juristischer Regelungen ausgerichtet verstanden wird.33 Hat man sich bereits entschieden, dass das Ziel ethischer Überlegungen in der Formulierung rechtsverbindlicher Konventionen liegt, so findet die Diskussion gleichsam von selbst zu einem Vokabular der Regeln, Gesetze, Rechte und Pflichten, wie es von ‚modernen‘, etwa kontraktualistischen und kantischen Moraltheorien bereitgestellt wird, deren normative Maßstäbe es dementsprechend leicht haben, in die Diskussion einzugehen. Auch der Utilitarismus ist noch relativ einfach in diese Diskurse integrierbar, da sein Mantra vom größten Glück der größten Zahl eine hohe Kompatibilität mit dem demokratischen Mehrheitsprinzip aufweist sowie den ökonomischen Denkstrukturen einer auf Kosten-Nutzen-Kalküle ausgerichteten, neoliberalen Marktwirtschaft in die Hände spielt.
Die Tugendethik in ihren antiken und neuzeitlichen Versionen steht hingegen quer zur aktuellen Mode, Moral entweder als etwas streng Subjektives und damit als Privatsache zu betrachten oder auf die Ebene institutionellen Handelns zu verlagern. Sie sieht einen Unterschied zwischen der Frage, was moralisch gerechtfertigt oder lobenswert ist und derjenigen, was als allgemeines Gesetz gelten sollte. Zwei Menschen, die beide wegen ihrer Tugendhaftigkeit gelobt werden, werden ihr zufolge nicht stets dasselbe tun, sondern können auf gänzlich unterschiedliche Weise richtig handeln. Damit stellt sie den einzelnen Menschen und dessen moralische Qualität gerade dort ins Zentrum ihrer kritischen Betrachtung, wo sich dieser Mensch nur zu gern auf die Rolle eines Rädchens in der übermächtigen Maschinerie der Systemzwänge zurückziehen und auf die distanzierte, moralische Bewertung der Details eben dieses übermächtigen Systems beschränken möchte. Statt Moral immer mehr auf die Ebene der Rahmenbedingungen zu verlagern, verortet die Tugendethik Ursprung und Kern der Moral im Charakter des agierenden Individuums und dessen intersubjektiver Bewertung.
Gerade weil Tugend- und Gefühlsethiken der derzeitigen Art und Weise der Politisierung ethischer Fragestellungen entgegenstehen, liegt in einem Hinweis auf diese Ansätze zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht der wertvollste Beitrag, den die philosophische Ethik zum aktuellen Diskurs über Tierversuche leisten kann. Gleichzeitig frustrieren diese ethischen Ansätze mehr als alle anderen die weit verbreitete Erwartung, die Diskussion bis zu einem Punkt vorantreiben zu können, an dem Tierversuche gleichsam im Modus der Unbedenklichkeit vollzogen werden können, weil über alle ethischen Fragen bereits gesprochen wurde und man sich nun nur noch an geltendes Recht und die von der eigenen Wissenschaft formulierten Richtlinien und Sorgfaltskriterien halten muss. Stattdessen betonen sie das individuelle Moment eines jeden Einzelfalls und geben die Verantwortung an den Akteur zurück.
Im offenen Gegensatz zur utilitaristischen Sichtweise, dass scheinbar ungleiche Fälle sich als gleich erweisen können, wenn man nur bereit ist, alle mit dem utilitaristischen Ansatz nicht kompatiblen Unterscheidungskriterien aufzugeben, zeigen uns Tugend- und Gefühlsethiken, dass scheinbar gleiche Handlungen durchaus ungleich bewertet werden können, wenn man die Haltungen und Motive beachtet, unter deren Einfluss die Handlung ausgeführt wird. So kann gerade der Umstand, dass ein Experiment statt in einer Haltung des Bedauerns angesichts der Entscheidung für das kleinere zweier Übel in dem erwähnten Modus der Unbedenklichkeit durchgeführt wird, aus einer potenziell ethisch gerechtfertigten Handlung eine moralisch bedenkliche machen.34 Sicher muss man nicht soweit gehen, das gute Gewissen mit Albert Schweitzer als eine „Erfindung des Teufels“35 zu brandmarken. Bereinigt von übertriebenem Pathos und christlicher Mystik liegt jedoch eine gewisse Weisheit in seiner Einsicht, dass sich geistige Macht nicht darin zeigt, dass wir „kalt nach ein für allemal festgelegten Prinzipien entscheiden“, sondern darin, dass wir „in jedem einzelnen Falle um unsere Humanität kämpfen.“36
Die Betonung und Schulung der Urteilsfähigkeit gegenüber konkreten Einzelfällen zulasten einer Berufung auf starre Entscheidungsprinzipien entstammt, wie bereits erwähnt, der aristotelischen Tugendethik. Welche Folgen aus diesem Ansatz im Bereich der Tierethik zu ziehen sind, ist innerhalb der Tugendethik umstritten. So schreibt etwa Philippa Foot in Bezug auf ihre Theorie der natürlichen Normativität, nach der Laster als natürliche Defekte betrachtet werden, ihr „Vorschlag einer allen Lebewesen gemeinsamen Form der Qualifizierung“ habe keinerlei „Implikationen für die Art und Weise […], wie wir Tiere und auch Pflanzen behandeln sollten“.37 Thomas Hoffmann hingegen vertritt die Ansicht, aus der Einsicht in das, was Elizabeth Anscombe ‚aristotelische Notwendigkeiten‘ nennt, folge, dass nicht nur Menschen als Menschen, sondern etwa auch Katzen als Katzen zu behandeln sind,38 woraus sich durchaus weitreichende Konsequenzen für den Umgang mit Versuchstieren ergeben könnten.
Weniger prominent als die aristotelische Variante, aber nicht minder interessant sind die Ansätze der angelsächsischen Tugendethik aus dem Umfeld der Moral Sense Theorie. So schlägt etwa David Hume eine Brücke zwischen Tugend- und Gefühlsethik, indem er die aristotelische phron?sis (Klugheit) durch eine Form emotionaler Empfindsamkeit ersetzt.39 Von einem festen und allgemeinen Standpunkt der Betrachtung aus stellt sich Hume zufolge bei jedem verständigen, erfahrenen Urteilenden gegenüber dem, was Moore das ‚organische Ganze‘ einer moralisch relevanten Handlungssituation nennen würde, ein moralisches Gefühl der Billigung bzw. Missbilligung ein. Anders als die von Moore stark gemachten, kognitiven Intuitionen beruht dieses Gefühl auf der ‚Sympathie‘, d. h. dem Mitgefühl, mit dem allgemeinen Nutzen oder Schaden, der sich erfahrungsgemäß ergibt, wenn ein Akteur in Situationen der betrachteten Art in dem beobachteten Maße von denjenigen Motiven beherrscht wird, die seinem Handeln im konkreten Fall zugrunde liegen. Beurteilt wird hier also nicht die Einzelhandlung mit ihren konkreten Folgen, sondern wiederum der allgemeine Charakter des Handelnden. Dabei meint Hume zu beobachten, dass Menschen zu allen Zeiten und in allen Kulturen von dem angesprochenen, unparteiischen Standpunkt der Betrachtung aus diejenigen Charaktereigenschaften billigen bzw. missbilligen, welche die allgemeine Tendenz haben, für ihren Träger und sein Umfeld unter den jeweils gegebenen Umständen angenehm oder nützlich bzw. unangenehm oder schädlich zu sein.40 Auf diesem gleichermaßen natürlichen wie intersubjektivierbaren Gefühl der Billigung bzw. Missbilligung beruht Hume zufolge die normative Redeweise von Tugend und Laster.41
Ansätze wie dieser unterscheiden sich von den in 3.1 und 3.2 angesprochenen Theorien insbesondere dadurch, dass sie gezielt bei der Beschreibung und Erklärung dessen ansetzen, was Menschen schon vor der Auseinandersetzung mit ethischen Theorien für lobens- und tadelnswert halten. Jene Theorien argumentieren in etwa wie folgt: ‚Wenn wir Moral so verstehen, wie es sich aus Theorie X ergibt, so folgt, dass wir so und so über Moral denken, urteilen und reden sollten. Warum sollten wir Moral so verstehen wie Theorie X? Weil Theorie X aus philosophischer Perspektive die richtige Sichtweise auf das Thema liefert.‘ Dass man ein ethisches Problem gemäß der jeweiligen Theorie behandeln sollte, erschließt sich also nur für diejenigen, die 1. die philosophische Sichtweise für die entscheidende und 2. innerhalb des philosophischen Theorieangebots keine andere Theorie für plausibler halten.
Humes Ansatz geht hingegen einen anderen Weg. Er fragt sich: ‚Wie reden und urteilen Menschen ganz unabhängig von der Philosophie über Moral? Was meinen Menschen, wenn sie über Moral reden? Auf welchen allgemeinen Prinzipien des Denkens und Fühlens beruht diese Redeweise? Und wie würden wir über konkrete Fälle urteilen, wenn uns bei der Anwendung dieser Prinzipien keine subjektiven Fehler unterlaufen und wenn wir alle relevanten Fakten bedenken (auf die uns ggf. erst philosophische Überlegungen hinweisen können)?‘ Die Philosophie beansprucht in diesem Fall keine Führungsrolle, sondern fungiert lediglich als Korrektiv bei der Anwendung eines nicht von ihr selbst konstruierten, sondern bereits in der Praxis des menschlichen Urteilens vorgefundenen Konzeptes von Moralität.
4. Kritische Würdigung
Die hier diskutierte Liste ethischer Kriterien kann und will keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ziel war es lediglich herauszustellen, dass drei wesentliche Qualitätsmerkmale ethischer Theorien darin bestehen, 1. konsistent und konsequent eine bestimmte Perspektive auf ethische Probleme zu entfalten, 2. bei deren Diskussion in nichtreduktionistischer Weise der Komplexität dieser Probleme Rechnung zu tragen und 3. mit grundlegenden vortheoretischen Intuitionen bezüglich dieser Probleme weitestgehend übereinzustimmen bzw. sich auf diese korrigierend und erkenntniserweiternd auszuwirken, statt sich kompromisslos über sie hinwegzusetzen. Wie sich gezeigt hat, scheitern im ethischen Diskurs über Tierversuche die verbreiteten kontraktualistischen und kantischen Kriterien entweder am ersten oder dritten, präferenzutilitaristische Kriterien am zweiten und dritten dieser Qualitätsmerkmale.
Die Anwendung eines im weitesten Sinne sentimentalistisch-tugendethischen Moralverständnisses auf das Problem der ethischen Rechtfertigung von Tierversuchen bewahrt hingegen vor vorschnellen Pauschalisierungen und bringt überdies weitere Vorteile mit sich: Die Ergebnisse einer solchen Theorie müssen nicht erst nachträglich mit unseren moralischen Intuitionen in Übereinstimmung gebracht werden, da sie aus eben diesen hervorgehen. Gleichzeitig lässt sich all das, was andere ethische Theorien mit Recht als beachtenswerte Faktoren moralischer Urteilsbildung hervorheben, in die Theorie integrieren. Statt einen Absolutheitsanspruch anzumelden, bleibt eine multikriterielle Theorie dieser Art offen für sekundäre ethische Prinzipien und bewahrt auf diese Weise den für die philosophische Ethik typischen Perspektivenpluralismus.
Das Verständnis moralischer Urteile als Ausdruck bestimmter Gefühle macht zudem plausibel, warum wir viele ethische Fragen nicht mit einem klaren ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ beantworten können, wie es ein intellektualistisches Verständnis von Richtigkeit im Sinne von Wahrheit nahelegen würde. Versteht man moralische Urteile als wahrheitswertfähige Urteile über Tatsachen, die entweder gegeben oder nicht gegeben sind, so kann eine Handlung nur entweder geboten, verboten oder keines von beidem (und damit erlaubt) sein. Versteht man moralische Urteile hingegen als Ausdruck bestimmter Gefühle und Einstellungen, so können moralische Verbindlichkeiten unterschiedliche Stärkegrade besitzen. Als tugendhaft offenbart sich dann nicht, wer etwas Bestimmtes tut, sondern wer das, was er tut, unter dem Einfluss einer komplexen Mischung teils einander ergänzender, teils einander widersprechender Gefühle tut, die der Komplexität moralischer Probleme auf angemessene Weise Rechnung tragen.
Wenn also derselbe (nützliche und alternativlose) Tierversuch von einem Forscher bereitwillig durchgeführt, von einem anderen hingegen abgelehnt wird, so ist keineswegs sicher, dass einer von beiden etwas richtig und der andere etwas falsch macht. Entscheidend ist, aus welchen Überlegungen und emotionalen Antrieben heraus die beiden Forscher zu ihrer Einschätzung kommen. Mit Blick auf ihr Motivationsgefüge kann sich durchaus herausstellen, dass beide Entscheidungen moralisch gerechtfertigt – oder auch fragwürdig sind. Die Haltung, also das jeweilige Wie und Warum, ist entscheidend.
Verschiedene ethische Kriterien wie das der Nutzenmaximierung, das Instrumentalisierungsverbot, das Würdeprinzip oder der Vorwurf des Speziesismus erscheinen vor dem Hintergrund dieser Betrachtungsweise zwar weiterhin als relevant, jedoch gleichzeitig als von nur beschränkter Tragweite.
So kann man durchaus anerkennen, dass die Nützlichkeit ein zentraler Aspekt moralisch wertvollen Handelns ist, ohne gleichzeitig zu behaupten, dass der moralische Wert einer Handlung proportional zu ihrer Nützlichkeit steigt.42 Dass es besser ist, zwei Menschen statt nur einen zu retten, erscheint völlig plausibel. Doch ist ein Arzt, der 1.000 Patienten rettet, tatsächlich mehr zu loben als ein anderer, der ‚nur‘ 999 gerettet hat? Der hehre Zweck, der ggf. mit Tierversuchen erzielt werden kann, heiligt nicht immer alle Mittel, die zu seinem Erreichen notwendig sind; dennoch lässt sich in manchen Fällen sagen, dass bestimmte Zwecke die Anwendung bestimmter Mittel rechtfertigen, ohne sie damit als moralisch unbedenklich zu erklären. Entscheidend ist hier mitunter nicht nur das Ausmaß des angestrebten Nutzens oder des in Kauf genommenen Leidens, sondern nicht selten auch die genaue Art des Nutzens bzw. Leidens.
Die Instrumentalisierung von Tieren (oder auch Menschen) ist oft, nicht jedoch in allen Fällen, moralisch verwerflich. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck und unter Einsatz welcher Mittel instrumentalisiert wird. Kaum jemand außerhalb der kantischen Theorietradition hätte ein Problem damit, wenn ein Forscher sein rein wissenschaftliches Forschungsziel, die Reaktion von Menschen oder Tieren auf Freundlichkeit zu studieren, durch entsprechende Experimente zu erreichen versucht, auch wenn klar wäre, dass die Versuchsobjekte dem Forscher dabei ausschließlich als Mittel für dessen eigene Zwecke dienen. Es ist oft nicht die Instrumentalisierung, die wir missbilligen, sondern die vorgestellte Schädigung, die aus der Haltung der allgemeinen Bereitschaft zur Selbst- und Fremdinstrumentalisierung erwachsen kann.
In manchen Fällen mag sich des Weiteren zeigen, dass es für die moralische Bewertung keinen Unterschied macht, ob ein Tierversuch an einem bestimmten Tier oder an einem anderen durchgeführt wird, ob man das Tier gegen ein Exemplar derselben Art oder einer anderen Art austauscht oder gar gegen einen Menschen. In anderen Fällen macht es sehr wohl einen Unterschied, und dieser Unterschied spiegelt sich nicht notwendigerweise in den mentalen Fähigkeiten der betroffenen Individuen wider. Unter Würde versteht selbst Kant letztlich die Eigenschaft, durch nichts anderes (der gleichen oder anderer Art) ersetzbar zu sein. Erkennt man statt einer objektivistisch postulierten, metaphysischen Tatsache das intersubjektiv nachempfindbare Gefühl der Unersetzbarkeit als Würde konstituierend an, so wird verständlich, warum wir von einem Forscher nicht erwarten, dass er die schmerzhaften Experimente, die er im Dienste der Medizin an seinen Versuchstieren durchführt, mit derselben Bereitschaft auch an seinem eigenen Haustier oder an den letzten Vertretern einer aussterbenden Tierart wiederholen möge.
Schließlich mag es auch in manchen Fällen falsch sein, ein Wesen allein deshalb besser zu behandeln als ein anderes, weil es unserer eigenen oder einer uns lieb gewordenen Spezies angehört oder uns auf eine andere Weise besonders ähnlich ist oder nahe steht. In vielen Fällen ist genau dies aber ethisch völlig unproblematisch, ja manchmal sogar gefordert, ohne dass uns dies zu Speziesisten oder Egoisten macht. Wenn ein Feuerwehrmann zur Demonstration seiner Unvoreingenommenheit aus einem brennenden Zoo bewusst das verwaiste Gorillababy statt ein behindertes Waisenkind rettete, so erschiene das vielen von uns als moralisch fragwürdig. Wenn jemand andererseits aus seiner brennenden Wohnung zuerst den geliebten Familienhund ins Freie schafft, bevor er nachsieht, ob er in der Wohnung seines Nachbarn jemandem helfen kann, so haben wir für ihn mehr Verständnis als für denjenigen, der Hund und Nachbar in dem brennenden Haus lässt, um zunächst sein Auto oder den teuren Fernseher aus der Gefahrenzone zu bringen.
Ziel gesamtgesellschaftlicher, ethischer Diskurse sollte es sein, die Gefühle und Einstellungen, die wir in uns selbst und anderen gegenüber konkreten Einzelfällen dieser Art beobachten, ernst zu nehmen, ihren Ursprung zu ergründen und sie auf ihre Angemessenheit hin zu hinterfragen, statt die durch sie ausgedrückten Unterschiede zu leugnen oder zu nivellieren, weil sie von derjenigen ethischen Theorie, an deren Verbreitung wir ein persönliches, politisches, religiöses, wissenschaftliches oder gar wirtschaftliches Interesse haben, nicht erfasst oder als irrelevant dargestellt werden. Die Liste der ethischen Kriterien, die für die Kritik und Rechtfertigung von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung relevant sind, ist prinzipiell offen zu halten. Insbesondere darf sie nicht auf diejenigen Kriterien begrenzt werden, deren vermeintlicher Vorzug statt in der Bereicherung in der reduktionistischen Simplifizierung des ethischen Diskurses, in ihrer politischen oder praktischen Durchsetzbarkeit oder in ihrer Subsumierbarkeit unter ein bestimmtes, kognitiv-intellektualistisches Prinzip besteht.
5. Fazit: Was folgt aus alledem?
Wer dieser Argumentationsweise folgt, wird zu dem Schluss gelangen, dass im Falle nützlicher und alternativloser Tierversuche weder eine allgemeine Ächtung noch eine allgemeine Unbedenklichkeit dieser Versuche philosophisch zu rechtfertigen ist.43 Blickt man auf konkrete Einzelfälle, so ist diesen sicherlich öfter ihre moralische Legitimität abzusprechen, als es eine isolierte Anwendung konsequent kontraktualistischer oder kantischer Kriterien nahelegt. Andererseits mag die ethische Rechtfertigung jedoch auch in einigen derjenigen Fällen gelingen, die den Substitutionstest des Singer’schen Präferenzutilitarismus nicht bestehen. Entscheidend für die ethische Rechtfertigung von Tierversuchen ist neben dem ‚Was‘ und dem ‚Wozu‘ insbesondere das ‚Wie‘.
Aufgabe des philosophischen Ethikers im interdisziplinären Diskurs ist es, Mediziner, Forscher und Politiker angesichts solch komplexer Problemstellungen nicht allein zu lassen, sondern ihnen bei der Suche, Anwendung und Gewichtung ethischer Unterscheidungskriterien zur Seite zu stehen. Umgekehrt zählt es zu den Tugenden der Mediziner und Forscher, Emotionslosigkeit und Abgeklärtheit nicht als Zeichen wissenschaftlicher Qualität zu missdeuten, sondern sich für die emotionalen Impulse der Situation und die kognitiven Impulse der philosophischen Ethik offen zu zeigen, sich mit den von letzterer bereitgestellten Kriterien ebenso gründlich wie kritisch auseinanderzusetzen und nach der intersubjektiven Diskussion aller Positionen und Gegenpositionen44 kontextsensible Entscheidungen über konkrete Fälle zu treffen, die der Komplexität des jeweils zugrundeliegenden Problems Rechnung tragen. Wer aus dieser Haltung heraus agiert, wird dennoch mitunter Entscheidungen treffen, die einer Minderheit oder gar Mehrheit der Diskussionspartner falsch erscheinen. Es wird ihm jedoch stets möglich sein, sich wirkungsvoll gegen den Vorwurf zu verteidigen, sein Entscheidungsprozess als solcher entbehre der ethischen Rechtfertigung.
Referenzen
- Das Plädoyer für einen Pluralismus an Perspektiven und Methoden ist scharf zu unterscheiden von subjektivistischen und relativistischen Thesen, nach denen sich die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit einer gesellschaftlichen Praxis auf die Frage nach den subjektiven Überzeugungen des Individuums oder den kulturellen Wertvorstellungen einer Gesellschaft reduzieren lässt. Ebenso ist die Redeweise von einer ‚Praxis‘ hier nicht im Sinne eines Pragmatismus zu verstehen, der die Angemessenheit der Anwendung einer wissenschaftlichen Methode und die Wahrheit der Antwort auf eine (ethische) Frage für vollständig vom Kontext der Fragestellung abhängig erklärt. Ein Verständnis von (Angewandter) Ethik als einer Disziplin, die je nach Kontext unterschiedliche normative Maßstäbe anwendet (z. B. Kantianismus für Menschen, Utilitarismus für Tiere), lässt sich nur unter Einnahme einer sehr speziellen, gleichwohl derzeit modernen pragmatistischen Weltsicht rechtfertigen. Der gemeinte Pluralismus beruht vielmehr auf der Überzeugung, dass verschiedene Betrachtungsweisen unterschiedliche Perspektiven auf ein Problem eröffnen, die gemeinsam eine vollständigere Antwort auf die Frage nach der Wahrheit oder Angemessenheit einer philosophischen These liefern, als es jeder einzelne Ansatz für sich genommen vermag. Auch subjektivistische, relativistische und pragmatistische Ansätze leisten ihren Beitrag zum Verständnis philosophischer Probleme und des Spektrums an möglichen Lösungsvorschlägen, sind jedoch in ihre Schranken zu weisen, wo sie im Rahmen eines Absolutheitsanspruchs das die übrigen Ansätze verbindende, allgemeine Konzept intersubjektiver Wahrheit und Angemessenheit als solches negieren.
- Zur traditionellen Orientierungsfunktion der Philosophie im Allgemeinen wie der Ethik im Speziellen siehe auch Luckner A., Klugheit, de Gruyter, Berlin/New York (2005), insbesondere Kapitel 1.
- Die Moral eines Menschen oder einer Gesellschaft ergibt sich daraus, welche Verhaltensweisen einem Individuum oder einer Gruppe von Individuen faktisch als richtig oder falsch gelten. Unter Ethik verstehen wir die (deskriptive oder normative) Wissenschaft von der Moral.
- Zur genauen Definition von ‚Tierversuchen‘ siehe das Tierschutzgesetz (Deutschland) §7.
- So bezeichnet etwa Günter Patzig Fälle, in denen „ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Ergebnissen des Tierversuchs und der auf andere Weise nicht erreichbaren Verminderung menschlichen Leidens auf längere Sicht aufgewiesen werden kann“, 1986 noch als „moralisch unbedenklich“, im Wiederabdruck desselben Aufsatzes 2008 hingegen nur noch als „moralisch erlaubt“. Vgl. Patzig G., Der wissenschaftliche Tierversuch unter ethischen Aspekten, in: Gesellschaft Gesundheit und Forschung e. V. (Hrsg.), Ethik und Tierversuche, Frankfurt a. M. (1986), S. 17-30, hier S. 28; bzw. in: Wolf U. (Hrsg.), Texte zur Tierethik, Reclam, Stuttgart (2008), S. 250-268, hier S. 266; orig: Hardegg W., Preiser G. (Hrsg.), Tierversuche und medizinische Ethik. Beiträge zu einem Heidelberger Symposium, Olms-Verlag, Hildesheim (1986), S. 70-84
- vgl. Russell W. M. S., Burch R. L., The Principles of Humane Experimental Technique, Methuen, London (1959). In Deutschland sollen zum Wintersemester 2016/17 an den Universitäten in Gießen und Frankfurt zwei neue Professuren entstehen, welche Möglichkeiten zur Linderung des Leids von Versuchstieren bzw. Möglichkeiten der Substitution von Tierversuchen durch Experimente an dreidimensionalen Zellkulturen erforschen. Nach Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ist Hessen damit das dritte Bundesland mit einem universitären Zentrum für tierversuchsfreie Verfahren (vgl. FAZ, 14.8.2015).
- Gleichwohl betont Ursula Wolf, dass im Bereich medizinischer Tierversuche nur dann ein echter moralischer Konflikt gegeben wäre, wenn es auf Seiten der Menschen ein moralisches „Recht auf Gesundheit oder Freiheit von Krankheiten“ gäbe, was nach Wolf nicht der Fall ist. Vgl. Wolf U., Das Tier in der Moral, Klostermann, Frankfurt a. M. (1990), S. 107 ff. Da demzufolge im Falle medizinischer Forschung kein echter moralischer Notstand vorliegt, ist die Redeweise von einer ‚Notwendigkeit‘ von Tierversuchen generell problematisch.
- vgl. hierzu etwa O’Donoghue P. N. (Hrsg.), The Ethics of Animal Experimentation, EBRA/FELASA, London (1998)
- Das Grundkonzept des Kontraktualismus geht in der Neuzeit auf Thomas Hobbes (1588 ? 1679) zurück. Für eine moderne Variante vgl. etwa Hoerster N., Ethik und Interesse, Reclam, Stuttgart (2003), zu deren Anwendung auf die Tierethik vgl. Hoerster N., Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik, Beck, München (2004).
- vgl. Stemmer P., Handeln zugunsten anderer. Eine moralphilosophische Untersuchung, de Gruyter, Berlin/New York (2000), S. 107 ff.
- vgl. AA IV 434 (Grundlegung, Zweiter Abschnitt). Kant wird nach der Akademieausgabe (AA) zitiert: Kant I., Gesammelte Schriften, hrsg. v. d. Preußischen/ Deutschen/ Göttinger/ Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, S. 1900 ff.
- vgl. Stemmer P., Handeln zugunsten anderer. Eine moralphilosophische Untersuchung, de Gruyter, Berlin/New York (2000), §11
- vgl. AA VI 443 (Metaphysik der Sitten, Tugendlehre)
- vgl. Rowlands M., Gerechtigkeit für alle, in: Wolf U., siehe Ref. 5, S. 92-104. So argumentieren teilweise auch Tom Regan und Richard Ryder, der Erfinder des Ausdrucks ‚Speziesismus‘. Vgl. Ryder R., Some basic objections to animal experiments, in: O’Donoghue P. N., siehe Ref. 8, S. 51-56, hier S. 52
- vgl. Regan T., Wie man Rechte für Tiere begründet, in: Wolf U., siehe Ref. 5, S. 33-39
- vgl. Carruthers P., Kontraktualismus und Tiere, in: Wolf U., siehe Ref. 5, S. 78-91; hier S. 83
- vgl. AA IV 389 (Grundlegung, Vorrede)
- Eine Alternative zum utilitaristischen Prinzip der Nutzenmaximierung stellt Richard Ryders ‚Painism‘ dar, dem es nicht um die Minimierung des Gesamtleidens geht, sondern um die Minimierung des Leidens desjenigen Individuums, das jeweils am meisten unter einer Praxis leidet. Vgl. Ryder R., Some basic objections to animal experiments, in: O’Donoghue P. N., siehe Ref. 8, S. 51-56. Gegenüber den Theorien von Regan und Singer ist dieser Ansatz in der gegenwärtigen Diskussion insbesondere im deutschsprachigen Raum unterrepräsentiert.
- vgl. Singer P., Praktische Ethik, 2. Auflage, Reclam, Stuttgart (1994), S. 39
- ebd., S. 85
- vgl. Singer P., siehe Ref. 19, S. 156. Der Personenstatus bzw. das Personenkriterium spielt bei Singer eine große Rolle. Vgl. Singer P., siehe Ref. 19, S. 145 ff. Singer betont ausdrücklich, dass er „die Absicht verfolge, den Status der Tiere zu heben, nicht aber, den der Menschen zu senken“. Singer P., siehe Ref. 19, S. 109. Gleichwohl ist die Angst vor ‚schiefen Ebenen‘ bei seinen Gegnern weit verbreitet. Vgl. hierzu kritisch Frey R. G., Die Ethik der Suche nach dem Nutzen. Tierversuche und Medizin, in: Wolf U., siehe Ref. 5, S. 236-249, hier S. 247
- vgl. Singer P., siehe Ref. 19, Anhang zur zweiten Auflage
- vgl. Singer P., Ethics and Intuitions, The Journal of Ethics (2005); 9: 331-351
- vgl. Singer P., siehe Ref. 19, S. 29
- vgl. Singer P., siehe Ref. 19, S. 97
- Williams B., Der Begriff der Moral, Reclam, Stuttgart (1986), S. 99. Nach Williams sollten wir nicht nur danach fragen, ob wir mit den Antworten übereinstimmen, zu denen der Utilitarismus führt, sondern ob wir die Art und Weise akzeptieren, wie ethische Fragen von ihm behandelt werden. Vgl. Williams B., Kritik des Utilitarismus, Klostermann, Frankfurt a. M. (1979), S. 40
- In Deutschland wurden in den letzten Jahren jährlich etwa 2500 Hunde für wissenschaftliche Versuche verwendet bzw. verbraucht. Vgl. Statista, de.statista.com/statistik/daten/studie/2410/umfrage/tierversuche---anzahl-der-fuer-wissenschaftliche-versuche-verwendeten-tiere-seit-2007/ (letzter Zugriff am 30. Juli 2015)
- vgl. Moore G. E., Principia Ethica, §§18-22. Moore interessiert sich für diese Thematik nicht im Zusammenhang mit Tierethik.
- vgl. Williams B., siehe Ref. 27; Höffe O., Einführung in die utilitaristische Ethik, A. Francke Verlag, Tübingen/Basel (2003); dagegen Gesang B., Eine Verteidigung des Utilitarismus, Reclam, Stuttgart (2003)
- vgl. Schopenhauer A., Preisschrift über die Grundlage der Moral, §15; in: ders., Die beiden Grundprobleme der Ethik, Diogenes, Zürich (1977)
- Zu dieser Tradition gehören insbesondere Anthony Ashley-Cooper, der 3. Earl of Shaftesbury (1671 – 1713), Francis Hutcheson (1694 – 1746), David Hume (1711 – 1776) und Adam Smith (1723 – 1790). Ihre Erklärungen über Ursprung, Beschaffenheit und Funktionsweise des ‚Moralischen Sinns‘ sind dabei durchaus heterogen.
- Einige, jedoch nicht alle Vertreter dieser frühneuzeitlichen Theorietradition verbinden diesen Ansatz noch mit einer religiösen Begründung.
- So kritisiert etwa Michael Stocker an der modernen Ethik die unzureichende Berücksichtigung der Beziehung zwischen Motiven und Werten, die er darauf zurückführt, dass das Hauptinteresse moderner Moralphilosophen im Bereich der Gesetzgebung liege. Vgl. Stocker M., Die Schizophrenie moderner ethischer Theorien, in: Rippe K. P., Schaber P. (Hrsg.), Tugendethik, Reclam, Stuttgart (1998), S. 19-41, hier S. 37
- Dies ist insbesondere beim Übergang von Einzelfällen zur allgemeinen Praxis relevant. Richard Ryder betont, dass die Anwendung von Tierversuchen eine verrohende Wirkung auf die Experimentatoren haben kann. Vgl. Ryder R., Some basic objections to animal experiments, in: O’Donoghue P. N., siehe Ref. 8, S. 51-56
- Schweitzer A., Die Ehrfurcht vor dem Leben, Beck, München (1997), S. 40. Im Unterschied zu Singer, der einen pathozentrischen Ansatz verfolgt (siehe 3.2), vertritt Albert Schweitzer in der Ethik einen Biozentrismus. Für eine Würdigung des Ansatzes von Schweitzer spricht sich beispielsweise Thurnherr aus. Vgl. Thurnherr U., Tierethik, in: Pieper A., Thurnherr U. (Hrsg.), Angewandte Ethik, Beck, München (1998), S. 56-77; hier S. 75 f.
- Schweitzer A., Die Ehrfurcht vor dem Leben, Beck, München (1997), S. 44
- Foot P., Die Natur des Guten, Suhrkamp, Frankfurt a. M. (2004), S. 152
- vgl. Hoffmann T., Praktische Normativität und aristotelische Notwendigkeiten, in: Brosow F., Rosenhagen T. R. (Hrsg.), Moderne Theorien Praktischer Normativität. Zur Wirklichkeit und Wirkungsweise des praktischen Sollens, mentis, Münster (2013), S. 141-163, hier S. 157
- Zur Interpretation der Hume’schen Moraltheorie als multikriterielle Theorie der Moral und ihrem Verhältnis zur Tugendethik sowie zur Moral Sense Tradition vgl. Brosow F., Die Tugend eines gemäßigten Skeptikers. Hume über ‚favourite principles‘ in der Moralphilosophie, in: Brosow F., Klemme H. F. (Hrsg.), David Hume nach dreihundert Jahren. Historische Kontexte und systematische Perspektiven, mentis, Münster (2014), S. 168-202.
- Eine explizite Anwendung des Hume’schen Ansatzes auf den Bereich der Tierethik steht im derzeitigen Diskurs noch aus, bereitet jedoch keinerlei systematische Schwierigkeiten, sofern man bereit ist, zum Umfeld des Akteurs auch diejenigen Tiere zu zählen, auf die sich sein Verhalten auswirkt.
- vgl. Hume D., Über Moral (Traktat über die menschliche Natur, Buch 3), m. e. Kommentar hrsg. v. Pauer-Studer H., Suhrkamp, Frankfurt a. M. (2007); Brosow F., Hume, Reclam, Stuttgart (2011); Brosow F., David Humes intersubjektivistisch-naturalistisches Verständnis von Normativität, mentis, Münster (2014)
- Der moralische Wert einer Handlung steigt diesem Ansatz nach nur dann mit der Nützlichkeit, wenn sich kognitiv feststellbare Unterschiede in der Nützlichkeit auch in spürbaren Unterschieden auf der Ebene der moralisch relevanten Gefühle niederschlagen.
- vgl. dagegen Wolf J.-C., Tierethik. Neue Perspektiven für Menschen und Tiere, 2. Auflage, Fischer, Erlangen (2005), S. 102. Wolf spricht sich für die moralische Unzulässigkeit aller aggressiven Tierversuche aus, da diese stets Grundbedürfnisse bedrohen oder verletzen und die für derartige Fälle notwendige Zustimmung des Betroffenen im Fall der Tiere weder vorliegt noch eingeholt werden kann.
- Eine gute Übersicht bieten die Kapitel zur Tierethik in Nida-Rümelin J. (Hrsg.), Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung, Kröner, Stuttgart (2005), sowie Wolf U., siehe Ref. 5 und Schmitz F. (Hrsg.) Tierethik. Grundlagentexte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. (2014).
Dr. Frank Brosow
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Philosophisches Seminar der
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Elsa Romfeld, M.A.
Akademische Mitarbeiterin
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