Heute klonen – morgen heilen?

Imago Hominis (2005); 12(2): 99-107
Lukas Kenner

Zusammenfassung

Kaum eine Forschungsrichtung hat in den letzten Jahren so viel Aufsehen erregt wie die Stammzelltherapie und die Möglichkeiten des menschlichen Klonens. Es stehen sich dabei die ethisch nicht problematischen adulten Stammzellen aus dem erwachsenen Organismus und embryonale Stammzellen gegenüber. Um mit den schon erfolgreichen Therapieansätzen der adulten Stammzellen am Menschen konkurrieren zu können, werden immer kühnere Methoden zur Verbesserung der Therapietauglichkeit embryonaler Stammzellen angewandt. Die aufsehenerregendste ist dabei wohl die Technik des Klonens. Die ethische Debatte dreht sich um die Frage, ob der menschliche Embryo zu Forschungs- und Therapiezwecken instrumentalisiert werden darf oder nicht.

Schlüsselwörter: Klonverfahren, embryonale Stammzellen, adulte Stammzellen, ethische Debatte

Abstract

Stem cell therapy and the potential of human cloning caused a lot of attention recently. On the one hand there is the option to use stem cells from the adult organism, on the other hand embryonic stem cells are being propagated. To be able to compete with the already successful therapeutic applications of adult stem cells in humans, bold new technologies are being applied in embryonic stem cell research. The most spectacular of which is possibly the application of cloning humans. The ethical debate is centered around the question, whether the human embryo can be used for scientific and therapeutic applications or not.

Keywords: cloning procedure, embryonic stem cells, adult stem cells, ethical debate


Einleitung

In den letzten Jahren hat es in der Stammzellforschung eine Menge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gegeben. Diese wecken auf der einen Seite Hoffnung auf neue Therapieformen für bis jetzt unheilbare Erkrankungen, auf der anderen Seite jedoch auch schwere ethische Bedenken, weil menschliche Embryonen als Stammzellspender in Frage kommen. Stammzellen sind zum einen unspezialisierte Zellen, die sich potentiell unendlich oft teilen (also sich selbst erneuern können) und sich aber auch in spezialisierte Zellen des Körpers entwickeln können. Wenn die Entwicklungsfähigkeit der Stammzelle groß ist, d. h. wenn sie sich in viele oder alle Gewebe des Körpers entwickeln kann, nennt man sie multi- oder pluripotent. Durch diese beiden Fähigkeiten haben Stammzellen die Möglichkeit, als Quelle für Ersatzgewebe für verschiedenste Erkrankungen des Menschen zu dienen. Durch die Praxis des Nuklear-Transfers von somatischen Zellkernen in enukleierte Eizellen können ES-Zelllinien generiert werden, die den immunologischen Eigenschaften des Spenders entsprechen würden („therapeutisches“ Klonen). Dadurch würde die Notwendigkeit einer immunsuppressiven Therapie bei Anwendung der ES-Zellen am Spender entfallen. Die Realisierbarkeit von Heilerfolgen durch Verwendung von Stammzellen ist heute zwar noch ungewiss, diverse Ansätze im Tierversuch werden aber als erfolgversprechend beurteilt. Die Aussicht auf wissenschaftliche Erfolge rechtfertigt jedoch nicht die eingesetzten Mittel. Das entscheidende ethische Problem liegt bei der Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen aus frühen Embryonen. Das Ziel des somatischen Zellkerntransfers („therapeutisches“ Klonen) besteht nicht darin, einen Menschen bis zur Geburt heranwachsen zu lassen, sondern ihn für die Gewinnung von Embryonalen Stammzellen (ES) dann quasi als Ersatzteil für andere Menschen zu verwenden, und dies wäre eine grobe Verletzung der Menschenwürde. Es stellt sich die Frage, ob wir nicht an jene Grenze gekommen sind, wo die Forschungsgemeinschaft sich eine Selbstbeschränkung auferlegen sollte. Denn eine die Menschenwürde respektierende humane Gesellschaft sollte Wege finden, derartige Verletzungen fundamentaler Menschenrechte zu verhindern.

ES: die Geschichte mit der Maus

In den frühen 1970er-Jahren haben Wissenschaftler ein Modellsystem gesucht, um die frühe Embryonalentwicklung zu studieren. Da es damals nicht gelang, ES-Zellen in vitro zu züchten, wurden speziell embryonale Maus Karzinom (EC) Zelllinien herangezogen.1 Diese EC sind morphologisch, biochemisch und immunologisch den pluripotenten ES-Zellen sehr ähnlich, aber transformiert und weisen karyotypische Veränderungen auf, die schon vor ihrer Etablierung als Zelllinie aufgetreten sind. Durch die Erfahrungen mit EC konnten dann erstmals 1981 ES aus der Maus isoliert werden.2 Es konnte gezeigt werden, dass ES aus der Maus lange Zeit in einem undifferenzierten Zustand gezüchtet werden und in viele verschiedene Gewebe differenziert werden können.3 Grundsätzlich gehören zwei Fähigkeiten zur Definition einer Stammzelle: die Möglichkeit zur Selbsterneuerung und die Fähigkeit, sich in eine oder mehrere spezialisierte Zelltypen zu entwickeln (differenzieren).

Maus-ES-Zellen sind sehr schnell zu einem ganz wesentlichen Werkzeug in der biomedizinischen Forschung geworden. Von der homologen Rekombination bis zu neuen Einsichten in die Zellzyklus-Regulation, Signaltransduktion, Embryonalentwicklung sowie in die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse während der Entwicklung4 gehen grundlegende Erkenntnisse auf diese Modellsysteme zurück. In den frühen 1980er-Jahren konnte gezeigt werde, dass genetisch veränderte ES, wenn sie in Blastozysten injiziert werden, transgene Nachkommen generieren können.5 1989 konnte mittels homologer Rekombination eine transgene Maus hergestellt werden, wobei die genetische Veränderung gezielt am entsprechenden Ort des Maus-Genoms durchgeführt wurde.6 Durch diese neue und immer weiter verfeinerte Technologie konnten wesentliche Erkenntnisse für Hunderte Krankheiten gewonnen werden7 (ausführliche Liste auch unter Transgenic/Targeted Mutation Database, http://tbase.jex.org/).

Das Potential der ES

Die erste Isolation der ES-Maus 1981 kündigte nicht nur einen großen Durchbruch in der Entwicklungsbiologie an, sondern eröffnete noch weitere Horizonte. Wenn ES aus menschlichen Blastozysten gewonnen werden könnten, würde deren große Kapazität zur Differenzierung in die verschiedenen Gewebe der drei Keimblätter neue Möglichkeiten der Zellersatztherapie für sämtliche Gewebe bieten. Dadurch wären vor allem dort neue Therapien denkbar, wo die natürliche regenerative Fähigkeit des Organismus nicht mehr ausreicht.

ES werden aus dem Prä-Implantations-Blastozysten gewonnen. Dieser ist eine Hohlkugel bestehend aus einer äußeren Zellschicht von trophoblastären Zellen, welche die Plazenta bilden – und dem Embryoblasten (oder auch innere Zellmasse, ICM, genannt), aus der sich der Embryo entwickelt. Diese Zellen (ES) haben die Kapazität, alle Gewebe des Körpers zu bilden. Obwohl diese Zellen im Embryo in vivo nur kurze Zeit existieren, kann man diese ES unendlich in Kultur halten, wenn sie durch Beigabe von Leukaemia Inhibitory Factor (LIF) oder auf einer Nährschicht („feeder layer“) von murinen Embryonalen Fibroblasten (MEF)8 gezüchtet werden. Die häufigste Methode, um die Differenzierung von ES zu initiieren, ist die Ausbildung von 3-D-kugelartigen Strukturen in der Zellkultur, genannt Embryoid bodies (EBs). Diese aggregierten Strukturen beinhalten Abkömmlinge von allen drei embryonalen Keimblättern.9

Die Differenzierung von EB ist der embryonalen Entwicklung nicht ebenbürtig, da keine Polarität oder „body plan“ besteht. ES können keine lebensfähigen menschlichen Embryonen bilden. Die Ausbildung von EBs kann auf verschiedene Weise bewerkstelligt werden, wesentlich ist der Entzug von LIF und/oder der „feeder layer“.10 Nachdem sich EBs ausgebildet haben, können sie in geeigneten Kulturbedingungen in spezialisierte Zelltypen differenziert werden.

Die Überprüfung der Pluripotenz von Maus-ES wird in der Regel durch Rekonstitution von Embryonen durch die Herstellung von chimären Mäusen durchgeführt. Der „gold standard“ der Austestung der Pluripotenz humaner ES in vivo ist die Injektion von humanen ES in immundefiziente Mäuse, wobei ES hier auch in alle drei Keimblätter differenzieren – allerdings in Form von Tumoren, sogenannten Teratomen.11 Die Entstehung von Teratomen ist auch eines der wesentlichen Probleme bei der Verwendung von ES für die Therapie. Aufgrund des hohen Risikos der Übertragung von tierischen Pathogenen auf den Menschen ist es unwahrscheinlich, dass humane ES, die auf Maus „feeder layers“ oder in Zellkultur-Medien, die tierische Produkte enthalten, für Therapiezwecke verwendet werden können. Fast alle jetzt zugelassenen humanen Zelllinien wären allein aus diesem Grunde für Therapiezwecke ungeeignet. Aus diesem Grund werden humane ES jetzt auf humanen „feeder cells“ oder völlig ohne „feeder layers“ gezüchtet, also vollständig ohne Kontakt mit tierischen Substanzen.12

Probleme mit ES

Trotz zahlreicher Verheißungen bezüglich der baldigen Verwendung von humanen ES zu therapeutischen Zwecken müssen vor einer möglichen Anwendung noch viele offene Fragen geklärt werden.

Keine Differenzierungsmethode für ES hat bis jetzt 100%ige Reinheit ergeben, die unbedingt notwendig ist, um die Teratomentstehung zu vermeiden. Methoden wie Fluoreszenz-Aktiviertes Cell Sorting (FACS) oder Magnetik-Aktiviertes Cell Sorting (MACS) ermöglichen eine annähernd 100%ige Aufreinigung, vor-ausgesetzt, es besteht die Expression eines spezifischen Oberflächenmarkers, der von fluoreszierenden oder magnetisch markierten Antikörpern erkannt werden kann. In den meisten Fällen sind jedoch solche Antikörper nicht vorhanden, sodass eine genetische Modifikation der ES mit einem Markergen, welches unter der Kontrolle eines linienspezifischen Promoters steht, notwendig ist. Als Alternative könnten die ES mit einem Resistenzgen z. B. gegen Antibiotika transduziert werden, welches die Selektion der gewünschten Subpopulationen ermöglichen würde.

Natürlich besteht auch bei der allogenen Transplantation von ES, wie immer bei dieser Art der Transplantationen, das Risiko der Abstoßung. Obwohl das Immunsystem durch eine lebenslange Immunsuppression in Schach gehalten werden kann, ist diese Art der Therapie mit empfindlichen Nebenwirkungen behaftet. Eine hypothetische Möglichkeit, das Problem zu umgehen, besteht im sogenannten Nuklearen Transfer („therapeutisches“ Klonen).

Erst kürzlich hat die erste erfolgreiche Herstellung einer humanen ES Zelllinie durch nuklearen Transfer (nt) großes Aufsehen erregt. In der Folge soll der Hintergrund, der zu dieser Entwicklung führte, und die möglichen Auswirkungen einer Anwendung der ntES erläutert werden.

Nuklearer Transfer zur Reproduktion

Der nukleare Transfer ist keine neue Technologie, er wurde schon in den frühen fünfziger Jahren an Fröschen zum Beweis der Genexpression verwendet.13 Reproduktives Klonen bedeutet die Herstellung von genetisch identer Nachkommenschaft. Dies kann durch Embryonen-„Splitting“ oder durch Zellkerntransfer (nuklearer Transfer) geschehen. Embryo splitting kommt entweder natürlich vor (eineiige Zwillinge) oder kann artifiziell induziert werden, um zwei oder mehr genetisch idente Nachkommen zu erzeugen. Reproduktives Klonen durch nuklearen Transfer bedeutet die Herstellung eines Embryos durch den Transfer des Zellkerns einer Spenderzelle in eine Eizelle, aus der zuvor der Zellkern entfernt worden ist. Erstmals gelang dies 1986 bei Schafen mittels unkultivierter Blastomere.14 Der nukleare Transfer funktioniert in der Regel so, dass das Polkörperchen und die Metaphasen-Chromosomen aus der Metaphasen-Eizelle entfernt werden, die also jetzt „enukliert“ ist. Eine kultivierte Spenderzelle, die sich im Ruhezustand befindet (also aufgehört hat, sich zu teilen, G0) wird in den perivitellinen Raum der enukleierten Eizelle injiziert, die Eizelle und die Spenderzelle werden fusioniert und durch einen elektrischen Impuls aktiviert, um die Zellteilung zu starten. Der sich entwickelnde Embryo wird in die Ersatzmutter eingesetzt. Die geklonten Nachkommen teilen die gleichen nukleären Gene wie das Spendertier. Der Zellkerntransfer zur Reproduktion von Säugetieren ist ein extrem ineffizienter und problematischer Prozess, die meisten Klone sterben vor der Geburt.15

Molekulare Komplikationen

Die meisten Säugetier-Klone sterben noch während der Schwangerschaft. Die Überlebenden leiden häufig an dem sogenannten „large offspring syndrome“, ein Defekt, der durch ein vermehrtes Geburtsgewicht, Vergrößerung vieler Organe, metabolische Veränderungen und eine vergrößerte Plazenta charakterisiert ist. Damit der Spenderzellkern in einem Klon eine normale Entwicklung sichern kann, muss er reprogrammiert werden. Das Reprogrammieren sichert die reguläre Aktivierung des genetischen Programms in der Zygotenentwicklung. Eine unzureichende Reprogrammierung ist höchstwahrscheinlich die grundsätzliche Ursache für die Entwicklungsfehler der Klone.16 Während der Gametogenese kommt es zu einem komplexen Prozess des epigenetischen Remodeling, das garantiert, dass die Genome des mütterlichen und väterlichen Gameten eine normale embryonale Genexpression induzieren. 4 bis 5 Prozent des gesamten Genoms und 30 bis 50 Prozent der „imprinted“ Gene der Maus (siehe unten) sind in einem neugeborenen Klon der Maus nicht korrekt exprimiert. Diese Daten sind ein deutlicher Beweis, dass geklonte Tiere, selbst wenn sie bis zur Geburt überleben, massive Genexpressions-Defekte aufweisen. Auch das Klonschaf Dolly war bei der Geburt scheinbar gesund, ist aber frühzeitig an multiplen pathologischen Abnormitäten gestorben.

Ein grundlegendes biologisches Hindernis für die Herstellung eines gesunden Klons ist die epigenetische Differenz zwischen den Chromosomen, welche von der Mutter, und jenen, welche vom Vater vererbt werden. Die sogenannten „imprinted“ Gene werden durch Methylierung so gesteuert, dass entweder nur das väterliche Gen aktiv ist und das mütterliche inaktiv, oder umgekehrt. Diese monoallelische Expression der „imprinted“ Gene ist essentiell für eine normale Fetalentwicklung. Innerhalb von wenigen Stunden nach der Befruchtung werden fast alle Methylierungen der DNA, ausgenommen derjenigen der „imprinted“ Gene, von dem Spermiengenom entfernt. Das Genom der Oocyte ist aufgrund ihrer Chromatinstuktur für die Reprogrammierungs-Faktoren nicht zugänglich und deswegen demethylierungsresistent. Im Falle des nuklearen Transfers kommt es allerdings zu einer Veränderung dieser, während der Gametogenese etablierten, epigenetischen Markierungen. Die Ursache dafür ist, dass beim nuklearen Transfer das gesamte Genom gleichermaßen der Reprogrammierung zugänglich ist. Um das Klonen sicher zu machen, müssten daher die mütterlichen und väterlichen Anteile des Genoms getrennt und separat reprogrammiert werden. Dieses Verfahren ist aber zur Zeit nicht möglich, was impliziert, dass reproduktives Klonen an den biologischen Gegebenheiten scheitern dürfte.

Nuklearer Transfer in Zellen der Maus

Nuclear transfer (nt) ES Zelllinien konnten vor wenigen Jahren aus Zellen der Maus isoliert werden. Diese ntES exprimierten charakteristische ES Zell-Marker und hatten einen normalen Karyotyp. Wenn undifferenzierte ntES in Mäuse injiziert wurden, entwickelten sich Teratome, mit Differenzierungmerkmalen aller drei Keimblätter. In der Folge konnte gezeigt werden, dass ntES in vitro und in vivo pluripotent sind.17

Nuklearer Transfer in Zellen des Menschen

Noch bis 2003 war es nicht möglich, Primaten oder Menschen zu klonieren.18 Vor allem durch eine Verbesserung der Enukleationsmethode stand dann dem Klonen des Menschen nichts mehr im Wege. Nach der ersten erfolgreichen Etablierung von humanen ES-Zelllinien war es nur eine Frage der Zeit und kleiner technologischer Verbesserungen, bis es die erste geklonte humane ES-Zelllinie, aus menschlichen Blastozysten isoliert, geben würde. Die koreanische Forschergruppe berichtet, dass nach der Verwendung von 242 menschlichen Eizellen für den nuklearen Transfer 30 Blastozysten kultivierbar und von diesen wiederum 20 Embryoblasten (ICM) verwendbar waren. Schließlich konnte eine einzige humane ntES-Zelllinie gewonnen werden.19 Die ntES blieben für mehr als 70 Kulturpassagen undifferenziert und hatten einen normalen Karyotyp. Kürzlich wurden für den nuklearenTransfer Zellkerne von Patienten verwendet, wobei gezeigt werden konnte, dass die enstandenen ntES-Linien pluripotent sind.20

Ist die Verwendung von ntES möglich?

Die Verwendung von ntES für therapeutische Zwecke hat andere Voraussetzungen als für reproduktives Klonen. Auch hier werden die ES dem Embryoblastenanteil (ICM) der Blastozyste entnommen. Diese Zellen exprimieren wesentliche embryonale Gene wie z. B. den Transkriptionsfaktor Oct-4. In der Zellkultur hören die meisten Zellen aus der ICM auf zu proliferieren und exprimieren auch nicht mehr Oct-4. In der Zellkultur fangen nur einige wenige dieser Zellen wieder an zu proliferieren und exprimieren auch wieder Oct-4. Diese Zellpopulationen werden dann ES genannt.21 Es kommt sozusagen zu einer Selektion von Zellen, die ihr „epigenetisches Gedächtnis“ verloren haben und auch in ihrem Entwicklungspotential ident sind. Das heißt, es könnte sein, dass es kein größeres epigenetisches Hindernis zur Verwendung von ntES gibt.

ntES im Tiermodell: Kombination mit genetischer Modifikation

Schon seit den frühen 1980ern wurden genetische Modifikationen von Säugetieren durch Mikroinjektion einzelner Gene in einen der zwei Pronuklei der Zygote durchgeführt. Diese Methode ist allerdings sehr ineffizient, viele Embryonen schaffen die Entwicklung nicht, und nur sehr wenige sind transgen (ca. 3% für die Maus).22 Ein weiterer Nachteil dieser Methode ist, dass Gene nur zusätzlich in das Genom integriert werden (keine Korrektur möglich) und dass die Integration in das Genom zufällig und nicht definiert an einer bestimmten Stelle erfolgt. Weiters enthalten nicht alle Zellen des durch die Pronukleusinjektion entstandenen Organismus das integrierte Transgen, es entsteht also ein so genanntes „Mosaik“.

Alternativ dazu können genetisch veränderte Spenderzellen zur Erzeugung von transgenen Nachkommen verwendet werden. Dies gelang erstmals durch ES, die ja unendlich in Kultur gehalten werden können, ohne ihre Pluripotenz zu verlieren - und daher für genetische Modifikationen geeignet sind. In die ES können neue Gene eingebracht werden, oder es können durch so genannte homologe Rekombination spezifische genetische Korrekturen an vorhandenen Genen durchgeführt werden. In einer eleganten Studie im Mausmodell wurden immundefiziente (Rag2-/-) Mäuse als Kernspender für nuklearen Transfer verwendet. Der definierte Gendefekt der Rag2-/- ntES-Zellen wurde mittels spezifischer Gentherapie (homologer Rekombination) behoben. Die ntES wurden in hämatopoietische Vorläuferzellen (Knochenmarksvorläuferzellen) differenziert, und im Anschluss daran wurden die immundefizienten Rag2-/- Mäuse mit diesen gentherapierten Vorläuferzellen geheilt.23

Sind die ES-Therapien im Tiermodell verlässlich?

Zahlreiche erfolgreiche ES-Therapieansätze wurden schon in der Maus angewandt. Anhand des folgenden Beispieles der Therapie der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) soll jedoch gezeigt werden, dass die Therapie mittels ES offensichtlich nicht so trivial ist, wie es manchmal aussieht. Diabetes mellitus betrifft allein in den USA über 16 Millionen Menschen, Tendenz steigend. Eine kurative Therapie des Diabetes impliziert die Transplantation von Insulin produzierenden pankreatischen Inselzellen. Da es nicht genug Spenderorgane für diese Erkrankung gäbe, werden alternative Quellen wie AS (adulten Stammzellen) und ES in Erwägung gezogen. In einer 2001 in Science publizierten Arbeit konnten Lumelsky et al. aus ES-Zellen Zellen differenzieren, die Insulin und andere pankreatische Hormone produzieren. Diese bilden in vitro Strukturen, die Pankreas-Inseln nicht unähnlich sind. Mit Zucker (Glukose) kann man diese Strukturen dazu anregen, Insulin zu produzieren. Wenn man diese Strukturen in Mäuse injiziert, die an einem chemisch induzierten Diabetes erkrankt sind, werden auch in vivo inselartige Strukturen gebildet. Die Forscher konnten damit das Leben dieser Mäuse für einige Tage verlängern.24

Andere Forschergruppen versuchten daraufhin mit demselben Protokoll diese Ergebnisse zu reproduzieren. Rajagopal et al. konnten die Differenzierung der ES in Insulin produzierende Zellen nicht nachvollziehen.25 Ein anderes Forscherteam26 versuchte ebenfalls erfolglos mittels des oben publizierten Protokolls, Insulin produzierende Zellen aus ES zu differenzieren. Diese Gruppe zeigte aber auch, dass die Insulinproduktion in diesen aus ES differenzierten Kulturen nicht von Insulin produzierenden Zellen, sondern von neuronalen Zellen ausgeht. Nach Transplantation dieser Kulturen in diabetische Mäuse konnte auch in vivo keine Vermehrung der Insulinsekretion festgestellt werden – die Blutzuckerspiegel blieben unverändert. Nach histologischer Analyse der transplantierten Mäuse konnten keine insulin-positiven Zellen gefunden werden, dafür hatten sich jedoch Teratome entwickelt.

Diese sich widersprechenden Ergebnisse bedeuten nicht, dass die Experimente nicht sorgfältig durchgeführt worden sind, sondern dass offensichtlich kleinste Unterschiede in der Behandlung von ES schon zu großen Differenzen in ihrem Verhalten führen können. Genaueste Standardisierungen und Erprobung der Differenzierungsprotokolle im Tierversuch müssten eingefordert werden, bevor eine weitere Verwendung von ES für therapeutische Zwecke überlegt werden kann.

Humane ES in der Klinik?

Diese Studien zeigen auch, dass die Anwendung der ES-Therapie trotz vieler erfolgversprechender Tierversuche noch weit weg von jeder Anwendung am Menschen ist. Abgesehen von der oben genannten Schwierigkeit, komplexe Differenzierungsprotokolle zu reproduzieren, ist auch nicht geklärt, warum trotz guter Differenzierung einmal Teratome entstehen und dann wieder nicht. Ein weiteres ungeklärtes Problem ist die Frage, wie sich differenzierte humane ES verhalten, wenn sie aus dem in vitro Milieu kommend in ein komplexes, aus vielen verschiedenen Chemokinen, Cytokinen, Wachstumshormonen und Adhäsionsmolekülen bestehendes in vivo Milieu transplantiert werden.

Eine interdisziplinäre Gruppe bestehend aus prominenten Experten aus Naturwissenschaft, Rechtswissenschaft und Philosophie beratschlägt die Sicherheit sowie ethische Vertretbarkeit der Verwendung von menschlichen ES in der Klinik. Sie berichtete über ihre Konklusionen in einem speziellen Review.27 Besonders hervorgehoben wurden dabei im biomedizinischen Bereich das Risiko der Ansteckung durch pathogene Keime, die Übertragung genetischer Erkrankungen und die Probleme mit den Qualitätskontrollen der Stammzelllinien, die ja sehr lange in Kultur gehalten werden müssen. Weiters hat die Gruppe die Gefahr der „Missdifferenzierung“ von Zellen in vivo, also nach der Therapie hervorgehoben. Das bedeutet nicht nur die mögliche Entartung der differenzierten ES-Zellen bis hin zu der besprochenen Tumorbildung in vivo, sondern auch, dass die für die Therapie eingesetzten differenzierten ES-Zellen auch in andere Organe als die erkrankten Zielorgane gelangen und dort zu unerwünschten Nebenwirkungen führen könnten.

Die ethische Debatte

Die ethische Debatte um den Einsatz von humanen ES in der Forschung kreist zum größten Teil darum, ob der Embryo einen moralischen Status hat, der seine „Verwendung“ in der medizinischen Forschung verwehrt, oder nicht.

In der Frage nach dem moralischen Status des Embryos kann in unserer pluralistischen Gesellschaft nur sehr schwer ein Konsens gefunden werden. Vereinfacht kann man zwischen drei Positionen unterscheiden: (1) Der Embryo besitzt den vollen moralischen Status, daher die absolute Schutzwürdigkeit; (2) der Embryo hat in den verschiedenen Entwicklungsstadien einen unterschiedlichen moralischen Status, was zu einer abgestuften Schutzwürdigkeit führen würde, oder (3) der Embryo besitzt gar keinen moralischen Status und ist zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise schutzwürdig. Befürworter der ES-Forschung halten Embryonen für schützenswert, aber eben nicht uneingeschränkt. Sie halten eine utilitaristische Güterabwägung für zulässig und heben den hochrangigen Zweck des Dienstes am Leben und der Medizin hervor. Dieses hohe Gut hat schlussendlich mehr Gewicht als der moralische Einwand, menschliche Embryonen dürften nicht verwendet werden. Für Vertreter, die dem Embryo dagegen einen vollen moralischen Status zusprechen und somit absolute Schutzwürdigkeit, ist jegliche Forschung an Embryonen wie ES-Forschung nicht akzeptabel. Denn der angebliche „Zellhaufen“ trägt von Anfang an das volle Lebensprogramm für die Entwicklung eines Menschen in sich.

Meiner Meinung nach kann die Menschenwürde nicht vom Vorhandensein irgendwelcher Eigenschaften, wie etwa dem Bewusstsein, abhängig gemacht werden. Person und daher Träger unantastbarer Menschenwürde ist jedes Individuum der Spezies Mensch, unabhängig davon, ob er seine ihm prinzipiell zukommende moralische Fähigkeit noch entwickeln muss (Embryo), zwischenzeitlich nicht aktualisiert (Mensch in Schlaf oder Koma) oder nicht mehr aktualisieren kann (Demenz). Eine Einschränkung der Menschenwürde in den Perioden der nicht aktualisierten moralischen Fähigkeit entbehrt jeder konsistenten Grundlage und widerspricht den wohlbegründeten Argumenten von Potentialität, Identität und Kontinuität. In diese Kategorie fällt auch der künstlich von einigen Wissenschaftlern eingeführte Begriff „Prä-embryo“. Er soll den Verbrauch von mittels ivF hergestellten Embryonen rechtfertigen. Hier muss festgestellt werden, dass es keinen wissenschaftlich (entwicklungsbiologischen) relevanten Unterschied zwischen „Prä-embryo“ und Embryo gibt. Die Verwendung von Embryonen zu therapeutischen Zwecken ist daher nicht zulässig.

Die Zulassung der Embryonenforschung zur Stammzellgewinnung würde zu einer Ausweitung auf eine Vielzahl anderer Anwendungsgebiete führen. Der damit entstehende steigende Bedarf an Embryonen wäre mit der jetzigen Praxis der künstlichen Befruchtung (ivF) bei weitem nicht gedeckt. Zusätzliche Embryonen müssten daher, nicht nur wie bisher für ihre eigene Weiterentwicklung, sondern als regelrechtes biologisches Verbrauchsmaterial erzeugt werden. Hier handelt es sich um eine Instrumentalisierung von menschlichem Leben, vom Leben des Embryos, aber auch um eine Instrumentalisierung der Frau als Rohstofflieferantin. Daher ist aus ethischer Sicht die Forcierung der Forschung und Entwicklung von Therapien auf Basis der Stammzellen aus dem erwachsenen Organismus (adulte Stammzellen) ausdrücklich zu empfehlen.

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Univ.-Prof. Dr. Lukas Kenner
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