„Bioethikdebatte in Österreich und Europa“ aus europäischer Sicht
Die Debatte um den Import menschlicher embryonaler Stammzellen wurde in Deutschland und Österreich in den letzten Monaten mit großer Intensität geführt. Von den Befürwortern einer weitgehenden Freigabe der Forschung mit menschlichen Embryonen bis hin zum Klonen von menschlichen Embryonen wurde häufig als Argument angeführt, dass man aufgrund der europäischen Entwicklung ohnehin an einer solchen Forschung nicht vorbei komme. Dieses Argument ist bei näherer Betrachtung nicht stichhaltig. Zwar gibt es in Großbritannien eine sehr weitgehende Zulassung und Förderung solcher Forschung, aber Europa ist nicht Großbritannien.
In den meisten anderen Ländern findet eine ähnlich kritische und ähnlich engagierte Debatte wie in Deutschland und Österreich statt. Italien hat gerade ein strenges Gesetz gegen das Klonen von Menschen und zur Regulierung von künstlichen Befruchtungen beschlossen, das sich am deutschen Embryonenschutzgesetz orientiert. In Spanien hat die Regierungsmehrheit vor einigen Wochen einen Antrag auf Förderung von embryonaler Stammzellforschung abgelehnt. In den Niederlanden hat die neue Parlamentsmehrheit ein Gesetz zur Freigabe von Embryonenforschung und therapeutischem Klonen zunächst einmal gestoppt. In Irland ist verbrauchende Embryonenforschung sogar durch die Verfassung verboten. In den meisten europäischen Ländern ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen und Befürworter und Gegner diskutieren ebenso energisch miteinander wie in Deutschland und Österreich.
Auch das Europäische Parlament ist in einigen dieser Fragen gespalten. Zwar hat eine Mehrheit der Abgeordneten stets die Herstellung von Embryonen allein zu Forschungszwecken, also auch das sogenannte therapeutische Klonen, abgelehnt und Einigkeit besteht auch darin, dass Alternativen zu Embryonenforschung wie z.B. die Forschung mit adulten Stammzellen auf jeden Fall gefördert werden sollen. Gerade die Frage, ob an sogenannten überzähligen Embryonen, die nach künstlicher Befruchtung entstanden sind, geforscht werden darf, ist jedoch heftig umstritten. Dies war auch der Grund dafür, dass der Bericht des nichtständigen Ausschusses Humangenetik im Europäischen Parlament im November letzten Jahres vom Plenum abgelehnt wurde. In dieser wichtigen Frage war im Plenum kein Kompromiss zu erzielen.
Aufgrund der großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, (Vergleich z.B. England auf der einen und Irland auf der anderen Seite) und einer sehr gespaltenen Meinung im Europäischen Parlament ist es meiner Überzeugung nach sehr unwahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahren eine einheitliche gesetzliche Regelung zum Thema Klonen von menschlichen Embryonen, Forschung an Embryonen und embryonale Stammzellforschung geben wird. Trotzdem müssen im Europäischen Parlament und im Ministerrat Entscheidungen zu dem Thema getroffen werden. Aktuell steht vor allen Dingen die Frage zur Debatte, ob die Forschung an menschlichen Embryonen und embryonalen Stammzellen aus dem Forschungsprogramm der Europäischen Union finanziert werden soll. Hier gibt es einen unmittelbaren Bezug des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 30.1.2002 und der Debatte im Europäischen Parlament und im Ministerrat.
Am 30.01.2002 hat der Deutsche Bundestag nach intensiver Debatte eine Entscheidung zum umstrittenen Import von menschlichen embryonalen Stammzellen getroffen. Bisher war dieser Import im deutschen Embryonenschutzgesetz ungeregelt und damit ohne jegliche Begrenzung erlaubt. Der Bundestagsbeschluss bedeutet eine Einschränkung, insbesondere sollen nur diejenigen Zellen importiert werden dürfen, die vor einem bestimmten Stichtag hergestellt wurden. Der Bundestag lehnt sich dabei an eine Entscheidung von Präsident Bush in den USA an, der im Sommer vergangenen Jahres beschlossen hat, dass nur 72 bereits existierende embryonale Stammzelllinien mit Hilfe von US-Forschungsgeldern untersucht werden dürfen. Bei diesen existierenden Stammzelllinien handelte es sich nicht, wie oft fälschlicherweise behauptet wird, um die sogenannten überzähligen Embryonen, sondern diese Stammzelllinien sind selbst keine Embryonen mehr. Aus diesen können, nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft, keine Babys entstehen.
Trotzdem ist die Bundestagsentscheidung auf heftige Kritik gestoßen, insbesondere die Kirchen sprechen von einem Dammbruch. Es ist richtig, dass auch die Forschung an existierenden embryonalen Stammzelllinien ethische Probleme mit sich bringt, da die ethisch nicht akzeptable Tat (die Tötung von Embryonen) im nachhinein gebilligt wird und, da diese Stammzellen nur gegen Geld zu bekommen sind und sogar finanziell belohnt wird. Aus diesem Grund haben sich über 40 % der Abgeordneten im Deutschen Bundestag grundsätzlich gegen den Import gewandt. Dies entspricht auch der Position der Mehrheit der EVP-Abgeordneten (u.a. alle ÖVP- und CDU/CSU-Abgeordneten) im Europäischen Parlament, die sich bei der Entscheidung um die europäische Forschungsförderung zunächst für einen Antrag ausgesprochen haben, der jegliche Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ausschließt. Allerdings hat in beiden Fällen die Mehrheit anders entschieden. Nun ist es auch für die Minderheit notwendig, sich die beschlossenen Grenzen genau anzusehen und darauf zu achten, dass sie tatsächlich eingehalten werden, und dass nicht ständig neue Grenzverschiebungen stattfinden.
Ein Antrag, der die verbrauchende Embryonenforschung in Deutschland selbst zuzulassen und den Import ohne nennenswerte Beschränkungen erlauben wollte, wurde von über 80 % der Bundestagsabgeordneten abgelehnt. Dies bedeutet, der Deutsche Bundestag ist weiterhin mit überwältigender Mehrheit der Meinung, dass verbrauchende Embryonenforschung weder in Deutschland oder Österreich stattfinden, noch von Deutschland oder Österreich veranlasst werden sollte. Gleichzeitig fordert der Deutsche Bundestag in dem Mehrheitsantrag die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass auch für Forschung aus Mitteln der Europäischen Union die selben Grenzen gelten.
In Österreich hat die Kanzler-Kommission sich mit knapper Mehrheit für ethische Leitlinien ähnlich dem Deutschen Bundestagsbeschluss ausgesprochen. Eine starke Gruppe in der Kommission tritt jedoch für ein totales Verbot der embryonalen Stammzellforschung ein. Die letzte Entscheidung muss durch die Politik fallen. In jedem Fall aber sollte sich auch Österreich dafür einsetzen, dass die europäischen Regeln nicht noch „liberaler" sind als die deutschen. Im Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union sind 17,5 Milliarden Euro für die europäische Forschungspolitik zur Verfügung gestellt worden. Die erste Priorität hat dabei die Gen- und Biotechnologie. Die Frage, ob und wenn ja, in welchen Grenzen, hier auch Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen gefördert werden, hat die EU-Institutionen in den letzten Monaten intensiv beschäftigt. Das Europäische Parlament hat nach langer Diskussion in erster Lesung einen Antrag angenommen, der Grenzen festlegt, die strenger sind als diejenigen in Großbritannien, aber weniger streng als die in Deutschland und Österreich, auch nach dem Bundestagsbeschluss. Ein Antrag der EVP-Fraktion, der einen Ausschluss der verbrauchenden Embryonenforschung und eine Beschränkung der Forschung auf existierende embryonale Stammzellen vorsah, wurde abgelehnt, unter andern auch, weil fast alle Sozialistischen Abgeordneten inklusive der deutschen und österreichischen, für liberalere Regelungen waren.
Der Ministerrat hat im Dezember 2001 mit den Stimmen Deutschlands und Österreichs einen gemeinsamen Standpunkt angenommen, der fast keine Grenzen festlegt. Es gibt nur einen unverbindlichen Verweis auf internationale Dokumente. Deutschland und Österreich haben zwar formell versucht, eine strengere Position einzubringen, ihr Engagement ließ dabei aber sehr zu wünschen übrig. Am Freitag vor der entscheidenden Sitzung des Ministerrates, gab es noch keine offizielle Position der deutschen Bundesregierung. Vor der dann am darauffolgenden Montag stattfindenden Sitzung, hat Forschungsministerin Bulmahn bereits erklärt, dass man zwar versuche, die verbrauchende Embryonenforschung aus dem Förderprogramm herauszuhalten, hatte aber bereits öffentlich erklärt, dass dies für Deutschland und Österreich kein Knackpunkt sei und dass auch bei Nichtrespektierung der deutschen Forderung die Zustimmung zum Rahmenprogramm gesichert sei. Dies war sicherlich keine beeindruckende Verhandlungsposition. Entsprechend schwach war auch das Ergebnis. Erreicht wurde lediglich eine rechtlich unverbindliche Erklärung Deutschlands, Österreichs und Italiens, die zum Protokoll hinzugefügt wird, aber keine konkreten Auswirkungen hat.
Leider hat das Europäische Parlament in zweiter Lesung gar keinen Antrag zu den ethischen Grenzen angenommen. Der Grund liegt allein darin, dass der Ministerrat im Vorfeld signalisiert hatte, dass er nicht in der Lage sei, über diesen Punkt zu verhandeln. Mittlerweile ist das Rahmenprogramm angenommen. Das Thema ethische Grenzen der Forschung ist aber im Ministerrat aktueller denn je, da noch die so genannten spezifischen Programme beschlossen werden müssen, ohne die die EU-Mittel zur Forschungsförderung nicht fließen können.
Nach langem Zögern sind Deutschland und Österreich nun aktiv geworden und haben gemeinsam mit Italien, Portugal und Irland zu Protokoll gegeben, dass die spezifischen Programme nur beschlossen werden können, wenn klare ethische Leitlinien festgelegt werden. Dies gibt der Debatte in Europa eine neue Dimension, denn gegen diese fünf Staaten kann kein spezifisches Programm beschlossen werden, so dass die Forschungsprogramme nicht begonnen werden können, wenn keine Lösung im Sinne dieser Staaten gefunden wird. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie energisch und konstruktiv sich Deutschland und Österreich in dieser Frage verhalten werden. In der genannten Fünfergruppe ist Deutschland sogar das Land, das die embryonale Stammzellforschung am wenigsten einschränken will, denn im Gegensatz zu Deutschland, das die Forschung an existierenden embryonalen Stammzellen ja unterstützen will, bestehen Italien und Irland auf den völligen Ausschluss der embryonalen Stammzellforschung.
Mittlerweile liegt ein Kompromisspapier der dänischen Regierung vor, die zur Zeit im EU-Ministerrat den Vorsitz innehat. Der Kompromissvorschlag erfüllt weder die Forderungen des deutschen Bundestages noch der österreichischen Kanzlerkommission, bedeutet aber einen Schritt in die richtige Richtung. Das Ergebnis lag bei Redaktionsschluss nicht vor.
Dieses Beispiel zeigt, dass man nicht unbedingt seine ethischen Grenzen aufgeben muss, wenn man für die Europäische Integration ist.
Dr. Peter Liese
Mitglied des Europäischen Parlaments
Rue Wiertz, ASP 10 E 153
B-1047 Brüssel