Editorial
Nach einer langen biopolitischen Diskussion ist in Deutschland jetzt die erste Entscheidung gefallen. Ein Antrag der Bonner Neuropathologen Oliver Brüstle und Otmar Wiestler auf Genehmigung eines Forschungsprojektes mit importierten embryonalen Stammzellen hat seit vielen Monaten auf eine Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft warten müssen. Obwohl eigentlich nach den Buchstaben des Gesetzes ein Import nicht ausdrücklich verboten ist, hatte sich das Präsidium der obersten Forschungsinstanz Deutschlands nicht getraut, diesem Antrag, bevor die Gesetzeslücke politisch sanktioniert wurde, stattzugeben. Ende Jänner hat der Bundestag unter den konträren, zur Debatte gestandenen Positionen einen Kompromiss gewählt. Die Bonner Forscher werden Stammzellen importieren dürfen, allerdings nur von bereits bestehenden embryonalen Stammzelllinien. Mehr hatten die zwei Wissenschaftler vorerst auch nicht verlangt. Andere Forscher haben empört reagiert und die Entscheidung heftig kritisiert, weil sie darin eine verfassungswidrige Einschränkung des Grundrechtes auf Forschungsfreiheit sehen. Sie stellen eine Ethik des Heilens einer Ethik der Menschenwürde gegenüber und wollen eine Güterabwägung zu Gunsten von zukünftig leidenden Menschen und zum Nachteil von nicht mehr lebensfähigen Embryonen legitimieren. Lebensschützer ihrerseits können diesem Kompromiss nichts abgewinnen, weil er eine richtungsweisende Lockerung des Rechtes auf Leben darstellt. Das Recht auf den Schutz des menschlichen Lebens ist die Basis aller Rechte und Pflichten und muss daher vorrangig behandelt werden. Das Leben ist ein Gut, das niemals gegen andere Güter, nicht einmal gegen anderes menschliches Leben abgewogen werden darf. Dies ist eine prinzipielle Voraussetzung jeglichen Rechtschutzes. Sonst ist kein Recht wirklich geschützt.
Im Sinne der Konsensethik könnte man meinen, dass Lebensschützer eigentlich nicht so schlecht abgeschnitten hätten, sie könnten doch zufrieden sein, weil die Entscheidung nur eine geringfügige Auflockerung des Embryonenschutzes darstellt. Diverse Ankündigungen in den letzten Monaten ließen viel Schlimmeres befürchten. Im Grunde ist durch diese Entscheidung kein zusätzliches Leben unmittelbar bedroht. Prinzipiell könnten diesem Kompromiss auch die meisten Vertreter einer Ethik der Menschenwürde zustimmen. Was sie aber zurecht sehr bedenklich stimmt, ist zweierlei: Erstens, dass sie es hier mit einem weiteren Schritt der langfristigen Salamitaktik in der Biopolitik zu tun haben. Die Geschichte der Biopolitik der letzten Jahrzehnte zeigt einen schrittweisen Rückzug des Lebensschutzes. Bei jedem Scheibenschnitt wird betont, dass er der letzte ist und man nicht vorhat, weitere Scheibchen der Salami abzuschneiden. Nun aber sind empörte Forscher bereits auf die nächste Scheibe losgegangen und es könnte nur eine Frage der Zeit sein, dass sie neuerlich eine breite Diskussion entfachen.
Zweitens ist es sehr verdächtig, dass die ethisch umstrittene Stammzellenforschung so hoch bewertet wird, obwohl auf Grund der Forschungsergebnisse es immer deutlicher wird, dass für die Stammzellentherapie vor allem die adulten Stammzellen von Bedeutung sein werden. Warum werden trotzdem in der Öffentlichkeit die embryonalen Zellen gegenüber den adulten für die Stammzellenforschung so stark favorisiert? Täuscht sich die Wissenschaft? Machen uns die Forscher etwas vor? Was steckt dahinter?
Hier haben wir es mit dem wirklichen Kern der politischen Frage zu tun. Es ist vor allem der Kapitalmarkt, der durch seine finanzielle Macht den Forscher zur Überschätzung der Bedeutung seines Gegenstandes und infolgedessen zum Übereifer führen kann. Tatsächlich stehen hinter dieser Forschung große finanzielle Interessen. Das biotechnologische Geschäft boomt. Beträchtliche finanzielle Mittel aus Privathand werden auf die Schale der mageren Ergebnisse der embryonalen Stammzellenforschung gelegt und damit neigt sich in der Öffentlichkeit die Waage zu Gunsten dieser Forschung. Hat das noch mit einer Ethik des Heilens zu tun oder ist dies nicht vielmehr ein skrupelloser Wirtschaftsutilitarismus? Geschäft ist Geschäft: ob die Ergebnisse der embryonalen Forschung von der Pharmaindustrie oder von der Kosmetikindustrie gewinnbringend verwertet werden, ist gleichgültig. Während in der Öffentlichkeit über Ethik akademisch diskutiert wird, setzt der Finanzmarkt unverrückbar die Fakten. Man darf die wirtschaftlichen Hintergründe der Biopolitik nicht aus den Augen verlieren, um so manchen Konsens zu verstehen, der abseits jeder Moral gefunden wird.
Die vorliegende Ausgabe greift nicht die Embryonenforschung auf, sondern eine ethische Thematik, die auf der Zeitachse den nächsten Abschnitt darstellt: ethische Herausforderungen in der Neonatologie. Tatsächlich stellt in kaum einem anderen Fachgebiet der medizinische Fortschritt den Arzt vor so große Probleme. Man kann viel tun, aber was ist noch sinnvoll? Soll in nahezu ausweglosen Situationen alles versucht werden, wenn man davon ausgehen kann, dass das Ergebnis höchstens ein kurzes, leidvolles Leben sein wird? Die Suche nach Entscheidungskriterien über die Sinnhaftigkeit vieler Maßnahmen bei schwerkranken und schwerbehinderten neonatologischen Patienten ist ein Gebot der Stunde.
Zuletzt müssen wir unsere Leser bitten, über die neue Ausgabe von Imago Hominis nicht überrascht zu sein. Das Layout wurde überdacht und neu gestaltet. Die Lektüre soll erleichtert werden. Eine weitere Änderung muss ebenfalls Erwähnung finden. Die Preise unserer Quartalsschrift wurden leicht angehoben. Die Umstellung auf den Euro war nicht Ursache, aber doch ein geeigneter Anlass, die erste Teuerung vorzunehmen. Immerhin erscheint Imago Hominis bereits seit 8 Jahren – immer zum selben Preis. Nun haben wir die Zahlen aufgerundet und bitten um Verständnis.
Die Herausgeber