Nachruf auf Prof. Dr. Gottfried Roth
„Medizin enthält immer Philosophie und Theologie, weil sie notwendig ein Menschenbild braucht, insofern sie ärztliches Handeln anstrebt (…): Vom Menschenbild ist das ärztliche Handeln abhängig wie auch die Art ärztlicher Hilfe, die der Patient verlangt.“ Früh schon hat sich der Wiener Pastoralmediziner Gottfried Roth über die Prämissen des ärztlichen Berufethos Gedanken gemacht. Jene Zeilen schrieb er als junger Medizinstudent in einem Artikel mit dem Titel Christliche Medizin in der ersten Nachkriegsnummer der Zeitschrift Arzt und Christ. Im Rückblick betrachtet legte Roth schon damals gleichsam das Programm seines späteren Berufslebens fest. Uns gilt in diesen Zeilen Dank an den Lehrer, Kollegen und Freund Gottfried Roth, der am 1. Jänner 2006, wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag, von Gott nach Hause gerufen wurde. Roth bleibt uns Vorbild. Er verzichtete darauf, einen spektakulären medienwirksamen Lebensweg zu inszenieren, sondern lebte in großer Bescheidenheit ein Vorbild echten Arzttums vor. Und er legte uns auch dank seines enormen Wissens auf dem Gebiet der medizinischen Ethik, der Pastoralmedizin, der Psychiatrie und Theologie dar, dass Arztsein mehr verlangt als nur naturwissenschaftliches Können und Wissen, dass es dazu vielmehr einer umfassenden menschlichen Bildung bedarf. Es erfüllt mit großer Dankbarkeit, dass Roth zeit seines Lebens diesem humanen Auftrag als Arzt und als Lehrender beispielhaft treu geblieben ist – nicht zuletzt aufgrund seines starken und tiefen Glaubens, der ihn durch alle geschichtlichen Turbulenzen hindurch getragen hat.
Gottfried Roth wurde 1923 in Retz geboren und studierte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Medizin in Wien und Innsbruck. Nach seiner Promotion 1952 absolvierte er eine Facharztausbildung auf den Gebieten der Neurologie und Psychiatrie an den Universitäten in Bern, Innsbruck und Wien. Von 1955 an war er mehr als 30 Jahre Chefredakteur der Viertel-Jahresschrift für medizinisch-ethische Grundsatzfragen Arzt und Christ, das offizielle Mitteilungsblatt der Katholischen Ärztegilde Österreichs, deren Mitbegründer und langjähriger Präsident Professor Roth war. Viele seiner Arbeiten im Bereich der Pastoralmedizin wirkten Bahn brechend. Aus der Feder des an der Universität Wien und den Philosophisch-Theologischen Hochschulen Heiligenkreuz und St. Pölten lehrenden Pastoralmediziners stammen über 200 Publikationen aus den Fachgebieten der Neurologie und Psychiatrie, der Medizin, der Pastoralmedizin und der ärztlichen Ethik, die in in- und ausländischen Fachzeitschriften erschienen – und wir sind stolz auf Roths Zusammenarbeit mit dem Imabe-Institut sowie seinen Publikationen in unserer Zeitschrift Imago Hominis. Seit der Gründung im Jahr 1994 war Roth Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben und wirkte von 1985 bis 1996 als Konsultor des Päpstlichen Rates für die Krankenseelsorge. Auch in turbulenten Zeiten war die Richtschnur seines Wirkens stets die Treue zur Lehre der Kirche und des Papstes, womit Roth uns aufgezeigt hat, dass sich seriöse Wissenschaft und christliche Ethik nicht widersprechen, sondern einander in fruchtbarer Weise ergänzen. Seine zutiefst christliche Überzeugung veranlasste ihn auch dazu, in den Jahrzehnten des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhangs die Pastoralmedizin als Vehikel zu nützen, um von Wien aus den Kontakt zu katholischen Ärzten und den Katholiken überhaupt im früheren „Ostblock“ aufrecht zu erhalten. Nicht jeder hat sich das getraut, Roth bewies Zivilcourage und Engagement. In dieser Zeit unternahm er unzählige Vortragsreisen in fast alle KP-beherrschten Länder und verbreitete christliches Gedankengut. Selbst nach seinem 80. Geburtstag hatte sich der fünffache Familienvater und mehrfache Großvater ganz und gar nicht in den wohlverdienten Ruhestand zurückgezogen, sondern war bis zum Schluss auf seine bescheidene Art inmitten der medizinisch-ethischen Auseinandersetzung unserer Tage präsent. Roths Vermächtnis – sein Leben, seine Schriften und sein Glaube – erfüllen uns, seine Schüler, Kollegen, Weggefährten und Freunde mit Dankbarkeit, und sind uns Ansporn, weiter zu tragen, was er begonnen hat.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Johannes Bonelli, Imabe-Institut
Landstraßer Hauptstraße 4/13
A-1030 Wien
bonelli(at)imabe.org