Der Arzt – ein Vermögensberater? Oder: Auf welcher Rechtsebene ist Menschenleben verhandelbar?
Zusammenfassung
Nach der Geburt eines schwer behinderten Kindes klagte die Kindesmutter den behandelnden Gynäkologen auf Schadenersatz für den gesamten erhöhten Unterhaltsaufwand. Obwohl der Arzt die Klägerin zur weiteren Abklärung seines Verdachts auf eine Behinderung an eine Risikoambulanz verwies, verurteilte der OGH den Arzt dem Grunde nach zum Schadenersatz auf Lebenszeit des Kindes. Urteilsbegründend war offensichtlich die Auffassung des Höchstgerichtes, aus der unter gewissen Umständen gegebenen Straffreiheit einer Abtreibung durch die Mutter ergäbe sich aus dem Behandlungsvertrag eine generelle Mitwirkungspflicht eines Diagnostikers an einer Abtreibung, wenn dadurch erfolgreich materielle Vermögensschäden verhindert werden könnten. Die darin inkludierte Abwägbarkeit des grundlegenden und in jeder Weise inkompatiblen Menschenrechtes auf Leben mit Materien des Sachenrechtes argumentiert der OGH jedoch nicht. Ein damit intendiertes „Recht auf Abtreibung“ ist mit der österreichischen Rechtsordnung und der rechtsethischen Tradition unvereinbar.
Schlüsselwörter: Lebensrecht, Vermögensschäden, Recht auf Abtreibung, Aufklärungspflicht, Gewissensfreiheit
Abstract
After giving birth to a seriously disabled child, the mother sued her gynecologist for compensation of the entire extra support of her baby. Despite the fact that the doctor had advised her to see a specialised department for pregnancies at risk, the Supreme Court (Austria) sentenced the physician to pay for the entire life of the child. It was ruled that, based on circumstancial penalty-free abortion when initiated by the mother, the doctor was obliged to consult a compenent diagnostician to facilitate the decision for abortion, thus preventing from a financial burden caused by the care for the disabled child. The court, however, did not argue about the herein included basic human right to live, which cannot be subject to weighing against financial matter. The juridical deduction, that some „right to abortion“ was violated in this case appears incompatible with the Austrian tradition of ethical jurisdiction.
Keywords: Right to live, financial losses, right to abort, duty of information, freedom of conscience
Einleitung
Im Sommer 2006 publizierte der Oberste Gerichtshof (OGH) eine weitere Entscheidung (5 Ob 165/05h)1 zur Haftung des Arztes für „mangelhafte“ Beratung, unter Einschluss einer logisch vorausliegenden Beurteilung des Lebensrechtes Ungeborener, bei denen eine schwere Behinderung diagnostiziert wurde.
Der Entscheidung des OGH lag folgender Fall zu Grunde: Auf Grund der Geburt eines schwer behinderten Kindes (Down-Syndrom, Darmverschluss, schwerer Herzfehler) klagten die Kindeseltern den die Schwangerschaft begleitenden Gynäkologen auf Schadenersatz, nicht nur für den durch die Behinderung gegenüber einem gesunden Kind erhöhten Unterhaltsbedarf, sondern auf den gesamten Unterhalt als Schaden. Als Begründung für diese Forderung, deren Höhe wegen der lebenslangen Dauer des erhöhten Aufwandes außergewöhnlich hoch war, wurde angeführt, der Arzt hätte trotz der Vermutung der schweren Behinderung die Kindeseltern nicht in ausreichender Weise auf die damit verbundenen Imponderabilien hingewiesen, und den Eltern so die Möglichkeit genommen, durch eine rechtzeitig vorgenommene Abtreibung diesen Schaden zu vermeiden; er sei daher schadenersatzpflichtig. Beide Unterinstanzen wiesen das Klagsbegehren ab, der OGH jedoch ließ die außerordentliche Revision zu, weil zur Frage der ärztlichen Aufklärungspflicht noch keine ausreichende Rechtsprechung vorliege, entschied aber in der Sache grundsätzlich, dass die Forderung an sich zu Recht bestehe.
Fallentscheidend ist die Frage, ob die auf eine Geburt (nicht „aus einer Geburt“, RIS 1, S. 13) eines (schwer) behinderten Kindes folgenden Unterhaltskosten als ersatzpflichtiger (nicht „ersatzfähiger“, RIS 1, S. 14) Schaden aufzufassen sind, ob die Verhinderung dieses Schadens möglich und verpflichtet gewesen wäre, sowie die Frage, inwieweit ein Arzt auf Grund des der Diagnose zu Grunde liegenden Behandlungsvertrages zu entsprechender Aufklärung verpflichtet gewesen wäre, ihn daher ein Verschulden durch ein Versäumnis träfe, sowie einschlussweise auch die Höhe des mutmaßlichen Schadens.
Kritische Analyse der höchstgerichtlichen Entscheidung
1. Unterhaltsleistung als Schaden
Zunächst ist die nur scheinbar triviale Ausgangsfrage zu klären: Liegt ein Schaden vor?
Schon in früherer Rechtsprechung stellte der OGH zu Recht fest (RIS 1, S. 12): Nicht das Kind sei der Schaden, sondern die aus der Existenz des Kindes folgenden Unterhaltsleistungen – womit allerdings das Kind dennoch wieder Erstverursacher dieses Aufwandes bleibt. Ein negatives Werturteil über das Kind werde damit, dass dessen Unterhalt als Verbindlichkeit zu qualifizieren ist, nicht ausgesprochen. Dennoch ist damit die grundlegende Frage gestellt, inwieweit die Existenz eines Menschen an sich und die zur Erhaltung dieser Existenz unabdinglichen Aufwendungen tatsächlich auf gleicher logischer, und daher auch ethischer und rechtlicher Ebene verglichen werden dürfen (vgl. auch das Problem des Stufenbaus der Rechtsordnung). Die Argumentation des OGH bleibt unbefriedigend.
Gewöhnlich wird eine Verbindlichkeit auch einen Vermögensnachteil mit sich bringen, es müsste aber im Einzelfall bewiesen werden, dass dieser Vermögensnachteil auch bestehende Rechte beeinträchtigt, damit von „Schaden“ gesprochen werden kann – von anderen Komponenten, die zur Konstatierung einer Schadenersatzpflicht erforderlich sind, ganz abgesehen. Wenn der OGH meint, nicht die Geburt sei der Schaden, sondern die aus der Geburt folgende Unterhaltspflicht der Eltern, so ist ohne weitere Argumentation ein Zirkelschluss nicht auszuschließen: Wenn die Geburt rechtlich unbedenklich ist, wieso können dann die gesetzlich vorgeschriebenen wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Geburt rechtswidrig sein (petitio principii – der Schluss ist nur möglich, wenn man a priori Abtreibung als im Sinne der Rechtsordnung akzeptables Mittel der Schadensvermeidung annimmt)? Wenn die Existenz, die nicht abstrakt, sondern immer nur in konkreter Gestalt gegeben und daher denkbar ist, kein Nachteil ist, wieso können dann die Erhaltungsmaßnahmen für diese Existenz als Nachteil aufgefasst werden, die ja jedenfalls subsidiären Charakter haben? Dies scheint einen Wechsel der Betrachtungsebene vorauszusetzen. Die Sinnhaftigkeit und Berechtigung dafür argumentiert der OGH jedoch nicht.
Wenn man „Schaden“ in schulischer Trivialität als „Nachteil an Vermögen“ definiert, der festgestellt wird durch einen Vergleich des Vermögens vor und nach dem schädigenden Ereignis, dann können in der Tat alle Aufwendungen als Schaden angesehen werden, denen kein adäquater materieller Nutzen gegenübersteht. Damit würden auch alle Aufwendungen zum Schaden avancieren, die man aus ideellen Gründen tätigt, selbst wenn sie durch den Gesetzgeber vorgesehen sein sollten, wie etwa Nothilfe bei Verkehrsunfällen, die zu leisten zwar eine moralische und gesetzliche Verpflichtung besteht, die aber gewöhnlich zu Vermögensnachteilen führt (z. B. durch Zeitaufwand).
Daher kann wohl aus einem sinnvollen Schadensbegriff die Berücksichtigung der Verpflichtung zur Leistung nicht ausgeklammert werden: Die Rückzahlung eines Darlehens ist kein Schaden, sondern die Erfüllung einer vertraglichen Pflicht; Steuern zu zahlen vermindert zwar das Vermögen, ist aber ebenfalls kein Schaden, weil eine gesetzliche Verpflichtung besteht. Die Erhaltung eines nicht selbsterhaltungsfähigen Ehegatten, ist ebenfalls eine Verpflichtung und keine freiwillige Leistung, die auch unterbleiben könnte, für die der zu Erhaltende daher dem Grunde nach schadenersatzpflichtig wäre. Wenn das Kind (vor oder nach der Geburt) heilbar gewesen wäre, dann wäre der Arzt bei Unterlassung einer Heilbehandlung zu recht schadenersatzpflichtig geworden. Tötung ist aber keine Heilbehandlung, deren Unterlassung kann nicht als Nachlässigkeit und daher als vorwerfbar beurteilt werden (zur Frage der hier ebenfalls relevanten Gewissensfreiheit des Arztes s. u.).
Unterhaltspflichten für (lebende) Kinder sind moralisch und gesetzlich normiert, und zwar nicht nur als zum physischen Überleben gerade noch ausreichendes Minimum, sondern in dem Umfang, der als standesgemäß und zumutbar gemessen an den Möglichkeiten der Eltern nach allgemeiner Lebenserfahrung anzusehen ist. Selbst zu entsprechenden Bildungsausgaben sind die Eltern verpflichtet. Niemand käme wohl auf die Idee, derartige Aufwendungen als schadenersatzpflichtig anzusehen, etwa als Forderung der Eltern gegen das (selbsterhaltungsfähig gewordene) Kind.
Diese grundsätzliche Sicht findet regelmäßig auch keine Einschränkungen, wenn diese Unterhaltsausgaben durch außergewöhnliche Ereignisse, wie etwa besondere Begabungen oder auch besondere Erfordernisse auf Grund von Behinderungen diverser Abstufung überdurchschnittlich wären – wobei die Frage nach der Bestimmbarkeit eines adäquaten Durchschnittes vermutlich grundsätzlich unbeanwortbar ist, schon deshalb, weil der Vergleichbarkeit menschlicher Existenz kaum überwindbare Grenzen gesetzt sind. Nicht berührt davon ist selbstverständlich eine dennoch denkbare Schadenersatzpflicht, wenn etwa durch eine vorwerfbare Handlung oder Unterlassung eines behandelnden Arztes eine Schädigung in utero oder beim Geburtsvorgang zu erhöhten Unterhaltskosten führt.
Nach Meinung des OGH in casu hängt die Frage, ob eine (ungerechtfertigte) Vermögensverminderung, die als Schaden anzusehen ist, stattgefunden habe, entscheidend davon ab, ob eine Abtreibung durchgeführt wurde oder nicht, und daher in erweiterter Kausalität auch (kausal!) davon, ob sie ermöglicht wurde oder nicht. Hätte sich die Kindesmutter auch im (annähernd) vollen Wissen um die Behinderung des Kindes nicht für eine Abtreibung entschieden, so wären die Unterhaltsleistungen auch nicht als Schaden – gegenüber welchem Schädiger? – zu beurteilen gewesen. Hätte sich die Mutter hingegen für eine Abtreibung entschieden (bzw. entscheiden können), so erhalten die gleichen Leistungen die Qualität eines Schadens. Ob ein Vermögensnachteil besteht, hinge daher von der Entscheidung(smöglichkeit) der möglicherweise geschädigten Person ab, also einem intentionalen Umstand, den zu beweisen prozesstechnisch eine wahre probatio diabolica wäre.
Diese Auffassung ist aber auch rechtsdogmatisch fragwürdig, würden doch die grundsätzlich objektivierbaren Sachverhalte des Sachenrechtes ihre Qualifikation von subjektiven, nicht objektivierbaren geistigen Vorgängen erhalten: Ob ein Schaden vorliegt, hinge davon ab, ob ein (vermeintlich) Geschädigter einen Schaden annehmen will. Das ist auch eine der zentralen Fragen des gegenständlichen Falles, weil es ja von der willkürlichen Entscheidung der Kindesmutter abgehangen wäre, die Abtreibung – gerechtfertigt oder nicht – überhaupt vorzunehmen.
Während der OGH in der bisherigen Rechsprechung nur die Verhinderung des Mehraufwandes für ein behindertes Kind als Pflicht zur Verringerung eines allfälligen Schadens statuierte – was natürlich die Abtreibung als einzig wirksames Mittel zur Schadenvermeidung auch in diesen Fällen eingeschlossen hätte, thematisch aber nicht die Verhinderung der Existenz des Kindes überhaupt voraussetzte –, geht der OGH nunmehr klar darüber hinaus. Es geht daher nicht bloß um die Rechtmäßigkeit der Verhinderung einer Behinderung, sondern unvermeidbar um jene der Existenz an sich. Konsequent ist die Entscheidung, insoweit sie feststellt, dass der zusätzliche Aufwand für die Behinderung ja nur beseitigt hätte werden können, wenn auch die Voraussetzung des Basisunterhalts beseitigt worden wäre; eine Beseitigung bloß der Behinderung ist ja nicht möglich (ein verdeckter logischer Zirkel). Diese Erweiterung liegt zwar durchaus in der Tendenz der bisherigen Entscheidungen, geht aber rechtslogisch doch über sie hinaus; man hätte daher auch eine ausdrückliche Argumentation erwartet. So aber beschränkt sich der OGH auf umfangreiche Verweise auf die frühere Rechtsprechung (insbesondere der Entscheidung 1 Ob 91/99k).
Wie problematisch, weil Behinderte diskriminierend, die Auffassung ist, ergibt sich aus der Gegenüberstellung eines anderen Falles, in dem der OGH feststellte, Unterhaltsaufwendungen für ein gesundes, wenn auch unerwünschtes, Kind seien nicht als ersatzpflichtiger Vermögensschaden anzusehen (6 Ob 101/06f = RIS 3): Nach drei – nicht immer ohne Komplikationen – zur Welt gebrachten Kindern wollte ein Ehepaar weiteren Nachwuchs ausschließen, weshalb sich der Mann einer Vasektomie unterzog. Trotz negativer Spermiogramme kam es zur Zeugung eines weiteren Kindes. Das Ehepaar klagte den Urologen, der die Oparation vorgenommen hatte, auf Schadenersatz für den Unterhalt für das nicht erwünschte Kind, sowie auf Schmerzensgeld bezüglich der Frau.
Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Vorentscheidungen stellt der OGH fest, die grundlegende Frage, „ob die Geburt eines (gesunden) Kindes einen Schaden darstellt, einer neuerlichen Prüfung unterzogen“ zu haben (RIS 3, S. 11) – wobei offensichtlich nicht eigentlich die Geburt selbst, sondern die Unterhaltsaufwendungen als Konsequenzen der Geburt gemeint sind. Als Ergebnis sieht der OGH unter Verweis auf die zustimmende Literatur keine Veranlassung, von der bereits ausgesprochenen Rechtsansicht abzugehen, nach der „die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinne“ (RIS 3, S. 11) darstelle. Der Embryo sei als Nasciturus bereits rechtsfähig und daher in seinem Lebensrecht zu schützen (RIS 1, S. 6). Jeder Mensch sei in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten, was ausschließe, ein Kind als Schaden zu begreifen. „Demnach hat das Schadenersatzrecht nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwertes des Kindes darstellen…“ Die Grundsätze der Personwürde und der Familienfürsorge hätten Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen: „Die … Diskussion um die hier auch zu berücksichtigenden, mit der Existenz des Kindes verbundenen Vorteile zeigt deutlich die Unangemessenheit einer rein schadenersatzrechtlichen Betrachtungsweise im vorliegenden Zusammenhang“ (RIS 3, S. 11).
Diese subtile Ansicht nimmt man zunächst gerne zur Kenntnis. Mit dieser Argumentation räumt der OGH nämlich ein, dass Rechtsebenen zu bedenken sind, die in einem Abstufungsverhältnis zu einander stehen (Argument: „Vorrang“!): Der Personwürde kommt ein höherer Rang zu als Rechten im materiellen Vermögensbereich. Der Senat bestätigt damit zwar seine (fragwürdige) Meinung der Kompatibilität beider Rechtsbereiche, beachtet aber doch den Stufenbau der Rechtsordnung sowie rechtsethische Implikationen.2 Der Unterschied zum vorigen Fall liegt ausschließlich in den persönlichen physischen Eigenschaften des Kindes, die der OGH nach wie vor grundsätzlich für (durch ihn als Außenstehenden) materiell bewertbar hält: Die Personwürde eines gesunden Kindes ist vorrangig zu beachten, die eines behinderten Kindes kann aber mit Vermögensrechten aufgewogen werden – auch mit negativem Erfolg. Als Grund für die Berechtigung dieses doch überraschenden Schlusses findet sich in der Entscheidung lediglich der Verweis auf in- und ausländische Literatur. Damit werden unter anderem auch Abgrenzungsfragen provoziert, ab welchem Grad welcher Behinderung eine solche Wertung allenfalls gerechtfertigt und in der österreichischen Rechtsordnung grundgelegt wäre.
Dennoch sieht der OGH in dieser Auffassung ausdrücklich keine Diskriminierung von Behinderten: nicht das Kind werde bewertet, sondern die Rechtsprinzipien „des positiven personalen Eigenwertes jedes Kindes einerseits und der Ausgleichs- und Präventivfunktion des Schadenersatzrechtes andererseits...Die ausnahmsweise Zuerkennung von Schadenersatz trotz des personalen Eigenwertes jedes Kindes ist nicht Folge einer negativen Bewertung eines behinderten Kindes, sondern ausschließlich der Versuch eines geldwerten Ausgleichs eines besonderen Unterhaltsbedarfs“ (RIS 3, S. 12). Diese Formulierung muss wohl als Ausdruck eines Billigkeitsdenkens verstanden werden, das die ökonomische Situation der Eltern eines behinderten Kindes angemessen berücksichtigen soll, das aber die Frage der Kausalität sowie der Rechtswidrigkeit nicht ausreichend berücksichtigt. Der Unterschied der beiden Fälle liegt nach Meinung des OGH nur im Ausmaß der Belastung, nicht in der Sache selbst. Lässt sich dies mit dem Anspruch der Objektivierbarkeit im Schadenersatzrecht vereinbaren?
Zumindest in der als Argumentationshilfe unwidersprochen herangezogenen Literatur findet sich der Hinweis auf die Komplexität der Eltern-Kind-Beziehung, die immaterielle Vorteile und materielle Nachteile umfasse (Hirsch, RIS 3, S. 6). Insoweit diese Vorteile beim behinderten Kind ausgeschlossen bzw. als unbeachtlich abqualifiziert werden, wird abermals eine vergleichende Abwägbarkeit in die Argumentation eingeführt, als ob das Bestehen oder Nichtbestehen von Menschenrechten vom (subjektiven) Erleben, hier der Eltern, abhängig gemacht werden könnte oder als ob diese Rechte grundsätzlich einer Bewertung, wenn auch durch Gerichte, zugänglich wären. Dass solche immateriellen Vorteile durchaus auch bei Elternbeziehungen zu behinderten Kindern gegeben sein können, lehrt klar die Alltagserfahrung. Der Unterschied kann daher nur in einer rechtlich problematischen gradualen Wägbarkeit solcher Beziehungen liegen.
Nach Meinung des OGH ist für die Berechtigung einer Schadenersatzpflicht u. U. auch die subjektive wirtschaftliche Lage der Eltern maßgeblich. Demnach müssten sich Ärzte davor hüten, wirtschaftlich schlecht gestellte Eltern zu behandeln, können doch die Haftungsfolgen unabsehbar werden. Die Regelung sozialer Probleme ist aber nicht Aufgabe des Schadenersatzrechtes, sondern des öffentlichen Sozialwesens.
2. Kausalität und Konditionalität
Die Feststellung des Kausalzusammenhangs ist im Schadenersatzrecht schlechterdings entscheidend, in casu jedoch nicht ohne weiteres festzustellen. In der Chemie sind Reaktionen bekannt, die nur stattfinden, wenn sie durch einen Stoff (Katalysator) in Gang gebracht werden, der aber selbst in die resultierende chemische Verbindung nicht eingeht, diese daher nicht im eigentlichen Sinn kausal begründen kann. Dieser Katalysator ist daher Bedingung (ohne die die Reaktion nicht stattfindet), aber keineswegs zureichende und daher auch nicht entscheidende Verursachung. Der veranlassende Grund der Reaktion (causa) sind die Eigenschaften der reagierenden Elemente, der dritte Stoff ist lediglich Auslöser (conditio). Denkt man den Katalysator weg, so findet zwar keine Reaktion statt, denkt man ihn hinzu, so findet sie aber auch nur dann statt, wenn die Grundelemente geeignet sind, die Reaktion tatsächlich bis zum Ende durchzuführen.
Wendet man diesen Grundsatz auf den Anlassfall an, dann muss man zunächst feststellen, dass der Grund (causa) dafür, dass das beschwerdegegenständliche Kind überhaupt zur Welt kam, sowie dass es krankheitshalber behindert war, jedenfalls nicht das Verhalten des Arztes war, sondern die Zeugung durch die Eltern mit allen Imponderabilien, die bei Spätschwangerschaften - und um eine solche handelte es sich – mit entsprechender Häufung aufzutreten pflegen. Auch ob im Speziellen etwa Erbfaktoren für die Behinderung des Kindes relevant waren, wurde nicht einmal erwogen. Zunächst haften daher die Eltern auch für Unterhaltskosten, wie alle Eltern, und mit allen Risken, die auch andere Eltern für die immer ungewisse Zukunft ihrer Kinder zu tragen verpflichtet sind. Selbst wenn auch andere Mit-Ursachen festgestellt werden, so bleibt die auslösende und grundlegende Kausalität doch davon unberührt, d. h. spätere „Verursachungen“ – wenn sie denn festgestellt werden – lösen die ursprüngliche Verursachung nicht schlechterdings auf, zumal sie sich keinesfalls auf die Entstehung der schadenskausalen Umstände beziehen können, sondern, wenn überhaupt, nur auf die Beseitigung der Folgen. Die (allenfalls vorwerfbare) Nichtbeseitigung der Folgen macht aber nicht für sich allein auch schon die Erstursache obsolet (zur Frage der kumulativen Kausalität s. u.). Das kann deshalb juristische Bedeutung erlangen, weil die Konkurrenz mehrerer begründender Tatsachen auch zu entsprechenden Folgerungen bei der Haftung führen kann, die speziell zu bewerten sind (s. u. zu Äquivalenzprinzip). Im gegenständlichen Fall kommt zudem der Berücksichtigung der „Gewissensklausel“ zu Gunsten des Arztes als möglicherweise schuldausschließendem Umstand entscheidendes Gewicht zu (s. u.); auch diese Prüfung hat der erkennende Senat für verzichtbar erachtet.
Die mangelhafte Beratung durch den Arzt kann nicht zu einer Geburt führen, auch nicht von Behinderten, sondern kann bloß (eine der) Ursachen für Nicht-Vermeidung der Geburt sein. Der „Fehler des Beklagten“ hat auch nicht „zur sonst unterbliebenen Geburt eines behinderten Kindes geführt" (RIS 2, S. 3; ein sprachliches Ungetüm als doppelte Verneinung zur Behauptung nicht gegebener Faktizität), sondern allenfalls zur Unterlassung einer Abtreibung – nicht die Geburt ist rechtsentscheidend, sondern die nicht vorgenommene Abtreibung bzw. deren Empfehlung.
Was nun ist Causa für die Unterhaltsverpflichtung? Die wirtschaftliche Belastung (sc. der Eltern) ergibt sich mitnichten allein aus der Existenz des Kindes an sich (vgl. Adoption, Findelkind etc.), sondern aus der additiven (gesetzlichen) Verpflichtung, für seine Erhaltung zu sorgen. Die Existenz ist die Voraussetzung (conditio), nicht der hinreichende Grund (Causa).
Nach der Entscheidung 5 Ob 209/71 genügt es für den Beweis eines Kausalzusammenhanges, wenn ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit erreicht wird. „Ist der ursächliche Zusammenhang nicht zu erweisen, geht das zu Lasten des Geschädigten, nicht des Schädigers.“ Dieser sehr hohe Grad der Wahrscheinlichkeit der Entscheidung der Mutter für die lebensbeendende Abtreibung und damit der Beseitigung der „Ursache“ von (erhöhten) Unterhaltskosten ist auch in casu als entscheidungsrelevant zu erachten. Das bedeutet, dass auch die Grundlagenentscheidung des OGH zulasten des Arztes vor weiteren Erhebungen verfrüht ist. Die Mutter als Geschädigte hätte den Beweis für ihre Bereitschaft zur Abtreibung nach (umfassender) Aufklärung durch den Arzt zu erbringen gehabt. Mit diesem Problem hat sich auch bereits die Entscheidung 8 Ob 525/88 (= SZ 62/53) beschäftigt: Wie beweist man im Nachhinein die Absicht (mehr als bloße Bereitschaft) zur Abtreibung gehabt zu haben? Die Beratung durch den Arzt war höchstens Bedingung für die Bedingung (i. e. die Entscheidung der Mutter) des schadenvermeidenden Ereignisses, sc. der Abtreibung.
Objektivierbare Nachlässigkeit begründet zwar grundsätzlich die Verantwortung des Arztes, doch muss sie jedenfalls nicht ohne weiteres in jedem Fall die einzige Schadenskausalität darstellen. Das hat, wenn auch in anderem Kontext, wohl auch der OGH selbst gesehen, wenn er fordert, die Unterinstanzen müssten erst noch klären, ob eine Beendung des Lebens des Kindes durch einen medizinischen Eingriff überhaupt in Frage gekommen wäre. Das hätte die reichlich willkürlich anmutende Konsequenz, dass die Eltern im verneinenden Fall bei gleichem Verhalten des Arztes selbstverständlich für alle Folgekosten aufzukommen hätten, im Falle der Bejahung aber in keiner Weise. (Diese Konsequenz kann doch wohl nur als „überholende Kausalität“ (causa superveniens) für das Verhalten des Arztes beurteilt werden, woraus sich die Bedeutsamkeit der Beurteilung dieses Verhaltens ergibt).
3. Rechtswidrigkeit – Tötung von Menschenleben als probates Mittel zur Abwehr von Vermögensschäden
Nach Meinung des OGH ist eine Abtreibung (auch) bei „embryopathischer Indikation“ nicht rechtswidrig, nicht bloß strafausschließend; dies sei die Voraussetzung dafür, auch zivilrechtliche Forderungen daraus abzuleiten. Aus der Rechtmäßigkeit (sc. der Abtreibung) ergäbe sich daher der Rechtswidrigkeitszusammenhang des Verhaltens des Diagnostikers, nämlich die Mangelhaftigkeit der Beratung durch den Arzt.
Selbst wenn man der Meinung wäre, die mangelhafte Diagnose (und daher Beratung) des Arztes wäre kausal für die (deshalb nicht getroffene) Entscheidung für eine Abtreibung, so wäre nur dann auch Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens als kausale Komponente für eine Schadenersatzpflicht anzunehmen, wenn das konträre Verhalten, nämlich der ausdrückliche Hinweis auf die Möglichkeit einer Abtreibung, jedenfalls an sich rechtmäßig gewesen wäre und schuldhaft (vorwerfbar) unterblieben wäre.
Mit dieser Fragestellung wird der Kernbereich der Problematik erreicht. Bezeichnenderweise behandelt der OGH diese zentrale Fragestellung jedoch nicht anhand aktueller medizinischer Analysen, er begnügt sich vielmehr damit, auf seine eigene, mehrere Jahre zurückliegende Spruchpraxis zu rekurrieren, ein „versteinerter“ Zugang zur Rechtsordnung, wie er dem österreichischen Recht an sich fremd ist. Nach der österreichischen Rechtslage verpönt § 96 StGB Abtreibung generell, wenn sie auch – unter gewissen Umständen – straffrei bleibt (§ 97 StGB). „Der OGH impliziert ein Recht auf Abtreibung, das die österreichische Rechtsordnung nicht kennt.“3 Damit begibt sich der OGH möglicherweise in Konkurrenz zum Verf.GH, der die Verpflichtung des Staates bejaht, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten. Im vom OGH zur Bekräftigung seiner Meinung zitierten Erkenntnis (G8/74; JBl 1975, S. 310) hat der Verf.GH jedoch keineswegs über den Inhalt des Lebensrechtes gem. EMRK an sich abgesprochen, sondern bloß eine Detailfrage zur Gleichbehandlungsproblematik behandelt. Die Auslegung des OGH stellt daher eine extrapolierende Überinterpretation dar.
Der Schutzzweck des § 96 ist das Überleben des Kindes, die Belastungen der Mutter sind davon nur insoweit mitberücksichtigt, als sie ein Strafausschließungsgrund (§ 97) sein können. Die Extrapolation auch auf vermögensrechtliche Belange stellt eine Vermischung der Ebenen dar und ist dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. § 97 Abs. 1 ist als erläuternder Hypertext zum Haupttext des § 96 – Schutz des Ungeborenen – zu verstehen, der diese Aussage des übergeordneten Textes nicht einfach obsolet verstehen lassen kann, sondern streng kontextual.
Im Anlassfall scheint der OGH aber von dieser Maxime grundlegend abzugehen, geht er doch ohne weiteres Argument davon aus, dass die Tötung der Leibesfrucht trotz der klaren Norm der §§ 96 und 97 StGB ein probates und angemessenes Mittel zur Vermeidung von bloßen Vermögensschäden ist. Das Höchstgericht verhandelt dabei Menschen- und Personenrechte logisch und methodisch auf gleicher Ebene wie Sachenrechte, was mit dem Stufenbau der Rechtsordnung kaum vereinbar zu sein scheint, sind doch die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) klar genormten Menschenrechte, darunter das Recht auf Leben, als oberste aller Normen anzusehen, ohne die alle anderen Normen Sinn und Rechtfertigung verlieren. Schon rein formaljuristisch kommt diesen Rechten oberste Priorität und Wertigkeit zu, da sie in Österreich Verfassungsrang haben – von ethischen Bewertungen abgesehen, die jedenfalls vorrangig zu jedem gesatzten Recht vorgenommen werden müssen, andernfalls nicht sichergestellt werden könnte, dass individuelle Rechtsnormen auch die Erfüllung sittlicher Verpflichtungen sachgerecht garantieren. Ethik ist nicht mehrheitsfähig! Sie muss sich an vorgegebenen Wertehierarchien orientieren (mag auch deren Ausformulierung gelegentlich schwierig sein). Demgegenüber meint der OGH, das Recht auf Leben abwägbar sehen zu können, vergleichbar mit anderen Rechten, hier sogar Vermögensrechten (Geld als klassisches Beispiel einer vertretbaren Sache). Damit ist eine Relativierung der „obersten und Grundnorm“ zwangsläufig verbunden, ein Widerspruch in sich.
Mit dieser Relativierung ist eine grobe Missachtung der Würde der Person verbunden, schon insoweit, als die Person als bewertbar klassifiziert wird, als ein Wert neben (beliebigen) Sachwerten, die zumindest in Kumulation höherwertig sein können, wie der OGH ausdrücklich und ausführlich behauptet (RIS 1, S. 10). Argumente für die Sinnhaftigkeit und Berechtigung derartiger Güterabwägungen gegen Sinn und Wortlaut der in Verfassungsrang stehenden EMRK und damit auch gegen die Maßstäbe wohlverstandener Ethik der europäischen Kulturtradition bleibt der OGH allerdings schuldig.
Der OGH hätte jedenfalls auch eine Gewichtung der Rechtsgüter im Rahmen der EMRK, Art 2, vornehmen müssen, da es offensichtlich um das höchste aller Rechtsgüter geht. Dass der Senat – obwohl ausdrücklich durch den Beklagten darauf hingewiesen – sich mit einem knappen Hinweis auf Nichtwidersprüchlichkeit begnügt (RIS 1, S. 10), ist unverständlich. Die Meinung des OGH, die Summe der (möglichen) Beeinträchtigungen der Schwangeren könne, auch wenn Lebensgefahr nicht besteht, höher zu bewerten sein, als das Recht auf Leben des Kindes, verkürzt gravierend und ist eine contradictio per reductionem. Das im Art 2 EMRK festgehaltene Lebensrecht schließt als konkurrenzlos höchstrangiges Rechtsgut jede Güterabwägung mit Rechten einer sachlich und auch formal (Arg. Verfassungsrang!) untergeordneten Rechtsebene schlechterdings aus; auch die Addition anderer Rechtsinteressen erlaubt keinen anderen Schluss, wenn dieser Grundsatz der EMRK nicht ad absurdum geführt werden soll. Auch die Schwere der Schädigung des Kindes kann dabei nicht zur Diskussion stehen.
Das schwerstbehinderte Kind selbst habe, meint der Senat weiter, keinen eigenen autonomen Anspruch auf Verhütung seiner Behinderung, wodurch auch immer, oder auf ein unbehindertes Leben (RIS 1, S. 13): Das Kind hat keinen Schadenersatzanspruch wegen der eigenen unerwünschten Existenz. Wenn der Arzt die Schädigung nicht verhindern konnte, hat er ihn auch nicht „verursacht“. Das Kind selbst hat sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet ist, es hat keinen Anspruch auf Verhütung oder Vernichtung (vgl. RIS 1, S. 14). „Die Pflicht, die Geburt deshalb zu verhindern, weil das Kind mit einer schweren Behinderung zur Welt kommen wird, lässt sich der Rechtsordnung nicht entnehmen“, ein Grundsatz, dem man gerne zustimmen wird. Gilt er nicht auch gegenüber der Mutter? „Das Urteil über den Wert menschlichen Lebens als höchstrangigem Rechtsgut steht (niemandem, auch…; Erg. d. d. Verf.) dem Arzt nicht zu… Weder die Ermöglichung noch die Nichtverhinderung von Leben verletzt ein geschütztes Rechtsgut.... ist eine deliktische Haftung des Arztes als auch eine Haftung aus einer Vertragspflicht zu verneinen...steht dem Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen infolge der Behinderung jedenfalls die mangelnde Verursachung durch den Arzt entgegen. Das Kind wäre auch bei rechtmäßigem Verhalten des Arztes nicht gesund geboren worden.“ (RIS 1, S. 13, und weiter: „Auch die Pflicht, das Leben schwer Behinderter zu erhalten, darf nicht vom Urteil über den Wert des erhaltbaren Lebenszustandes abhängig gemacht werden. Weder die Ermöglichung noch die Nichtverhinderung von Leben verletzt ein geschütztes Rechtsgut. Es entzieht sich den Möglichkeiten einer allgemein verbindlichen Beurteilung, ob das Leben mit schweren Behinderungen gegenüber der Alternative, nicht zu leben, überhaupt einen Schaden im Rechtssinn oder aber eine immer noch günstigere Lage darstelle“). Wie lassen sich diese begrüßenswerten Feststellungen mit dem Rechtssatz der Entscheidung in Einklang bringen? Wie wägt der OGH diese Lebensalternative des Kindes (= kein Schaden) mit den Ansprüchen der Mutter auf? Die Haftung des Arztes gegenüber den Eltern wieder kann als abgeleitete nicht größer sein als die der Eltern gegenüber dem Kind, fällt diese, so erlischt wohl jene.
Dann aber stellt sich die gravierende Frage: Was gegenüber dem Kind als Hauptinteressent gilt, soll nicht gegenüber der Mutter als subsidiärem Nebeninteressenten gelten? Die Mutter als subsidiäres Rechtssubjekt soll einen umfassenderen Anspruch haben als das Kind als möglicherweise primär Geschädigter, wenn denn von Schaden überhaupt sinnvoll gesprochen werden könnte – nicht jeder Nachteil ist auch schon juristisch als Schaden zu beurteilen? Die Mutter hätte demgemäß ein höheres Recht auf Unversehrtheit (des Kindes), als der Behinderte selbst, obwohl deren Rechte nur abgeleitete sein können; das Kind als Hauptbetroffener hat kein Recht auf Abtreibung, die Mutter/ die Eltern schon!? „Soweit der Mutter von der Rechtsordnung gleichwohl die Möglichkeit der Entscheidung zur Abtreibung eingeräumt wird, „kann daraus dem Kind kein Anspruch auf dessen (gemeint: „seine“; Anm. d. Verf.) Nichtexistenz erwachsen... Der Nasciturus hat kein Recht auf Tötung“ (RIS 1, S. 14), das hat demgemäß sehr wohl, aber exklusiv die Mutter? Die Mutter und ihr Vermögen sollen schutzwürdiger sein als das betroffene Kind selbst? Deren Schaden kann sich doch nur nachrangig zu dem des Kindes bemessen.
Der Schwangerschaftsabbruch wird vom erkennenden Senat als „nicht rechtswidrig“ (RIS 1, S. 10) nur im eigenen Interesse der Mutter (entspr. § 97 Abs 1, Zif 2. 2. Fall) taxiert (das Gesetz spricht nur von Straffreiheit, nicht von Rechtfertigung!), als Resultat einer Güterabwägung „Tod des Kindes – Unbill der Mutter“; das Interesse der Mutter auf ein unbelastetes Leben wird sohin vom OGH höher gestellt, als das des Kindes auf Leben überhaupt! „Vom Gesetz sind auch bei der embryopathischen Indikation höher bewertete Interessen anerkannt, die eine Abtreibung rechtfertigen“ (RIS 1, S. 10). Damit behauptet der Senat mehr, als dem Gesetz tatsächlich zu entnehmen ist, spricht der Fall 2 des § 97 Abs. 1 Zif 2 doch gerade material von der embryopathischen Indikation – auch wenn der Ausdruck nicht verwendet wird –, aber keineswegs von weiteren, darin nicht enthaltenen Interessen; von der Berücksichtigung von Interessen der Mutter, insbesondere von materiellen Interessen oder Unbill, ist dem Gesetz nichts zu entnehmen. „Eigene Ansprüche des Kindes sind nur tragbar (gemeint wohl „rechtfertigbar“; Anm. d. Verf.), soweit schuldhaft durch menschliches Handeln dessen Integritätsinteresse beeinträchtigt worden ist“ (RIS 1, S. 14). Das Verhalten der Mutter dem Kind gegenüber ist nach Meinung des Senats nur deshalb nicht rechtswidrig und nicht schuldhaft, weil das Höchstgericht deren Interessen willkürlich höher einschätzt und aus der Straflosigkeit auf Rechtfertigung schließt.
Es bleibt letztlich daher unklar, auf Grund welcher Schlussfolgerungen der OGH festgestellt hat, dass sich aus der Straflosigkeit auch gleich Rechtmäßigkeit ergäbe. Dem Gesetzeswortlaut ist dies nicht zu entnehmen, auch für eine teleologische Interpretation fehlen alle Anhaltspunkte.
4. Die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag
Rechtswidrig wird nach Meinung des OGH das Verhalten der Diagnostiker auf Grund der Vernachlässigung der Aufklärungspflicht, die sich aus dem Behandlungsvertrag ergibt, und damit wird es auch schuldhaft. Weiters unterstellt der OGH der „typischen Kindesmutter“, gleiche Überlegungen wie offenbar das Höchstgericht selbst anzustellen und bei Konstatierung einer beliebigen Behinderung generell eine Abtreibung zu beschließen. Nicht als ob das nicht auch vorkommen würde, aber es stellt sich doch die Frage, auf Grund welcher Erhebungen der OGH ganz allgemein zu dieser Auffassung kommt, die in ihrer Undifferenziertheit eine Unterstellung für österreichische Mütter ist. Nur unter der Voraussetzung dieser Unterstellung ist nämlich der Schluss nachvollziehbar, der Arzt hätte davon ausgehen müssen, dass solche Überlegungen wie selbstverständlich jeder beliebigen Kindesmutter, und daher auch der Klägerin, nächstliegend sind, weshalb auch der Arzt damit hätte rechnen müssen: Nichttötung des bereits lebenden, wenn auch ungeborenen Kindes nur dann, wenn keine erhöhten Aufwendungen verbunden sind, was immer konkret darunter zu verstehen wäre: „Der Arzt muss davon ausgehen, dass die Mutter dadurch – soweit Behinderungen am werdenden Kind erkennbar sind – unter anderem auch Entscheidungshilfen für oder gegen das Kind sucht...“ (RIS 1, S. 12).
Eine Begründung, warum der Arzt „muss“, wird jedenfalls in der vorliegenden Entscheidung nicht gegeben. Das Lebensrecht des – so bezeichneten! – „Kindes“ steht außer Zweifel (Menschenrechte). Wieso „muss“ der Arzt davon ausgehen, dass eine Kindesmutter sich darüber hinwegsetzt, und sich daher unethisch, wenn auch möglicherweise nicht strafbar, verhält? Ist das mit dem wohlverstandenen Hippokratischen Eid überhaupt und noch dazu zwangsläufig zu vereinbaren?! Auch wenn die Beratung mangelhaft gewesen sein sollte, diese Forderung an eine seriöse Beratung scheint überzogen und ist rechtlich nicht gedeckt.
Man gewinnt den Eindruck, nach Meinung des OGH hätte der Arzt nur dann „richtig“, d. h. materiellen Schaden verhindernd, gehandelt, wenn er die Mutter auf diese Möglichkeit der Abtreibung geradezu auffordernd hingewiesen hätte (vgl. RIS 1, S. 13) sowie darauf, die dazu erforderlichen Maßnahmen „rechtzeitig“ zu treffen. Dass der Arzt bona fide davon ausgehen hätte können, diese Möglichkeit zur Verhinderung drohenden materiellen Schadens käme einer typischen Mutter von vorneherein gar nicht in den Sinn, hält der OGH offenbar für nicht einmal der Prüfung wert. Anerkennung aller Mütter, die sich zu ihren behinderten Kindern bekennen, wird ihm dafür wohl kaum zukommen. Auf die eingeschlossene Frage nach der Gewissensfreiheit des Arztes, zu einer Abtreibung keinerlei Beitrag leisten zu müssen, wenn er dies für unvertretbar hält, geht der Senat ebenfalls nicht ein. Zu den obersten Rechten der Person gehört auch die Gewissensfreiheit, die in der „Gewissensklausel“ des § 97 Abs. 2 ihre gegenständliche Anwendung findet, wonach kein Arzt (außer im Fall einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr für die Mutter) verpflichtet ist, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, mit der sich aber der erkennende Senat ebenfalls in keiner Weise auseinandergesetzt hat. Diese Grundsätze sind im geltenden Recht ausdrücklich verankert oder lassen sich zumindest daraus ableiten. Insofern sie der OGH bei der Bestimmung der Schadenersatzpflicht im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt hat, ist ein gravierender methodischer Fehler anzunehmen. Selbst wenn darin ein unvermeidbarer Zirkel festgestellt werden müsste, so hätte man doch Argumente dafür erwarten können, wie der OGH die Abwägung über die Rechtsgüter Gewissensfreiheit und Schadlosstellung von materiellen Nachteilen vollzieht.
Aus dem Behandlungsvertrag ergebe sich nach Meinung des OGH auch eine Pflicht des Arztes zur Freistellung von Belastungen, weil diese durch den Behandlungsvertrag – auch – erfasst würden, gerade, wenn davon nicht ausdrücklich die Rede ist, also im Zweifel. Geht ein Behandlungsvertrag mit einem Arzt tatsächlich ganz typisch (auch) auf die Vermeidung wirtschaftlicher Belastungen? Liegt das im (primären) Interesse des Patienten und daher in der Obsorgepflicht des Arztes? Im Bereich der Arbeitsmedizin ergäben sich daraus wohl erstaunliche Konsequenzen.
„Der vertraglich geschützte Wille der Vertragspartnerin des Arztes geht ja dahin, überhaupt keinen Unterhaltsaufwand für ein behindertes Kind tragen zu müssen“ (RIS 2, S. 9). Wie das der Arzt (ohne indiskrete Fragen) feststellen könnte, oder wie der OGH dies selbst festgestellt hat, wird nicht erläutert – ein Zirkelschluss ist zu vermuten, weil a priori als entscheidend gewertet wird, was erst noch zu beweisen gewesen wäre. Der Normvertrag enthält eine solche Bestimmung nicht, der konkrete offenbar auch nicht. Welcher Patient geht tatsächlich mit der Nebenabsicht zum Arzt, dort Beratung über seine Vermögenslage zu finden, soweit diese von einem etwaigen Krankheitsverlauf betroffen sein könnte? Die Erwartungshaltung weder des Patienten noch der Arztes geht zunächst und zumeist gerade darauf. Liegt es für den Arzt auf Grund seiner einschlägigen Ausbildung tatsächlich auch nur irgendwie nahe, solches als seine Pflicht anzusehen? Müsste er sich nicht, wenn schon, dann als eine Art „winkelschreiberischer“ Vermögensberater empfinden? Auch der Hinweis auf einen „erlaubte(n) Vertragszweck“ hilft nicht wirklich weiter: Nicht jeder „erlaubte Vertragszweck“ (RIS 1, S. 12; gemeint wohl „Vertragsinhalt“) ist auch schon Inhalt eines konkreten Vertrages, sondern nur dann, wenn dies auf Grund der konkreten Umstände tatsächlich nahe liegt (ob objektiv oder subjektiv kann hier dahingestellt bleiben); vom Durchschnittspatienten und -arzt ist wohl keinesfalls anzunehmen, jede Handlung, die straffrei sei, läge auch schon im realen Erwartungshorizont.
Da der Arzt die Patientin und spätere Klägerin als „typische Kindesmutter“ offenbar nicht so sieht, wie der OGH eine „typische Mutter“ sieht, hielt er seine Beratung zumindest subjektiv für ausreichend und angesichts des belasteten Seelenzustandes der Mutter auch für angemessen. Das wird ihm nunmehr zum Verhängnis. Die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit der subjektiven Überzeugung des Arztes wird nicht weiter erhoben, der Maßstab des Senates wird ohne weiteres als Maßstab jedes Arztes ganz allgemein und ohne Argumentation angesehen. Die persönliche, subjektive Komponente des Verschuldens, von der immerhin auch die Rechtmäßigkeit des Verhaltens abhängen könnte, wird nicht analysiert.
Zum Verhalten des Arztes stellt sich jedoch die weitere Frage, ob darin eine causa superveniens (hier als Minderungspflicht eines bereits bestehenden Schadens) gesehen werden muss, ob er also durch rechtskonformes Verhalten den eingetretenen Schaden – wenn es denn einer war (s. o.) – hätte verhindern können. Die Frage nach einer überholenden Kausalität hätte wohl zumindest erörtert werden müssen, war doch zum Zeitpunkt schon der Erstuntersuchung die Behinderung des Kindes längst gegeben, die ihrerseits primär als schadenskausal anzusehen war. Für die besondere Pflicht zur Schadenverhinderung muss ein bestimmter Grund vorliegen. Da die Beurteilung dieses Umstandes mehrere Schritte der Entwicklung berücksichtigen muss, ist die gesamte Kausalkette rückaufzuwickeln. Das Vorhandensein des Kindes sowie seine Behinderung hätten auch durch die aufwendigste Beratung nicht verhindert werden können, weil sie jedenfalls später als das tatsächlich kausale Ereignis selbst stattgefunden hätte. Der behauptete Schaden hätte daher nur durch die Beseitigung („Tötung“) des Kindes verhindert werden können. Dies hätte einen besonderen medizinischen Eingriff erfordert, der dann kausal für das Lebensende und den Wegfall von Aufwendungen gewesen wäre. Von den für einen solchen Eingriff typischen Imponderabilien abgesehen, die zwingende Voraussetzung für ihn wäre eine entsprechende Entscheidung der Kindeseltern und die Beauftragung einschlägiger Ärzte gewesen. Diese Entscheidung hätte durch eine Mehrzahl von Ereignissen ausgelöst bzw. begründet werden können, jedenfalls aber nur konditional, nicht kausal als einzige und in jeder Hinsicht ausreichende „Begründung“, unter denen auch eine entsprechend warnende Beratung durch den Arzt hätte sein können. Diese Beratung wäre aber jedenfalls nicht kausal (s. o.) für die Entscheidung der Eltern gewesen, sondern bestenfalls konditional. Denn die Urteilsbildung der Eltern kann der beratende Arzt weder herbeiführen noch verhindern, noch in ihrem Inhalt bestimmen, sondern bestenfalls anregen oder auslösen. Es kommt ihm daher eine dem oben analysierten Katalysator vergleichbare Rolle zu und keine kausale.
5. Mitverschulden der Mutter
Abgesehen von der Nichtbeachtung des wohl notorischen Wissens über das mit Spätschwangerschaften verbundene erhöhte Risiko, das bei akademisch Gebildeten wie der klagenden Kindesmutter wohl jedenfalls vorauszusetzen ist, zumindest mit größerer Wahrscheinlichkeit als die Bereitschaft zu einer Spätabtreibung, scheint der OGH die Kindesmutter zwiespältig zu sehen: Einerseits muss ihr – zu Recht – die Möglichkeit eröffnet werden, über sich selbst und ihre eigene Leibesfrucht vor sich selbst verantwortbare Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen von offenbar außergewöhnlicher Tragweite, die daher auch eine außergewöhnliche Sorgfalt erwarten lassen müssen. Unverständlich bleibt es daher andererseits, wie der OGH den doch wohl nur als Warnung verstehbaren Hinweis auf die „Risikoambulanz“ – wohl nicht jede Patientin wird dorthin verwiesen werden – als geradezu belanglose Nebenbemerkung abqualifizieren kann, wird doch jede durchschnittliche Mutter schon nervös werden, wenn auch nur das Wort Risiko bezüglich des werdenden Kindes fällt.
Die Klägerin jedoch nimmt den Hinweis ohne jede Rückfrage zur Kenntnis, berücksichtigt ihn tatsächlich auch – warum eigentlich, wenn er belanglos war? –, allerdings so spät, dass eine Spät-abtreibung medizinisch nicht mehr vertretbar erschien – ob zu Recht oder zu Unrecht wurde ebenfalls weder von den Vorinstanzen geprüft, noch vom OGH bemängelt, noch wurde erhoben, wer diese Entscheidung überhaupt getroffen hat. Unter welchen Umständen fiel die Entscheidung, an der werdenden Mutter, die vermutlich zur Abtreibung der Leibesfrucht grundsätzlich bereit war, die medizinisch mögliche Einleitung einer Totgeburt nicht vorzunehmen? Waren die dabei anzunehmenden Beratungen von einer angemessenen Sorgfalt getragen, die der OGH beim geklagten Arzt gerade vermisst? Mit welchem Argument ist in diesem Zusammenhang Schadenskausalität a priori auszuschließen und daher auch nicht zu erheben? Auch nach der 32./33. Schwangerschaftswoche wäre wohl die Einleitung einer „Totgeburt“ noch möglich gewesen. Dass dies unterblieben ist, spräche wohl dann für eine sehr erhebliche Mitschuld der Mutter, wenn sie sich an sich für eine Abtreibung, also für eine medizinische Handlung mit gleichem Effekt, entschieden hätte.
Zu Recht fordert der OGH, der Mutter hätte die Möglichkeit eröffnet werden sollen, ihr „Selbstbestimmungsrecht in zurechenbarer Eigenverantwortung wahrzunehmen“ (RIS 2, S. 8),4 jedoch nicht vor bzw. ohne Besuch der Risikoambulanz. Denn die Klägerin hat ja von diesem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht, indem sie sich über die klare Anweisung hinweggesetzt hat, selbst wenn diese nur als beiläufige Empfehlung gewertet werden sollte. Die offensichtlich ernsthafte Warnung musste die Mutter nicht beachten, erst eine „Katastrophenmeldung“ hätte sie dazu veranlassen müssen – ist diese Annahme schlüssig? In anderen Fällen von Schadenersatzforderungen, etwa im Verkehrswesen, wird wesentlich rascher von auffallender Sorglosigkeit gesprochen, in dieser existentiellen Situation der Kindesmutter hält der OGH eine Prüfung der Sorgfaltspflicht nicht einmal für erwägenswert.
(Der Artikel wurde inhaltlich mit 30. November 2006 abgeschlossen.)
Referenzen
- Die drei wichtigsten OGH-Entscheidungen werden wie folgt zitiert:
1 Ob 91/99k = RIS 1 + Seite
5 Ob 165/05h = RIS 2 + Seite
6 Ob 101/06f = RIS 3 + Seite - „Stufenbau der Rechtsordnung“ ist hier nicht im gewohnten bloß formellen Sinn zu verstehen als hierarchisch gegliederte innerstaatliche Rechtsordnung mit der Verfassung als oberster Norm. In materialer Hinsicht verlangen die Menschenrechte, die ja ebenfalls im Verfassungsrang stehen, eine innere logische Abstufung (auch wenn diese erst noch ein Desiderat an die auch gesatzte Rechtsordnung wäre). Das Recht auf Religionsfreiheit etwa setzt die Garantie des Rechtes auf Leben logisch und physisch voraus.
- Negwer G. A., Die Presse, 4. Juli 2006; S. 7
- Das Selbstbestimmungsrecht wird hier nur auf der Ebene Patient – Arzt erörtert; dass sich daraus kein „Recht“ der Mutter etwa auf eine Abtreibung ergibt, steht schon aus ethischen Überlegungen nicht zur Disposition.
HS-Dozent DDr. Josef Zemanek
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