Stammzellentherapie aus ethischer Sicht

Imago Hominis (2001); 8(2): 121-126
Enrique H. Prat

Zusammenfassung

Prinzipiell kann gegen die Stammzellentherapie, die das im Menschen selbst vorhandene Regenerierungspotential technisch unterstützt und umsetzt, schwerlich ein ethischer Einwand vorgebracht werden. Allerdings liegen auf der einen Seite massive Bestrebungen vor, die Stammzellentherapie mit der Klonung zu verbinden, d.h. mit der Schaffung embryonaler Kopien der Patienten, um daraus gesunde Zellen als Ersatz für das erkrankte Gewebe zu erhalten. Diese Technik, die manche Forschungsinstitute noch entwickeln wollen, ist unter dem Namen therapeutische Klonung bekannt. Auf der anderen Seite werden dazu laufend embryoverbrauchende Versuche durchgeführt. Eine embryonenverbrauchende Stammzellenforschung und -therapie muss vom ethischen Standpunkt abgelehnt werden.

Schlüsselwörter: Stammzellenforschung, Stammzellentherapie, Klonen

Abstract

Principally no ethical issue can be raised if the stem cell therapy is helping the regenerative potential of the human body or is using its pathways to invoke it. But on one side there is the ambition to connect stem cell therapy with cloning, i.e. to create embryonic copies of the patient to get healthy cells as replacement for the infected tissue. This technique, which some research institutes want to develop, is known as therapeutic cloning.

Keywords: stem cell research, stem cell therapy, cloning


Die Transplantation von lebenswichtigen Organen wie Herz, Niere und Leber zählt zu den ganz großen Errungenschaften der Medizin des letzten Drittels des vergangenen Jahrhunderts. Für viele Menschen haben diese Fortschritte eine beträchtliche Lebensverlängerung bei sehr guter Lebensqualität gebracht. Heute gilt eine Organverpflanzung trotz der beträchtlichen Risiken weltweit als Routine in Spezialzentren. Das Aufkommen von Organspenden reicht aber nicht aus, um den Bedarf zu decken und für die Zukunft wird geschätzt, dass die Lage eher schlechter als besser werden wird. Wenn man also nicht andere Organquellen erschließt, werden viele Menschen sterben müssen, denen ansonsten geholfen werden könnte. In zwei Forschungsbereiche, die dieses Problem lösen könnten, wird derzeit viel Geld und Einsatz investiert. Die großen Hoffnungsträger sind: die Xenotransplantation, d.h. die Transplantation von Organen aus transgenen Tieren (d.h. gentechnisch manipulierten Tieren) und die Stammzellentherapie, d.h. die Reproduktion oder Regenerierung von Organen aus eigenem Zellmaterial. Obwohl es in diesen Bereichen in den kommenden fünf bis zehn Jahren kaum zu neuen klinischen Standardtherapien kommen wird, und die Entwicklung daher mit gebotener Nüchternheit zu betrachten ist, ist es nicht zu früh, um über die ethischen Implikationen nachzudenken, zumal bereits die Forschung selbst schon gewisse ethische Probleme aufweist. In diesem Aufsatz soll eine ethische Bewertung der Stammzellenforschung und -therapie erfolgen.

Ethische Bewertung der Stammzellentherapie1

Die Stammzellenforschung der letzten Jahre hat solche Fortschritte gemacht, dass in absehbarer Zukunft eine autoregenerative Behandlung von defekten Organen, die an sich irreparabel sind, möglich erscheint. Die Zellen der defekten Organe werden von gesunden Zellen des gleichen Gewebes, welche im Labor aus den Stammzellen desselben Individuums entwickelt worden sind, ersetzt. Dazu werden verschiedene Verfahren in Tierversuchen bereits erprobt. Wir sind aber immer noch weit davon entfernt, Zellen aller Gewebsarten aus menschlichen Stammzellen zu erhalten.2

Prinzipiell kann gegen die Stammzellentherapie, die das im Menschen selbst vorhandene Regenerierungspotential technisch unterstützt und umsetzt, schwerlich ein ethischer Einwand vorgebracht werden. Allerdings liegen auf der einen Seite massive Bestrebungen vor, die Stammzellentherapie mit der Klonung zu verbinden, d.h. mit der Schaffung embryonaler Kopien der Patienten, um daraus gesunde Zellen als Ersatz für das erkrankte Gewebe zu erhalten. Diese Technik, die manche Forschungsinstitute noch entwickeln wollen, ist unter dem Namen therapeutische Klonung bekannt.

Auf der anderen Seite werden laufend embryoverbrauchende Versuche durchgeführt. Zum Beispiel berichteten zwei wissenschaftliche Veröffentlichungen3 im Jahre 1998 darüber, dass zwei Forscherteams in den USA, die mit menschlichen Zellen experimentiert haben, tatsächlich Stammzellen gewinnen konnten: im ersten Fall aus menschlichen Embryos in der Blastozystenphase und im zweiten Fall aus abgetriebenen Föten. In August 2000 wurde vom britischen Gesundheitsministerium der Bericht einer eigens eingesetzten Kommission4 veröffentlicht, wonach zwischen August 1991 und März 1998 in Großbritannien mit 48.444 Embryonen experimentiert wurde, die aus der In-vitro-Fertilisierung übrig geblieben sind. 118 Embryonen wurden nur zu Forschungszwecken mittels künstlicher Befruchtung erzeugt. Seit 31. Jänner 2001 ist in Großbritannien die therapeutische Klonung gesetzlich zugelassen. Die Entscheidung der beiden britischen Kammern wurde in ganz Europa stark kritisiert. Trotzdem haben sich die Gesetzgeber nicht umstimmen lassen. Was de facto zugelassen wurde, ist die Entwicklung einer Klonungstechnik beim Menschen. Vorerst unter dem Deckmantel der Forschung und später, wenn es soweit ist, für therapeutische Zwecke. Wie aus verschiedenen Reaktionen weltweit zu entnehmen war, wird nicht ausgeschlossen, dass auch die reproduktive Klonung kommen wird, obwohl vorerst alle betonen, dass dies nicht der Fall sein soll. Vor nur fünf Jahren, hätten alle ernstzunehmenden Forscher (auch die Experten des britischen Department of Health) geschworen, keine Art von Klonen des Menschen jemals zuzulassen.

In der Diskussion um das therapeutische Klonen wurden drei Argumente vorgebracht: Erstens: Bis zum 14. Tag steht die Individualität des Embryos nicht fest. Zweitens: Aus dem ersten Argument ergibt sich, dass der Lebensschutz nicht so absolut und kategorisch sein müsste, wie bei einem menschlichen Lebewesen, bei dem die Individualität feststeht, so dass eine Güterabwägung, bei welcher sich herausstellt, dass der Nutzen für die Menschheit sehr groß ist, zulässig wäre. Für die Befürworter ist das therapeutische Klonen durch den erwarteten Nutzen ethisch also vertretbar. Das dritte Argument ist ein wissenschafts- und wirtschaftspolitisches: Wenn wir es nicht selber machen, werden es doch die anderen tun und wir werden dadurch von der vorderen Linie des wissenschaftlichen Fortschritts mit allem, was das bedeutet, verdrängt. Es ist ein rein utilitaristisches Argument.

Die ersten zwei Argumente beziehen sich auf den moralischen Status des Embryos. Seit Beginn der Diskussion um die Abtreibung wird ständig versucht, dem ungeborenen Menschen einen niedrigeren moralischen Status zuzuweisen als dem geborenen.5 Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung der künstlichen Befruchtung wurde versucht, den Embryo bis zum 14. Lebenstag in einen Präembryo umzubenennen, um so seinen moralischen Status zu minimieren. Die jetzige Diskussion schließt hier an und wiederholt altbekannte aber unschlüssige Argumente.6 Jeder ehrliche Wissenschaftler muss zugeben, dass die Bildung des Primitivstreifens des Zentralnervensystems, die ca. am 14. Entwicklungstag stattfindet, nur ein willkürlich gewählter Zeitpunkt sein kann: vorher ist der Embryo nicht weniger Mensch als nachher. Die Festlegung des Beginns der Individualität am 14.Tag und daraus eine abgeschwächte Verpflichtung abzuleiten, das Leben bis dahin zu schützen, entbehrt jeder philosophischen Grundlage. Wie die Personalität bei der Zwillingsteilung entsteht, ist uns nicht bekannt. Dies kann jedoch nicht der Grund sein, sie in Frage zu stellen. Heute steht die Klonung als Möglichkeit unmittelbar bevor. Es wäre nur ein geschmackloser Witz, sollte jemand die Individualität eines Erwachsenen deshalb leugnen, weil noch eine Kopie (Klon) von ihm hergestellt werden könnte.

Die Legalisierung der therapeutischen Klonung in Großbritannien wurde eigentlich kaum ethisch begründet. So wurde vor allem darauf hingewiesen, dass die ethischen Bedenken, die gegen die vorgeschlagene therapeutische Klonung bestehen, gleichermaßen für das bestehende Gesetz von 1990 hätten geltend gemacht werden können.7 Das Gesetz 1990 habe bereits die Forschung mit Embryonen bis zum 14. Lebenstag erlaubt und die Schaffung von Embryonen exklusiv zu Forschungszwecken nicht ausdrücklich verboten. Der Gesetzgeber habe fast alle Empfehlungen des Warnock Committees angenommen, das 1984 seinen Bericht veröffentlichte (Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology, auch bekannt einfach als „Warnock-Report“). Dieses Committee hat den nun weltweit angenommenen und folgenschweren Etikettenschwindel eingeführt, den Embryo bis zum 14. Lebenstag in Präembryo umzutaufen.

Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz (1992) und das deutsche Embryonenschutzgesetz (1990) lassen weder die therapeutische Klonung noch die Verwendung von Embryos für therapeutische Zwecke zu. InÖsterreich steht eine liberalisierende Gesetzesänderung vorerst nicht zur Diskussion. Der Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie hat zwar im Vorjahr ein sogenanntes „Konsenspapier“ beschlossen, in dem die Zulassung von Forschung mit Embryonen und die therapeutische Klonung verlangt wird. Dieses Papier wurde auch am 22. November 2000 bei einer Enquete im Justizministerium präsentiert. Einige Mitglieder dieser Gesellschaft versuchen immer wieder, ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen. Bis jetzt ist es ihnen nicht wirklich gelungen, obwohl eine Diskussion darüber kommen muss.

Ganz anders als in Österreich debattiert die akademische und politische Öffentlichkeit Deutschlands seit Monaten ziemlich heftig über dieses Thema. Die rot-grüne Regierung bemüht sich offensichtlich um einen breiten Konsens, zunächst für eine Ermöglichung der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Die Frage ist, woher die Wissenschaftler die embryonalen Stammzellen nehmen sollen, da im Deutschen Embryonenschutzgesetz jede Forschung mit Embryonen untersagt wird. Die mächtige Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat sich bis vor kurzem gegen eine Zulassung der verbrauchenden Embryonenforschung gestellt und überdies die Position vertreten, es sei nicht notwendig, mit embryonalen Stammzellen zu arbeiten, solange die Möglichkeiten der vielversprechenden Forschung bei adulten Stammzellen nicht ausgeschöpft sind. Anfang Mai dieses Jahres hat sich die DFG, wahrscheinlich unter dem Druck des Bundeskanzleramtes und mancher betroffener Forscher, neu positioniert, indem sie zwei aufsehenerregende, ethisch bedenkliche Empfehlungen abgegeben hat.8 Die Forschung mit Stammzellen aus dem Ausland und die Forschung mit den todgeweihten, aus der IVF übrig gebliebenen Embryonen soll zugelassen werden. Die erste Empfehlung ließe sich ohne Gesetzesänderung umsetzen. Diese Lösung scheint für den Moment politisch durchsetzbar und wird vom Bundeskanzler mit Befriedigung kommentiert: „Auf der Basis des Embryoschutzgesetzes ist der Import von Embryonen möglich. Der Import ist möglich, aber nicht die Herstellung. Wir dürfen sie kaufen und dürfen daran forschen.“9 Dies würde allerdings bedeuten, dass auf der einen Seite weiterhin die Forschung mit Embryonen als ein Verstoß gegen die Würde des Menschen, wie sie vom deutschen Grundgesetz verstanden wird, betrachtet wird, und auf der anderen Seite unter dem Motto „Schmutzarbeit soll anderswo geleistet werden, und wir wollen nichts davon wissen“ vom Ausland das Produkt gekauft werden darf. Die sittliche Fragwürdigkeit und die Doppelzüngigkeit dieser Lösung ist so offenkundig, dass sie wahrscheinlich nur dazu dienen wird, um gleich einen Konsens für die zweite Empfehlung des DFG zu erreichen. Diese andere Lösung bedarf aber eines ziemlich großen legistischen Aufwandes. Man müsste auf jeden Fall das Embryoschutzgesetz dahingehend abändern, dass es nicht mehr notwendig ist, alle befruchteten Eizellen in die Gebärmutter zu transferieren. Anderenfalls kann es ja keine überschüssigen Embryonen geben. Tatsächlich werden in Deutschland auf Grund dieser Bestimmung nur jene Embryonen aufbewahrt, die wegen einer Krankheit oder dem Tod der Mutter nicht implantiert werden können. Außerdem müsste, nach der vorherrschenden Meinung der meisten Juristen auch der Art. 1 Abs 1 des Grundgesetzes geändert werden, wo jedem Menschen eine unantastbare und absolut schützenswerte Würde zugesprochen wird.

Als Begründung für die zweite Empfehlung wird angeführt, dass ein Embryo, der nicht mehr auf die Mutter übertragen werden kann und zum Absterben bestimmt ist, durch eine allgemein fremdnützige Forschung noch im nachhinein einen Lebenssinn erhält, in dem er dem Wohle anderer dient. Der gute Zweck soll nicht bestritten werden, aber auch hier heiligt er nicht die Mittel: Der neue Lebenssinn kann nicht die Verletzung der Menschenwürde, die durch die Erzeugung im Reagenzglas, durch eine pure Instrumentalisierung eines Menschen und durch seine anschließende Tötung zugefügt wird, rechtfertigen. Die Fragestellung ist ähnlich jener immer noch umstrittenen, ob es sittlich vertretbar sein kann, mit abgetriebenen Föten zu forschen. Der Abtreibung wird im nachhinein ein erkennbar positiver Sinn gegeben. Diese nachträgliche Rechtfertigung einer schlechten Handlung wird aber dadurch zur Rechtfertigung künftig böser Handlungen oder zumindest eine indirekte Anstiftung dazu. Auf Grund jener, der Forschung immanenten Haltung würden dann die Abtreibungen bzw. in unserem Fall die IVF-Verfahren mit überschüssigen Embryonen erwünscht sein, damit der Forschungsfortschritt gewährleistet ist. Das genügt bereits für eine indirekte Mitwirkung, die nicht unumgänglich ist, weil diese Forschung nicht unbedingt notwendig ist. Die Forschung selbst wäre daher ethisch unzulässig.10 Die Tatsache, dass eine vergangene Abtreibung oder dass das Absterben der überschüssigen Embryonen nicht mehr verhindert werden kann, ist daher hier irrelevant. Ganz anders wäre unter gewissen Umständen die Forschung mit Gewebe aus Föten eines spontanen oder indirekten Abortus zu bewerten.

Das dritte Argument – „wenn wir es nicht tun, tun es die anderen“ – wird laufend in Deutschland und Österreich vor allem von betroffenen Wissenschaftlern und Wissenschaftspolitikern ins Treffen geführt. Es wird versucht, mit der Befürchtung eine „medizinische Dritte Welt zu werden“11, die Öffentlichkeit einzuschüchtern. Diese Haltung entbehrt jede moralische Sensibilität. Dazu hat Spaemann ganz richtig angemerkt: „Dieses Argument markiert das Ende jeder Moral. Auch in der Natur kommen Menschen gewaltsam zu Tode. Und sterben müssen wir schließlich alle. Aber müssen oder dürfen wir deshalb töten? Niemand ist für alles verantwortlich, was geschieht. Verantwortlich aber sind wir für das, was wir tun.“12

Die Tatsache, dass dieses moralverweigernde Argument immer wieder in der laufenden Debatte vorkommt, ist nicht so verwunderlich, weil es ganz konkrete und mächtige Interessen artikuliert, die in dieser Forschung involviert sind.

Zunächst sind die volkswirtschaftlichen Interessen zu erwähnen: Industrieländer wie Deutschland und Österreich, in denen die Gesetzgebung nach wie vor durch einen starken Lebensschutz des Embryo geprägt ist, befürchten, dass sie durch gesetzliche Verbote nicht mehr konkurrenzfähig bleiben und ihre führende Position bei der Entwicklung der zukunftsträchtigen Biotechnologien verlieren könnten. Dies würde – so das übliche, mit diesem Denkmuster verbundene Zukunftsszenario – den Verlust von hochqualifizierten Arbeitsplätzen im Lande, den Verlust von Einnahmen aus Lizenzen und auch vor allem Einbußen in den erreichten Standards der Gesundheitsversorgung bedeuten. Auf diese düsteren Bedrohungen, so hypothetisch sie auch immer sein mögen, reagiert die öffentliche Meinung meistens ziemlich sensibel.

Aber auch bedeutende privatwirtschaftliche Interessen beflügeln dieses Argument. Beträchtliche private finanzielle Summen fließen in die biotechnologische Forschung ein, noch bevor die ethische Diskussion darüber abgeschlossen ist. Diese privatwirtschaftlichen Interessen schützen sich, indem sie die ethische Debatte zu beeinflussen versuchen.

Letztlich müssen auch die Interessen der Forscher selbst erwähnt werden. Es gibt so etwas wie einen Forscherübereifer. Dem Forscher fehlt oft die Distanz zu seinem Gegenstand, um die reale Relevanz und vor allem die ethischen Implikationen seiner Forschung beurteilen zu können. Deswegen appellieren sie nicht selten an die Freiheit der Forschung und weisen auf die kulturelle Bedingtheit sittlicher Urteile hin, wenn ihnen ethische Bedenken ins Hausstehen. Das Ziel und die Absicht ebenso wie ihre Motivation seien doch sittlich stimmig. Was sollte dabei schlecht sein?

Warum will man mit Embryonen forschen, wenn man mit Hilfe von adulten Zellen auch ans Ziel kommen kann? Es wird immer wieder behauptet, dass embryonale Zellen vermutlich für diese Forschung und auch für die Stammzellentherapie besser geeignet sind als die adulten. Der Bericht der britischen Kommission13 hat zugegeben, dass Stammzellen aus dem Gewebe von Erwachsenen langfristig die gleichen oder sogar mehr Fähigkeiten haben als die embryonalen Zellen. Die Experten dieser Kommission hielten es trotzdem unverständlicherweise für empfehlenswert, die Forschung mit embryonalen Zellen zu betreiben.

In Deutschland haben Stammzellenforscher, die Verwendung von embryonalen Stammzellen immer wieder damit verteidigt, dass nur eine vergleichende Untersuchung von erwachsenen und embryonalen Stammzellen es erlauben werde, das Potential der einzelnen Zelltypen zu erkennen.14 Dies stimmt natürlich: man wird erst dann endgültig wissen, welche Forschungsalternative die erfolgreichere ist, wenn man beide ausprobiert hat. Das ist aber wieder eine Moralverweigerung, die vor allem im Zusammenhang mit dem dritten Argument steht.

Sogar für den moralischen Relativisten, für den alles zur Disposition steht, müsste es als unmoralisch gelten, dass bei gleichen oder ungewissen Erfolgsaussichten nicht jene Variante vorzuziehen ist, die ethisch das geringere Übel darstellt. Oder anders gesagt, eine ethisch sehr bedenkliche Forschungsvariante in Erwägung zu ziehen, bevor eine andere vielversprechendere, aber bedenkenlose Möglichkeit noch nicht ausgeschöpft wurde, ist eine verantwortungslose Entscheidung.15

Forschungsergebnisse16 der letzten Monate haben die Annahme weitgehend widerlegt, dass die Embryonalforschung rascher und besser als die Forschung an adulten Zellen ans Ziel kommen wird. Die Notwendigkeit, die therapeutische Klonung zuzulassen, ist daher nicht mehr gegeben, weil sie an diese Annahme geknüpft war.

Eine ethisch nicht unbedeutende Frage gilt der Gewinnung von Eizellen, die für die therapeutische Klonung notwendig sein wird.17 Woher wollen wir die Eizellen für den enormen Bedarf, den wir haben werden, nehmen? Im weiblichen Organismus gelangen im Laufe eines Lebens ca. 400 Eizellen zur Reife. Wird man die Eizellen kommerzialisieren müssen? Um das zu vermeiden, hat man schon überlegt und damit begonnen, die Eizellen der Kuh zu verwenden. Dies haben schon Forscher von Advanced Cell Technology im Jahre 1998 mitgeteilt.18 Ein Bericht über konkrete Ergebnisse liegt bereits vor. Dass diese Chimärenbildung eine vielversprechende Lösung sein könnte, darf angezweifelt werden, denn auch wenn durch den Austausch des Zellkernes, d.h. durch die Entfernung des Kernes der Eizelle und die Einsetzung des Kernes einer adulten menschlichen Zelle, eine Zygote mit dem Genom eines Menschen entsteht, verbleibt in der Zelle die DNA der Mitochondrien der Kuhzellen. Bekanntlich sind die Mitochondrien für die Energie der Zellentwicklung zuständig und dieser Energiebedarf ist je nach Tierart verschieden. Es zeichnet sich aber schon ab, zu welch absurden Lösungen gegriffen werden muss, um jene Probleme zu lösen, die dadurch entstehen, dass man den Pfad der Vernunft, d.h. den ethisch vertretbaren Weg verlässt. Was diese Versuche auch weiters zeigen, ist, dass der Übereifer den Forscher oft die sittlichen Grenzen seines Tuns völlig übersehen lässt.

Bei der Beurteilung von Therapien, die sich noch im Forschungsstadium befinden, genügt es nicht, die ethischen Implikationen, der in der Zukunft einmal entwickelten Anwendung, zu analysieren. Oft wirft bereits die Forschung selbst in Hinblick auf die Entwicklung einer bestimmten Technik ethische Bedenken auf, die auf ihre spätere Anwendung ein schiefes Licht wirft. Wie soll eine Behandlungstechnik ethisch beurteilt werden, wenn zu ihrer Entwicklung schädigende Menschenversuche durchgeführt worden sind? Soll man sich aus ethischen Gründen einer solchen Behandlung verweigern, auch dann wenn diese unsittlichen Versuche nicht mehr notwendig sind, weil die Technik bereits ausgereift ist und gegen ihrer Anwendung an sich keine Bedenken vorliegen. Es ist nicht leicht, darauf eine Antwort zu geben. Eine solche Technik würde sich jedenfalls, wie gesagt, in einer schiefen Optik befinden.

Referenzen

  1. Für die Darstellung der den Stand dieser zukunftsträchtigen Forschungen siehe Czepe C., „Stammzellenforschung“ IH (2001); 2: 97-104
  2. Czepe C., „Stammzellenforschung“, IH (2001); 2: 97-104
  3. Thompson J. A., Itskoviz-Eldor J., Shapiro S. S., Waknitz M. A., Swiergiel J. J., Marshall V. S., Jones J. M., „Embryonic stem cell lines derived from human blastocyts“, Science (1998); 282: 1145-7; Gearhart, J. D. et al., „Derivation of pluripotent stem cells from cultured human primordial germ cells“, Proc. Nat. Acad. Sci (1998); 95: 13726-13731
  4. Department of Health (DH), „Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility”, www.doh.gov.uk/cegc/stemcellreport.htm
  5. IMABE-Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik, Wien, und Schweizerische Gesellschaft für Bioethik, Zürich, „Der Status des Embryos – Eine interdisziplinäre Auseindandersetzung mit dem Beginn des menschlichen Lebens“, Fassbaender, Wien, 1989
  6. Prat E. H., „Warum Menschen klonen?“, IH (2000); 3: 178-187
  7. Department of Health (DH), „Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility”, Kap. 4; www.doh.gov.uk/cegc/stemcellreport.htm
  8. Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen. 3. Mai 2001, www.dfg.de/aktuell/stellungnahmen/empfehlungen.html
  9. Gerhard Schröder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 3.5.2001, S.56-57
  10. vgl. Bockamp C., Transplantationen von Embryonalgewebe, Peter Lang, Frankfurt (1991)
  11. Huber J., Interview, zitiert in: Die Presse, Wien 7.Mai 2001, S.1
  12. Spaemann R., „Gezeugt, nicht gemacht“, Die Zeit 04/2001
  13. Department of Health (DH), „Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility”, www.doh.gov.uk/cegc/stemcellreport.htm
  14. Dieses Argument wurde z.B. am 23. April 2001 in Berlin von Anna Wobus, die für die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Erkundungsprogramm über Stammzellenforschung leitet und Oliver Brüstle, der an der Universität Bonn Stammzellen erforscht, bei der parlamentarischen Enquetekommission vertreten.
  15. Erklärung der Päpstlichen Akademie für das Leben über die Herstellung sowie die wissenschaftliche und therapeutische Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen, Vatikanstadt, 25. August 2000
  16. Czepe C., „Stammzellenforschung“, IH (2001); 2: 97-104
  17. ebd.
  18. Wade N., „Researchers claim embryonic cell mix of human and cow“, New York Times, 12-XI-1998

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. Enrique H. Prat
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