Stellungnahme zum Vorschlag zur Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes
Jedes Kind hat Recht auf Vater und Mutter, appelliert IMABE an den VfGH. Das Kindeswohl steht vor dem Kinderwunsch.
Wien (24.4.2012). Am 16. April 2012 hat die „Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt“ (BEK) zur Frage Stellung genommen, ob und inwiefern es zu rechtfertigen sei, dass die Inanspruchnahme von reproduktionsmedizinischen Maßnahmen in Österreich laut Fortpflanzungsmedizingesetz (FmedG) auf Partner verschiedenen Geschlechts sowie nicht alleinstehende Partner beschränkt ist. Die BEK wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Schreiben vom 20. Februar 2012 dazu aufgefordert.
Laut Stellungnahme sind 19 Mitglieder der Kommission der Ansicht, dass „kein Grund vorliegt, der die derzeitige gesetzliche Beschränkung zulässiger Maßnahmen der Fortpflanzungsmedizin auf – erstens – nicht alleinstehende Partner (bzw. auf Ehegatten) – und zweitens – verschiedenen Geschlechtes zu rechtfertigen vermag“. 6 Mitglieder geben einen kritischen Kommentar zum diesem Beschluss ab. Es gäbe sehr wohl gewichtige Gründe, die geltende gesetzliche Regelung aufrechtzuerhalten, in erster Linie „das Wohl des Kindes“.
IMABE teilt die Position dieser sechs Kommissionsmitglieder, die öffentlich unter anderem auch von dem in der Österreichischen Bischofskonferenz für Lebensschutz und Familie zuständigen Diözesanbischof Klaus Küng, vom Katholischen Familienverband Österreichs und von Aktion Leben unterstützt worden ist.
Kritisch festzuhalten ist:
1. Das Fortpflanzungsmedizingesetz wurde für Personen mit krankhafter Zeugungsunfähigkeit erstellt. Die Forderungen der BEK gehen weit über diese Intention hinaus. Lesben und Homosexuelle sind prinzipiell zeugungsfähig. Daher ist ein Vergleich mit Personen, die zeugungsunfähig sind, von vornherein verfehlt, er müsste mit gesunden Paaren erfolgen, die allerdings nach §2, 2 des FMedG auch kein Recht auf künstliche Fortpflanzung haben. Von einer Diskriminierung kann daher keine Rede sein.
2. Die Stellungnahme der 19 Mitglieder läuft auf eine Forderung nach einem Recht auf ein Kind für Jedermann (unabhängig von einer Partnerbeziehung) hinaus. Die BEK müsste daher konsequenterweise unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz eine Änderung des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paaren sowie ein Recht auf ein IVF-Wunschkind auch bei homosexuellen Paaren einfordern – und sich damit vom Verbot von Eizellspende und Leihmutterschaft verabschieden.
Wenn die Erfüllung des Kinderwunsches um jeden Preis mit der Selbstverwirklichung der Person gerechtfertigt wird, wie dies die BEK tut, öffnet dies Tür und Tor für einen unkontrollierten Missbrauch, insbesondere bei alleinstehenden Personen. Wer kann denn kontrollieren, zu welchem Zweck das Kind letztlich erzeugt wurde (ein Wunschkind, das Erleben der Schwangerschaft, eine versteckte Leihmutterschaft usw.)?
Recht auf Kind für Alleinstehende und gleichgeschlechtliche Paare?
Die Stellungnahme der 19 Kommissionsmitglieder enthält zwei Argumentationslinien: Zum einen halten sie die in den parlamentarischen Materialien (d.h. erläuternde Bemerkungen zum Gesetz bzw. Gesetzentwürfe) zum Fortpflanzungsmedizingesetz angeführte Begründungen (zum Beispiel Missbrauchsgefahr, Vermeidung von ungewöhnlichen, persönlichen Beziehungen) für nicht überzeugend. Zum anderen gäbe es keine empirische Evidenz dafür, dass durch eine Aufhebung der Beschränkungen dem Kindeswohl geschadet würde. Mithin stünde dem Wunsch gleichgeschlechtlicher Paare nach „eigenen Kindern“ nichts entgegen.
Kritik: Aus dem Umstand, dass manche Begründungen damals nicht an- oder in extenso ausgeführt wurden, kann nicht als Freibrief für heutige Begehrlichkeiten missbraucht werden, es genügt jedenfalls nicht, um die gesetzliche Regelung als solche in Frage zu stellen. Es zeigt nur, dass Fragen, die heute ideologisch aufgeworfen werden, damals breiter Konsens waren und deshalb nicht zur Debatte standen.
Bezüglich des Arguments, wonach eine empirische Evidenz (Studien) fehlen würde, die einen Schaden bei den von der Liberalisierung der IVF-Praxis betroffenen Kindern nachweisen würde, ist zu sagen, dass sich keine ernstzunehmende wissenschaftliche Disziplin so eine Vorgangsweise leisten könnte, weder die Medizin noch die Ökologie. Wenn es um die physische und psychische Gesundheit von Millionen von Menschen geht, kann eine unbeschränkte Zulassung von IVF überhaupt nur dann in Betracht gezogen werden, wenn es zumindest eine moralische Sicherheit gäbe, dass daraus keine Schäden für das Kind entstehen können. Diese gibt es aber nach heutigem Wissensstand nicht.
Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter – nicht umgekehrt
Auf Grund der Tatsache, dass Kinder schicksalhaft einen Elternteil verlieren oder vaterlos bleiben, wird von 19 Kommissionsmitgliedern als Argument vorgebracht, dass die Vaterlosigkeit bei lesbischen Paaren nicht schlimmer als die „natürliche“ gewertet werden kann.
Dabei scheinen die Proponenten dieses Vorschlags komplett zu übersehen, dass ein schicksalhaftes Ereignis ethisch anders zu bewerten ist, als wenn handelnde Personen für ein Kind von vorne herein Vaterlosigkeit planen und intendieren.
Dass jedes Kind optimalerweise Vater und Mutter braucht, wird von kaum jemand ernsthaft angezweifelt. Hier muss das Kindeswohl vor dem Kinderwunsch Vorrang haben. Das prinzipielle Recht des Kindes auf Vater und Mutter, darf nicht willkürlich missachtet werden (vgl. Art 7 und 8 der UN-Kinderrechtskonvention).
Ethik muss politikunabhängig sein
IMABE hat wiederholt klargestellt, dass eine Ethikkommission kein repräsentativ-politisches Gremium ist, dessen Aufgabe in der Konsenssuche verschiedener Positionen liegt, sondern eine Instanz zur Wahrheitsfindung in konkreten und aktuellen ethischen Fragen. Weder Politik noch bloße Mehrheitsentscheide können bestimmen, was gut und was schlecht ist. Ethik muss politikunabhängig sein.
Wenn bei den Beratungen wie im vorliegenden Fall keine Einigkeit erreicht wird, dürfen die Positionen nicht nach dem Stimmenverhältnis bewertet werden. Es wäre fair gewesen, beide Positionen als gleichwertige Empfehlung zu veröffentlichen. Das Vorgehen, die Empfehlung der Mehrheit als Stellungnahme der gesamten BEK darzustellen, entspricht jedenfalls keinem internationalen Standard.
Im Übrigen entscheidet der Bundeskanzler über die Zusammensetzung der BEK-Mitglieder. Der Applaus der ebenfalls von ihm ernannten Minister (Gesundheit, Frauen) zu den jüngsten Empfehlungen der Kommission in diesen ideologisch kontroversiellen Fragen gibt keinen Anlass dazu, das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Gremiums zu stärken. Eine bloß numerische Mehrheit sagt jedenfalls nichts über die Qualität noch die Verbindlichkeit der „Ethikberatung“ aus.