Prävention moderner Zivilisationskrankheiten durch Sport und Training

Imago Hominis (2004); 11(3): 185-191
Paul Haber

Zusammenfassung

Unter Primärprävention wird die Ausschaltung von Faktoren verstanden, die die Entstehung von Krankheiten begünstigen. Bei den modernen Zivilisationskrankheiten handelt es sich vor allem um degenerative Erkrankungen des Kreislaufs, die ca. 50%, und um Malignome, die ca. 25 % aller Todesfälle ausmachen. Ein Hauptrisikofaktor ist der Bewegungsmangel der modernen westlichen Gesellschaft, der folgende Konsequenzen nach sich zieht: Adipositas, Sarkopenie (Muskelschwund), Reduktion der Leistungsfähigkeit des Kreislaufs, Verminderung der Insulinsensitivität mit Hyperinsulinismus. In der Folge entwickeln sich: Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus II, Arteriosklerose mit Myokardinfarkt, Schlaganfall und periphere arterielle Verschlusskrankheit, Malignome (Mamma, Colon, Lunge). Als primärpräventive Maßnahme wird die Etablierung von regelmäßiger lebenslanger körperlicher Bewegung (Alltagsbewegung, aber auch systematisches körperliches Training) empfohlen. Regelmäßige Bewegung als Lebensstilmaßnahme ist zwei- bis dreimal so wirksam wie medikamentöse Prophylaxen. Sie kann allerdings nur von einzelnen Individuen selbst durchgeführt werden (zum Unterschied von den Präventivmaßnamen der Vergangenheit). Auf jeden Fall erfordert die Orientierung auf Lebensstilmaßnahmen als Präventionskonzept die Entwicklung von pädagogisch-didaktischen Konzepten, und die Schaffung von Infrastrukturen (z. B. Trainingsstätten und ausgebildete Übungsleiter).

Schlüsselwörter: Prävention, Zivilisationskrankheit, Sport, Training

Abstract

Primary prevention means eliminating factors, which encourage the outbreak of illnesses. Modern civilization diseases are generally degenerative diseases of the circulatory system, which cause 50%, and malignant tumors, which cause 25% of all deaths. One of the main reasons for this fact in modern Western society is a lack of physical exercise, which causes adiposus, atrophy, circulatory deficiency, lessening of insulin sensitivity, the latter causing hypoglycemia. This results in the development of: hypertension, hyperlipemia, diabetes mellitus II, arteriosclerosis with myocardial infarct, strokes and peripheral arteriopathy, and malignant tumors (breast, colon, lung). A primary preventive measure would be to establish a course of daily physical exercise including daily physical action and some systematic physical training. Regular physical movement as a lifestyle is twice to three times more effective than any type of medical prophylaxis. This can only be accomplished by the individual person (in contrast to group preventative measures in the past). In any case it will require orientation toward lifestyle measures with prevention concepts for developing pedagogic didactical concepts and infrastructures such as training camps and well educated trainers.

Keywords: Prevention, Civilisation Diseases, Sport, Training


 

Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen Sport und Training einerseits und der Prävention moderner Zivilisationskrankheiten andererseits ist es sinnvoll, die in der Überschrift gebrauchten Begriffe einzeln zu definieren und zu erläutern:

Prävention

Dieser Begriff wird in dreifacher Bedeutung gebraucht.

1) Primärprävention. Darunter ist die Ausschaltung von direkten Krankheitsursachen bzw. von krankheitsfördernden Faktoren zu verstehen. Bei den Infektionskrankheiten sind Maßnahmen zur Primärprävention zu setzen, z. B. aktive Impfungen oder auch Verbesserung der Ernährungslage zur Erhöhung der Widerstandskraft oder Verbesserung der hygienischen Situation, z. B. sauberes Trinkwasser. Der Effekt einer wirksamen Primärprävention ist, dass die entsprechenden Krankheiten seltener oder gar nicht mehr auftreten.

2) Sekundärprävention. Darunter fallen Maßnahmen, die es ermöglichen, Krankheiten in einem Frühstadium zu erkennen und, bevor noch größerer Schaden angerichtet ist, den Prozess zu stoppen oder mindestens zu verlangsamen. Viele Vorsorge- und Gesundenuntersuchungsprogramme sind derartige sekundärpräventive Maßnahmen, z. B. die Screeninguntersuchungen auf verschiedene Karzinome (Mamma, Prostata, Kolon, Kollum u. a.).

3) Tertiäre Prävention. Das sind Maßnahmen, die nach dem Eintreten und Überstehen der Krankheit helfen, das Rezidiv zu vermeiden. Die tertiäre Prävention ist bei vielen Erkrankungen weitgehend deckungsgleich mit der Rehabilitation.

Maßnahmen zur Primär- und Sekundärprävention betreffen meistens Menschen, die gesund sind oder sich wenigstens gesund fühlen. Sie zielen entweder überhaupt auf alle Menschen, z. B. die extrem erfolgreiche und daher historische Pockenimpfung, oder wenigstens alle Menschen einer bestimmten Gruppe, z. B. alle Frauen (Mamma) oder alle Männer über 40 (Prostata) oder alle mit einem Cholesterinspiegel über 200 mg%. Somit sind zwangsläufig auch alle jene betroffen, die die Krankheit auch ohne präventive Maßnahmen nicht bekommen hätten.

Tertiärprävention betrifft hingegen Patienten und ist daher Teil der klinischen Medizin.

Zivilisationskrankheiten

Damit sind „moderne“ Krankheiten gemeint, die für unsere Zivilisation typisch sind, wie z. B. die Arteriosklerose mit ihren Folgekrankheiten für Herz und Kreislauf oder der Diabetes mellitus vom Typ II (DM II). Das „modern“ bedeutet zum Einen eine zeitliche Begrenzung auf die letzten 50 Jahre, denn zu anderen Zeiten waren andere Krankheiten für die Zivilisation in unseren Breiten typisch. Im 18. und 19. Jahrhundert war das z. B. die Tuberkulose, der auch gekrönte Häupter (Josef II.) zum Opfer gefallen sind. Nehmen wir die Tuberkulose als exemplarisch für die Infektionskrankheiten, der Haupttodesursache vergangener Jahrhunderte, so lässt sich in Mitteleuropa etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts bzw. seit es Aufzeichnungen über die Tuberkulose gibt, ein kontinuierlicher Rückgang der jährlichen Todesfälle beobachten, der nur durch kurze, aber massive Rückfälle während der beiden Weltkriege unterbrochen wird. Dieser Rückgang hat vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus begonnen und lange bevor es irgendeine Form einer wirksamen Behandlung gegeben hat. Die Entdeckung des Streptomyzins, des ersten gegen Tuberkelerreger wirksamen Antibiotikums gegen Ende der 40er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, hatte auf den Verlauf dieses Rückgangs keinen erkennbaren Einfluss. Die Entdeckung erfolgte auch zu einem Zeitpunkt, zu dem der größte Teil des Rückganges der Sterblichkeit an Tuberkulose bereits stattgefunden hatte. Daraus kann man schließen, dass die kurative Medizin, das heißt, die Möglichkeit Erkrankte zu heilen, nicht der entscheidende Faktor zur Eindämmung dieser „ehemaligen“ Zivilisationskrankheiten war, sondern andere Faktoren, die mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung, vor allem die nicht oder noch nicht Kranken, betroffen haben: z. B. die Verbesserung der Ernährungssituation, die Verbesserung der Wohnverhältnisse oder Massenimpfungen, mit welch letzteren nach wie vor nicht behandelbare Krankheiten, wie die Pocken oder die Kinderlähmung, zum Verschwinden gebracht worden sind. Festzuhalten ist, dass dies alles Faktoren und Maßnahmen sind, die der Primärprävention zuzurechnen sind. Die enorme Zunahme der Lebenserwartung vom Ende des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts ist sicherlich sehr wesentlich auf diese Eindämmung der Infektionskrankheiten zurückzuführen.

Die „modernen“ Zivilisationskrankheiten sind aber nicht nur unserer Zeit zuzuordnen, sondern auch unserem Teil der Welt, d. h. den westlichen Industriestaaten. In Entwicklungsländern spielen die erwähnten Krankheiten von Kreislauf und Stoffwechsel keineswegs die dominierende Rolle wie bei uns (ca. 50% aller Todesfälle hängen mit Erkrankungen des Herz- Kreislaufsystems zusammen), sondern dort sind auch heute noch Infektionskrankheiten wie Gastroenteritis, Pneumonie oder purulente Bronchitis führend. Gesundheitsexperten ist klar, dass eine entscheidende Verbesserung der Situation in den Entwicklungsländern vor allem durch primärpräventive Maßnahmen auf dem Gebiet der Hygiene oder der Nahrungsmittelversorgung, also durch gesellschaftliche und politische Maßnahmen erfolgen muss.

Bei uns in der Vergangenheit und in den Entwicklungsländern heute sind die Risikofaktoren für die jeweiligen Zivilisationskrankheiten weitgehend durch die gesellschaftliche Situation, vor allem durch den Lebensstandard determiniert und durch ein einzelnes Individuum kaum zu beeinflussen.

Bei den modernen westlichen Zivilisationskrankheiten handelt es sich um solche, die unter dem Überbegriff „degenerative Erkrankungen“ zusammengefasst werden können. Es handelt sich dabei um Krankheiten wie:

  • Arteriosklerose mit den verschiedenen Manifestationen wie Myokardinfarkt, Schlaganfall oder peripher-arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Gefördert wird die Arteriosklerose durch Risikofaktoren: Hypertonie, Hypercholesterinämie, die selbst nicht eigentlich Krankheiten sind, sondern die Entstehung von arteriosklerotischen Krankheiten fördern.
  • Diabetes mellitus vom Typ II. Diese Krankheit ist ihrerseits ein massiver Risikofaktor für die Arteriosklerose.
  • Osteoporose
  • Malignome. Sie sind für ca. 25% aller Todesfälle verantwortlich.

Der – noch dazu unbeeinflussbare – Hauptrisikofaktor ist sicherlich das Alter; alle genannten Krankheiten treten mit zunehmendem Alter häufiger auf. Da sich die Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren in etwa verdoppelt hat (von ca. 40 auf knapp 80 Jahre), nehmen alle degenerativen Erkrankungen schon aus diesem Grund zu. Ein weiterer nicht beeinflussbarer Risikofaktor ist die genetische Veranlagung. Zusätzlich gibt es aber eine Reihe von Risikofaktoren, die durchaus beeinflussbar sind, zu einem guten Teil sogar durch ein einzelnes Individuum ohne erhebliche Änderung der allgemeinen Lebensumstände (wie z. B. Armut). In unserer westlichen Welt werden etwa je 25% – 30% von allem was Gesundheit und Lebenserwartung ausmacht, durch genetische Veranlagung einerseits und durch individuell nicht beeinflussbare Umwelt- und gesellschaftlich wirkende Faktoren andererseits bestimmt. Aber zu 40% – 50% sind Faktoren bestimmend, die durch das Individuum beeinflussbar sind.

Ein übergeordneter Risikofaktor, der sowohl bei der Entstehung von Hypertonie, Hypercholesterinämie, DM II und damit bei der Arteriosklerose mit ihren Folgeerkrankungen als auch bei einigen Malignomen 
(z. B. Mammaca.) eine Rolle spielt, ist die Adipositas, die zu einer Verminderung der Insulinsensitivität der peripheren Muskulatur und in der Folge zu Hyperinsulinismus führt. Tatsächlich können auch alle genannten Erkrankungen, mit Ausnahme der Osteoporose und der Malignome, durch Gewichtsabnahme direkt therapeutisch beeinflusst werden.

Ein anderer übergeordneter Risikofaktor für alle genannten Zivilisationserkrankungen ist der Bewegungsmangel. Er bewirkt einen atrophischen Abbau der Strukturen, die an der Energiebereitstellung und an der Erbringung der mechanischen Arbeit beteiligt sind. Das sind:

  • Verminderung der Masse des Myokards mit Verkleinerung des maximalen Schlagvolumens, somit Verringerung der Transportkapazität des Herzens.
  • Verkleinerung des Querschnitts der großen Arterien und Reduktion der Zahl der Kapillaren in der Skelettmuskulatur, somit Verringerung des Gesamtgefäßquerschnitts und Verlängerung der intramuskulären mittleren Diffusionsstrecke für O2.
  • Verminderung der Mitochondrienmasse und damit der oxydativen Kapazität der Muskulatur.
  • Verminderung der Myofibrillenzahl und damit eine Abnahme der Muskelmasse, die normalerweise bei Männern knapp 40% und bei Frauen 30% der Körpermasse ausmacht.
  • Verstärkte Abnahme der Knochendichte, die direkt mit der Muskelmasse korreliert.

Eine Folge dieser organischen Veränderungen des Bewegungsmangels sind die Förderung von Hypertonie, Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie, Verminderung der Insulinsensitivität mit konsekutiver Hyperinsulinämie, alles schon bekannte Risikofaktoren für die Arteriosklerose, DM II und der Osteoporose.

Auch von einigen Malignomen (Mamma, Kolon, Lunge) ist belegt, dass die Häufigkeit des Auftretens durch langjährige regelmäßige Bewegung beeinflusst wird.

Die oben geschilderte Wirkung des Bewegungsmangels auf verschiedene organische Strukturen macht klar, dass ein erstrangiges Merkmal des Bewegungsmangels die geringe körperliche Leistungsfähigkeit ist. Tatsächlich ist die körperliche Leistungsfähigkeit, wie sie mittels der Ergometrie objektivierbar ist, ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit.

Der Verlust an Muskelmasse (Sarkopenie) als Folge von Bewegungsmangel mit der funktionellen Folge der Verminderung der Muskelkraft, ist eine der wesentlichen Ursachen für Gebrechlichkeit und Hilfsbedürftigkeit im Alter.

Bewegung ist auch der einzige variable Einflussfaktor auf den Energieumsatz des Körpers. Jede Einschränkung der körperlichen Bewegung bedeutet eine Begünstigung einer positiven Energiebilanz, da die Nahrungsaufnahme bei Wegfall von körperlicher Bewegung in der Regel nicht eingeschränkt wird. Festzuhalten ist, dass der Wegfall von Bewegung für die Positivierung der Energiebilanz ausreichend ist; eine Zunahme der Nahrungsaufnahme ist dazu gar nicht erforderlich. Die unausweichliche Konsequenz einer längerfristig positiven Energiebilanz, auch geringen Ausmaßes, ist die Adipositas, die, wie erwähnt, selbst ein wesentlicher Risikofaktor ist.

Aus der Sicht des Leistungsmediziners ist daher der allgemeine Bewegungsmangel der Hauptrisikofaktor für die modernen Zivilisationskrankheiten. Die Kombination von zu viel Nahrungsaufnahme mit zu wenig körperlicher Bewegung wird häufig auch als „westlicher Lebensstil“ bezeichnet.

Aus der Schilderung der Folgen des Bewegungsmangels ergibt sich, dass die körperliche Bewegung für die modernen Zivilisationskrankheiten eine ähnliche Bedeutung hat wie die allgemeine Hygiene und die Hebung des Lebensstandards für die Infektionskrankheiten: Es ist eine entscheidende Maßnahme zur Primärprävention; für die zweite Lebenshälfte ist sie, vor allem wegen der umfassenden und vielfältigen Wirkung, mit Sicherheit die bei weitem wichtigste. Von Bedeutung ist der möglichst frühzeitige Beginn und die lebenslange Durchführung.

Viele Maßnahmen zur Primärprävention gegen Infektionskrankheiten haben unabhängig von der Mitarbeit einzelner Individuen gegriffen. Auch bei den Zivilisationskrankheiten müssen die Maßnahmen zur Primärprävention eine große Anzahl von Menschen betreffen, wenn sie eine volksgesundheitliche Wirkung entfalten sollen, was sicherlich allgemein gesellschaftlich wirksame Maßnahmen z. B. pädagogischer Art erfordert. Allerdings ist hier dennoch die aktive Mitarbeit jedes einzelnen Individuums unverzichtbar, da Bewegung als Präventivmaßnahme sonst nicht umsetzbar ist.

Bewegung, Sport und Training

Viele Missverständnisse, die bei der Beurteilung von körperlicher Bewegung entstehen, beruhen darauf, dass der Begriff „körperliche Bewegung“ sehr vielschichtig ist, und viele z. T. völlig verschiedene Vorstellungen mit diesem Begriff verbunden werden.

Der Begriff körperliche Bewegung umfasst zunächst wirklich alles, was irgendwie mit aktiver Muskelkontraktion zu tun hat: Tätigkeiten in der Freizeit, wie Gartenarbeit, Hausarbeit, berufliche Tätigkeiten bis zu den sportlichen Aktivitäten der verschiedensten Art. Der Begriff körperliche Bewegung umfasst also sowohl Bewegung, die in der Lage ist, die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern und/oder auf irgendeine Weise gesundheitlich günstige Effekte auf den Organismus bewirkt, z. B. prototypisch das Dauerlaufen; als auch solche, die diesbezüglich neutral ist, wie z. B. Hausarbeit, als auch solche, die körperliche Beschwerden verursachen kann, z. B. das Heben schwerer Lasten. Diese Aufzählung macht klar, dass die ärztliche Empfehlung „machen Sie mehr körperliche Bewegung“ zwar gut gemeint und im Prinzip richtig ist; aber ohne nähere Erläuterung kann die Umsetzung auch wirkungslos und im schlimmsten Fall sogar schädlich sein.

Alltagsbewegung

Ein großer Teil der körperlichen Bewegung umfasst die Alltagsbewegung. Darunter sind körperliche Tätigkeiten zu verstehen, die im normalen Alltag anfallen, egal ob in Beruf oder Freizeit, und nichts mit Sport zu tun haben. Also Tätigkeiten wie Gehen, Treppensteigen oder Gartenarbeit. Der moderne Alltag in den Industriegesellschaften ist extrem arm an derartigen Bewegungen, da die meisten, inklusive Gehen oder Treppensteigen, von mechanischen Hilfen abgenommen werden. Es ist daher verständlich, dass viele Menschen, trotz Berufstätigkeit, eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, und die geschilderten Folgen des Bewegungsmangels aufweisen.

Eine wesentliche Empfehlung lautet daher: den Alltag wieder mit körperlicher Bewegung anreichern. Also, ein konsequenter Verzicht auf mechanische Bewegungshilfen, wie Aufzüge, Rolltreppen und Auto, aber auch Straßenbahn, und zu Fuß gehen (in einem städtischen Umfeld sind innerhalb eines Radius von 1 km Wege von Wohnungstür zu Wohnungstür zu Fuß absolut am schnellsten, also auch schneller als mit dem Fahrrad). Der Gewinn von täglich 30 Minuten Alltagsbewegung ist eine sehr gute Unterstützung der Kontrolle des Körpergewichts. Wird das konsequent durchgeführt, so bedeutet das einen täglichen Mehrumsatz von ca. 100 kcal. Dies summiert sich alle 95 Tage etwa auf den kalorischen Gegenwert von 1 kg Körperfett. Wird die Nahrungsaufnahme konstant gehalten (also nicht einmal reduziert), dann kommt es tatsächlich zu einer langsamen Gewichtsabnahme mit allen nützlichen Folgen für die Risikofaktoren.

Leider ist die Alltagsbewegung noch nicht geeignet, die körperliche Leistungsfähigkeit wirkungsvoll zu verbessern.

Sport

Unter Sport ist ebenfalls ein ganzes Sammelsurium von Tätigkeiten zu verstehen. Je nach Sportart kann die körperliche Bewegung dominieren, wie z. B. beim Schwimmen, Laufen oder Muskeltraining, oder von untergeordneter Bedeutung sein, wie z. B. beim Segelfliegen oder Motorsport. Manche Sportarten, wie z. B. Rudern, haben überwiegend gesundheitlich vorteilhafte Effekte, andere, wie z. B. der Motorsport, sind eigentlich nur gefährlich, bzw. enthalten, wie das Segelfliegen, praktisch keine körperliche Bewegung. Es ist daher verständlich, dass auch die Empfehlung: betreiben Sie Sport, nicht ausreicht, um eine gesundheitsfördernde Tätigkeit sicherzustellen. Da aber sowohl das empfehlenswerte Rudern als auch der (zumindest ärztlich) nicht empfehlenswerte Motorsport als auch der für präventivmedizinische Zwecke ungeeignete Hochleistungssport ohne Zweifel unter den Begriff „Sport“ fallen, ist zu empfehlen, den Begriff Sport im Zusammenhang mit ärztlich empfohlener körperlicher Bewegung überhaupt nicht zu verwenden, sondern lieber den Begriff „Training“. Wenn es sich um eine therapeutische Empfehlung handelt, dann kann man von therapeutischem Training und medizinischer Trainingstherapie sprechen. Man kann also grundsätzlich solche Sportarten unterscheiden, die sich sehr gut und solche, die sich weniger gut oder gar nicht für ein Training eignen.

Training

Von Training ist zu sprechen, wenn es sich um regelmäßige körperliche Bewegung handelt, die jeweils in der Erholungsphase organische Wachstumsprozesse auslöst, die die Grundlage der Verbesserung der funktionellen Kapazität und der Leistungsfähigkeit der betroffenen Organsysteme sind. Der Zweck ist die Steigerung oder auch Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie die Umkehrung der durch den Bewegungsmangel ausgelösten nachteiligen Entwicklungen. Die medizinisch interessanten Effekte werden nur durch so definiertes Training erzielt. Einzelne Sportarten sind für präventivmedizinische Effekte nur dann empfehlenswert, wenn sie dominierend so verstandenes Training, aber kein nennenswertes Risiko enthalten.

Sportarten, die auf Atmung, Kreislauf und den Energiestoffwechsel der Skelettmuskulatur wirken, werden unter dem Begriff „Ausdauertraining“ zusammengefasst. Das Kriterium ist, dass große Muskelgruppen (mehr als 20% der gesamten Muskelmasse) über längere Zeit (mindestens 10 Minuten oder mehr) mit geringem Krafteinsatz (50 – 70% der maximalen Ausdauerleistungsfähigkeit) bewegt werden. Es handelt sich um schon erwähnte Sportarten wie Laufen, schnelles Gehen, Nordic Walking, Rad fahren, Schwimmen, Rudern u. a. und diverse Indoor-Möglichkeiten, wie Radtraining, Laufband, Cross-Trainer u. v. a.

Sportarten, die die Myofibrillen der Skelettmuskulatur vermehren, werden unter dem Begriff „Krafttraining“ zusammengefasst. Dafür sind Hantelgewichte besonders geeignet bzw. Trainingsmaschinen, wie sie in guten Fitnesszentren zur Verfügung stehen.

In den meisten Fällen wird eine optimale Nutzung der präventiven Effekte von körperlicher Bewegung nur durch ein regelmäßiges, ganzjähriges und lebenslanges Training zu erreichen sein. Eine allgemeine Empfehlung lautet: 3 Trainingstage pro Woche, an denen sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining betrieben werden soll mit einem jeweiligen Zeitaufwand von insgesamt ca. 1 Stunde. Die Realisierung kann sehr variabel sein, so dass zu jeder Jahreszeit, indoor oder outdoor, zu Hause oder im Trainingszentrum, privat oder im Verein ein angemessenes Training möglich ist. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht.

Die Bereitschaft des einzelnen Menschen, regelmäßige körperliche Bewegung, am besten in Form von Training, in die persönliche Lebensführung aufzunehmen, ist die Voraussetzung für die Anwendung von Training zur Prävention der modernen Zivilisationskrankheiten. Damit dies aber auch von einer Mehrzahl der betroffenen Menschen verwirklicht werden kann, sind breit greifende Maßnahmen zur Motivation möglichst vieler Menschen erforderlich, im Grunde sind das alle Gesunden, und auch organisatorische Maßnahmen, um entsprechende Einrichtungen verschiedenster Art für alle verfügbar und zugänglich zu machen. Dies ist sicherlich auch eine Aufgabe für die wesentlichen gesellschaftlichen Kräfte und Organisationen.

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Paul Haber, Klinik für innere Medizin IV
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Paul.Haber(at)meduniwien.ac.at

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