Editorial

Imago Hominis (2003); 9(4): 221-222

Ein Großteil der biopolitischen Problemfelder, die uns heute beschäftigen, entspringt einer Medizin, in der die Machbarkeit zur obersten Instanz geworden ist. Alles, was möglich ist, soll auch Anwendung finden. Alles, was technisch gemacht werden kann, ist auf jeden Fall ein Fortschritt und wird ernsthaft erwogen. Es wird sogar das Zukünftige in die Diskussion eingebracht, um, wie man sagt, vorbereitet zu sein, wenn das Mögliche dann eines Tages realiter auch vollbracht werden wird. Der rasante Fortschritt der Wissenschaften hat die Öffentlichkeit in rascher Abfolge mit den folgenschweren Entscheidungen konfrontiert. Man denke nur an die In-vitro-Fertilisierung, Samenbanken, Leihmütter, Wunschbabys, tiefgefrorene Embryonen, das therapeutische Klonen, Ersatzorgane, Xenotransplantationen, Gentherapie, Keimbahneingriffe, um nur einiges zu nennen, denn diese Aufzählung könnte problemlos fortgesetzt werden.

Brauchen wir wirklich alle jene Techniken? Müssen sie, wenn schon entwickelt, etabliert werden? Was bedeutet denn „Fortschritt“ für die Menschheit, woran misst er sich und worin liegt er? Inwiefern kann von Fortschritt gesprochen werden, wenn Embryonen verbraucht, Familienbande zerstört oder mit elternlosen Zygoten experimentiert wird? Wäre es nicht fortschrittlicher, auf manche Techniken zu verzichten? Diese Fragen gelten in vielen Kreisen geradezu als Tabu, weil einem blinden Glauben an die Technik und den Fortschritt gehuldigt wird. Wer solche Fragen formuliert, wird der Fortschrittfeindlichkeit bezichtigt.

Ist jede Erneuerung ein Fortschritt? Soll eine neue Technik, die etwas Neues möglich macht, immer als Fortschritt gelten? Das Wesen einer jeden Technik ist die Mittel-Zweck-Relation, d. h. eine Technik ist ein Verfahren zur Erreichung eines Zweckes durch Einsatz von bestimmten Mitteln. Die Qualifizierung einer Technik als Fortschritt oder Rückschritt ist ein ethisches Urteil. Und dieses Urteil lautet: jede Technik, die mit ethisch unbedenklichen Mittel einen für den Menschen guten Zweck ermöglicht, ist ein Fortschritt. Dass jede Technik missbraucht werden kann und Übles bewirken kann, liegt aber nicht in der Technik selbst, sondern in ihrem Missbrauch zum schlechten Zweck. Es wäre deshalb ein Unding, die Technik zu verteufeln und zu verbieten, weil sie missbraucht werden könnte. Die prinzipielle Offenheit für die technischen Erneuerungen ist eine kulturelle Errungenschaft der Renaissance, die nicht revidiert werden darf.

Es gibt allerdings Techniken, deren Anwendung auf jeden Fall und immer ethisch verwerflich sind, weil sie, unabhängig davon, dass sie auch Gutes bewirken können, Mittel verwenden, die niemals zur Disposition stehen bzw. Zwecken dienen oder unmittelbare Nebenwirkungen haben, die niemals angestrebt werden dürfen. Jede Handlung, die ethisch unzulässige Mittel verwendet und/oder unsittliche Ziele verfolgt, ist verwerflich. Und auf eine Technik, die theoretisch oder praktisch nur solche Handlungen ermöglicht, müsste verzichtet werden.

Die Biotechnologie wirft sehr schwierige ethische Fragen auf, weil ihre Entwicklungen auch als Werkzeug zur subtilen Instrumentalisierung von Menschen verwendet werden können. Es sind Fragen, die die Achtung der Würde des Menschen betreffen, und die Würde des Menschen ist ein schwer fassbarer Begriff.

Dieses Heft wird einer Technik gewidmet, die unseres Erachtens ethisch nicht zu rechtfertigen ist. Die Tatsache, dass in den meisten entwickelten Demokratien die In-vitro-Fertilisierung (IVF) legal in der Forschung und klinischen Praxis verwendet wird, legitimiert sie in keiner Weise, macht aber eine offene ethische Diskussion fast unmöglich. Viele – auch prominente Denker wie z.B. Habermas oder Höffe – die sich über die unmittelbaren Folgen der IVF ablehnend äußern, wagen nicht den Konsens anzugreifen und übergehen die Legitimationsfrage.

Rund 10 Jahre nach der Legalisierung der In-Vitro-Fertilisierung in Österreich durch das Fortpflanzungsmedizingesetz und zwölf Jahre nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz wollen wir mit großem Respekt dieses Thema nochmals aufgreifen, in der Hoffnung, dass die Mehrheit der Forscher anhand der hier dargelegten Argumente bereit ist, den Konsens zu hinterfragen. Die Beiträge dieser Ausgabe wollen Diskussionsanregung bieten: Sonnenfeld vertritt die These, dass bei der IVF nicht mehr von Heilkunst im Dienste der Person gesprochen werden kann. Mixa zeigt die Position des katholischen Lehramtes auf und erläutert die Hintergründe ihrer Ablehnung der künstlichen Befruchtung. Hillgruber liegt daran, dass die IVF beträchtliche verfassungsrechtliche Probleme aufwirft. Auner untersucht den moralischen Status des Embryos in vitro und zeigt dabei, dass es hier eine unüberbrückbare Kluft zwischen Theorie und Praxis gibt. Die unermessliche Würde und daher der absolute Lebensschutz, die dem Embryo in vitro gleich wie in utero aus philosophisch-anthropologischer Sicht zukommt, kann in der Praxis nicht umgesetzt werden. Die Erklärung dafür ist, dass durch die Technik etwas erzeugt wurde, das auf diese Weise niemals hätte erzeugt werden dürfen, und diese Verletzung der Menschenwürde führt in der Folge zu Ausweglosigkeiten, die nach menschlichem Maß nicht mehr aus der Welt geschafft werden können.

Das Jahr 2002 neigt sich dem Ende zu und wir wünschen allen unseren Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest.

Die Herausgeber

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: