Missbrauch physikalischer Begriffe in den sogenannten Alternativwissenschaften

Imago Hominis (2006); 13(3): 201-212
Wolfgang Kummer

Zusammenfassung

Der Missbrauch physikalischer Begriffe in Zusammenhang mit Behauptungen betreffend die Existenz von Effekten außerhalb jener, die einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten, ist leider heute ein weit verbreitetes Phänomen. Allzu oft unterstützt durch unkritische Medien ist überdies die Verbreitung von Produkten ohne wissenschaftliche Basis in zunehmendem Maße zur Geschäftsgrundlage global agierender, äußerst profitabler Industriezweige geworden. Beispiele für diese zunehmend beunruhigende Entwicklung reichen von angeblich gebündelten „Energieflüssen“, mysteriösen „Strahlen“ sogar bis hin zur „Quantenmechanik“.

Schlüsselwörter: Alternativwissenschaften, Pseudowissenschaften, Missbrauch physikalischer Begriffe

Abstract

The abuse of physical concepts in order to bolster up claims for effects in nature outside the scientifically established ones unfortunately has become a widespread phenomenon. Supported all too often by uncritical media, also the distribution of products without scientific basis is becoming a global and extremely profitable industry. Examples for this increasingly disturbing tendency range from alledged focused “energy fluxes”, mysterious forms of “radiation”, even to “quantum mechanics”.

Keywords: alternative science, pseudo science, abuse of physical concepts


1 Einleitung

Das Wiederauftauchen grammatikalisch allerdings zuweilen holpriger lateinischer Zaubersprüche in den überaus populären Jugendbüchern von J. K. Rowling erinnert an den für ein bildungsfernes Volk seit jeher geheimnisvoll-mystischen Aspekt einer uralten Sprache. Ökologische Nischen für das Lateinische existieren heute etwa noch bei medizinischen Fachausdrücken, bei Bezeichnungen in der Biologie oder aber auch in Restbeständen lateinisch-katholischer Liturgie. Mit der Zurückdrängung dieser Sprache in allen Lebensbereichen durch die englische lingua franca und parallel zum Niedergang des „altmodischen“ Gymnasiums scheint auch ihre geheimnisvolle Aura zu verschwinden, die sie sich für eine große Mehrheit der abendländischen Gesellschaft durch 2000 Jahre bewahrt hatte.

Andererseits besteht heute eine vergleichbare Verständnislosigkeit des breiten Publikums gegenüber den geradezu atemberaubenden Fortschritten der modernen Natur- und technischen Wissenschaften. Mehr noch gilt dies für deren Grundlagen und hier insbesondere für die Physik. Physikalische Gesetze, die eine letzte Basis für unsere gesamte Naturkenntnis bilden und die für oft Angst machende Anwendungen verantwortlich gemacht werden, bedienen sich letztlich der Mathematik – eines weiteren für viele Gehirne absolut unverständlichen, aber auch verabscheuungswürdigen Gebietes. Sind doch unabänderliche Naturgesetze und unbestreitbare Beweise in der Mathematik so etwas wie „Dogmen“, die nur eine „patriarchalisch-repressive“ Gesellschaftsordnung hervorbringen kann, der gegenüber „Tabubrüche“ ein wesentliches Mittel der Auseinandersetzung sind und insbesondere zur Aufmerksamkeitserregung eine wichtige Rolle spielen.

Trotzdem (oder deswegen?) finden wohldefinierte Begriffe der Physik in gänzlich anderen Bereichen eine immer größere Verbreitung, wobei sie dort allerdings nur mehr als Legitimierung gänzlich unhaltbarer Interpretationen dienen oder schlichtweg der bewussten Verschleierung eindeutiger Scharlatanerie.

Ein typisches Ergebnis dieser Taktik resultierte in der sogenannten „Sokalaffäre“. 1996 gelang es dem amerikanischen Physiker A. Sokal, einen parodistischen, aber von physikalischen Begriffen strotzenden Artikel in einer der renommiertesten amerikanischen Zeitschriften auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften zu platzieren, wo er prompt längere Zeit von Seite der Soziologen für bare Münze genommen wurde. Er hatte, scheinbar zustimmend, umfangreiche unsinnige Passagen aus Arbeiten vorwiegend französischer postmodernistischer Philosophen zitiert.1

Im Folgenden soll jedoch auf diese Form des Missbrauchs physikalischer Begriffe nicht eingegangen werden, sondern vielmehr auf deren irreführende Verwendung im Zusammenhang mit immer größeren Umfang annehmenden kommerziellen Interessen. Damit wird es heute für seriöse Wissenschaftler immer gefährlicher, sich hiezu in der Öffentlichkeit kritisch zu äußern. Millionenklagen wegen Rufschädigung durch Firmen mit Milliardenumsätzen können die Folge sein und sogar bei vom postmodernen Zeitgeist der absoluten Toleranz beeinflussten Staatsanwälten und Richtern auf fruchtbaren Boden fallen. Leider gibt es ja in dieser Berufsgruppe bis heute keine Variante der juridischen Ausbildung, die die naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen unserer modernen Gesellschaft auch nur ansatzweise berücksichtigt. Die Entscheidung gerichtlicher Verfahren liegt daher letztlich bei Gutachtern, für deren sachgerechte Auswahl natürlich auch keine systemimmanente Kompetenz bestehen kann – wenn es auch mittlerweile schon einzelne Richter gibt, die sich sozusagen privat entsprechendes Grundwissen angeeignet haben, das ihnen die Fähigkeit der Unterscheidung zwischen seriösen Wissenschaftlern und anderen verleiht.

Wenn also in diesem Artikel nur in isolierten Einzelfällen eine genaue Quellenangabe mit Nennung des Firmennamens bzw. eines Proponenten von physikalischem Abrakadabra erfolgt, so ist dies für mich – wie für viele Fachkollegen in Physik, Chemie, Biologie, Medizin usw. – eine (leider) notwendige Vorsichtsmaßnahme, um allenfalls geballte Klagen finanzstarker Firmen oder deren Vertreter zu vermeiden. Andererseits werden, wie ich hoffe, die genannten traurigen Beispiele für sich sprechen und vielleicht sogar gelegentlich dem Leser ein (gequältes) Schmunzeln entlocken. Offenbar können es sich heute allenfalls nur auflagenstarke Zeitungen2 erlauben, z. B. Ergebnisse über fehlende Wirkungen bestimmter Heilpraktiken zu berichten. Anlässlich der Veröffentlichung der Ergebnisse einer großen wissenschaftlichen Studie3 über die immer wieder behaupteten Heilerfolge durch Homöopathie wurde deren Unwirksamkeit – abgesehen von Placeboeffekten – den Lesern präsentiert. Allerdings sicherte man sich auch dort ab, indem man auch einen Vertreter der Homöopathie zu Wort kommen ließ.

Seriöse Wissenschaftler gehören per definitionem der sogenannten „Schulwissenschaft“ an, einer internationalen Forschergemeinde, die in gegenseitiger Kontrolle dafür sorgt, dass nur intersubjektiv überprüfbare Resultate dem Faktenbestand hinzugefügt werden, der wiederum die Basis für Fortschritte bildet. Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen handelt es sich, zumindest in der Basiswissenschaft Physik dabei nie um „Revolutionen“ in dem Sinn, dass alte Vorstellungen durch neue Paradigmen komplett abgelöst werden. Vielmehr enthalten die neuen Einsichten die früheren Resultate als Grenzfall einer umfassenderen Sicht der Dinge. Ein berühmtes Beispiel hierfür stellt die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins dar, die Newtons Theorie weiterhin als Grenzfall enthält. Dies gilt auch, wenn diese neuen Einsichten, besonders in der Vergangenheit (z. B. Einsteins Ablehnung der Quantenmechanik!) älteren Forschern sehr schwer fallen können.

Es ist daher auch nicht erstaunlich, dass die Berufung auf solche „Revolutionen“ zum Argumentationsarsenal der postmodernen Gegner gehört, auch wenn sie eher im Sinne einer „Retrovolution“ sich paradoxerweise etwa in der Medizin auf das angeblich hohe Alter (5.000 Jahre chinesische Medizin, 200 Jahre Homöopathie) dieser Praktiken berufen.

„Alternativwissenschaften“ stellen sich daher meist bewusst als legitime Gegner der „Schulwissenschaften“ dar, indem sie fragwürdige Erklärungsschemata postulieren, die aber trotzdem sehr oft Begriffe derselben verwenden. Im besten Fall bescheiden sie sich mit der Behauptung, eine „Ergänzung“ zu diesen anzubieten – ungeachtet der Tatsache, dass die alternativen Vorstellungen buchstäblich in allen Fällen völlig inkompatibel sind.

2 Energie, Energiestrom, Kräfte, Informationsübertragung

Das Wort Energie ist als Synonym für Tatkraft seit seiner Prägung im Altgriechischen allgemein im Gebrauch. Allerdings besitzt es durch den Arzt und Physiker Julius Robert Mayer ab 1845 eine wohldefinierte physikalische Bedeutung: Energie ist als Messgröße ein Attribut nicht nur mechanischer, sondern seit J. R. Mayer aller, auch biologischer Systeme, das einem sogenannten absoluten Erhaltungsgesetz genügt. Die Naturwissenschaft kennt keine spontane Entstehung von Energie, sondern nur Umwandlungen von Energieformen. Die weltberühmte Gleichung Einsteins (Energie gleich Masse mal Quadrat der Lichtgeschwindigkeit) bedeutete nur eine weitere Ausdehnung dieses Energieumwandlungsprinzips, das damit auch die Materie in die Energieerhaltung einbezog.

Aber auch der Energiestrom ist physikalisch wohl definiert. Er beteiligt sich an dieser Energieerhaltung als Vehikel des Ausgleichs zwischen räumlich getrennten Gebieten, die Energie austauschen können. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde insbesonders auch die elektromagnetische Strahlung (Licht-, Wärme-, Röntgenstrahlung etc.) als Manifestation des Energiestroms erkannt. Energie kann also gewogen (Masse), berechnet (potentielle Energie, z. B. eines gefüllten alpinen Wasserspeichers) und als Energiestrom mit aller erforderlichen Präzision (von Elektrozählern im Haushalt bis hinunter zu Energiequanten, den winzigsten Energiemengen einzelner atomarer Prozesse) gemessen werden. Als Physiker ist mir kaum jemand bekannt, der die Erhaltung der Energie heute noch in Zweifel ziehen würde.4

Trotzdem wird Energie und Energiestrom, wie ich vermute in voller Absicht, verwendet, um etwa in esoterischen Zusammenhängen Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen: Bei den Praktiken des tibetanischen Quigong handelt es sich um ein „beharrlich und ausdauernd praktiziertes Üben zum Sammeln und Verfeinern von Energie…“. „Chi-Energieschwingungen“ seien für die Besserung von Krankheiten einzusetzen. „Kosmische Energien“ sollten so bestmöglich kontrolliert und eingesetzt werden. Die vorteilhafte Regelung von Energieströmen im menschlichen Körper entlang von „Meridianen“ ist für einen erstaunlich hohen Prozentsatz jener Bevölkerung eine Realität, die sich sogar zur gebildeten Schicht zählt. Ein „energetischer Wirbelsäulenausgleich“ wird sicher auch zahlungswillige Interessenten finden. Reikipraktiken leiten angebliche Energieströme von einem Organismus zum anderen.

Auch Feng-Shui beruft sich auf Energieströme, die durch Anordnung von Möbeln in Wohnräumen sowie bestimmte „Hilfsgeräte“ (Windräder, Klangspiele, aufs Fenster geklebte Bilder…) beeinflusst und sogar in der Architektur berücksichtigt werden sollen. Es ist bestürzend, dass in Österreich laut Zeitungsmeldung sogar eine gültige akademische Qualifikation als Architekt mit Feng-Shui-Ausbildung vergeben wird (Donau-Universität Krems).

Der Physiker ist längst imstande, kosmische Energieströme genau zu bestimmen, zu messen und ihre Gesetzmäßigkeiten zu erschließen. Schon seit den Uranfängen des Lebens und auch bis heute ist die Erde einem Trommelfeuer kosmischer Strahlung ausgesetzt. Obwohl die Lufthülle einen Großteil der hochenergetischen Strahlung absorbiert, trifft im Schnitt pro Quadratmeter etwa ein negativ geladenes Myonteilchen pro Sekunde auf die Erdoberfläche. Dazu kommt auch noch etwa die millionenfach höhere Zahl der alles durchdringenden Neutrinos, für die der gesamte Erdball – geschweige ein lebender Organismus – kein Hindernis darstellt und die, obwohl physikalisch messbar, daher keinerlei Effekt hinterlassen (vergleiche auch unten im Abschnitt „Strahlen“).

Die Esoterik bringt auch besonders schnell wachsende Pflanzen wie Bambus, vermutlich aus daraus gespeisten magischen Vorstellungen, mit kosmischer „Urenergie“ in Verbindung, die dann im Bambusessig – natürlich um teures Geld – in konzentrierter Form erhältlich sei. Das Salz aus dem Himalaja, das natürlich aus vergleichbaren geologischen Perioden wie Salz aus österreichischen Salinen stammt, findet offenbar zu drastisch überhöhten Preisen nicht wenige Käufer, weil es angeblich „seit Jahrmillionen“ Energieströmen ausgesetzt sei.

Obwohl seit 100 Jahren als unhaltbares physikalisches Konzept längst abgeschafft, feiert neuerlich auch der Äther als Quelle kosmischer Energie bei Leichtgläubigen fröhliche Urständ. In Inseraten einschlägiger Zeitschriften wird etwa eine „Ätherquelle“ angeboten, „die reine Lebensenergie aus der Atmosphäre anzieht“ und „gebündelt wieder abstrahlt“.

Ein „kosmischer Energetisator“ transformiert mittels eines Siliziumkristalls „kosmische Energien“. Er nimmt schädliche Strahlen auf, ordnet sie und sendet sie in „perfekter Struktur" zurück. Die angebliche Wirkungspalette reicht von Elektrosmog, Handys, Schnurlostelefonen bis zu „geopathischen“ Störzonen und hat nicht nur körperliche Effekte (Behebung von Schlafstörungen, Depressionen, Ängsten etc.), sondern ein derartiger Energetisator kann auch zur „Aufladung von Lebensmitteln, Getreide, Heilmitteln…“ verwendet werden. Mir ist sogar ein Fall bekannt, in dem eine aushilfsweise im Physikunterricht eingesetzte Biologielehrerin den Schülern verschiedene Kristalle in die Hände legte und sie aufforderte, den Energiefluss zu spüren, der von diesen Kristallen in den Körper eindringe.

Die heilige Hildegard von Bingen (1098 – 1179) ist nicht nur für ihre Heilkräuter und mittelalterlichen Behandlungsmethoden in bestimmten Kreisen äußerst populär, obwohl ihre strikte Ablehnung bestimmter, heute als besonders vitaminreich geltender Gemüsesorten bizarr wirkt. Sie versuchte aber auch, die Gravitation als Folge einer Anpressung an die Erde durch eine Art kosmischen Wind zu erklären – eine im Rahmen des hochmittelalterlichen Weltbildes geradezu revolutionäre Idee. Diese Vorstellung ist in der modernen Physik zumindest seit dem 17. Jahrhundert obsolet und zwar wegen der unvermeidlichen Reibung dieses kosmischen Windes mit der Erde und den anderen Planeten, der eine rasche Abbremsung deren Bewegungen um die Sonne hervorrufen würde. Trotzdem grassierte zu Beginn der 90er-Jahre ein Angebot gewisser Schweizer Geschäftsleute, diesen „Wind“ als Energiequelle eines „Quantenmotors“ zu verwenden. Auf den Missbrauch des Wortes „Quanten“ und Quantenphysik wird weiter unten eingegangen. Interessenten wurden damals eingeladen, 6000 Schweizer Franken auf ein Konto zu überweisen, um sich an der Entwicklung dieser Energiequelle zu beteiligen. Eine persönliche Besichtigung dieses „Motors“ der „Raum-Quanten-Motoren AG“ war übrigens erst nach der oben genannten Einzahlung möglich.

Eine bestimmte Sorte russischer Physiker, die offensichtlich früher unter der Protektion kommunistischer Schutzherren – wie Lysenko im großen Maßstab unter Stalin mittels seiner lamarckistischen Biologie – ungestört pseudowissenschaftlichen Unsinn produzieren durften, sucht und findet leider in jüngster Zeit auch immer wieder willige Gläubige im Westen. So brachte z. B. im Oktober 2005 ein Dr.-Ing. A. Tarasov an einem Klinikinstitut des AKH Wien eine Besprechung5 über ein von ihm vorgestelltes Gerät zustande, das eine „Energieformationskomponente“ erzeugen soll. Der Äther sei durch Einstein nur „in Vergessenheit geraten“, er habe verschiedene Komponenten und sei „nahe der üblichen Physik“ beschreibbar. Er habe eine Wechselwirkungsgeschwindigkeit von 10120 km/s (also etwa das 10115-fache der nach allen physikalischen Befunden nicht überschreitbaren Lichtgeschwindigkeit!). Damit würde ein Biofeld erzeugt, das aber auch eine Wirkung auf Verbrennungsmotoren (!) haben sollte (Verbrauch, Abgas, Leistung). Ein Gegenstand aus Edelmetall, den man einfach durch die Tanköffnung in den Benzintank hineinlegt, soll dies bewirken. Der Vorschlag einer diesbezüglichen Versuchsreihe fand anscheinend nur bei den medizinischen Teilnehmern des Gesprächs, nicht aber bei den anwesenden verstockten Kraftfahrzeugexperten eine positive Reaktion.

Ein sehr beliebter missbräuchlich verwendeter Begriff ist auch das Tachyon. In Esoterikläden werden Plastikkärtchen verkauft, die diese „alles durchdringenden“ Teilchen so „bündeln“, dass beim Aufhängen eines solchen in der Nähe eines Computers dessen Elektrosmog ausgeschaltet wird. In der Physik existiert in der Tat der Begriff Tachyon. Wenn nach der speziellen Relativitätstheorie Einsteins ein Teilchen einen Massenparameter hätte, dessen Quadrat negativ (!) ist, dann müsste sich ein entsprechendes Teilchen mit reeller Masse mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Es würde außerdem den Kausalzusammenhang durchbrechen (Wirkung vor der Ursache). Wenn in einer physikalischen Theorie ein tachyonisches Teilchen auftaucht, ist dies jedoch ein zwingender Grund, eine solche Theorie zu verwerfen oder zumindest zu modifizieren. Nebenbei sei bemerkt, dass gerade die Elimination von scheinbaren Tachyonen durch präzise Neuformulierungen der Ansätze zu großen Fortschritten in der Entwicklung der physikalischen Grundgesetze im heutigen „Standardmodell“ der Elementarteilchentheorie geführt hat.

Der physikalische Kraftbegriff ist ebenfalls ein beliebtes Objekt des Missbrauchs. Es gibt – offenbar besonders im Waldviertel – „Kraftplätze“ mit „unsichtbarer Qualität“. Klarerweise gehören diese bereits auch in immer zahlreicheren anderen Orten zu den Fremdenverkehr fördernden Attraktionen.

Ein zivilrechtlich gesehen besonders heikles Gebiet für einen Artikel wie den vorliegenden bildet die „Energetisierung“ des Wassers. Hier werden „Verwirbelungssysteme“ zum einfachen Durchleiten des Wassers angeboten. Sie bestehen nur aus einem kurzen Rohr mit Verengung in der Mitte, „leicht in der Tasche mitzutragen“. Damit kann jedes Wasser kurz vor dem Trinken „energetisiert“ werden. Auch Kristalle (Rosenquarz oder Bergkristall), in die Trinkwasserkaraffe gelegt, sollen durch Schwingungen die Kristallordnung auf das Wasser übertragen.

Da zwischen Energieströmen und geheimnisvollen Informationsübertragungen im wissenschaftsfernen Gebiet oft wenig Unterschied gemacht wird, muss hier auch das „belebte" Wasser erwähnt werden, dessen Einsatz als Trinkwasser, in der Landwirtschaft, ja sogar als Kühlwasser in der Industrie beachtliche kommerzielle Erfolge aufweisen kann. Wie die vom Tiroler Erfinder Grander und seinen Vertriebsfirmen angebotenen Geräte Wasser „beleben“ sollen, ist nach Aussage des Betriebsführers Peter Ortner in einem Kreditschädigungsprozess gegen den Kritiker Prof. Erich Eder vom Institut für Evolutionsbiologie der Universität Wien „ein Geheimnis“.6 Laut Grander soll etwa ein Glas, gefüllt mit dem von ihm belebten Wasser, ohne Kontakt mit dem vorbeifließenden Leitungswasser das letztere so beeinflussen, dass es positiv auf Organismen wirkt. In der Physik ist jedenfalls kein Übertragungsmechanismus bekannt, der hier relevant sein könnte.

Die Behauptung, Wasser könne durch bestimmte Verfahren eine Struktur erhalten, ist übrigens – auch außerhalb der Homöopathie – ein altes trauriges Kapitel der Geschichte der Pseudowissenschaften. 1988 gelang es dem französischen Immunologen J. Benviste in der renommierten Zeitschrift Nature einen Artikel über ein angebliches Gedächtnis des Wassers unterzubringen. Seine Resultate konnten niemals unter einwandfreien wissenschaftlichen Bedingungen reproduziert werden. Unter dem Verdacht der Manipulation wurde daher sein Laboratorium geschlossen, was ihn aber nicht hinderte, mittels privater Mäzene weiter zu „forschen“. Er verstieg sich schließlich zur Behauptung, Wasser habe nicht nur ein Gedächtnis, sondern diese Strukturinformation könne auch ausgelesen, digital codiert, per E-Mail verschickt, wieder ausgelesen und in anderes Wasser gespeichert werden.7

3 Strahlen

Zu dem Begriff „Strahlen“ hat die moderne Gesellschaft, oft desinformiert durch ihre Medien, ein sehr gespaltenes Verhältnis. Der physikalische Strahlenbegriff umfasst Strahlen massiver Teilchen (Elektronen, die bereits oben erwähnten Myonteilchen der kosmischen Strahlung, Atome, aber auch Strahlen aus den Atomkernen, etc.) und Strahlen masseloser Teilchen (Photonen als Quantenteilchen der elektromagnetischen Strahlung). Strahlen sind somit nichts anderes als Manifestationen einer spezifischen Form des Energiestroms, der durch verschiedenste Teilchen übermittelt werden kann.

Das Spektrum der Energieströme aller dieser Teilchen reicht über viele Zehnerpotenzen. Massive Teilchen werden nach Einstein bei höheren Geschwindigkeiten „schwerer“, wobei die Lichtgeschwindigkeit eine unerreichbare Grenze bleibt. Obwohl aber die leistungsfähigsten modernen Teilchenbeschleuniger Energien der Einzelteilchen (Protonen, Elektronen, Positronen) bis zu mehr als 1012 Elektronvolt erreichen8, sind die damit verbundenen Energieströme winzig im Vergleich mit den Energieströmen, die durch die kommerziellen Stromnetze unseres Alltags fließen. Übrigens werden die höchsten Energien in sehr seltenen kosmischen Strahlprozessen beobachtet, die über 1021 Elektronvolt pro Teilchen erreichen können.

Am untersten Ende der Skala liegen einzelne Lichtquanten (Photonen). Die Energie eines masselosen Photons kann beliebig klein sein. Mit Hilfe von Prozessen, bei denen Photonen beteiligt sind, können somit kleinste Energien und Energieströme gemessen und als „Strahlen“ physikalisch identifiziert werden. Angebliche andere Strahlenphänomene des pseudowissenschaftlichen Bereichs stehen daher von vornherein auf verlorenem Posten.

Im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit hat sich der Strahlenbegriff von euphorischer Begeisterung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Röntgenstrahlen und die Radioaktivität bestimmter Atome entdeckt wurde, heute zu einer Art radiophoben Ablehnung entwickelt. Dies äußert sich auch in der Literatur des alternativen „Wissens“ im Ersetzen des Begriffs „Strahlen“ (Erdstrahlen etc.) durch Umschreibungen wie „feinstoffliche Wirkungen, Energieströme“ etc. In Wahrheit entwickelte sich das Leben seit Anbeginn, nämlich vor etwa 3,5 Milliarden Jahren in einer strahlungserfüllten Umwelt. Ein Beispiel: Jeder Mensch – wie jedes andere Lebewesen seit Urzeiten – enthält in all seinen Körperzellen ein radioaktives Kaliumisotop, das bei ca. 75 kg Körpergewicht insgesamt zu rund 10.000 Zerfällen pro Sekunde (10.000 Bequerel) führt. Zusätzlich gibt es noch Zerfälle von Kohlenstoff 14, einem radioaktivem Kohlenstoffisotop, das andauernd durch die kosmische Strahlung in der Atmosphäre produziert wird und über das von Pflanzen absorbierte CO2 in die Nahrungskette gelangt. Weiters hinzuzurechnen sind die radioaktiven Zerfälle anderer im Erdreich natürlich vorkommender Atome (z. B. des Radongases), die die örtliche natürliche Strahlenbelastung im Vergleich mancher Gebiete der Erde bis zu 250% variieren lassen.

Im Gegensatz zu den meist weitgehend ignorierten Effekten organismusfremder chemischer Umwelt- und Nahrungsverunreinigungen kann übrigens jeder einzelne Atomzerfall durch einen Zähler registriert werden, den sich jedermann um wenige Euro etwa im Versandhandel beschaffen kann. Offenbar sind die Zellreparaturmechanismen der Lebewesen immer mit Strahlenschäden dieser Größenordnung fertig geworden. Bei Belastung mit umweltfremden Chemikalien ist dies hingegen keinesfalls evident.

Nun zu den neuerlich euphemistisch als „feinstofflich“ bezeichneten Missbräuchen des Strahlungsbegriffs: Besonders bekannt sind die sogenannten Erdstrahlen, die angeblich auf Wünschelrutengänger wirken und es ihnen ermöglichen, „geopathologische“ Störungen festzustellen und Wasseradern aufzuspüren. Nach einer kürzlich9 abgedruckten Erklärung durch eine professionelle Geomantin (deutsch: Erdwahrsagerin) entstehen Erdstrahlen durch die Bewegung des Wassers als „Reibungsstrahlen“ in Wasseradern. Physikalisch ist natürlich jede Reibung mit Wärmestrahlung (elektromagnetischen Wellen im Infrarotbereich) verbunden. Allerdings führt eine solche Erwärmung in erster Linie zu einer äußerst geringfügigen Erwärmung des Wassers selbst, keinesfalls aber zu auf der Erdoberfläche wahrnehmbaren (und messbaren) Effekten – weder für genaueste physikalische Geräte, noch für die wesentlich weniger darauf reagierenden Organismen.

Es ist richtig, dass Wünschelrutengänger oft Wasser korrekt registrieren. Allerdings stoppte die amerikanische Regierung umfangreiche einschlägige Forschungsreihen der US-Armee bereits vor vielen Jahrzehnten, weil die Trefferquote nicht jene übertraf, die professionelle Geologen auf Grund der Geländeformen, Vegetation und anderer Oberflächenindikatoren erreichten. Beim Wünschelrutengänger findet offenbar eine unbewusste ähnliche („intuitive“) Beurteilung statt.

Wenn jedoch die Grundlagen für eine solche fehlen, kommt es zu totalen Ausfällen. Das negative Resultat eines solchen Versuchs der Universität Nice im Jahre 2001 unter sorgfältigen Bedingungen berichten G. Charpak und H. Broch10. Nachdem ein Preis von 200.000 Euro für den Nachweis irgendeines paranormalen Effekts ausgesetzt worden war, stellte sich ein einziger Wünschelrutengänger einem Experiment. Nachdem dieser selbst erklärt hatte, es gäbe keine sonstigen Störzonen im Versuchsgebiet, wurden parallel zueinander zehn Röhren vergraben, durch die abwechselnd Wasser geleitet wurde. Der seiner Fähigkeiten absolut sichere Mann war erschüttert, dass er nicht imstande war, die jeweiligen Röhren mit Wasserdurchfluss zu identifizieren.

„Abschirmungen“ gegen „Erdstrahlen“ scheinen sich auf das physikalische Prinzip des Faradayschen Käfigs zu berufen. Bei diesem handelt es sich um den Effekt einer Umhüllung aus leitfähigen Materialien, die in der Tat den Innenraum gegen elektrische Felder abschirmen. Lässt man als Kandidaten für Erdstrahlen (geopathische Zonen) also, wenn überhaupt, Variationen des äußerst kleinen Magnetfelds der Erde zu (vgl. nächstes Kapitel), so kann hier kein (bzw. nur ein Placebo-) Effekt auftreten. Allerdings soll es in Österreich sogar ein Spital geben, in dessen Intensivstation sich die Patienten nach Anbringung einer solchen Abschirmung auf Befragung „besser fühlten“ (!). Ob dieser Placeboeffekt den zweifellos nicht billigen baulichen Aufwand wert war, muss offen bleiben.

Einer der magischen Abschirmungsideen scheint auch die verbreitete Verwendung von Kupferarmbändern u. dgl. zugrunde zu liegen. Beim Kauf eines neuen, farblich passenden Lederarmbands für meine Armbanduhr wurde mir ein Merkblatt mitgeliefert, das darauf hinwies, dass ein Kupferband in das Leder eingearbeitet sei und dieses Kupfer sei schon einmal auf 3000 Volt aufgeladen worden. Damit würden sich nicht nur das körperliche Wohlbefinden, sondern auch die intellektuellen Fähigkeiten des Trägers verbessern.

4 Magnetismus

Die gegenseitige Anziehung natürlich vorkommender Gesteine mit magnetischen Eigenschaften (Magnetit) dürfte die Menschen schon seit Urzeiten fasziniert haben. Jedenfalls beschrieben sie bereits die frühen ionischen Naturphilosophen (Thales von Milet 500 v. C.). Die Verwendung als Kompass dürfte zuerst in China bzw. auf arabischen Handelsschiffen um 1000 n. C. erfolgt sein. Die Entdeckung, dass die Erde selbst einen Magneten darstellt (W. G. Gilbert) stammt erst aus dem Jahre 1600. Dass Magnetismus und Elektrizität eng miteinander in der elektromagnetischen Theorie verbunden sind, ist der modernen Wissenschaft seit Maxwell (1873) bekannt und führte zu jenen technischen Anwendungen, die heute unsere Gesellschaft bestimmen. Magnetische (und elektrische) Felder können mit höchster Präzision gemessen und „gestaltet“ werden, man denke etwa an Großbeschleuniger mit supraleitenden Magneten, an Kernspintomographen oder auch an kleinste magnetischen „Fallen“, in denen einzelne Atome gespeichert werden können.

Die Wirkung des (Erd-)Magnetismus auf gewisse Organismen, z. B. bestimmte Bakterien, Brieftauben u. a. zu Orientierungszwecken, scheint heute etabliert zu sein. Elektromagnetische Strahlung von Mobiltelefonen und deren Antennen – besonders der erstere Effekt dürfte einen größeren Anlass zur Besorgnis geben – bewirkt einen (unerwünschten) elektromagnetischen Energieeintrag. Dieser erwärmt nicht nur Körperzellen (Elektrosmog), sondern ist im Bereich der Mikrowellen auf Grund des resonanten und damit hoch verstärkten Mitschwingens der Wassermoleküle im menschlichen Körper besonders beunruhigend. Liegen doch deren Eigenschwingungen gerade in diesem Frequenzbereich. Im Tierversuch zeigten sich biologische Schäden, wie sie übrigens auch schon vor Jahrzehnten an Menschen beobachtet worden waren, die damals völlig ungeschützt in Radarstationen Mikrowellen ausgesetzt waren.

Das statische (zeitunabhängige) Magnetfeld übt jedoch auf Organismen – mit Ausnahme spezieller Organe, die sich mit eingelagerten Eisenatomen in organische Moleküle zu Orien-
tierungszwecken bei einzelnen Tieren im Zuge der Evolution ausbildete – keinen nachweisbaren Einfluss aus. Dies wurde vom streng wissenschaftlichen Standpunkt erst kürzlich wieder11 zusammenfassend diskutiert. Nichtsdestoweniger existiert eine weltumspannende Industrie, deren Erzeugnisse (Armbänder, Schuheinlagen, Kniepflaster, Matratzen etc.) es auf einen Jahresumsatz von etwa 1 Milliarde Dollar bringen. Wenn derartige Produkte überhaupt eine Wirkung besitzen, kann es sich nur um Placeboeffekte handeln. Der physikalische Grund ist einfach: Jeder Magnet hat zwei Pole, zwischen denen das magnetische Feld verläuft, wobei nur in unmittelbarer Nähe der Magnete eine größere Feldstärke registriert wird. Denn zum Unterschied vom elektrischen Feld einer Ladung, das mit dem Quadrat der Entfernung schwächer wird, verläuft diese Abschwächungswirkung beim Magnetfeld mit der 3. Potenz. Eine Verdopplung des Abstands bringt demnach eine Abschwächung um den Faktor 8. Wenn also eine Magnetdecke wirklich aus kleinen und natürlich sehr schwachen Magneten bestehen sollte, ist in wenigen Zentimetern Abstand das magnetische Feld bereits so klein, dass eine Wirkung auf den Organismus auszuschließen ist.

Der Missbrauch des Wortes „Magnetismus“ für gewisse Methoden psychologischer Beeinflussung hat allerdings eine lange Geschichte. Das englische Wort „mesmerize“ enthält noch den Namen des österreichischen Arztes F. A. Mesmer (1734-1815), der vom „animalischen Magnetismus“ sprach, aber hier offenbar nicht den physikalischen Begriff, sondern mit der Hypnose verwandte Praktiken bezeichnete.

Die höchst schädlichen Wirkungen hoher Spannungen und Ströme sind der breiten Öffentlichkeit durchaus geläufig. Andererseits werden in der physikalischen Medizin elektrische Wechselspannungen zur Aktivierung von Muskeln bei der Rehabilitation seit langer Zeit erfolgreich eingesetzt. Um aber bei „alternativen“ Verfahren mit ebensolchen elektrischen und elektromagnetischen Effekten eine Aura des Geheimnisvollen zu erzeugen, wird auch bei derartigen Geräten oft nur von magnetischen Wirkungen gesprochen und das Wort „elektrisch“ vermieden. Ein Vertreter eines Geräts für „pulsierende Signaltherapie“ (PST) erklärte mir einmal, dass hierbei ein wechselndes Magnetfeld auf das Blut wirke, in dem die Wassermoleküle ja Dipole seien. Auf meinen Einwand, es handle sich um elektrische Dipole (aus positiven und negativen elektrischen Ladungen), gab er in schöner Offenheit zu, dass eigentlich ein (natürlich genauso fragwürdiger) Effekt elektrischer Natur auf Ionen (elektrisch geladene Atome) im Blut vorliege, aber das Wort „Elektrizität“ eben einen negativen Beigeschmack habe, „weil die Kunden dann an Elektroschocks und dergleichen denken“. Von mir erbetene genauere Informationen über das betreffende Gerät und dessen Wirkungsweise erhielt ich nie, vermutlich wegen meiner Visitenkarte mit der Adresse TU Wien. Allerdings hatte dieser Vertreter von vornherein darauf hingewiesen, dass ausführlichere Merkblätter eigentlich nur für Ärzte (!) bestimmt seien.

Aber auch eine „pulsierende Magnetfeldtherapie“ wird in bestimmten Arztpraxen angeboten – mit Berufung auf eine vom Magnetfeld übertragene „Information“. Dabei wirbt man damit, dass man schon im Altertum die „biologische Wirkung der Magnete gekannt und ausgenutzt hätte“, wozu Hippokrates, wiederum Hildegard von Bingen und auch Paracelsus als Zeugen bemüht werden.

5 Quantenmechanik, Gravitation etc.

Für den sogenannten „gesunden Menschenverstand“ ist die Physik kleinster Strukturen zugegebenerweise eine schwierige Angelegenheit. Die notwendige Aufgabe des strikten Kausalitätsbegriffs für Einzelprozesse bereitete ja sogar großen Geistern wie A. Einstein, der mit einer seiner berühmten Arbeiten des Jahres 1905 eben dieses Gebiet begründet hatte, unüberwindliche Schwierigkeiten. Andererseits ist das quantenmechanische oder besser quantenfeldtheoretische Verhalten der Elementarteilchen die Grundlage dafür, dass Atome und Moleküle überhaupt stabile Objekte sein können. Eine zugegebenerweise mathematisch aufwändige Beschreibung erlaubt Vorhersagen, die etwa bei einzelnen Fundamentalteilchen bis zu 10 Dezimalen nachprüfbar sind.

Die bereits nahezu unüberschaubare Vielfalt der Anwendungen der Quantenmechanik reicht von der Lasertechnik bis hin etwa zu immer genaueren Voraussagen der detaillierten Eigenschaften chemischer Moleküle. Diese Eigenschaften können heute mit immer leistungsfähigeren Computern direkt aus der Quantenmechanik berechnet werden.

Bei den seit langer Zeit bekannten12 sogenannten verschränkten Quantenzuständen handelt es sich um Zustände von Quantensystemen, die bis zum Moment ihrer Registrierung durch makroskopische Detektoren in einem unbestimmten, ja sogar prinzipiell unbestimmbaren Zwischenzustand verharren. Die vom Detektor registrierten Werte lassen sich nur statistisch vorhersagen. Trotzdem erlauben ausgeklügelte Übermittlungsmethoden eine präzise Informationsübertragung auch über längere Strecken. Unglücklicherweise wurde eine vergleichbare Übertragung des Zustands eines Lichtteilchens, also nicht des Lichtquants selbst, von dem Physiker Anton Zeilinger vor einigen Jahren als „Teleportation“ bezeichnet, was natürlich für Laien und Begriffsverdreher eine große Versuchung bedeutet, zur Unterstützung ihrer nicht reproduzierbaren Behauptungen – oder in medizinischen Anwendungen bei allenfalls Placeboeffekten –, die „Quantenphysik“ ins Spiel zu bringen.

Dies geschieht neuerdings besonders gerne im Zusammenhang mit dem „Gedächtnis“ des Wassers bei jenen extremen Verdünnungen, wie sie die Homöopathie vorschreibt. Es ist für den Physiker untragbar, wenn in einer Gegendarstellung zu dem Resultat der jüngsten Studie über Homöopathie13 ein Befürworter dieser Methode einfach behauptete, der angebliche Erinnerungseffekt komme „quantenphysikalisch“ zustande, wenn eine „Verschüttelung“ erfolge. Auf welche messbaren oder auch nur theoretisch begründbaren physikalischen Effekte der offensichtlich fachfremde Arzt hierbei Bezug nimmt, bleibt ohne Erklärung. Von Homöopathen wird auch noch häufig die Wichtigkeit dieser Verschüttelung in Richtung „Erdmittelpunkt“ behauptet – sollte dies eine Anspielung auf Quantengravitation enthalten?

Besonders abzulehnen ist die um sich greifende Praxis, im Fachjournal eines bestimmten Wissenschaftsgebietes, dessen Herausgeber keine Kompetenz für andere Fächer besitzen, Artikel zu platzieren, die für jenes andere Fachgebiet unhaltbare Behauptungen enthalten. Dies geschah vor kurzem in einer Zeitschrift für Elektrotechnik, in der ein in der Elektronik verdienter Forscher behauptete, die Ungültigkeit der Relativitätstheorie Einsteins experimentell bewiesen zu haben.

Auf einer ähnlichen Linie liegen Artikel14 in medizinischen Zeitschriften, die physikalisch unhaltbare, nicht überprüfbare Behauptungen aus dem Gebiet der Quantenmechanik enthalten: So etwa habe die Homöopathie etwas mit Teleportation zu tun, bzw. mit der Verschränkung von Quantenzuständen. In der Physik wohldefinierte Phänomene wie die „Dekohärenz bei der Wechselwirkung mit der Makrowelt“ sollen den mit physikalischen Begriffen nicht vertrauten Leser beeindrucken.

Natürlich wird auch immer wieder die „Komplementarität“ gewisser Variablen der Quantenmechanik erwähnt: Ort und Impuls eines Teilchens lassen sich auf Grund der Unbestimmtheitsrelation nicht gleichzeitig beliebig genau messen. Dafür erfinden die Autoren in dem zuletzt zitierten Artikel noch zusätzlich eine veränderte Quantentheorie „ohne Beschränkung durch die Plancksche Konstante“, für die es in der Natur, wie sie durch die herkömmliche Quantentheorie beschrieben wird, überhaupt keinen Beweis gibt. Gleichzeitig werden die von Niels Bohr, dem Altvater der Quantenphysik, leider selbst ins Spiel gebrachten fragwürdigen Erweiterungen eines äußerst vagen Komplimentaritätsbegriffs auf Bereiche außerhalb der Physik (z. B. Individuum versus Gesellschaft, Gefühl versus Verstand) wieder einmal aufgewärmt.

Es scheint also, dass die Unvereinbarkeit der Naturwissenschaften mit der Homöo-pathie trotzdem unter Verwendung von herkömmlichen physikalischen Begriffen als Grundlage für eine „neue“ Physik verwendet werden soll. Dass diese dann natürlich im Widerspruch zu den umfassenden erfolgreichen Anwendungen der „Schulphysik“ auch im täglichen Leben steht, scheint nicht Anlass für Selbstkritik zu sein.

Ein besonders plumper Versuch, wissenschaftliche Seriosität dadurch vorzutäuschen, dass das Wort „Quanten“ eingeführt wird, stellt der bereits oben erwähnte Raum-Quanten-Motor dar, mit dem „kosmische Energie“ angezapft werden soll. Dabei wurde behauptet, er sei auf Grund der „Prophezeiungen“ von Hildegard von Bingen entwickelt worden.

6 Schlussfolgerungen

Dass die missbräuchliche Verwendung physikalischer Begriffe heute ein viel weiter verbreitetes Phänomen ist als im 19. Jahrhundert, als z. B. eine Apotheke keine homöopathische Produkte neben allopathischen Präparaten über denselben Ladentisch verkaufen durfte, hat vielleicht etwas mit dem postmodernen Prinzip des Dogmas einer allumfassenden Toleranz zu tun, die auch durch die political correctness erzwungen wird. Seriöse Schulwissenschaft mit intersubjektiv überprüfbaren Vorhersagen, die auf Natur-„Gesetzen“ (!) beruhen, haben es da schwer. Der erhobene Zeigefinger „entlarvt“ den Kritiker von Verschleierung und Scharlatanerie als altmodisch verstockten Schulmeister – den Inbegriff eines längst überholten Autoritätsanspruchs. Wenn ja auch in der Kunst Tabubrüche als Marketingmaßnahmen schon zum Standard gehören, werden Angriffe auf die Schulwissenschaften und die Verwendung deren Begriffe zur Mystifizierung im Grunde primitiver oder vorwissenschaftlicher, ja magisch bestimmter Verfahren und Vorstellungen leider auch besonders gerne von einer gewissen Clique von Journalisten unterstützt, die vielleicht aus ganz persönlichen Gründen mit den exakten Naturwissenschaften und/oder der Mathematik in der Schule ihre Probleme gehabt hatten. Wie bereits einleitend bemerkt, stellt jedoch einen besonderen Grund zur Besorgnis die mittlerweile gewaltige finanzielle Macht global agierender Firmen dar, die mit „alternativwissenschaftlichen“ Produkten immer umfangreichere Geschäfte machen und entsprechende Profite einfahren. Allein durch die von ihnen festgelegten Streitwerte in zivilrechtlichen Verfahren gegen im allgemeinen wenig betuchte Kritiker aus dem seriösen Bereich der Schulwissenschaft verfügen sie heute auch noch über ein erschreckendes Werkzeug zur Verhinderung der Aufdeckung von Missständen und sind überdies in zunehmendem Maße bereit, dieses rücksichtslos einzusetzen.

Referenzen

  1. vgl. Kummer W., „Wissenschaftskriege“: wo, wer gegen wen?, in: Moskaliuk S. S. (Hrsg.), Classics of World Science Vol. 4, S. 193 ff, Timpani, Ukraine (2. Auflage 2005). Umfangreiche Literatur zur Sokalaffäre ist auch unter http://www.physics.nyu.edu/faculty/sokal/ zu finden.
  2. z. B. Profil, 37, 12. September 2005
  3. Shang A. et al., Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy, Lancet (2005); 366: 726-732
  4. Allerdings existieren noch einzelne Jünger des Astrophysikers F. Hoyle (1915 - 2001), der als bekennender Materialist nicht an den Urknall („Big Bang“ war seine Wortprägung) und damit an einen Anfang des Universums glauben wollte. Da die kontinuierliche Abstandsvergrößerung von Galaxien aber unbestreitbar ist, erfand er eine „stationäre“ ewige Ausdehnung, die mit unaufhörlicher lokaler Produktion von Masse (also Energie!) einhergehen muss.
  5. Vgl. Aktennotiz Univ.-Prof.Dr. H. P. Lenz, Besprechung an der Medizinischen Universität Wien, Klinik für Innere Medizin, Intensivstation (17. 10. 2005).
  6. Vgl. Bericht in „Die Presse“, 9. 11. 2005
  7. Ich verdanke einem noch unveröffentlichten Text von Herrn Prof. Ulrich Berger (WU Wien) über Pseudowissenschaften diese prägnante Zusammenfassung der Benviste-Affäre.
  8. Ein Elektronenvolt ist die Energie, die ein Elektron besitzt, wenn es die Spannung 1 Volt zwischen zwei elektrischen Polen durchlaufen hat. Bei chemischen Prozessen geht es typischer Weise um Energien bis zu höchstens wenigen Elektronvolt pro Molekül.
  9. „Lebensart“, Februar 2006, S. 54
  10. Charpak G., Broch H., debunked! ESP, Telekinesis, other Pseudoscience, The Johns Hopkins Press, Baltimore (2004), S. 78 ff
  11. Feingold L., Flamm B. L., Magnet Therapy, Br Med J (2005); 332: 4, zitiert nach Physics World (2006); 19: 3
  12. Der österreichische Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, einer der Begründer der Quantenmechanik, führte diesen Begriff bereits in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts ein.
  13. vgl. Ref. 2 und 3
  14. vgl. Ärzte Woche, 5. Mai 2005

Anschrift des Autors:

em. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Dr. h. c. Wolfgang Kummer
Ordinarius für Theoretische Physik und langjähriger Vorstand des gleichnamigen Instituts an der TU Wien bis 2004
Liebhartstalstraße 31
A-1160 Wien
wkummer(at)tph.tuwien.ac.at

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