Homöopathie und Allopathie im Vergleich – Eine Metaanalyse aus 110 Studienpaaren
Vor kurzem hat eine schweizerisch-britische Studie für neue Diskussion über den klinischen Effekt der Homöopathie (HP) gesorgt, wobei die Frage in den Mittelpunkt gestellt wurde, wie weit es sich dabei um einen Placebo-Effekt handeln könne.1
Wann immer über diese Frage diskutiert wird – so auch in dieser Ausgabe von Imago Hominis –, kann die Erörterung der genannten Studie nicht fehlen. Die Befürworter des Placeboeffektes der HP rühmen die umfassende Erhebung von relevanten Studien aus diversen Dateien und die gediegene statistische Auswertung. Hingegen kritisieren die Freunde der HP die angebliche Voreingenommenheit der Autoren und die Manipulation der Statistik bei der Evaluierung der Ergebnisse. Es wird daher versucht, die Studie ihren Grundzügen hier vorzustellen und ohne eigene Wertung zu besprechen.
Diese Metaanalyse basiert auf der Gegenüberstellung prospektiver placebo-kontrollierter Untersuchungen bei vergleichbaren Erkrankungen, die entweder konventionell oder homöopathisch behandelt wurden. Für die HP zogen die Autoren 19 elektronische Datenbasen (inkl. homöopathische und komplementärmedizinische Register) heran und evaluierten die Jahre 1995 bis Jänner 2003. In MEDLINE (der Literaturdatenbank des US-amerikanischen National Center for Biotechnology Information) waren die vorgegebenen Stichwörter Homöopathie, Placebo, Placeboeffekt und Scheineffekt (sham). Es gab keine Limitierungen gegenüber der Sprache, in der die Artikel verfasst waren. Für die konventionelle Medizin (CM) wurde das Cochrane Controlled Trial Register nach placebo-kontrollierten Studien durchsucht, wobei die Ausgabe 1/2003 mit über 350.000 Zitaten herangezogen wurde.
Die Ein- und a priori Ausschlusskriterien waren dieselben für HP und CM. Die Einschlusskriterien waren: Kontrollierte Therapien oder Präventivmaßnahmen mit definierten klinischen Resultaten („outcomes“); zufällige (random bzw. quasi-random) Zuordnung zu Behandlungs- und Placebogruppen; eine schriftliche Dokumentation der Daten, aus welchen eine Kalkulation der Wirkwahrscheinlichkeit (Odds Ratio < 1) möglich war. Ausgeschlossen wurden sogenannte Arzneimittelprüfungen in der HP an gesunden Individuen, sowie Cross-over-Designs und sogenannte N-1-Studien.
Auf diese Weise wurden 110 geeignete Studien (aus einem ursprünglichen Pool von 165) der HP ausgewählt und 110 paarweise gematchten Studien der CM gegenübergestellt. Folgende klinische Fragestellungen waren vertreten:
Infektionen des Atemtraktes: 21 (19%)
Pollinose und Asthma: 16 (15%)
Gynäkologie und Geburtshilfe: 14 (13%)
Muskuloskelettale Erkrankungen: 11 (10%)
Andere: 14 (13%)
Die Kriterien für die Bewertung des Behandlungsergebnisses (Outcome) wurden vorher wie folgt festgelegt:
Erste Wahl: Jener Haupteffekt, der auch für die Ermittlung der erforderlichen Fallzahl verwendet wurde.
Wenn ein solcher nicht angegeben war, wurden andere Kriterien herangezogen, und zwar in folgender Reihung:
- Beurteilung des Erfolges durch die Patienten;
- Beurteilung des Erfolges durch den Behandler;
- jener Faktor zum Maß des Erfolges, der klinisch am relevantesten erschien.
Die Art der Anwendung der HP wurde differenziert nach „klassisch“ (umfassende Anamnese und ein einzelnes Medikament), „klinisch“ (keine HP-Anamnese, alle Patienten bekamen das gleiche Medikament), „komplex“ (gemischte Applikation von verschiedenen Remedien) und „isopathisch“ (das angeschuldigte Agens wird zur Therapie verwendet, z. B. Pollen bei Pollinose).
Zu den Ergebnissen: In 49% der HP- und 45% der CM-Studien wurde ein allgemeiner Therapieerfolg dokumentiert. Die Studien umfassten im Mittel 65 Probanden (10 bis 1573). Bei den HP-Studien waren 16% als klassisch, 44% als klinisch, 32% als komplex und 7% als isopathisch einzustufen.
Bei den CM-Studien wurden in 92% Medikamente getestet, bei 7% eine Immuntherapie und in einem Fall eine Vakzine.
Die Resultate wurden so codiert, dass eine positive Wirkung (oder Abschwächung des Risikos) aus einer Odds Ratio von < 1 abgelesen werden konnte. Tatsächlich sprachen die meisten Studien in beiden Gruppen für eine Wirksamkeit der verwendeten Therapie. Allerdings wiesen die HP-Studien in überzufälliger Weise eine größere Heterogenität auf als die CM-Studien (p < 0,0001), im Wesentlichen gestützt auf den Effekt, dass bei kleiner Fallzahl eher Erfolge zu registrieren waren als bei großen Studien. Obwohl dies in der Essenz auch auf die CM-Studien zutraf, war bei diesen der Unterschied nicht statistisch signifikant. Weitere Asymmetrien waren zu erheben in der Verwendung der englischen Sprache (bei CM öfter als bei HP), in der Dauer der Nachuntersuchung, in der klinischen Diagnose, in den verschiedenen Typen der Praxis der HP sowie in der Indikation zu Therapie.
Wenn die Prüfung der Heterogenität auf den Vergleich der kleinen und schwächeren mit den großen, bestqualifizierten Studien aus beiden Bereichen angewandt wurde, so bestätigte sich dieser Trend:
Für die Random-Effekt-Analyse der Studien mit den größten Fallzahlen und der höchsten methodischen Qualität wurden acht HP- und sechs CM-Studien herangezogen. Hier wurde die Odds Ratio bei HP mit 0,88 (0,65 – 1,18), bei CM mit 0,58 (0,39 – 0,85) errechnet. Ähnliches ergab sich bei der Berechnung der Sicherheit, einen Behandlungserfolg vorherzusagen. Hier lagen die Odds Ratios bei 0,96 (0,73 – 1,25) bei HP und 0,67 (0,48 – 0,91) bei CM, was für einen eindeutig besseren Effekt der CM gedeutet wurde.
In der Diskussion betonen die Autoren, dass in beiden Gruppen die Arbeiten mit minderer Qualität und kleineren Fallzahlen überwogen, wobei die HP-Studien im Vergleich besser abschnitten als die CM-Studien. Kleinere Studien mit einem schwächeren Design erbrachten in der Regel bessere Therapieresultate als große Studien von hoher Qualität. Dieser Unterschied war besonders bei den HP-Studien ausgeprägt. Diese Fakten wurden mit HP-Praktikern diskutiert, die vermuteten, dass die Anwendung der klassischen HP, die Indikation bei chronischen Erkrankungen und eine längere Verlaufsbeob-achtung bessere Resultate bringen würden. Die daraufhin von den Autoren angestellten Nachberechnungen konnten jedoch keine Bestätigung dieser Hypothese erbringen.
Die Schwächen (Biases) von Studien können zahlreiche, untereinander vernetzte Ursachen haben, die nicht sauber entwirrt werden könnten. Die in den Abbildungen der Studie wiedergegebenen sog. funnel plots mögen daher nicht nur als Mittel zu Aufdeckung von Biases dienen, sondern auch als ein Instrument zur Untersuchung des „Kleinheits-effektes“ einer Studie, die positive Resultate zu vermitteln scheint.
Abschließend legen die Autoren nochmals Wert auf die Feststellung, dass die Analyse der einander gegenübergestellten Arbeiten einzig der Frage gewidmet war, ob bei HP-Medikamenten eine spezifische Wirkung nachweisbar sei. Immerhin sehen sie den Einfluss der für die HP geforderten speziellen Beziehung zwischen Arzt und Patient als maßgeblich an, unterstützt vom gemeinsamen Glauben an die Effektivität des Medikamentes. Hier sehen manche Beurteiler ein starkes komplementäres Potential, das wieder von der Schulmedizin aufgegriffen und genutzt werden könnte. Andere hinwieder sehen gerade darin eine absichtliche und wissenschaftsfremde Täuschung der Patienten, welche in der modernen Medizin keinen Platz habe.
Die Autoren folgern schließlich, dass es zwar unmöglich sei, für die HP eine Unwirksamkeit zu beweisen, doch seien die Resultate in placebokontrollierten HP-Studien mit der Placebo-Hypothese vereinbar, was sie von der Effizienz der CM unterscheide, bei welcher die Erfolge einer Therapie kaum durch unspezifische Effekte erklärbar seien.
Referenzen
Univ.-Prof. Dr. Friedrich Kummer, IMABE-Institut
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
fkummer(at)aon.at