Drittmittelfinanzierung: Treibkraft der medizinischen Forschung oder Kommerzialisierung der Wissenschaft

Imago Hominis (2005); 12(1): 39-44
Markus Müller

Zusammenfassung

Der nur im deutschen Sprachraum gebräuchliche Begriff Drittmittel bezieht sich auf finanzielle Zuwendungen an universitäre Einrichtungen durch Privatpersonen (Mäzene), Firmen und sonstige Gebietskörperschaften, Fonds oder Vereine. Weltweit besteht ein weitgehender Konsens über die enorme gesellschaftliche Bedeutung der Investition in Forschung und Entwicklung (F&E). Trotzdem sind in vielen Ländern die von universitären Trägerinstitutionen für F&E zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichend, um ein international kompetitives Forschungsniveau zu erreichen. Drittmittel sind daher zur Erhaltung von Wissenschafts- und Prosperitätsstandorten unerlässlich. Eine wesentliche Problemstellung ergibt sich jedoch aus multiplen Interessenskonflikten und einer Wahrnehmungsverzerrung („Bias“) der von der Industrie gesponserten Forscher und Ärzte zu Gunsten der Industrie. Renommierte internationale Gesellschaften wie das American College of Physicians haben daher Richtlinien für den Umgang mit industrienahen Drittmitteln erarbeitet. Industrienahe Drittmittelfinanzierung in moderatem Maße ist eine wichtige Treibkraft der Forschung und kommt letztlich der Öffentlichkeit zu Gute. Die „Scientific Community“ ist jedoch aufgerufen, sich nicht dem Primat der Wirtschaft zu unterwerfen, sondern den von früheren Generationen geschaffenen Freiheitsgrad der Forschung zu verteidigen.

Schlüsselwörter: Drittmittel, Interessenskonflikt, Klinische Forschung

Abstract

The term “private research funding” (PRF) refers to financial contributions of companies, private individuals, societies or funds to academic research. Although there is a worldwide consensus about the need and impact of appropriate funding for the competitive success of clinical research and development, public funding of academic clinical research is still inappropriate in many countries. Therefore, PRF is an indispensable means to ensure the intellectual and financial prosperity of academic medical research clusters. A challenging aspect of PRF, however, relates to conflicts of interest of privately funded research programs and sources of bias in favour of company related products. Renowned medical societies, e. g. the American College of Physicians, have therefore provided guidelines and policies on disclosure of conflicts of interest in biomedical research. In dealing with various aspects of PRF it is essential that the “scientific community” does not exclusively comply with rules set by industry but manages to defend a high degree of academic freedom.

Keywords: Private Research Funding, Conflict of Interest, Clinical Research


Was sind Drittmittel?

Der im deutschsprachigen Raum gebräuchliche Begriff Drittmittel bezieht sich auf finanzielle Zuwendungen an universitäre Einrichtungen aus Quellen, die nicht direkt der Universitäts- (bzw. in Österreich der Bundes-) Hoheit unterstehen. Drittmittel stammen insbesondere von Privatpersonen (Mäzenen), Unternehmungen, wie der Pharmaindustrie und sonstigen Gebietskörperschaften, Fonds oder Vereinen.1

Problemdefinition

Die Drittmittelfinanzierung der medizinischen Forschung ist in den letzten Jahren immer wieder zum Gegenstand heftiger Diskussionen geworden. Einerseits wird von vielen Universitätsträgern die Wichtigkeit der Drittmittelfinanzierung anerkannt und es wurden auch in Österreich – vor dem Hintergrund verhältnismäßig moderater öffentlicher Ausgaben für Forschung und Entwicklung – Anreize für Universitätslehrer geschaffen, Forschungsprojekte durch industrienahe Drittmittel zu finanzieren.1 Andererseits wird in der öffentlichen Diskussion und auch von vielen Autoren in der Fachliteratur darauf hingewiesen, dass drittmittelfinanzierte Forschung mit erheblichen Interessenskonflikten und einer Wahrnehmungsverzerrung („Bias") gesponserter Forscher und Ärzte zu Gunsten der Industrie unauflöslich verknüpft ist.2,3 Die Interessenskonflikte betreffen finanzielle Konflikte („conflict of interest") aber auch Mangel an verfügbarer Zeit für sonstige Dienstpflichten („conflict of committment"3).

Ziele und Freiheitsgrade der industrienahen und der rein universitären Forschung unterscheiden sich in vielen Fällen grundsätzlich. Ein wichtiges Attribut der industrienahen Forschung ist eine klare Zweckorientierung auf ein meist ökonomisches Ziel. Im Idealfall kommt es zu einer Überschneidung mit erkenntnistheoretischen Zielen. Im Gegensatz dazu weist universitäre Forschung einen höheren Freiheitsgrad auf. In der Praxis wird dieser Freiheitsgrad an Universitäten jedoch häufig für „pro forma"-Forschung (d. h. wissenschaftliche Arbeit, welche primär als Vehikel für andere Ziele, wie z. B. eine Chefarztstelle dient) zweckentfremdet.4

Historisches

Ein Blick in die Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften zeigt, dass Drittmittelfinanzierung im weitesten Sinne in den meisten Perioden der Geschichte eher die Regel als die Ausnahme war. So waren Forscher vor dem Ersten Weltkrieg entweder selbst wohlhabend wie z. B. Alexander von Humbolt oder Charles Darwin oder sie wurden – ähnlich wie bildende Künstler und Musiker – durch Mäzene finanziert.

In Deutschland hießen zum Beispiel die heute sehr renommierten Max Planck-Institute von 1911 – 1948 „Kaiser-Wilhelm-Institute" (KWI). Bis 1914 gab der Souverän dieser überwiegend durch privates Mäzenatentum finanzierten Selbstverwaltungskörperschaft seinen Namen. Ziel der KWI war die Errichtung und Unterhaltung von vorwiegend naturwissenschaftlichen außeruniversitären Forschungsinstituten, welche die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften ergänzen sollten.

Die Kultur des Mäzenatentums ist in verschiedenen Ländern noch heute unterschiedlich stark ausgeprägt. So werden vor allem an amerikanischen Universitäten häufig sogenannte „endowed chairs" etabliert, d. h. Professorenstellen, die unmittelbar durch Drittmittel aus Stiftungen oder der Industrie finanziert werden.

Der Anteil kompetitiver Förderung, d. h. Drittmittelförderung im weitesten Sinne beträgt derzeit z. B. an der Harvard University 74%, an der Standford University 93% und am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) 94%.5 An deutschen Universitäten hingegen machen kompetitive Förderungsmittel nur etwa 33% des gesamten Forschungshaushaltes aus.5

Forschungsinvestitionen – Anspruch und Realität

Es besteht heute ein wahrscheinlich unbestrittener Konsens darüber, dass die Attraktivität eines Landes als Industrie- und Wirtschaftsstandort unmittelbar mit der Anzahl international wettbewerbsfähiger Forschungsinstitutionen verknüpft ist.5

In vielen Ländern sind nach wie vor die Universitäten die wesentlichen Träger der Forschung. Wie mehrere Studien gezeigt haben, korreliert die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Universitäten unmittelbar mit dem Ausmaß der Forschungsförderung. So findet sich eine eindeutige Korrelation zwischen öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben und der Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen.5 Um wissenschaftlich und ökonomisch produktiv zu sein, muss eine kritische Größe an externer Finanzierung für Universitäten bzw. „Denkercluster" erreicht werden.

Die von universitären Trägerinstitutionen der Forschung zur Verfügung gestellten Mittel sind jedoch in vielen Ländern bei weitem nicht ausreichend, um ein international kompetitives Forschungsniveau zu erreichen. Besonders bedenklich ist hier im internationalen Vergleich die Situation im deutschen Sprachraum. In Österreich wird z. B. mit ca. 0,9% des BIP weniger als die Hälfte der schwedischen Ausgaben von etwa 2,2% des BIP in biomedizinische Forschung und Entwicklung (F&E) investiert. Pro Kopf ergeben sich für Deutschland F&E Ausgaben von 42 EUR/Einwohner und Jahr, für Schweden, ein kulturell zumindest eher vergleichbares Land als die USA hingegen mit 66 EUR/Einwohner und Jahr deutlich mehr.5 Suboptimale Finanzierung spiegelt sich jedoch nicht nur in der Gesamtleistungsfähigkeit von F&E, sondern auch in der Effizienz der Nutzung des eingesetzten Kapitals wieder. So werden in den USA 54 Top-Artikel / Mrd. EUR eingesetzte F&E-Ausgaben publiziert, in Deutschland hingegen nur 15/Mrd. EUR.5

Interessanterweise investierte aber nach Angaben des deutschen statistischen Bundesamtes die deutsche Industrie in den Jahren 1991 – 1993 mit ca. 2 Mrd. EUR deutlich mehr Mittel in die medizinische Forschung als sämtliche deutsche Universitäten mit ca. 1,5 Mrd. EUR.6

Auch die durch namhafte Forschungsförderungsfonds akquirierten Mittel sind in vielen Fällen im gesamtwirtschaftlichen Rahmen eher bescheiden. So steht z. B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein jährliches Budget von 85 Mio. EUR für das heutzutage extrem wichtige und moderne Gebiet der Hirnforschung zur Verfügung. Im Vergleich dazu gibt ein Formel 1-Rennstall (z. B. Toyota) 300 Mio. EUR pro Jahr für die Teilnahme an Formel 1-Rennen aus und die Produktionskosten des Hollywood Blockbuster-Films „Lord of the Rings" beliefen sich immerhin auf 630 Mio. EUR.7 Auch die Kosten für einen Tarnkappenbomber (1.000 Mio. EUR) und die jüngst vom Präsidenten der Vereinigten Staaten vom amerikanischen Kongress zur Zusatzfinanzierung des Irakkrieges beantragte Summe von 75.000 Mio. Dollar rückt die Zahlen der Forschungsförderung ins rechte Licht. Suffiziente Forschungsförderung durch Universitätsträger und öffentlich-staatliche Fonds ist daher in vielen Fällen nur ein Lippenbekenntnis. Auch scheint fraglich, ob universitäre Gehälter für wissenschaftliche Nachwuchstalente (eine Säule 1-Stelle an der Universitätsklinik im AKH Wien wird derzeit mit ca. EUR 1.200,– netto/Monat honoriert) einen ausreichenden Anreiz darstellen, um exzellentes, kreatives Potential für medizinische Forschung zu fördern. Ein „brain drain" in forschungsferne Tätigkeiten oder in die Industrie ist daher in vielen Fällen eine logische Konsequenz.

In der österreichischen Forschungslandschaft besteht derzeit die Tendenz, klinische Forschung – eine wichtige Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung – a-priori gar nicht zu finanzieren. Hier stellt sich eine prinzipielle und strategisch entscheidende Frage nämlich, ob Grundlagenforschung („Newtonian-Research", d. h. nicht auf unmittelbaren Nutzen ausgerichtete Forschung) gesellschaftlich unterschiedlich von angewandter Forschung („Baconian Research", d. h. auf unmittelbaren Nutzen ausgerichtete Forschung) bewertet werden soll.

Von externen Beobachtern wird hier die fehlende Bedarfsorientierung der Forschung im deutschen Sprachraum kritisiert. So widmen im deutschsprachigen Raum Wissenschaftler ihre Zeit eher grundlagenorientierten Fragestellungen bzw. der Erforschung seltener Erkrankungen. Der Anteil deutscher Publikationen im Bereich der häufigen malignen Magen-Darm-Erkrankungen (Inzidenz 98/100.000) liegt bei ca. 6% der weltweiten Publikationen, im Bereich der selteneren malignen Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse (Inzidenz 12/100.000) liegt der Anteil bei ca. 18%.5

Die oben erwähnte, vielfach gehandhabte Praxis, nur Grundlagenwissenschaft als förderungswürdig zu akzeptieren, überlässt viele medizinisch wichtige Forschungsbereiche, wie eben die klinische Forschung, den Spielkräften des freien Marktes. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ergibt sich daher das Problem, dass große (und damit meist bedeutende) Studien ausschließlich in Kooperation mit Industriepartnern realisiert werden können. Die enormen Entwicklungskosten müssen auch wieder über den Gesundheitsmarkt eingespielt werden. In renommierten Journalen finden sich daher nur selten akademische Studien mit Gesamtpatientenzahlen von über 1000 Patienten. Das wichtigste Instrument der klinisch-medizinischen Forschung, die randomisierte kontrollierte Studie, ist daher derzeit überwiegend in der Hand industrieller Sponsoren.8 Neben großen klinischen Studien wären aber auch andere Großprojekte, wie z. B. die Entschlüsselung des humanen Genoms (Human Genome Project) ohne Mithilfe der Firma Celera oder eine groß angelegte Initiative zur Erforschung des gesamten humanen Genoms durch die Wellcome-Foundation nicht möglich. Erfreulicherweise besteht zumindest in Skandinavien und im englischsprachigen Raum eine gewisse Tendenz, klinische Forschungsprojekte durch Drittmittel aus der öffentlichen Hand dann zu unterstützen, wenn ein ökonomischer Nutzen der Studienergebnisse nicht unbedingt zu erwarten ist.

Unerwünschte Folgen der Drittmittelfinanzierung

So unbestritten die Möglichkeit der Einflussnahme industrieller Forschungsmittel auf die Art und Inhalte der Forschungsproduktion ist, so schwierig ist eine Beurteilung der unmittelbaren Folgen dieser Einflussnahme. Einem Artikel in den Annals of Internal Medicine zufolge nimmt jedoch der Einfluss der Industrie zumindest auf das Gesundheitswesen derzeit deutlich zu.9,10 Hier ergibt sich die Frage, ob die primär auf finanziellen Gewinn gerichteten Interessen der Industrie mit primär auf Erkenntnisgewinn gerichteten Interessen der Forschung kollidieren.

Tatsächlich finden sich in der Literatur Hinweise auf eine potentiell fragwürdige und teilweise bedenkliche Verzerrung von Forschungsergebnissen in industriefinanzierten Studien. So favorisieren z. B. von der Industrie finanzierte Studien häufiger neue von der Industrie entwickelte therapeutische Ansätze (z. B. neue Arzneimittel) als akademische Studien.11 Auch werden negative Studienergebnisse aus Drittmittelprojekten seltener publiziert.

Neben der Generierung von Forschungsergebnissen ist auch die Interpretation von Studienergebnissen einem drittmittelabhängigen Faktor unterworfen. Ein rezentes Beispiel ist eine Empfehlung der einflussreichen amerikanischen Herzgesellschaft (AHA) zugunsten einer blutgerinnselauflösenden Therapie bei Schlaganfall im Jahre 2000.12 Eine Erklärung der AHA formulierte damals, dass ein entsprechendes Medikament in der Lage wäre, „Leben zu retten".12 Nach heftiger Kritik seitens der „scientific community" wurde diese Empfehlung 2002 von der AHA zurückgenommen. Diese Neueinschätzung basierte jedoch nicht auf neuen wissenschaftlichen Daten, sondern auf der Tatsache, dass mehrere Mitglieder des AHA-Expertengremiums mit hohen Drittmittelförderungen und auch die AHA selbst mit einer Summe von über 11 Mio. Dollar von der Herstellerfirma des Medikamentes unterstützt wurden.12 Wie in einem entsprechenden Artikel des BMJ berichtet, sind derartige Einflussnahmen eher die Regel als die Ausnahme.12

Drittmittelförderung durch die Industrie ist also nicht wertneutral und bringt gesamtgesellschaftlich gesehen positive (wie z. B. Transfer von „know-how", Förderung von Großprojekten), fragwürdige (z. B. Einflussnahme auf Förderung der ärztlichen Fortbildung) sowie eindeutig bedenkliche (z. B. deutscher Herzklappenskandal, Bestechung von Meinungsbildnern) Aspekte mit sich.

Zwei Extrempositionen

In diesem Umfeld haben sich in den letzten Jahren zwei orthodoxe Grundpositionen zu Drittmittelfinanzierung der Forschung entwickelt.

Die puristische Position sieht in dem mit Drittmittelfinanzierung assoziierten Bias sowie multiplen „Conflict of Interest"-Quellen eine unlösbare, unethische und kompromittierende Gefahrenquelle für die Wissenschaft und bezieht den Standpunkt, dass Drittmittelfinanzierung zu vermeiden sei. Dem gegenüber beziehen sich Anhänger der pragmatischen Position hauptsächlich auf nachweisbar positive Folgen von Industrie-Universitätskooperationen für das Gemeinwesen und fordern Möglichkeiten einer unbeschränkten Drittmittelfinanzierung. Beide Grundeinstellungen sind problematisch. Die puristische Haltung impliziert eine gewisse „Distanz zur Realität" und die pragmatische Position eine potentiell gefährliche Nähe zu unlauteren Wettbewerbspraktiken.

Eine praktikable und vernünftige Position liegt am ehesten zwischen diesen beiden Extremen. Es stellt sich daher die Frage, ob und wie ein „optimaler Wirkungsgrad" drittmittelfinanzierter Forschung erreicht werden kann.

Diesbezüglich finden sich in der Literatur einige richtungsweisende Untersuchungen wie z.B. von Autoren des Departments of Health Policy Research der Harvard Medical School13 und Mitarbeitern der Boston Consulting Group.5 So wurde in einer Studie der Harvard Medical School gezeigt, dass jene Fakultätsmitglieder mit dem höchsten Output an peer-reviewed-Forschungsarbeiten deutlich mehr Industriedrittmittel akquirieren konnten als vergleichsweise weniger produktive Forscher. Andererseits fand sich jedoch bei Forschern mit einer übermäßigen Finanzierung aus Drittmitteln eine Reduktion der Gesamtpublikationstätigkeit und der Qualität der Publikationen. Ein optimaler Wirkungsgrad wird bei Forschern erreicht, deren Forschungsbudget in moderatem Maße, d. h. etwa zu einem Drittel aus Industriedrittmitteln gespeist wird.13 Ebenso fand die Studie der Boston Consulting Group eine deutlich höhere Forschungsproduktivität jener Universitäten, die in Form von „Denkerclustern" in unmittelbarer Nähe zu pharmazeutischen Industriekomplexen organisiert sind und zu einem signifikanten Anteil aus Industriedrittmitteln finanziert werden.5 Dieses Modell ist vor allem in den USA historisch sehr erfolgreich.

Für den Forschungsstandort Deutschland ergibt sich die niederschmetternde Beobachtung, dass der „Denkercluster" Boston insgesamt nur um etwa 25% weniger produktiv ist als Gesamtdeutschland. Man könnte daher unterstellen, dass dies unter anderem auf einen vernünftigen Umgang mit Drittmittelfinanzierung zurückzuführen sei. Geld allein ist aber kein Garant für Erfolg. So haben sich – zumindest bis jetzt – die enormen Investitionen in Biotechnologie und Gentechnik kaum bezahlt gemacht. Die meisten pharmakologischen Neuentwicklungen betreffen weiterhin herkömmlich entwickelte Medikamente, und nur eine Handvoll neuer, relativ marktenger Substanzen ist der Investition in Biotechnologie zu verdanken.

Regularien im Umgang mit Drittmittelforschung

Von den meisten Universitäten wird heute anerkannt, dass industrielle Drittmittelförderung im Prinzip wichtig, unvermeidbar und hilfreich ist3,14,15 und deren völlige Unterbindung eine Bedrohung von unternehmerischem Potential sowie kreativer Kollaboration darstellen würde.

Eine unentbehrliche und mittlerweile von vielen Universitäten und Fachgesellschaften umgesetzte Forderung ist jedoch die Offenlegung von Finanzzuflüssen aus der Industrie sowie ein transparenter Umgang mit „Conflict of Interest"-policies.9 So fordern z. B. amerikanische Spitzenuniversitäten eine Offenlegung sämtlicher Drittmittel (inklusive Konsultationshonorare, Aktienanteile des Forschers und seiner unmittelbaren Familie oberhalb einer „de-minimis" Grenze) sowie unmittelbare Tätigkeiten als Meinungsbildner für die pharmazeutische Industrie.3 Als untere Grenze des finanziellen Interesses wird von den meisten US-amerikanischen Fakultäten ein „de minimis"-Bereich von 10.000 US-Dollar angeführt.15,16 Desweiteren sollte vertraglich vereinbart werden, die Forschungsergebnisse immer und unabhängig vom – manchmal für Industriesponsoren unerfreulichen – Ergebnis zu publizieren. Allgemeine Prinzipien des Umgangs von individuellen Ärzten und ärztlichen Gesellschaften mit der Industrie wurden jüngst in einem Position-Paper des American College of Physicians veröffentlicht.10,17

Schlussfolgerung

Zusammenfassend kann somit die Qualität der Einflussnahme von Drittmittelfinanzierung auf die Forschung nicht allgemeingültig positiv oder negativ bewertet werden. Drittmittelfinanzierung in moderatem Maße ist unbestreitbar eine wichtige Treibkraft der Forschung und kommt letztlich der Öffentlichkeit zu Gute. Die Forschung sollte sich jedoch nicht dem Primat der Wirtschaft unterwerfen, sondern den von früheren Generationen geschaffenen Freiheitsgrad verteidigen. Was Paracelsus für Arzneimittel formuliert hat, gilt daher wahrscheinlich auch für Drittmittelfinanzierung: „dosis facit venenum" (Nur die Dosis macht etwas zum Gift).

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Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Markus Müller, Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie, Allgemeines Krankenhaus Wien
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien

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