Der deutsche Berufsverband Niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) übt heftige Kritik an der geplanten Einführung kostenloser Bluttests bei Schwangeren in Deutschland. Die praktische Aussagekraft des nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) sei deutlich geringer als verbreitet werde, kritisiert die BVNP. Außerdem werde in den neuen Mutterschaftsrichtlinien völlig außer Acht gelassen, wie Frauen mit einem NIPT-Testergebnis, das einen Risikoverdacht bedeutet, umgehen sollen. „Schwangere brauchen begleitend zu dem Verfahren dringend und standardisiert eine qualifizierte medizinische und psychosoziale Beratung“, fordert BVNP-Präsident Alexander Scharf. „Zudem muss gewährleistet sein, dass notwendige Anschlussuntersuchungen - wie beispielsweise eine Chorionzottenbiopsie - schnell möglich gemacht werden.“
Die bereits genehmigte Änderung der Mutterschaftsrichtlinie würde zahlreiche Fragen aufwerfen (vgl. BVNP-Pressemitteilung, online, 23.1.2020). Bei NIPT handle es sich um ein reines Suchverfahren, das Risikoberechnungen erlaubt. Die verbreitete Behauptung, wonach NIPT die Fruchtwasseruntersuchung ersetze, greife zu kurz und sei sachlich falsch, betont Scharf. Nur Fruchtwasseruntersuchungen oder eine Plazentapunktion seien Diagnoseverfahren.
Das Argument der Bluttest-Hersteller, wonach diese Tests Fehlgeburten reduzieren könnten, weil sie die gefährliche Fruchtwasseruntersuchung ersetzen, hält der Mediziner für unseriös. Die Punktionsraten seien schon ohne NIPT in den vergangenen Jahren dank der Methode der kombinierten Nackentransparenzmessung massiv zurückgegangen (vgl. MDR, online, 30.4.2019). Hatten im Jahr 2012 noch 20.639 Frauen in Deutschland eine kostenlose Fruchtwasseruntersuchung vornehmen lassen, waren es im Jahr 2018 nur noch 8.538 Frauen.
Im September 2019 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen, entschieden, dass der NIPT auf Trisomie 21, 18 und 13 für Schwangere mit Risikoprofil auf Krankenkasse und damit kostenlos angeboten werden soll (vgl. Bioethik aktuell, 7.10.2019). Um rund 300 Euro ist der Test für jede Frau erhältlich.
Eine nun im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte Analyse zeigt, dass bei jungen Frauen bei einem positiven Test auf Trisomie 21 die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist, bei nur 48 Prozent liegt (vgl. online, 29.1.2020). Für eine Frau im Alter von 40 Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist, zwar auf 69 Prozent. Umgekehrt heißt das jedoch, dass fast jedes dritte Kind bei der Geburt trotz des Verdachtsergebnisses gesund ist (31 Prozent falsch-positiv).
Der BVNP hält die Einführung von NIPT als Kassenleistung für Schwangere mit entsprechenden Risiken generell für ethisch fragwürdig: „Die bisher höchst individuelle Entscheidung, ob - und in welchem Umfang - Schwangere Informationen zur Gesundheit ihres ungeborenen Kindes haben möchten, wird den Schwangeren durch die Vergesellschaftung der Leistung NIPT und den sich hierüber aufbauenden sozialen Druck zur Inanspruchnahme ein Stück weit weggenommen“, kritisiert Pränatalmediziner Scharf.
In Österreich hat die Österreichische Sozialversicherung nach einer 2017 durchgeführten Analyse die Kassenübernahme des NIPT abgelehnt. Die unverhältnismäßigen Mehrkosten in der Höhe von 24 Millionen Euro würden einer geringen Effizienz gegenüberstehen, so das Fazit.