Patientenverfügungs-Gesetz am 1. Juni 2006 in Kraft getreten
1 Das neue Bundesgesetz
Das „Bundesgesetz über Patientenverfügungen“ (Patientenverfügungs-Gesetz – PatVG) wurde am 8. Mai 2006 unter BGBl I 55/2006 kundgemacht und ist mit dem 1. Juni 2006 in Kraft getreten. Zentraler Inhalt ist die verbindliche Patientenverfügung. Die in den letzten Jahren strittige Frage, wann eine verbindliche Erklärung vorliegt, ist damit einer abschließenden Klärung zugeführt worden. Außerdem wurden durch einige wenige, aber einschneidende Neuerungen das bislang fehlende Rahmenwerk und Maßnahmen zur Missbrauchsabwehr geschaffen.
2 Anwendungsbereich
Nach § 2 PatVG kann mittels Vorausverfügung nur eine medizinische Maßnahme (= Eingriff therapeutischer, diagnostischer, prophylaktischer oder schmerzlindernder Art) abgelehnt werden. Pflegemaßnahmen werden bewusst als möglicher Inhalt einer Verfügung ausgeschlossen. Die Sondenernährung unterliegt aber nach heute unstrittiger Meinung den Regeln der medizinischen Heilbehandlung und nicht jenen der Pflege. Ein Ablehnungsrecht bezüglich künstlicher Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr steht dem Patienten also auch dann zu, wenn der Ernährungsabbruch den Tod nach sich zieht.
Der Wunsch nach aktiver direkter Sterbehilfe wird durch die Definition der Patientenverfügung in § 2 ausgeschlossen. Betont wird dies indirekt durch § 10 Abs 1 Z 2 PatVG, wonach eine Patientenverfügung mit strafrechtlich unzulässigem Inhalt unwirksam ist. Hinter dieser Formulierung steht das klare Bekenntnis des Gesetzgebers gegen die aktive direkte Sterbehilfe: „In Österreich ist die aktive direkte Sterbehilfe verboten. Das soll auch so bleiben. Deshalb ist der in einer Patientenverfügung artikulierte Wunsch nach einer solchen aktiven direkten Sterbehilfe nicht bindend“ (RV 1299 BlgNR 22. GP, Erl S 9). Damit wird Befürchtungen, eine gesetzliche Klarstellung könnte sich als Einbruchsstelle für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe erweisen, unmissverständlich entgegengetreten.
In einer Patientenverfügung werden oft auch andere, über die Ablehnung von medizinischen Maßnahmen hinausgehende Punkte geregelt. Solche weiteren Inhalte stehen der Gültigkeit einer Verfügung nicht entgegen. Sinnvoller Weise sollte etwa das Besuchsrecht, die Auskunftserteilung an Vertrauenspersonen und ein mögliches Einsichtsrecht Dritter in die Krankengeschichte überdacht werden. Hier kann der Patient im Wege der Vorausverfügung sehr konstruktiv das Arzt-Patienten-Verhältnis, aber auch das Verhältnis zwischen Arzt und Angehörigen regeln.
3 Errichtung einer Patientenverfügung
Neben allgemeinen Gültigkeitsvoraussetzungen, die allen Willenserklärungen gemeinsam sind, normiert das PatVG neue Verbindlichkeitsvoraussetzungen:
Verbindliche Verfügungen müssen schriftlich errichtet werden; dies bedeutet eigenhändige Unterfertigung eines (ev. auch fremdhändigen oder vorgedruckten) Textes.
Dabei müssen die Krankheitssituation und die medizinischen Maßnahmen, die der Patient ablehnt, konkret beschrieben werden. Da die Antizipation aller erdenklichen Situationen unmöglich ist, lässt es das Gesetz genügen, wenn die abgelehnten Maßnahmen eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen.
Zentrale Bedeutung bei der Errichtung kommt künftig dem Arzt zu. Er muss im Rahmen des Beratungsgesprächs prüfen, ob der Patient einsichts- und urteilsfähig ist; nur dann kann er ihn aufklären. § 5 PatVG bürdet dabei dem Arzt keine neue Verpflichtung auf, da er sich immer über die Zulässigkeitsbedingungen seiner Behandlung (hier das Vorliegen der Selbstbestimmungsfähigkeit) im Klaren sein muss.
Sodann muss der Arzt den Patienten „umfassend“ aufklären. Die Aufklärung bezieht sich nur auf die in der Vorausverfügung genannte Krankheitssituation und die abgelehnten Maßnahmen; „umfassend“ ist im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur als Totalaufklärung zu verstehen, da im konkreten Fall weder eine zeitliche noch eine sachliche Dringlichkeit gegeben ist. Ohne Erhalt aller Informationen fehlt die Grundlage für eine verbindliche Entscheidung des Patienten! Ein Aufklärungsverzicht wird vom Gesetzgeber durch die „Muss-Bestimmung“ des § 5 PatVG bewusst ausgeschlossen; die hierdurch erzwungene Auseinandersetzung des Patienten mit der Sinnhaftigkeit seiner Verfügung ist der Ausgleich dafür, dass das PatVG keine Reichweitenbegrenzung vorsieht.
Außerdem muss der Patient dem Arzt gegenüber glaubhaft machen, dass er die Folgen seiner Verfügung zutreffend einschätzt – etwa weil sie sich auf eine Behandlung bezieht, die mit einer früheren oder aktuellen Krankheit des Patienten oder eines nahen Angehörigen zusammenhängt. Der Gesetzgeber will damit vermeiden, dass unreflektierte Entscheidungen schlagend werden. Die Wertigkeit des Lebens wird hier über den Patientenwillen gestellt!
Der Arzt muss auf der Verfügung selbst oder in einer gesonderten (und später als Anhang zur Patientenverfügung fungierenden) Urkunde sowohl die erfolgte Aufklärung als auch die Einsichts- und Urteilsfähigkeit bestätigen und die Gründe darlegen, weshalb der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt. Korrespondierend zu diesen Bestätigungen trifft den Arzt eine entsprechende Dokumentationspflicht.
An die ärztliche Beratung schließt die Rechtsbelehrung durch einen Notar, Rechtsanwalt oder einen rechtskundigen Mitarbeiter einer Patientenanwaltschaft iSd § 11e KAKuG an; idealerweise sollten Arzt und Jurist in einem gemeinsamen Beratungsgespräch zusammenwirken. In der Rechtsbelehrung ist der Patient insbesondere über das Wesen einer verbindlichen Erklärung, die Möglichkeit eines Widerrufs, die notwendige Bekräftigung nach fünf Jahren und Alternativen zu einer verbindlichen Verfügung zu unterrichten.
Der Jurist hat außerdem zu prüfen, ob die Verfügung frei und ernstlich erklärt wird, nicht durch Irrtum, List, Täuschung oder Zwang veranlasst worden ist, dass ihr Inhalt erlaubt und möglich ist und eine vom Patienten angestrebte verbindliche Verfügung alle vorgeschriebenen Kriterien erfüllt.
Nach dieser Rechtsbelehrung und den notwendigen Bestätigungen hierüber erfolgt die Errichtung der Patientenverfügung durch Unterschreiben der Verfügung vor dem Notar, Rechtsanwalt oder Patientenvertreter.
4 Rechtswirkungen einer Patientenverfügung
4.1 Verbindliche Patientenverfügungen
Eine verbindliche Verfügung ist hinsichtlich ihrer Wirkung nicht anders zu beurteilen als eine aktuell ausgesprochene Behandlungsablehnung; der Arzt hat ihr in jedem Fall zu folgen, andernfalls begeht er eine eigenmächtige Heilbehandlung.
Eine solche Verfügung bleibt fünf Jahre lang verbindlich. Spätestens dann muss sie unter Einhaltung aller zuvor genannten Schritte erneuert werden. Die regelmäßige Erneuerung ist zu begrüßen, da der Patient gezwungen wird, sich immer wieder mit seiner Verfügung, mit seiner eventuell schon vorliegenden Erkrankung, mit Entwicklungen in der Medizin etc. zu beschäftigen.
Verliert der Patient vor der Erneuerung seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit, bleibt die Verfügung unbegrenzt verbindlich (§ 7 Abs 3 PatVG) – schließlich ist die Vorausverfügung ja gerade für diesen Fall konzipiert. Wenn sich der Stand der medizinischen Wissenschaft in Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat, verliert die Verfügung ihre Wirksamkeit.
4.2 Beachtliche Patientenverfügungen
Erfüllt eine Verfügung nicht alle zuvor genannten besonderen Verbindlichkeitskriterien, entfaltet sie zwar keine unmittelbare Bindungswirkung, ist aber als so genannte „beachtliche“ Verfügung ein mögliches Hilfsmittel bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens, der für die weitere ärztliche Behandlung maßgebend ist. Liegt keine Entscheidung durch einen hierfür zuständigen Bevollmächtigten (siehe neues SWRÄG 2006, BGBl I 96/2006) oder einen Sachwalter vor, muss der Arzt aufgrund einer sorgfältigen Abwägung aller Anhaltspunkte und Umstände des Einzelfalls ermitteln, wie der Betroffene in der gegebenen Situation entscheiden würde, wenn er seinen Willen noch kundtun könnte (= mutmaßlicher Patientenwille). Er hat dabei pflichtgemäß und nicht nach freiem Gutdünken vorzugehen; deshalb ist jedes verfügbare Indiz – und damit insbesondere eine beachtliche Patientenverfügung – bei der Ermittlung des Patientenwillens heranzuziehen. Dieser kommt umso mehr Bedeutung zu, desto stärker sie sich den Kriterien einer verbindlichen Verfügung annähert. Der festgestellte hypothetische Wille bindet den Arzt rechtlich ebenso wie ein aktuell artikulierter Wille.
4.3 Gründe für die differenzierten Rechtsfolgen
Die Unterscheidung zwischen Verbindlichkeit und Beachtlichkeit hat ihren guten Grund: Die Vorwegnahme aller möglichen Fallkonstellationen ist in einer Patientenverfügung unmöglich. So wird es sich immer wieder ereignen, dass ein Patient die gesetzlichen Erfordernisse für eine verbindliche Verfügung erfüllt hat, die eingetretene Krankheitssituation aber nicht mit der in der Verfügung umschriebenen übereinstimmt. In diesem Fall kann die Verfügung den behandelnden Arzt mangels Handlungsdirektive nicht binden; sie kann ihm aber wichtige Informationen über die generellen Wünsche seines Patienten liefern. Außerdem räumt der Gesetzgeber dem Patienten damit die Möglichkeit ein, eine Vorausverfügung ohne Behandlungsanweisung (eine sog. Wertanamnese) zu verfassen. Schließlich erlaubt die beachtliche Patientenverfügung dem Patienten die Errichtung einer Verfügung, ohne die im Gesetz dafür vorgesehenen und mit Kosten verbundenen Hürden nehmen zu müssen. Es wäre deshalb verfehlt, von einer „minderen“ Form zu sprechen, nur weil sie – willentlich oder unbeabsichtigt – nicht alle Verbindlichkeitserfordernisse erfüllt; es handelt sich um eine vom Gesetzgeber bewusst konzipierte Alternative!
5 Missbrauchsabwehr
Ein Fortschritt gegenüber der alten Rechtslage ist in der Verwaltungsstrafbestimmung des § 15 PatVG zu sehen. Damit wird gewährleistet, dass die Errichtung einer Verfügung ausschließlich im freien Ermessen des Patienten liegt und nicht durch äußere (insbesondere wirtschaftliche) Zwänge beeinflusst wird. Besondere Bedeutung erhält dies beim Zugang oder Erhalt von Versorgungsleistungen, aber auch bei Abschluss von Versicherungsverträgen.
6 Ausblick
Der Nationalrat hat beschlossen, das PatVG in drei Jahren einer Evaluierung zu unterziehen. Außerdem werden derzeit noch Überlegungen angestellt, ob ein Hinweis auf das Bestehen und den Aufbewahrungsort einer Patientenverfügung auf der e-card gespeichert werden kann; alternativ oder ergänzend hierzu wird auch die Errichtung von Registern angedacht. Diese Entwicklungen gilt es nunmehr abzuwarten.
Univ.-Prof. Dr. Michael Memmer
Institut für Römisches Recht, Universität Wien
Hessgasse 1, A-1010 Wien
Michael.Memmer(at)univie.ac.at