Modelle einer Entschädigung nach Behandlungsfehlern

Imago Hominis (2011); 18(1): 39-48
Michael Memmer

Zusammenfassung

Eine der zentralen Fragen nach einem Behandlungsfehler ist jene nach einer Entschädigung für den geschädigten Patienten. Lange Zeit war ein Schadenersatz vielfach nur über den Prozessweg zu erreichen. In den letzten Jahrzehnten wurden in Österreich aber Einrichtungen etabliert, die außergerichtliche Konfliktlösungen ermöglichen und die Patienten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützen: Patientenanwälte bzw. Patientenvertreter, Schiedsstellen der Ärztekammern und Entschädigungsfonds. Geschädigte Patienten können damit heute unbürokratisch, rasch und ohne Kostenrisiko Schadenersatzleistungen erlangen. Zudem wird durch einvernehmliche Streitbeilegungen das Arzt-Patient-Verhältnis weniger stark beeinträchtigt als durch einen Prozess. Die außergerichtliche Streitbeilegung liegt damit auch im Interesse der Ärzte und Krankenanstaltenträger.

Schlüsselwörter: Behandlungsfehler, Schadenersatz, außergerichtliche Streitbeilegung, Patientenanwalt, Entschädigungsfonds

Abstract

One of the central questions after malpractice is compensation for the mistreated patient. For a long time compensation for damages could only be reached by legal action. But during the last decades institutions for out of court conflict solutions were established in Austria. These institutions support patients in achieving their claims: Patient advocates or patient representatives, conciliation proceedings of the medical association and compensation funds. Thus, mistreated patients today are able to reach compensation fast, without bureaucracy and without cost risk. Furthermore, the doctor-patient-relationship is less compromised than by a court action. The extrajudicial settlement therefore is in the interest of physicians as well as hospital holdings.

Keywords: Malpractice, Compensation for Damages, Settlement of Disputes out of Court, Patient Advocate, Compensation Funds


1. Einleitung

Immer wieder finden sich Berichte in den Medien wie „Routine-Eingriff mit tödlichen Folgen. Familie vermutet einen Kunstfehler“, „Atembeschwerden: Mediziner verwechselt Lungenembolie mit Maturastress“, „Falsches Bein amputiert“, „Laut Experten hatten die Ärzte das Nierenleiden von A. völlig unterschätzt“, „Mädchen erstickte bei Hausgeburt, weil die Hebamme laut Gutachten nicht schnell genug reagierte“ oder „Kunstfehler: Oberarzt entfernt falsche Niere“.

Ein Blick in die Printmedien zeigt auch, dass in der Laiensprache „Kunstfehler“ und „Behandlungsfehler“ meist synonym gebraucht werden. Der Begriff „Kunstfehler“ tauchte am Ende des 18. Jahrhunderts auf und hat sich damit zu einer Zeit entwickelt, als die ärztliche Tätigkeit noch als „Heilkunst“ aufgefasst wurde. Dass im 19. Jahrhundert die gerichtliche und wissenschaftliche Diskussion um den Kunstfehler nicht mehr abriss, hing mit der Entwicklung der Medizin hin zur Naturwissenschaft zusammen. Die Medizin hatte in dieser Zeit den Anspruch erhoben, verbindliche Leitlinien für eine „kunstgerechte“ Behandlung aufstellen zu können.1 Unter Heilkunst verstand man das Einhalten der durch die medizinische Wissenschaft und Praxis gewonnenen und allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Tätigkeit. Dies ist auch noch das heutige Verständnis: Die Behandlung muss lege artis, der medizinischen Wissenschaft und Praxis entsprechend, erfolgen.

In den letzten Jahrzehnten ist diese Diskussion durch Veränderungen in der Arzt-Patient-Beziehung, insbesondere geprägt durch die Abkehr vom ärztlichen Paternalismus und die Betonung der Patientenrechte, aktueller denn je. Dabei wird heute nicht mehr von Kunstfehlern, sondern von Behandlungsfehlern gesprochen. Der Behandlungsfehler i. e. S. umfasst das ärztliche Verhalten im Rahmen einer medizinischen Behandlung, welches ungewollt zur körperlichen oder psychischen Schädigung der Gesundheit des Patienten führt. Daher kann der Behandlungsfehler i. e. S. in der falschen Diagnose, in der Vornahme einer falschen medizinischen Maßnahme oder Medikation, in der Unterlassung oder der verspäteten Aufnahme einer notwendigen Behandlung oder in einer fehlerhaft ausgeführten Operation begründet sein. Der Behandlungsfehler i. w. S. umfasst darüber hinaus auch Fehler bei der therapeutischen Aufklärung, Konsultationsfehler und das Verletzen von Aufsichts- und Organisationspflichten samt fehlerhafter Apparateüberwachung, die vor allem im Spitalsbereich von Bedeutung sind.

Eine der vielen Fragen, die sich nach solchen Vorfällen stellt, ist jene nach einer Entschädigung für die Betroffenen. Dabei bieten sich zwei Möglichkeiten an: Der klassische Weg zur Entschädigung führt über den Zivilprozess. Der zweite Weg mündet in alternative Konfliktlösungsmodelle. Ziel einer außergerichtlichen Streitbeilegung ist die Erreichung eines Ergebnisses, das einerseits die zwischenmenschlich-kommunikativen und psychologischen Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung besonders berücksichtigt, andererseits die Rechtsansprüche des Patienten wahrt.2

2. Rechtsdurchsetzung via Zivilprozess

Der Patient, der einen Behandlungsfehler vermutet, wird durch das Bestreiten eines Schadenersatzanspruchs von Seiten des Arztes oder der Krankenanstalt auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

2.1. Parteien

Im Zivilprozess wird über streitige Privatrechtsansprüche zwischen Patient und Arzt verhandelt. In den meisten aller gerichtlich entschiedenen Haftungsfälle haben Ärzte im Rahmen einer Tätigkeit in Spitälern gehandelt; hier richtet sich die Klage gegen den Krankenanstalten-Träger, gestützt auf die vertragliche Haftung aus dem Behandlungsvertrag für die Erfüllungsgehilfen (gemäß §§ 1313a-1316 ABGB). Der handelnde Arzt selbst kann nicht aus dem Behandlungsvertrag geklagt werden; eine Haftung gegen ihn müsste auf eine sog. deliktische Haftung (wegen seines Eingriffs in ein absolut geschütztes Rechtsgut, nämlich die Gesundheit) gestützt werden.

2.2. Haftungsvoraussetzungen und Beweislast

Damit es zu einem Schadenersatz kommt, müssen entsprechend den allgemeinen Regeln des Zivilrechts verschiedene Voraussetzungen gegeben sein. Es muss 1. ein ersatzfähiger Schaden vorliegen, 2. zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem entstandenen Schaden ein Kausalzusammenhang bestehen, 3. das Verhalten des Schädigers rechtswidrig sein und 4. den Schädiger ein Verschulden treffen.3

Eines der zentralen Probleme im Arzthaftungsprozess ist die Beweislast. Die klagende Partei (also der geschädigte Patient) ist dabei besonderen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt. Er muss als derjenige, der für sich ein Recht in Anspruch nimmt, die rechtsbegründenden Tatsachen beweisen. Der Patient hat also unter Beweis zu stellen, dass das Verhalten des Arztes einen Behandlungsfehler darstellt und dieses Fehlverhalten kausal für den erlittenen Nachteil war. Er ist dabei in aller Regel als medizinischer Laie auf ein Sachverständigengutachten angewiesen. Der Sachverständige muss erstens klären, ob die Behandlung durch den Arzt den Regeln der medizinischen Wissenschaft entsprochen hat. Zweitens ist nachzuweisen, dass der derzeitige Gesundheitszustand des betroffenen Patienten von jenem abweicht, den er hätte, hätte der Arzt die Behandlung lege artis vorgenommen. Diese Feststellung wird auch dem sachverständigen Gutachter nicht immer möglich sein, da der hypothetische Gesundheitszustand des Betroffenen (bei richtiger Behandlung) nachgewiesen werden muss. Manche Vorgänge im menschlichen Körper lassen sich jedoch nicht immer mit Sicherheit nachvollziehen. Kann der Patient (via Gutachten) aber nicht den erforderlichen Beweis erbringen, geht dies zu seinen Lasten.4

2.3. Nachteile

Ein streitiges Verfahren ist sowohl für den Patienten als auch für den Arzt belastend und mit gravierenden Schwierigkeiten verbunden.

  • Wegen der genannten Beweisprobleme kann der Ausgang eines Prozesses nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Mit der Ungewissheit des Verfahrensausgangs ist jedoch ein erhebliches Kostenrisiko für den klagenden Patienten verbunden. Unterliegt er im Prozess, muss er nämlich neben den eigenen Kosten auch alle Verfahrenskosten tragen.
  • Außerdem kann es zu einer langen Verfahrensdauer kommen (insbesondere wenn der Instanzenzug ausgeschöpft wird), weshalb ein finanzieller Ausgleich lange hinausgezögert wird.
  • Letztlich stehen der Arzt und der Patient einander im Gericht als „Gegner“ gegenüber, wodurch das Vertrauensverhältnis in der Regel zerstört wird.

3. Alternative Streitlösungsmodelle

In den letzten Jahren haben sich in Österreich unterschiedliche Möglichkeiten einer außergerichtlichen Konfliktlösung etabliert. Eine Möglichkeit besteht in einer Fallprüfung durch die gemäß § 11e des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG) eingerichteten Patientenvertretungen und in Direktverhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer (unten 3.1.). Ferner kommt ein Verfahren vor den Schlichtungsstellen vor den Ärztekammern in Betracht (unten 3.2.). Als ergänzende Form der Konfliktlösung ist die Befassung der Entschädigungsfonds zu nennen (unten 3.3.).

Zur außergerichtlichen Streitbeilegung besteht kein Zwang; sie ist daher nur dann möglich, wenn die Streitparteien freiwillig ein solches Prozedere anstreben und ein solches Lösungsmodell verwirklichen wollen.

3.1. Patientenvertretungen: Beschwerdeprüfung und Direktverhandlungen

Patientenanwaltschaften und Patientenvertretungen wurden ab den 1990er-Jahren in allen Bundesländern, zunächst freiwillig, dann in Ausführung des § 11e KAKuG durch Landesgesetze eingerichtet.5 Wie sehr die Institution der Patientenvertretung heute von allen Beteiligten akzeptiert ist, zeigt die Tatsache, dass auch Ärzte bzw. Krankenanstalten nach einem möglichen Fehler, der in einen Personenschaden gemündet hat, an die örtliche zuständige Patientenanwaltschaft herantreten und um ihr Tätigwerden ersuchen.

3.1.1. Rechtsgrundlagen

§ 11e KAKuG trägt der Landesgesetzgebung auf, Vorsorge zu treffen, „dass zur Prüfung allfälliger Beschwerden und auf Wunsch zur Wahrnehmung der Patienteninteressen unabhängige Patientenvertretungen (Patientensprecher, Ombudseinrichtungen oder ähnliche Vertretungen) zur Verfügung stehen“.

Bei der Umsetzung durch die Landesgesetzgeber wurden Organisation, Struktur und Aufgabenbereiche sehr unterschiedlich ausgeformt; selbst die Bezeichnungen variieren. Allen Patientenanwaltschaften bzw. -vertretungen gemeinsam ist ihre Einrichtung als unabhängige und weisungsfreie Institution.

Zu den Hauptaufgaben zählen die Beratung und die Information der Patienten über ihre Rechte sowie deren Unterstützung bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen und der Schadensregulierung.6

3.1.2. Beschwerdeprüfung

Bei einem behaupteten Patientenschaden ist es meist der betroffene Patient, der aktiv wird und sich an die Patientenanwaltschaft wendet. Die Patientenanwaltschaft holt zunächst die Krankengeschichte bzw. Dokumentation und eine Stellungnahme des betroffenen niedergelassenen Arztes/der betroffenen Krankenanstalt ein, um sodann (allenfalls mit Hilfe von Vertrauensärzten) den Fall medizinisch und rechtlich zu analysieren. Ein hoher Prozentteil von vermuteten medizinischen Behandlungsfehlern stellt sich nach dieser Prüfung als ein Problem im zwischenmenschlichen Bereich heraus. Es sind vielfach Informations- und Kommunikationsdefizite und keine Behandlungsfehler, die sich ereignet haben. Hier kommt es bereits durch die Aufklärung des Sachverhalts seitens der Patientenanwaltschaft zu einer Streitbeilegung; ein nachfolgender (für den Patienten sinnloser) Prozess wird vermieden. Damit kommt der Patentenanwaltschaft eine wichtige Clearingfunktion zu.7

3.1.3. Direktverhandlungen mit Versicherungen

Stellt die Patientenanwaltschaft nach Einholung der Krankengeschichte und einer Stellungnahme des handelnden Arztes fest, dass u. U. ein Behandlungsfehler vorliegen, also die Beschwerde „berechtigt“ sein könnte, wird – in Abstimmung mit dem Patienten – eine Direktverhandlung mit der Haftpflichtversicherung des Spitalsträgers oder des behandelnden Arztes angestrebt.8 In den meisten Fällen kommt es dann in Absprache mit den Versicherungen zur Einholung eines Gutachtens.

Wird vom Gutachter ein Behandlungsfehler attestiert, wird versucht, zwischen dem Patient und der Versicherung ein Vergleichsangebot auszuverhandeln. Bei einem positiven Ergebnis übersendet der Versicherer der Patientenanwaltschaft, die den Patienten bei diesen Verhandlungen unterstützt, eine Abfindungserklärung. Stimmt der Patient diesem Angebot zu, liegt ein außergerichtlicher Vergleich vor.9

Ziel eines solchen Abfindungsvergleichs ist die vollständige Schadensabgeltung. Juristisch gesehen ist ein solcher Vergleich die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche Neufestlegung strittiger oder zweifelhafter Rechte (§ 1380 ABGB). Der Vergleich ist ein zweiseitig verbindlicher Vertrag. Durch ihn wird die Unsicherheit, ob oder wie weit ein Schaden verursacht wurde, beseitigt; die Parteien stellen einvernehmlich fest, in welchem Umfang das Recht bestehen soll. Der Vergleich schafft damit einen neuen Rechtsgrund; er wirkt, soweit die Feststellung von der wahren Rechtslage abweicht, konstitutiv (sog Bereinigungswirkung). Da der Vergleich die bisherigen Unsicherheiten endgültig beseitigt, bleibt er auch gültig, wenn sich später z. B. herausstellt, dass die Forderung (der Schaden) in Wirklichkeit höher war. Dem Patienten ist dann in der Regel weder ein Nachverhandeln noch der Gang zu Gericht möglich.10

Hat der in einem Beschwerdefall befasste Gutachter einen Behandlungsfehler ausgeschlossen, lehnt die Versicherung in aller Regel eine Zahlung ab. Durch diese Vorabprüfung hat der Patient aber bereits wichtige Informationen über einen möglichen Prozessausgang erhalten; er kann das Prozessrisiko besser abschätzen (Orientierungsfunktion).11

Scheitert die Direktverhandlung mit der Versicherung (etwa wegen einer ungünstigen Beweislage für den Patienten), stehen zwei weitere außergerichtliche Wege offen: Zum einen kann die Schlichtungsstelle vor der Ärztekammer, zum anderen der Patienten-Entschädigungsfonds (in Wien zudem der Wiener Härtefonds) befasst werden.

3.2. Schlichtungsverfahren vor den Ärztekammern

Die erste „Schiedsstelle“ wurde im November 1985 in Wien eingerichtet. In den Folgejahren wurden in allen Bundesländern (ausgenommen Salzburg12) Schlichtungsstellen etabliert.13 Das Ziel dieser „Schiedsstellen“ ist die Erreichung einer außergerichtlichen Einigung in Haftpflichtstreitigkeiten zwischen Ärzten und Patienten; damit sollen sowohl die Interessen der Ärzte als auch die der Patienten geschützt werden.

Bisweilen werden diese Schlichtungsstellen fälschlicherweise als „Schiedsstellen“ bezeichnet; es handelt sich aber nicht um Schiedsverfahren im Sinne des § 577 ZPO.14 Vielmehr sind die Entscheidungen der Schlichtungsstellen unverbindliche Streitbeilegungsvorschläge (siehe unten 3.2.3.).

3.2.1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 66 Abs. 1 ÄrzteG sind die Ärztekammern u. a. berufen, die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Ärzte wahrzunehmen und für die Wahrung des Berufsansehens und der Berufspflichten zu sorgen. Im Rahmen dieses Gesetzesauftrags haben die meisten Landesärztekammern Schlichtungsstellen eingerichtet. Die Rechtsgrundlagen für die Einrichtung und die Tätigkeit dieser Schlichtungsstellen sind sehr unterschiedlich. Teils sind es Kammerbeschlüsse (Burgenland, NÖ, OÖ, Wien), teils beruhen die Errichtung und der Betrieb der Schlichtungsstelle auf einem Vertrag zwischen dem Land, der Ärztekammer und der Kammer für Arbeiter und Angestellte (Kärnten) oder einer Vereinbarung zwischen Ärztekammer und Krankenanstaltengesellschaft (Steiermark) bzw. Ärztekammer und Verband der Versicherungsunternehmen (Tirol). In Vorarlberg wird die Schiedskommission auf Grund des Vorarlberger Patienten- und Klientenschutzgesetzes tätig.15

3.2.2. Parteien

Die Parteien in diesem Verfahren sind der Patient und der belangte Arzt bzw. der Rechtsträger des Krankenhauses des betroffenen Arztes. Eine außergerichtliche Streitbeilegung ist freilich nur in beiderseitigem Einvernehmen möglich; es besteht kein rechtlicher Zwang zur Teilnahme an einem solchen Schlichtungsversuch.

Die Mitwirkung des Arztes ist nicht nur möglich, sondern vom Gesetzgeber sogar gewünscht. Das zeigt der 2001 ins ÄrzteG eingefügte § 58a Abs 2 (ebenso heute § 48 Abs 4 ZÄG): „Für den Fall des Bestehens einer Haftpflichtversicherung begründet die Mitwirkung des ersatzpflichtigen Versicherungsnehmers an der objektiven Sachverhaltsfeststellung keine Obliegenheitsverletzung, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt.“ Ein Arzt, der an einem solchen Schlichtungsverfahren teilnimmt, muss nicht befürchten, dadurch den Leistungsanspruch aus der Haftpflichtversicherung zu verlieren. Er begeht keine Obliegenheitsverletzung in Bezug auf den Haftpflichtversicherer, wenn er aktiv an der Sachverhaltsfeststellung mitwirkt, mit der Schlichtungsstelle kooperiert und seine persönliche Stellungnahme zum Streitfall abgibt. Verwehrt ist ihm lediglich – gemäß den üblichen Versicherungsvertragsbedingungen – die Abgabe eines Schuldanerkenntnisses (sog Anerkenntnisverbot).16

Weiters sind an diesem Schlichtungsverfahren u. a. der Patientenanwalt und ein Vertreter des Haftpflichtversicherers beteiligt. Durch den Patientenanwalt ist eine ggf. erforderliche Hilfe für den Patienten, der sich zumeist im Informationsnachteil befindet, gewährleistet. Die Einbindung eines Vertreters des Versicherers in dieses Verfahren wiederum ist zweckmäßig, weil die Versicherungen die Empfehlungen bzw. unverbindlichen Streitbeilegungsvorschläge der Schlichtungsstelle ihren Entscheidungen zugrunde legen und z. T. die Aufwandstragung (etwa für Gutachten) übernehmen.17

3.2.3. Verfahrensablauf

Ein Schlichtungsverfahren wird immer nur auf Antrag eines Betroffenen eingeleitet. Sobald alle erforderlichen Unterlagen (nämlich die Krankengeschichte, die Stellungnahme des betroffenen Arztes und ev. ein Gutachten) vorliegen, wird der Beschwerdefall in einer mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten, bei der allen die Möglichkeit zur Stellungnahme und Diskussion eröffnet wird, besprochen.18 Wichtig ist hier die ruhige und sachliche Atmosphäre, die anders als bei einem streitigen Verfahren gegeben ist, weil eine grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit der betroffenen Ärzte, der Vertreter der Krankenanstalt und der Versicherung und für eine erfolgreiche Abwicklung des Schadensfalls besteht.

Das Verfahren endet mit einer Empfehlung der Schlichtungsstelle. Die Kommission kann zum Ergebnis gelangen, dass kein medizinischer Behandlungsfehler vorliegt. Weiters kann die Kommission aussprechen, dass dem Patienten ein Schadenersatz dem Grunde nach zusteht. Die Schlichtungskommission kann aber auch einen Vorschlag zur Höhe des Schmerzensgeldes unterbreiten; allfällige weitere Ansprüche werden meist danach vom Vertreter des Patienten mit der Haftpflichtversicherung ausgehandelt.19

Diese Empfehlung der Schiedsstelle hat keine rechtliche Bindungswirkung, da das gesamte Verfahren auf der Freiwilligkeit aller Beteiligten beruht. Der Lösungsvorschlag der Schlichtungsstelle ist – juristisch besehen – kein außergerichtlicher Vergleich, sondern allenfalls die vorbereitende Grundlage für einen solchen. Wird die Empfehlung zum Inhalt eines außergerichtlichen Vergleichs gemacht, ist damit der Streitfall zwischen den Beteiligten endgültig erledigt.

Da die Lösung einvernehmlich und gemeinsam entwickelt wird, besteht in der Praxis eine relativ hohe Akzeptanz durch die Beteiligten.20

3.2.4. Vorteile

  • Zu den zahlreichen Vorteilen des Schlichtungsverfahrens zählt der Wegfall des Prozesskostenrisikos. Die Kosten des Verfahrens trägt meist die jeweilige Ärztekammer oder das Bundesland bzw. z. T. auch die Haftpflichtversicherung. Für den Patienten ist dieses Verfahren kostenlos; einen von ihm gewählten Rechtsvertreter muss er aber selbst bezahlen.
  • Selbst wenn das Verfahren vor der Schlichtungsstelle negativ ausgeht, wirkt es als Orientierungshilfe für den Patienten. Damit hat die Schlichtungsstelle gleichsam als „Vorinstanz“ die möglichen Prozesschancen geprüft und eine Filterfunktion erfüllt, weil viele Fälle ohne Erfolgsaussicht nicht mehr prozessanhängig werden.
  • Vor allem bekommt der Patient ein weitestgehend unbürokratisches und nicht langwieriges Verfahren bereitgestellt. Falls es nach Abschluss des Schlichtungsverfahrens zu einem Vergleich kommt, wird eine finanzielle Abgeltung sehr viel früher möglich als bei einem Zivilprozess.
  • Ein weiterer Vorteil ist das Round-Table-Gespräch, bei dem alle Beteiligten in die Diskussion eintreten können und ggf. das Gefühl haben, dass die Probleme ausdiskutiert sind. Die Freiwilligkeit und diese Gesprächssituation verhindern, dass die Parteien zu Prozessgegnern werden, wie es eben notwendigerweise mit einem Prozess verbunden ist. Eine Frontenbildung kann weitestgehend verhindert werden.
  • Das hat auch die Bereitschaft von Haftpflichtversicherungen und Ärzten bzw. Krankenanstalten-Trägern gefördert, an solchen Lösungsversuchen teilzunehmen. Es bleibt dem Arzt/der Krankenanstalt die Einbeziehung der Öffentlichkeit und eine mögliche mediale Aufarbeitung erspart.
  • Die außergerichtliche Schlichtung liegt somit nicht nur im Interesse der Patienten und Patientinnen, sondern zu einem großen Teil auch im Interesse der betroffenen Leistungserbringer.21

3.3. Patienten-Entschädigungsfonds

Als vorläufig letzter Endpunkt in der Entwicklung außergerichtlicher Streitbeilegungsmöglichkeiten ist der Patienten-Entschädigungsfonds zu sehen. Der erste Fonds wurde 1998 von der Stadt Wien eingerichtet.22 Diesem Modell folgend wurde mit der KAG-Novelle 2001 (BGBl I 2001/5) die grundsatzgesetzliche Regelung des § 27a Abs 5 und 6 KAKuG eingeführt.

3.3.1. Rechtsgrundlagen

§ 27a KAKuG bildet die Grundlage zur österreichweiten Einrichtung und Finanzierung von Entschädigungsfonds:

§ 27a (5) KAKuG: „Zusätzlich zum Kostenbeitrag gemäß Abs. 1 und zum Beitrag gemäß Abs. 3 ist von sozialversicherten Pfleglingen der allgemeinen Gebührenklasse und von Pfleglingen der Sonderklasse ein Beitrag von 0,73 Euro einzuheben. Dieser Beitrag darf pro Pflegling für höchstens 28 Kalendertage in jedem Kalenderjahr eingehoben werden. …“

§ 27a (6) KAKuG: „Der Beitrag gemäß Abs. 5 wird von den Trägern der Krankenanstalten eingehoben und zur Entschädigung nach Schäden, die durch die Behandlung in diesen Krankenanstalten entstanden sind und bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist, zur Verfügung gestellt. Die Landesgesetzgebung hat eine Entschädigung auch für Fälle vorzusehen, bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht gegeben ist, wenn es sich um eine seltene, schwerwiegende Komplikation handelt, die zu einer erheblichen Schädigung geführt hat.“

Jeder sozialversicherte Pflegling der allgemeinen Gebührenklasse und seit der KAKuG-Novelle 2002 auch jeder Sonderklassepatient, der in einem öffentlichen oder privaten gemeinnützigen Spital in Österreich stationär aufgenommen worden ist, muss einen Beitrag von € 0,73 pro Pflegetag (gedeckelt mit höchstens 28 Tagen pro Jahr) in den Patienten-Entschädigungsfonds des jeweiligen Bundeslandes einzahlen. Die Dotierung der Entschädigungsfonds erfolgt damit gleichsam durch die Patienten als Solidargemeinschaft.

In den einzelnen Bundesländern wurde die Grundsatzbestimmung des § 27a KAKuG in verschiedener Art und Weise (teils in den Landes-Krankenanstaltengesetzen, teils in eigenen Landesgesetzen) umgesetzt. Weiters wurden Richtlinien bzw. Geschäftsordnungen, die das Verfahren und die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen regeln, erlassen. Da § 27a KAKuG einen sehr weiten Spielraum offen lässt, unterscheiden sich die einzelnen Landesregelungen in verschiedenen Punkten.23 Gemeinsam ist allen Regelungen, dass eine finanzielle Unterstützung nur dann zugesprochen wird, wenn noch keine Verjährung eingetreten ist, keine Streitanhängigkeit bei Gericht besteht und wenn eine erfolgreiche Durchsetzung der Schadenersatzansprüche nur mit einem aufwändigen und lange dauernden Beweisverfahren möglich oder nicht mit Sicherheit zu erwarten ist.24 Die Fondslösung soll nicht das geltende Schadenersatzrecht ersetzen, sondern im Graubereich von nicht eindeutig gegebener Haftung ergänzen.

In Wien gibt es darüber hinaus den Wiener Härtefonds.25 Dies war der erste in Österreich eingerichtete Entschädigungsfonds. Im Gegensatz zu den anderen Entschädigungsfonds wird dieser Fonds aus Steuermitteln gespeist und dient heute – nach Etablierung des Patienten-Entschädigungsfonds – zur Abfederung von sozialen Härten nach einem Medizinschaden mit schwieriger Beweissituation.

3.3.2. Ziele

Eine Befassung der Entschädigungsfonds soll nach § 27a KAKuG möglich sein, wenn eine Haftung des Rechtsträgers der Fondskrankenanstalten „nicht eindeutig gegeben ist“, aber doch nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine solche bestehen. Es handelt sich also um Fälle, bei denen hinsichtlich der schadenersatzrechtlichen Tatbestandsmerkmale (Verursachung, Rechtswidrigkeit, Verschulden) keine ausreichende Klarheit besteht oder der sichere Nachweis der Ursächlichkeit des Schadens bzw. des Verschuldens erhebliche Schwierigkeiten bereitet. In vielen dieser Fälle war wegen der zweifelhaften Haftung z. B. auch die betroffene Haftpflichtversicherung zu keiner befriedigenden Lösung (via Abfindungsvergleich) bereit.

Aus den Fonds heraus sind keine Zahlungen möglich, sobald der Nachweis von Kausalität und Verschulden gegeben ist. In diesem Fall ist auf dem Rechtsweg gegen den Schädiger vorzugehen oder eine Lösung über die anderen (bereits geschilderten) Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung zu suchen.26

Daneben bieten die Patienten-Entschädigungsfonds jedoch auch die Grundlage für eine Entschädigung beim Auftreten einer bislang unbekannten oder sehr seltenen bzw. einer hinreichend aufgeklärten Komplikation, wenn diese außerordentlich schwer ist und zu einer erheblichen Schädigung des Patienten geführt hat. In solchen Fällen bliebe eine Entschädigung vor Gericht verwehrt; mit der Institution der Entschädigungsfonds hat der Gesetzgeber erste Ansätze in Richtung einer verschuldensunabhängigen Entschädigung eröffnet.27

3.3.3. Verfahrensablauf

Vor der Befassung der Entschädigungsfonds findet (ausgenommen Vorarlberg) eine Vorprüfung durch die Patientenvertretungen statt; danach wird der Antrag an das Entschädigungsgremium weitergeleitet. Die Verfahrensdauer unterscheidet sich von Land zu Land (in Wien z. B. darf das Verfahren max. drei Monate dauern), ebenso der mögliche Maximalbetrag, der zuerkannt werden kann. Die Obergrenze für eine mögliche Entschädigung bewegt sich derzeit zwischen € 20.000,– (z. B. Vorarlberg) und € 100.000,– (z. B. Wien). In manchen Bundesländern gibt es allerdings die Möglichkeit, diesen Höchstbetrag bei sozialer Härte zu überschreiten.

Der Patient hat keinen Rechtsanspruch auf eine Entschädigungsleistung. Auch ist die Entscheidung nicht im Verwaltungs- oder Gerichtsweg überprüfbar. Hingegen wird durch die Einbringung des Ansuchens um finanzielle Unterstützung der Rechtsweg nicht ausgeschlossen. Die nachträgliche Klagseinbringung bleibt möglich, weil die Entscheidung des Entschädigungsgremiums keinen Vergleich darstellt.28 In allen Bundesländern besteht jedoch grundsätzlich eine Rückzahlungsverpflichtung der Fondsleistung, wenn gerichtlich oder außergerichtlich eine Schadenersatzzahlung geleistet wird, welche die Entschädigungsleistung deckt. Ausnahmen von der Rückzahlungsverpflichtung gibt es bei sozialen Härtefällen.29

3.3.4. Vorteile

  • Der Vorteil der Fondslösung für den Patienten liegt im Umstand, dass er auch bei unüberbrückbaren Beweisschwierigkeiten zu einer Entschädigung gelangen kann, die im gerichtlichen Verfahren nicht möglich wäre. Ggf. ist sogar eine Berücksichtigung sozialer Komponenten möglich; dies lässt ein Zivilprozess ebenfalls nicht zu.
  • Ein unbestreitbarer Vorteil ist das kostenlose und unbürokratische Verfahren. Patienten, die bei einer Untersuchung oder Behandlung in einer Krankenanstalt zu Schaden gekommen sind, soll eine rasche finanzielle Hilfe zukommen.

4. Resümee

Heute wird zunehmend versucht, die Beschwerden und Schadenersatzansprüche der Patienten (unter Beiziehung des Haftpflichtversicherers) – meist mit Vermittlung durch die Patientenanwaltschaft – in friedlicher Weise fernab von den Gerichten zu regeln. Als Möglichkeiten stehen hier neben dem außergerichtlichen Vergleich die Befassung des Patienten-Entschädigungsfonds oder der Schlichtungsstelle bei der Ärztekammer offen. Diese modernen Konfliktlösungs- und Entschädigungsmodelle, bei denen die Fragen nach Verursachung und Verschulden nicht immer im Vordergrund stehen, lassen in den letzten Jahren bereits bei den frei niedergelassenen Ärzten, insbesondere aber im Krankenanstaltenbereich ein Umdenken im Hinblick auf den Umgang mit Patientenbeschwerden und medizinischen Haftungsfällen erkennen.

Referenzen

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    Leischner A., siehe Ref. 3, S. 185 f. und S. 188 ff.
    Jahn B., siehe Ref. 4, S. 139 ff.
  24. Kossak W., Der Entschädigungsfonds gem § 27a Abs 5 und 6 Krankenanstaltengesetz, Recht der Medizin (2002): 111 ff.
    Bachinger G., siehe Ref. 2, II/73f.
    Leischner A., siehe Ref. 3, S. 186 ff.
  25. Zu diesem siehe oben Ref. 22
  26. Pitzl E., Huber G., siehe Ref. 23, S. 103
    Bachinger G., siehe Ref. 2, II/71ff.
    Jahn B., siehe Ref. 4, S. 171 ff.
  27. Bachinger G., siehe Ref. 2, II/71 und 73
    Leischner A., siehe Ref. 3, S. 181 f. und S. 184 ff.
  28. Bachinger G., siehe Ref. 2, II/73
    Jahn B., siehe Ref. 4, S. 186
  29. Pitzl E., Huber G., siehe Ref. 23, S. 104 f.
    Bachinger G., siehe Ref. 2, II/80/c
    Leischner A., siehe Ref. 3, S. 188
    Jahn B., siehe Ref. 4, S. 186 ff.

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Michael Memmer
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, Schenkenstraße 8-10, A-1010 Wien
Michael.Memmer(at)univie.ac.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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