Menschenrechte und Schutz des Embryos. Volles Recht auf Leben?
Zusammenfassung
Der auf verschiedenen rechtlichen Ebenen verankerte Menschenrechtsschutz ist hinsichtlich des Schutzes ungeborenen Lebens vielfach unklar und unbefriedigend. Um nicht in eine „posthumane Zukunft“ zu schlittern, sind rechtliche Verbesserungen in diesem Bereich unter dem Blickwinkel der Menschenwürde des Embryos dringend geboten. So sollte der Verfassungsstatus des Embryos geklärt und die Stammzellenforschung rechtlich geregelt werden. Zudem bedürfe es eines allgemeinen Verbotes des Klonens und des Eingriffes in das Erbgut des Menschen sowie umfassende Handelsverbote für Embryos und das menschliche Keimgut.
Schlüsselwörter: Embryonenschutz, Klonen, Menschenrechte, Menschenwürde, Stammzellenforschung
Abstract
The present system of human rights, as guaranteed by a wide range of legal provisions, protects unborn life insufficiently and unclearly. In order to evade a „posthuman future“, it is imperative to improve the relevant law under the aspect of the human dignity of embryos. The constitutional status of embryos should be clarified and stem cell research be regulated by law. Furthermore, a general ban on cloning and manipulating the human genome should be enacted as well as global embargoes on embryos and the human genome.
Keywords: protection of embryos, cloning, human rights, human dignity, stem cell research
Einleitung
Eine methodische Vorbemerkung: Man kann das mir gestellte Thema nicht angemessen behandeln, wenn man nicht die drei klassischen Trennungsprinzipien des Rechtspositivismus relativiert: Die Trennung von „Sein“ und „Sollen“, die von Naturrecht und positivem Recht und die von Recht und Ethik.
Ich werde in meinem Referat begründen, warum ich diese künstlichen Trennungslinien für unvernünftig, sachwidrig und undurchführbar halte.
1. Menschenrechte und Menschenwürde haben einen dreidimensionalen Geltungsgrund
Sie beruhen in gleicher Weise auf positivem Recht, Naturrecht und kulturell begründeten Wertungen.
1.1 Die Menschenrechtskataloge
Das positive Recht der Menschenrechte ist heute auf mehreren Ebenen verankert: Im nationalen Verfassungsrecht, im Recht der Europäischen Union, auf völkerrechtlicher Ebene, vor allem in Konventionen des Europarates und in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen. Auf allen diesen Ebenen entsteht positives Menschenrecht in einem politischen Prozess, der zum Interessenausgleich und zu kompromisshaften Relativierungen in den Formulierungen oder in der tatsächlichen Bedeutung der Rechte führt.
1.2 Der naturrechtliche Ursprung der Menschenrechte
Auch bei positivrechtlicher Verankerung der Menschenrechte bleibt ihr naturrechtlicher Ursprung, als „angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte des Menschen“ wirksam. Insbesondere das Prinzip der Menschenwürde ist in seiner unabgeschlossenen Weite nicht anders zu konkretisieren, als im Rückgriff auf die Natur des Menschen, die eben seinen je-einmaligen Rechtswert begründet. Wichtig ist der naturrechtliche Geltungsgrund der Menschenrechte auch deshalb, weil sich nur daraus ihr absoluter Anspruch als vorstaatliches Recht begründen lässt, das gegenüber allen Akten der Staatsgewalt Vorrang hat und auch dann gilt, wenn staatliches Recht fehlt oder in seiner Ordnungsfunktion versagt.
1.3 Menschenrechte als humane Wertvorstellungen
Menschenrechte gelten in einer konkreten Gesellschaft aber auch deshalb und insoweit, als sich in ihnen Wertvorstellungen über den Menschen verkörpern, die in dieser Gesellschaft lebendig sind, weil sie von den Menschen – zumindest in ihrer überwiegenden Mehrheit – geteilt werden. Dabei kann der Grund für die Verbindlichkeit humaner Achtungs- und Handlungsverpflichtungen für die einzelnen Menschen ganz unterschiedlich sein, wenn er nur zu einem Menschenbild führt, das Menschenrechte und Menschenwürde auch rechtsethisch begründet. Man kann daher rechtsphilosophisch zwischen einer Reihe unterschiedlicher Menschenrechtskonzepte schon in der abendländisch-christlichen Tradition unterscheiden und davon humanistisch-aufklärische, marxistische, systemtheoretische und eine Reihe außereuropäische Welt- und Menschenbilder abheben.1
Ohne eine im Wesentlichen übereinstimmende sittliche Begründung kann eine menschenrechtskonforme Rechtsordnung auch in einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft nicht demokratisch formuliert und praktisch gelebt werden.2
2. Die positive Rechtslage des Embryonenschutzes in Österreich ist unklar und unbefriedigend
2.1 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
Das alte Staatsgrundgesetz von 18673 enthält weder ein ausdrückliches Grundrecht auf Leben noch das Prinzip der Achtung der Menschenwürde. Wenn man wollte, könnte man allerdings beides ohne weiteres im Wege einer historisch-systematischen Interpretation als rechtlich vorausgesetzten Inhalt dieses Grundrechtskataloges annehmen, weil ja alle individuellen Grundrechte das Leben des Grundrechtsträgers voraussetzen und die naturrechtliche Grundlage der Menschenwürde in § 16 ABGB durch das StGG nicht aufgehoben werden sollte.4 Eine solche Sicht könnte auch ohne Schwierigkeiten einen Rechtsschutz des Embryos in der geltenden Verfassung begründen, weil ja mit § 16 auch § 22 ABGB im Staatsgrundgesetz vorausgesetzt wurde und diese Gesetzesbestimmung die „ungeborenen Kinder“ – also „ungeborene Menschen“ – ausdrücklich unter den Schutz der Gesetze stellt.
Die herrschende Auslegung und Staats-praxis ist aber anders: Danach wird als „Mensch“ schon im Zivilrecht nur der geborene Mensch angesehen5 und diese Sicht ganz allgemein auch auf die Menschenrechte übertragen.6 Im Grundsatzerkenntnis über die Fristenlösung7 hat der Verfassungsgerichtshof zwar offengelassen, ob dem nationalen Verfassungsrecht ein Grundrecht auf Leben überhaupt zu entnehmen ist; gleichzeitig hat er aber den gesamten Grundrechtskatalog wegen seiner „liberalen“ Herkunft nur auf staatliche Eingriffe für anwendbar erklärt. Dies widerspricht schon dem historischen Sinn der „liberalen Grundrechte“8 und ist mit der heutigen Grundrechtsdogmatik und ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte ganz unvereinbar, weil sie den sog „Gewährleistungspflichten“ des Gesetzgebers aus den Grundrechten widerspricht, die auch zum Grundrechtsschutz gegenüber privaten Rechtsverletzungen verpflichten können.9 Das Grundrecht auf Leben ist jedenfalls durch die staatliche Gesetzgebung in umfassender Weise – also auch gegen nichtstaatliche Eingriffe – zu schützen.10
2.2 Europäische Menschenrechtskonvention
In der MRK gibt es zwei Bestimmungen, die von ihrem Wortlaut her für den rechtlichen Embryonenschutz in Betracht kommen, nämlich Art 2 (Recht auf Leben) und Art 3 (Verbot der unmenschlichen Behandlung).11 Da die MRK in Österreich im Verfassungsrang steht, hat sich das Fristenlösungs-Erkenntnis auch mit Art 2 MRK auseinandergesetzt. Das Erkenntnis kommt auf Grund der widersprüchlichen Auffassungen in der internationalen Literatur und der Formulierung der Eingriffsvorbehalte in das Grundrecht des Lebens12 zum Ergebnis, dass Art 2 MRK sich nur auf das Leben geborener Menschen beziehe.13 Diese Auffassung übersieht, dass sich die Eingriffsvorbehalte in diesem Grundrecht nicht auf die staatliche Schutzpflicht des Lebens beziehen, die in Art 2 MRK ganz umfassend formuliert ist.14
Aus der Rechtsprechung der Europäischen Menschenrechtskommission zur Abtreibungsfrage – der Gerichtshof hat dazu nie Stellung bezogen – lässt sich zwar prinzipiell eine umfassende staatliche Schutzpflicht für das Leben ableiten; aber auch hier wird nie klar festgehalten, dass auch das ungeborene Leben den vollen Menschenrechtsschutz nach Art 2 MRK genießt.15 Diese Auslegung des Art 2 MRK lässt erwarten, dass auch die Neuregelungen des Rechts auf Leben in der Verfassung der EU16 und im Verfassungsentwurf des Österreich-Konventes17 ebenso ausgelegt werden, weil sich die Formulierungen wörtlich an die MRK anlehnen.
2.3 Konkurrierende Freiheitsrechte
Findet man keine eindeutige verfassungsrechtliche Verankerung des Lebensrechtes von Embryonen, so wird die Verfassungslage für sie doppelt misslich, weil alle einfachgesetzlichen Schutzvorschriften dann unter den Schrankenvorbehalten der Freiheitsrechte des Wirtschaftslebens, der Wissenschaft (Forschung) und des Privatlebens bzw. der Gesundheit geborener Menschen stehen. Dies führt zur lebensrechtlichen Beweislastumkehr: Nicht wer in das Leben von ungeborenen Menschen eingreift, sie tötet, genetisch manipuliert oder sonst unmenschlich behandelt, muss sich rechtfertigen, sondern wer diese „Freiheiten“ rechtlich einschränkt oder auch nur gesetzlich ordnet, weil grundrechtlich geschützte Freiheiten des in das Leben Eingreifenden davon betroffen sind.
Die Lage wird für den Embryo dadurch im Ergebnis noch fataler, weil die sonst übliche Grundrechtsabwägung hier schwer durchführbar ist, weil das Grundrecht auf Leben weder einen Gesetzesvorbehalt kennt noch sonstige Eingriffe – über die sehr klar begrenzten Tötungsrechte hinaus – begrifflich zulässt. Da man nun das Rechtsgut des Lebens einer Person kaum sinnvoll mit den Freiheiten anderer Personen menschenrechtlich abwägen kann, wird die „Eingriffsfestigkeit“ des Rechts auf Leben zu einem weiteren Argument dafür, die Embryonen – die offenbar nur einen „gemäßigten und abgestuften Rechtsschutz“ im Verhältnis zu den Freiheitsrechten der Geborenen haben dürfen – schon von vorneherein als „Nichtpersonen“ und „Nichtmenschen“ aus dem Grundrechtsschutz auszunehmen und damit die Grundrechtsabwägung auszuschließen.18 In Wahrheit liegt freilich keine Grundrechtskonkurrenz zwischen Geborenen und Ungeborenen vor, weil der Menschenrechtsschutz des Lebens keine Differenzierung zwischen mehr oder weniger lebenswerten Menschen zulassen kann.
2.4 Recht der Europäischen Union
Auch die – gegenüber dem nationalen Recht vorrangigen – Grundrechte der EU begründen zwar Ansätze eines Schutzrechtes für Embryonen, aber kein volles Lebensrecht für Ungeborene. Die Ansätze für einen Rechtsschutz sehe ich einerseits im hier eindeutig verankerten Prinzip der Menschenwürde19 und im Verbot des reproduktiven Klonens.20 Dagegen dürfte das Recht auf Leben im Allgemeinen auch auf europarechtlicher Ebene nicht auf Embryonen angewendet werden, weil die Formulierung des Grundrechts sich eng an Art 2 MRK hält und ein allgemeiner europäischer Rechtsgrundsatz des Schutzes ungeborenen Lebens sich nach herrschender Auffassung nicht begründen lässt.21
Dazu kommt, dass Embryonen und embryonale Stammzellen nach herrschender Auffassung unter die „Warenverkehrsfreiheit“ des Art 28 EGV fallen22 – ein besonders abstoßendes Beispiel der oben angeführten Abwägung konkurrierender Grundfreiheiten mit dem Menschenrechtsschutz. Vor diesem Hintergrund dürfte auch vom Prinzip der Menschenwürde auf der Ebene der EU für den Embryonenschutz in Konkurrenz zu wirtschaftlichen Interessen und Grundfreiheiten nicht viel zu erwarten sein.
Typisch dafür ist etwa die Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnischer Erfindungen, die zwar in Punkt 16 der Präambel „die Würde und Unversehrtheit des Menschen“ gewährleistet und den menschlichen Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung einschließlich der Keimzellen als nicht patentierbar schützt, gleichzeitig aber die Arzneimittelherstellung aus Bestandteilen des Körpers oder technisch hergestellten identischen Bestandteilen für patentierbar erklärt, was auch für Sequenzen oder Teilsequenzen von Genen gilt.23 Allerdings verweist die Präambel der Richtlinie ausdrücklich auf die menschlichen „ethischen oder moralischen Grundsätze“ als besondere Prüfungsmaßstäbe24 und schließt das Klonen von menschlichen Lebewesen und die Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn menschlicher Lebewesen von der Patentierbarkeit aus.25 Zwar wird die Verwendung von menschlichen Embryonen für industrielle oder kommerzielle Zwecke, nicht aber für therapeutische oder diagnostische Zwecke von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.26
2.5 Biomedizinkonvention samt Zusatzprotokoll
Ausdrückliche völkerrechtliche Schutznormen zum Schutz des menschlichen Genoms und des Embryos sowie ein Verbot des reproduktiven Klonens enthalten die Übereinkommen des Europarates über Menschenrechte und Biomedizin27 und das Zusatzprotokoll zu diesem Übereinkommen über das Verbot des Klonens.28 Weder die Konvention noch das Zusatzprotokoll sind von Österreich unterzeichnet und ratifiziert worden, sodass beide völkerrechtlichen Übereinkommen innerstaatlich nicht in Kraft getreten sind. Die Biomedizinkonvention enthält zwar keinen direkten und absoluten Lebensschutz für Embryonen, sondern nur die Verpflichtung, einen „angemessenen Schutz für den Embryo“ zu gewährleisten, wenn Forschung an Embryonen außerhalb des Mutterleibes („in vitro“) rechtlich überhaupt zugelassen ist (Art 18). Allerdings enthält Art 26 dieser Konvention einen Gesetzesvorbehalt, der zwar ähnlich wie in der MRK inhaltlich begrenzt ist, sich aber ausdrücklich auf Art 18 der Konvention erstreckt. Durch diesen Gesetzesvorbehalt und die unbestimmte Schutzformulierung des Art 18 Abs 1 hält man sowohl die Verwendung als auch die Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen für vereinbar mit dem völkerrechtlichen Schutz durch die Biomedizinkonvention,29 obwohl Art 18 Abs 2 ausdrücklich und absolut die Erzeugung von Embryonen für Forschungszwecke verbietet. Der Schutz von Embryonen im Mutterleib ist durch die Konvention nicht ausdrücklich, sondern nur im Zusammenhang mit der Forschung an Personen (Art 16 und 17) und den Regeln über Intervention im Gesundheitsbereich (Art 5 – 9) gewährleistet. Ein spezieller Schutz der Embryonen ergibt sich aus der Beschränkung der Interventionen in das menschliche Genom (Art 13) und dem Verbot der Geschlechtswahl bei der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (Art 14). Besonders auffällig und uneinsichtig ist, dass dieses Verbot für den Schwangerschaftsabbruch nach der Fristenlösung nicht gilt, weil hier das genetische „Screening“ ganz allgemein erlaubt ist und keine rechtliche Beschränkung der Abbruchgründe besteht.30
Ob das Verbot des reproduktiven Klonens durch das Zusatzprotokoll auch die Gewinnung von Stammzellen durch geklonte Embryonen ausschließt, hängt von der Auslegung des Ausdruckes „human being“ in Art 1 des Zusatzprotokolls ab, insbesondere ob man auch das sehr frühe Embryonenstadium – ohne Intention auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung des Menschen – unter diesen Begriff rechnet. Der „Explanatory Report“ verweist diesbezüglich auf die rechtliche Definition im „domestic law“ der Mitgliedsstaaten und begrenzt das Zusatzprotokoll ausdrücklich auf das Klonen zu Fortpflanzungszwecken.31 Da die Präambel des Zusatzprotokolles ausdrücklich auf die „Geburt genetisch identischer Zwillinge“ verweist, die nicht durch Klonen technisch „instrumentalisiert“ werden dürfe, scheint die Zielrichtung des Embryonenschutzes durch das Zusatzprotokoll primär auf die Verhinderung des Klonens im Zusammenhang mit der Fortpflanzung des Menschen gerichtet zu sein.
Allerdings erfasst die Begriffsbestimmung des „genetisch identischen Menschenwesens“ in Art 1 Abs 2 des Zusatzprotokolles ohne Zweifel auch die zum Zweck des „therapeutischen Klonens“ hergestellten Embryonen, weil sie eben mit einem anderen menschlichen Lebewesen dasselbe Kerngenom („the same nuclear geneset“) teilen. Da das Zusatzprotokoll – anders als die Biomedizinkonvention – auch keinen Gesetzesvorbehalt des Verbotes enthält,32 wäre auch das „therapeutische Klonen“ durch das Zusatzprotokoll generell verboten, was aber wiederum mit dem eindeutigen Zweck dieses Abkommens, das reproduktive Klonen zu verhindern, nicht vereinbar wäre und deshalb auch nicht als bindende Regel für die Staaten angenommen wird. Eindeutig ist aber auch dieses Ergebnis nicht, weshalb etwa Holland das Zusatzprotokoll nur mit einem entsprechenden Interpretationsvorbehalt unterzeichnet hat.33
Dabei ist auch zu bedenken, dass der Ausdruck „human being“ auch im Art 6 des UN-Menschenrechtspaktes über bürgerliche und politische Rechte gerade nicht so ausgelegt wird, dass darunter „zweifelsfrei auch das ungeborene Leben mit eingeschlossen ist“,34 sondern dass auch hier die herrschende Auffassung darunter nur das geborene Leben versteht.35
Zusammenfassend kann man daher wohl festhalten, dass auch das Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention das therapeutische Klonen ebensowenig eindeutig ausschließt wie Art 18 der Konvention selbst; eindeutig verboten ist also auch völkerrechtlich – sowie in der geplanten EU-Verfassung – nur das reproduktive Klonen, das in Verbindung mit der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zu genetisch übereinstimmenden geborenen Menschen führen soll. In diese Richtung ist nicht nur das Klonen selbst, sondern auch die Forschung an Embryonen völkerrechtlich verboten.
2.6 Der Embryonenschutz nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz
Während der verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Schutz des Embryos in Österreich ganz unsicher und mangelhaft ist, scheint die Rechtslage auf einfachgesetzlicher Ebene besser. Vor allem das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) enthält in § 9 ein umfassendes Schutzprinzip des Embryos, das sich sowohl gegen alle Arten der „Verwendung“ des Embryos – außer für die Fortpflanzung – als auch gegen alle Arten von „Forschung und Behandlung“ außer der Herbeiführung einer Schwangerschaft richtet. Dieser absolut formulierte Embryonenschutz reicht weit über die unbestimmte Formulierung (mit zusätzlicher Eingriffsermächtigung) des Art 18 der Biomedizinkonvention hinaus; dies war auch ein Grund für die heftige politische Ablehnung der Ratifikation dieser Konvention in Österreich.36 Der Hintergrund der europäischen Kompromissformel liegt in den ganz unterschiedlichen Schutzniveaus der nationalen Regelungen der Embryonenforschung: Während Deutschland und Österreich den Embryo ab der Befruchtung der Eizelle schützen37, ist in zahlreichen anderen Ländern der Embryo erst ab der Nidation oder noch später rechtlich geschützt. Allerdings enthält die Biomedizinkonvention eine ausdrückliche Schutzklausel für weiterreichende nationale Schutzvorschriften (Art 27), sodass die österreichische Rechtslage durch die Ratifikation jedenfalls nicht verschlechtert würde. Denn auch die österreichische Regelung ist durch ihre Zwecksetzung auf die Fortpflanzungsmedizin begrenzt, darüber hinaus in mancher Hinsicht verfehlt, in anderer unklar oder zumindest zweifelhaft.
Zunächst ist grundsätzlich festzuhalten, dass der hochgelobte § 9 des FMedG weder einen Lebensschutz des Embryos enthält, noch sofortige Einpflanzung gebietet, noch ausreichenden Schutz vor Befruchtung auf Vorrat oder der Produktion überzähliger Embryonen bietet, wenn sie „nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung“ (§ 10 FMedG) zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gebraucht werden könnten. Die Neuregelung der Aufbewahrung von Keimgut und Embryonen38 hat zwar die Aufbewahrungsfrist auf 10 Jahre verlängert und neue (problematische) Tatbestände der Beendigung der Aufbewahrung eingeführt,39 am Prinzip des „Vernichtungsgebotes“ der überzähligen Embryonen aber festgehalten. Durch das Verbot der Untersuchung und Behandlung von Embryonen und Keimgut (§ 9 FMedG) ist auch die – in anderen Ländern zulässige – Präimplantationsdiagnose in Österreich verboten, was einen Wertungswiderspruch zur unbegrenzt zulässigen Pränataldiagnose von Embryonen im Mutterleib darstellt.40
Das FMedG enthält zwar ein (neu gefasstes) Überlassungsverbot für Keimgut und Embryonen (§ 17 Abs 2), aber kein allgemeines Handelsverbot für nicht zur Fortpflanzung verwendetes Keimgut oder Embryonenzellen.41 Daher ist zwar ihr Import für Zwecke der Fortpflanzung, nicht aber für andere Behandlungen und Forschungen – also insbesondere zur Gewinnung von Stammzellen – untersagt.
Ungeklärt ist auch, ob nach dem Wortlaut und Sinn des FMedG das Klonen überhaupt oder allenfalls nur das „reproduktive Klonen“42 untersagt ist. Für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des therapeutischen Klonens ist zu unterscheiden: Klonen durch Embryospaltung also im 2-8-Zellstadium, ist durch die absolute Formulierung des § 9 Abs 1 FMedG jedenfalls, also auch zur Gewinnung von Stammzellen, untersagt. Für die Zulässigkeit des Klonens durch Zellkerntransfer zur Herstellung embryonaler Stammzellen wird ins Treffen geführt, dass das Forschungs- und Behandlungsverbot des § 9 FMedG sich nicht auf die durch Kerntransfer erzeugten „Klone“ beziehen könne; denn diese seien zwar „fortpflanzungsfähige Zellen“, aber nicht im Sinne des FMedG durch Befruchtung von Eizellen entstandene Embryonen (§ 1 Abs 3 FMedG), weil es eben an der Befruchtung fehlt. Auch liege keine unzulässige Verwendung von Eizellen vor, weil das therapeutische Klonen die Eizellen eben nicht „für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen“ (§ 9 FMedG) verwende.
Ich halte beide Argumentationen für verfehlt: Auch der durch Entkernung und Transfer somatischer Zellen gewonnene „Klon“ ist jedenfalls eine entwicklungsfähige Zelle im humanbiologischen Sinne, die als solche auch beim „therapeutischen Klonen“ konzipiert wird. Der Zweck des FMedG ist aber ganz eindeutig auch auf den Schutz der frühesten Phasen des menschlichen Fortpflanzungsvorganges außerhalb des Körpers der Frau vor wissenschaftlichen Experimenten gerichtet, weshalb auch das Erb- und Keimgut – im konkreten Fall die menschliche Eizelle – unter diesen sehr restriktiven Schutz fällt. Auch das absolute Verbot der „Eingriffe in die Keimbahn“ (§ 9 Abs 2 FMedG) spricht gegen die Zulässigkeit des „entkernenden“ Klonens, weil man als „Eingriff“ doch wohl auch den Austausch der gesamten Keimbahn einer Eizelle verstehen muss. Es wird allerdings auch die gegenteilige Auffassung vertreten.43 Das Verbot des Klonens schlechthin sollte also – wie in der Schweiz – rechtlich verankert werden.44
Nach der hier vertretenen Auffassung widerspricht das entkernende Klonen auch dem Gentechnikgesetz,45 dessen § 64 unter Verweis auf § 9 Abs 2 FMedG jeden Eingriff in die menschliche Keimzellbahn untersagt. Auch das wird aber bestritten.46
3. Ordnungsansatz aus dem naturrechtlich begründeten Prinzip der Menschenwürde
3.1 Menschenwürde als oberstes rechtliches Wertungsprinzip
Die Menschenwürde ist nicht ein Grundrecht neben allen anderen und daher als subjektives Recht mit gesellschaftlichen Ansprüchen und konkurrierenden Grundrechten abwägbar; sie ist vielmehr ein absolutes rechtliches Wertungsprinzip, das weder Kompromisse noch Abstufungen der Würde zulässt. Die Menschenwürde ist im Kern getroffen, wenn staatliches Recht definieren oder unterscheiden kann, wer es wert ist, als Mensch behandelt zu werden. Was der Mensch und menschliches Leben ist, bleibt dem Staat als „unantastbar“ vorgegeben.
Da die Würde des Menschen untrennbar mit seinem Wesen und seiner Natur verknüpft ist, kann man den Inhalt des Rechtsprinzips Menschenwürde nicht ohne die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften, insbesondere der Humanbiologie und Medizin, aber auch der Philosophie und Geisteswissenschaften begründen. Wesentlich scheint mir, dass die menschliche Würde nicht auf einzelnen der immer wieder genannten Eigenschaften, wie der Möglichkeit freier sittlicher Entscheidung, Vernunft, Sprache, Soziabilität, Empfindungsvermögen, Bewusstsein u. a. beruht, sondern dass die charakteristische Kombination und Komplexität dieser Qualitäten im Menschenwesen wesentlich sind. Jedem Angehörigen der Gattung Mensch ist eine genetische Ausstattung mitgegeben, die es ihm potentiell erlaubt, alle diese Eigenschaften eines vollständigen Menschenwesen zu erwerben, soweit nicht im konkreten Individuum genetische Störungen und Abweichungen vom Typus vorliegen, was bei keinem Lebewesen auszuschließen ist.
An die Biotechnologie und Medizin werden nun laufend Wünsche nach einer Veränderung und Reduktion der Komplexität und Totalität der menschlichen Natur im Sinne utilitaristischer Ziele herangetragen. Zwar sind die Wünsche nach einer Manipulation der menschlichen Erbanlagen – im Sinne einer individuellen oder gesellschaftlichen Optimierung – gegenwärtig noch nicht realisierbar, wohl aber sind im embryonalen Zustand der Menschen genetische Eingriffe, Selektionen und Verarbeitung „embryonalen Materials“ möglich. Die Begründung der Menschenwürde in einem Komplex einzigartiger Eigenschaften des menschlichen Wesens darf aber nicht dazu führen, eine Abstufung der Menschenwürde je nach dem Ausmaß zu erlauben, in dem ein Angehöriger der Gattung Mensch die gattungstypischen Fähigkeiten und Eigenschaften im Phänotyp besitzt. Verhängnisvoll wäre eine solche Konzeption der Menschenwürde nicht nur für die Ungeborenen, sondern auch für Menschen mit schwerwiegenden geistigen und körperlichen Defekten, unheilbar Kranke, Asoziale und andere Randschichten der Gesellschaft.
Während diese Beispiele beim geborenen Menschen heute zumindest theoretisch kein Problem des allgemeinen Menschenrechtsschutzes mehr sind, bleiben die Schwellen des Todes und des Beginns des menschlichen Lebens sowohl naturwissenschaftlich als auch rechtsdogmatisch kritische Zeiträume. Am Grundrecht des Lebens zeigt sich in europäischer Perspektive, dass viele Rechtsordnungen und Rechtstheoretiker dem Embryo keinen oder jedenfalls keinen vollen Menschenrechtsschutz zuteil werden lassen.
3.2 Die Menschenwürde des Embryos
Von einem naturrechtlich begründeten Ansatz genießt aber schon der lebende Embryo den Schutz der Menschenwürde als je-einmaliges Individuum Mensch in Entwicklung. Der mit der Empfängnis oder Befruchtung begonnene Entwicklungsprozess ist ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des individuellen Lebens weder vor noch nach der Geburt zulässt. Man kann daher die Würde des Menschen nicht nach der Qualität der – künstlich isolierten und befruchteten – „entwicklungsfähigen Zelle“ in vitro beurteilen, sondern muss dieser umgekehrt den rechtlichen Schutz zuteil werden lassen, der ihr nach dem Stand der Medizin und Erfahrung eine menschenwürdige Entwicklung gewährleistet. Wenn dies nach humanbiologischer und medizinischer Erkenntnis bei der durch Kerntransfer geklonten Eizelle nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht möglich ist, verliert auch diese „entwicklungsfähige Zelle“ nicht etwa den Schutz der Menschenwürde, sondern darf nach diesem Wertungsprinzip nicht technisch hergestellt werden.
Es ist daher auch von einem naturwissenschaftlich (humanbiologisch und medizinisch) begründeten naturrechtlichen Standpunkt aus vernünftig, die Freiheit der Wissenschaft, menschliche Embryonen zu schaffen, zu klonen, zu benutzen und zu selektionieren, an der Menschenwürde zu messen und rechtlich sach- und wertgerecht zu beschränken. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man an die entsprechende Gesetzgebung nach der herrschenden österreichischen Dogmatik und Rechtsprechung den Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes legt,47 weil dieser als Maßstab der Sachgerechtigkeit in der Judikatur sehr stark in den naturrechtlichen Traditionen des Vernunftrechts und der wertverbundenen Gerechtigkeitsbeurteilung verankert ist.48
3.3 Die rechtliche Konkretisierung der Menschenwürde
Allerdings kann man aus dem Prinzip der Menschenwürde nicht unmittelbar rechtliche Regeln für den sachgerechten Embryonenschutz bei der medizinisch unterstützten Fortpflanzung oder für die Forschung an Embryonen in vitro schlechthin ableiten. Der positive Rechtsschutz für Embryonen muss vielmehr an die realen Existenzbedingungen und Entwicklungsstufen des Embryos – die humanbiologisch und medizinisch zu analysieren sind – anknüpfen und „politisch“, d. h. in den demokratischen Prozessen der verschiedenen Ebenen der Rechtsetzung, wertend entschieden und konkretisiert werden. Die Wertungen können von der Wissenschaft nur als Wertungsansätze aufgezeigt werden; sie müssen aber so einsichtig formuliert sein und den Wertvorstellungen des Gerechtigkeitssinnes der Menschen entsprechen, dass sie in der „demokratischen Gesellschaft“ mehrheitsfähig sind. Dass dies auch bei so komplizierten und sensiblen Fragen, wie sie der Beginn des menschlichen Lebens aufwirft, möglich ist, möchte ich abschließend an einigen verfassungs- und rechtspolitischen Konsequenzen aus der derzeitigen Rechtslage aufzeigen.
4. Rechtliche Wertungsansätze für einen menschenwürdigen Embryonenschutz
4.1 Der Verfassungsstatus des Embryos muss geklärt werden
Da eine volle Anwendung des Grundrechtes auf Leben (Art 2 MRK) auf den Embryo in vitro wegen der europäischen Dimensionen dieses Menschenrechtes nicht durchsetzbar ist, muss ein eigenes Schutzrecht für den Embryo verfassungsrechtlich verankert werden. Meiner Meinung nach würde sich dafür die Ratifikation der Biomedizinkonvention samt Zusatzprotokoll im Verfassungsrang gut eignen; die rechtspolitischen Bedenken wegen einer Verschlechterung des österreichischen Embryonenschutzes teile ich im Hinblick auf den Günstigkeitsvorbehalt nationalen Rechts (Art 27) nicht. Zur Sicherheit müsste aber aus Anlass der Unterzeichnung der Abkommen ein entsprechender Vorbehalt der österreichischen Rechtsauffassung formuliert werden.49
Will man diese Lösung nicht, so wäre ein eigener Verfassungsartikel über „Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich“ nach dem Vorbild der Schweizer Bundesverfassung (Art 119) zu formulieren. Neben einem allgemeinen Schutzprinzip müsste ein solcher Artikel auch konkrete Gebote und Verbote enthalten, die dem Gesetzgeber bei der Ordnung der Fortpflanzungsmedizin und Forschung an menschlichem Keim- und Erbgut bindende Regeln vorgeben sollen. Beispiele solcher Verfassungsregeln wären etwa folgende Grundsätze.
4.2 Die Fortpflanzungsmedizin muss ein medizinisches Heilverfahren bleiben
Die wissenschaftlichen und praktisch-technischen Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin eröffnen die Möglichkeit, dass diese sich zu einer – frei wählbaren – Alternative zur natürlichen Fortpflanzung entwickelt. Dies widerspricht dem Wertungsansatz der Menschenwürde, weil damit die Gefahr der Produktion des Menschen mit bestimmten Qualitäten oder von Embryos für Forschungszwecke verbunden ist. Auch die „Lagerung“ und „Vorratshaltung“ von Embryonen und menschlichem Keimgut50 widerspricht – ebenso wie das damit verbundene Tötungsgebot von Embryonen – diesem Wertungsansatz der Fortpflanzungsmedizin.51
Die Herstellung „entwicklungsfähiger menschlicher Zellen“, sei es durch Befruchtung von Eizellen oder durch Klonen, ohne Zusammenhang mit der Fortpflanzungsmedizin muss als Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde ausdrücklich verboten werden. Das gegenwärtige „Überlassungsverbot“ von Embryonen und menschlichem Keimgut52 genügt dafür nicht, weil beide auch ohne Zusammenhang mit der Fortpflanzungsmedizin im In- und Ausland beschafft werden können.
4.3 Die Stammzellenforschung muss rechtlich geregelt werden
Selbst wenn man am Grundsatz des Forschungsverbotes für Embryonen in vitro außerhalb der Fortpflanzungsmedizin festhält (§ 9 Abs 1 FMedG) – was dem Prinzip der Menschenwürde entspricht – soll man rechtliche Regeln für die Stammzellenforschung im Ausgleich von Forschungsfreiheit und Embryonenschutz entwickeln. Dazu gehört vor allem das Verbot des therapeutischen Klonens und die daran geknüpfte „verbrauchende Embryonenforschung“ zur Gewinnung embryonaler Stammzellen. Es muss aber auch der Handel mit menschlichem Keim- und Erbgut allgemein untersagt werden, weil schon diese Vorstufen des Produktionsprozesses von Klonen dem Prinzip der Menschenwürde widersprechen. Regelt man die Stammzellforschung nicht, droht die Gefahr, dass die Embryonenforschung aus der rechtlich geordneten Fortpflanzungsmedizin ins rechtliche Niemandsland der Erzeugung und Verwertung von Klonen ausweicht, weil diese Techniken – angeblich oder wirklich – vom FMedG nicht erfasst werden.
4.4 Allgemeines Verbot des Klonens und der Eingriffe in das Erbgut von Menschen
Da es in Österreich kein allgemeines Embryonenschutzgesetz gibt, wird in der Lehre bezweifelt, ob die Schutzvorschriften des FMedG auf Vorgänge anwendbar sind, die von vorneherein nicht auf die Fortpflanzung von Menschen, sondern auf andere medizinische Forschungsziele ausgerichtet seien.53 Daher sei – in Übereinstimmung mit dem „europäischen Standard“54 – auch in Österreich jedenfalls das „therapeutische Klonen“, möglicherweise aber auch das „reproduktive Klonen“ erlaubt.55 Das Klonen sei auch kein Eingriff in die menschliche Keimzellbahn und daher weder vom FMedG noch vom GentechnikG verboten. Die Rechtslage sollte daher nach dem Vorbild des deutschen EmbryonenschutzG (§ 6) oder der Schweizer Bundesverfassung56 so rasch als möglich geklärt werden. Die Ratifikation und innerstaatliche Erfüllung der Biomedizinkonvention „durch Erlassung von Gesetzen“57 würde dafür Gelegenheit bieten.58
4.5 Verbot des Handels mit Embryonen und Keimgut des Menschen
Der „Überlassungsvorbehalt“ des § 17 Abs 2 FMedG vermag auch in seiner neuen Fassung59 den Import von Embryonen und menschlichem Keimgut zu anderen Zwecken als zur Fortpflanzungsmedizin nicht zu verhindern.60 Es droht daher – angesichts des Forschungs- und Produktionswettbewerbs und der unterschiedlichen europäischen Schutzniveaus der Embryonenforschung – ein grenz-überschreitender Handel mit menschlichen Embryonen, Klonen und Keimgut und eine darauf abgestellte innerstaatliche Forschung, die das FMedG gerade verhindern wollte. Wenn man daher in Österreich ein der Menschenwürde angemessenes Schutzrecht der Embryonen gewährleisten will, muss auch der Handel mit menschlichem Keimgut, Klonen und Produkten aus Embryonen allgemein verboten werden.61 Einen „moralisch korrekten nationalen Sonderweg mit dem Import der Früchte der verpönten Forschung zu verbinden“, würde sich verdienter Weise den Vorwurf der Heuchelei und des Neo-Kolonialismus gefallen lassen müssen.62
Schluss
Der heutige Stand der Naturwissenschaften, im Besonderen der Humanbiologie, ist dadurch gekennzeichnet, dass die ehemals klare Unterscheidung in „Subjektives“ und „Objektives“ in „Seelisch, Selbsthaftes und Menschliches“ einerseits und „Dingliches, Mechanisches und Nichtmenschliches“ anderseits verfließt und durchlässig wird.63 Politik und Recht müssen in dieser Situation „Humanität“ und die daran geknüpfte Menschenwürde neu vermessen, sollen wir nicht ohne unser Wollen und Wissen in eine „posthumane Zukunft“ schlittern.64 An diesem Ziel – und nicht an der Verhinderung von wissenschaftlichem Fortschritt und Entwicklung neuer Heilverfahren – muss eine rechtliche Neuordnung der Untersuchung und Behandlung von menschlichem Erbgut und Embryonen ausgerichtet sein.
Referenzen
- Häberle P., Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee J., Kirchhof P. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, C. F. Müller Verlag, Heidelberg (20043), 317 ff, 339 f.
- Vgl. dazu die materiellen Gesetzesvorbehalte der Art 8, 9, 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Grundrechtsbeschränkungen nur soweit zulassen, als sie „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind.
- In die republikanische Rechtsordnung übergeleitet und im Verfassungsrang gemäß Art 149 B-VG.
- Klecatsky H., Unvergeßbare Erinnerungen an § 16 ABGB, in: JUSTITIA ET SCIENTIA, FS Kohlegger (2001) 275 ff; Pernthaler P., Österreichisches Bundesstaatsrecht, (2004), S. 616.
- Eichler H., Personenrecht, Springer Verlag, Wien (1983), S. 105 ff; Aicher, in: Rummel ABGB I3 (2000) § 16 RZ 5.
- Kopetzki C., Grundrechtliche Aspekte des therapeutischen Klonens, in: Kopetzki C., Mayer H. (Hrsg.), Biotechnologie und Recht, Manz Verlag, Wien (2002) S. 15 ff, 24 ff.
- VfGH ErkSlg 7400/1974.
- Vgl. Lehne, Grundrechte achten und schützen, JBl 1986, 341 ff und 424 ff.
- Berka, Die Grundrechte, (1999) 59 ff; Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, (1977).
- Ermacora, Grundriss der Menschenrechte in Österreich, (1988) 51 ff.
- So – jedenfalls abstrakt – auch Kopetzki, aaO 20 ff und 40 ff.
- Vor allem in Art 2 Abs 2 und Art 15 Abs 2 MRK.
- VfSlg 7400/1974, 229.
- Lewisch, Das Recht auf Leben, (Art 2 EMRK) und Strafgesetz, FS Platzgummer (1995) 381 ff, 394 ff.
- Kopetzki, aaO 21 f; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, (2003) 150.
- Art II 63.
- Art 30 vgl auch Art 82 Abs 1.
- Kopetzki, aaO 31 f unter – an sich richtiger – Berufung auf die „strikte und abwägungsfeindliche Gesamtkonzeption des Art 2 MRK“, die einen unerträglich starken Schutz der Ungeborenen begründen würde, wenn man sie unter das Grundrecht subsumieren würde.
- Art 1 der Grundrechte Charta und Art II 61 der – nicht in Kraft getretenen – Europäischen Verfassung.
- Art 3 Grundrechte Charta und Art II 63 Abs 2d der Europäischen Verfassung.
- Grabenwarter, Die Charta der Grundrechte für die Europäische Union, DVBl 2001, 3; Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte, aaO 37.
- So mit weiteren Nachweisen – auch aus der Judikatur des EuGH – Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in: Körtner/Kopetzki (Hg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, (2003) 51 ff, 58.
- Punkte 20 – 22 der Präambel.
- Punkt 39.
- Punkte 40 und 41.
- Punkt 42; vgl dazu auch die Bestimmungen der Art 5 und 6 der Richtlinie.
- Übereinkommen vom 4. April 1997, European Treaty Series Nr 164; völkerrechtlich in Kraft getreten am 1. 12. 1999, unterzeichnet von 32 Staaten, ratifiziert von 19 Staaten.
- Übereinkommen vom 12. Jänner 1998, European Treaty Series Nr 168; völkerrechtlich in Kraft getreten am 1. 3. 2001, unterzeichnet von 29 Staaten, ratifiziert von 15 Staaten.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 68 mit Hinweisen auf weitere Literatur.
- Vgl. zu diesem Wertungswiderspruch auch Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 55 f.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 67 mit weiteren Hinweisen.
- So ausdrücklich Art 2 des Zusatzprotokolles unter Ausschluss des Art 26 der Biomedizinkonvention.
- The term human being as referring exclusively to a human individual, i.e. a human being who has been born; Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte aaO 64.
- So: Ermacora, aaO 51 unter Bezugnahme auf § 22 ABGB.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 67, FN 58.
- Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte, aaO 63, FN 205; vgl. als Beispiel die engagierte Debatte im Tiroler Landtag aus Anlass der (einstimmig gefassten) Entschließung gegen die Ratifikation der Biomedizinkonvention, Sten Ber XII. Periode, 11. Tagung, 2. Sitzung (7. 5. 1998) 168 ff.
- Das FMedG verwendet für den Begriff Embryo den Ausdruck „entwicklungsfähige Zellen“ (§ 1 Abs 3); der Sache nach macht dies keinen Unterschied; so: Miklos, Das Verbot des Klonens von Menschen in der österreichischen Rechtsordnung, Recht der Medizin (2000), 35 ff, 40 unter Hinweis auf die Erl Bem der Regierungsvorlage.
- § 17 in der Fassung BGBl I 2004/163.
- Widerruf der Frau, von der die Eizellen stammen und Tod eines der Ehegatten oder Lebensgefährten.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 55 f, der auf den menschenunwürdigen Ausweg der „Schwangerschaft auf Probe“ hinweist.
- Vgl. Art 119 Abs 2 lit e der Schweizer Bundesverfassung.
- So: Miklos, aaO 42 ff; Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 59, beide unter Hinweis auf den Embryonenschutz des § 9 FMedG im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin.
- Miklos, aaO 43.
- Vgl. Art 119 Abs 2 lit a der Schweizer Bundesverfassung.
- BGBl 1994/510.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 57; Miklos, aaO 40.
- Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte, aaO 50 f.
- Pernthaler, aaO 689.
- Dies wäre ein Gegenstück zu dem in FN 33 zitierten holländischen Vorbehalt zum Zusatzprotokoll.
- § 17 Abs 1 FMedG idF der FMedGNov 2004.
- Vgl. dagegen Art 119 Abs 2 lit c Schweizer Bundesverfassung: „Es dürfen nur so viele menschliche Eizellen außerhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden, als ihr sofort eingepflanzt werden können“.
- § 17 Abs 2 FMedG.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 59.
- Vgl. Art II 63 Abs 2d der EU-Verfassung, gleichlautend Art 3 der europäischen Grundrechte Charta und Art 1 des Zusatzprotokolls zur Biomedizinkonvention, jeweils: Verbot des „reproduktiven Klonens“.
- Miklos, aaO 43 ff.
- Art 119 Abs 2 lit a: „Alle Arten des Klonens und Eingriffe in das Erbgut von menschlichen Keimzellen und Embryonen sind unzulässig“.
- Art 50 Abs 2 B-VG.
- So auch Miklos, aaO 45 und Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte, aaO 65 ff.
- Durch die FMedGNov 2004.
- Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 58 hält nur den Import embryonaler Stammzellen für zulässig; angesichts des auf Fortpflanzungsmedizin beschränkten Regelungsbereich des FMedG ist auch dies nicht überzeugend.
- Vgl. Art 119 Abs 2 lit e der Schweizer Bundesverfassung: „Mit menschlichem Keimgut und Erzeugnissen aus Embryonen darf kein Handel betrieben werden“.
- So mit Recht: Kopetzki, Rechtliche Aspekte, aaO 72.
- Sloterdijk, Domestikation des Seins, in: Nicht gerettet. Versuche nach Heidegger, (2001) 142 ff, 221 ff.
- Pernthaler, Soll die Natur des Menschen Maßstab oder Entwicklungsprojekt der Wissenschaft sein, ZÖR 59 (2004) 157 ff, 167.
em. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler
Institut für öffentliches Recht, Finanzrecht und Politikwissenschaften
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Innrain 80, A-6020 Innsbruck