Spielen ökonomische Interessen bei der Einführung von Pro-Sterbehilfe-Gesetzen eine Rolle? „Vermutet wurde dies von Kritikern schon lange, jedenfalls scheint Kostenreduktion in der Sterbehilfe-Frage eine größere Rolle zu spielen als in der Öffentlichkeit bislang wahrgenommen“, sagt Bioethikerin Susanne Kummer. Die Geschäftsführerin von IMABE verweist auf eine aktuelle kanadische Studie, in der berechnet wird, inwieweit durch aktive Sterbehilfe Geld im Gesundheitssystem eingespart werden kann. Für Kanada wären das bis zu 139 Millionen Dollar jährlich (rund 99 Mill. Euro), schreiben die Autoren, die unter dem Titel „Kostenanalyse von medizinischer Sterbehilfe“ aktuell im offiziellen Organ der Kanadischen Ärztekammer, dem Canadian Medical Association Journal (CMAJ) ihre Studie veröffentlichten (vgl. CMAJ January 23, 2017: 189(3), doi:10.1503/cmaj.160650).
Aaron J. Trachtenberg, Gesundheitswissenschaftler, und Braden Manns, Gesundheitsökonom von der Universität Calgary, beeilen sich zu erklären, dass ihre Analyse nicht als Plädoyer für aktive Sterbehilfe als Mittel der Kostenreduktion verstanden werden soll (vgl. National Post, online, 23.1.2017). Dann erfolgt jedoch eine penible Analyse des positiven Effekts für die Kassen des Gesundheitssystems.
„Angesichts der demographischen Entwicklungen und der Kostenspirale im Gesundheitswesen wird der Ruf nach einer Legalisierung von Euthanasie in den kommenden Jahren noch lauter werden“, gibt Kummer zu bedenken. „Allein die Tatsache, dass Töten auf Verlangen und Assistierter Suizid mit Kosteneinsparungen in Relation gesetzt werden, ist ein fatales Signal an die Gesellschaft. Der Druck, sich aus Kostengründen frühzeitig aus dem Leben zu verabschieden, steigt damit“, kritisiert die Bioethikerin. Bereits 1998 hatten US-Wissenschaftler ein nationales „Einsparungspotenzial“ für das amerikanische Gesundheitssystem in der Höhe von jährlich 627 Millionen Dollar errechnet, sollte aktive Sterbehilfe bei Terminalkranken legalisiert werden (vgl. NEJM 1998; 339(3): 167-172).
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der kanadischen Studie kommt nicht von ungefähr: Erst im Juni 2016 hatte das kanadische House of Commons und der Senat nach heftigen Debatten das MAID-Gesetz (Medical Assistance in Dying) verabschiedet, wonach nun sowohl aktive Sterbehilfe als auch assistierter Suizid landesweit erlaubt sind (vgl. Bill C-14). Manchen ging das neue Gesetz nicht weit genug: Die Regelung ist auf Personen beschränkt, die dem Sterben nahe sind. Dies komme einer Diskriminierung von chronisch Kranken gleich, die ebenfalls ein Recht auf aktive Sterbehilfe hätten. „Die Debatte für eine weitere Aufweichung des Gesetzes in Kanada läuft. Wenn nun Töten als die kostengünstigere Variante zur Pflege dargestellt wird, dann ist die Studie nur Wasser auf die Mühlen der Sterbehilfe-Aktivisten“, analysiert Kummer.
Insgesamt schluckt die medizinische Versorgung von Patienten in den letzten sechs Lebensmonaten mehr als 20% der Gesundheitsausgaben, rechnen die Gesundheitsökonomen vor. Sie zogen für ihre Hochrechnungen Daten aus den Niederlanden und Belgien heran, kombinierten die durch aktive Sterbehilfe verkürzte Lebenszeit am Lebensende mit den sonst für diese Spanne zu erwartenden Kosten in Kanada und legten das Ergebnis auf die Zahl der zu erwarteten Euthanasie-Fälle um. Allein von Juni bis Dezember 2016 starben in Kanada 774 Personen durch Tötung auf Verlangen (CTV News, online, 28.12.2016), das sind vier Kanadier pro Tag. Die Autoren prognostizieren analog zu den Niederlanden eine Steigerung auf bis zu 4% aller Todesfälle durch aktive Sterbehilfe. Im Jahr 2015 starben in den Niederlanden 5.516 Menschen durch Euthanasie, zehnmal mehr als im Straßenverkehr.
Inzwischen wurden Details jenes Falles von Euthanasie in den Niederlanden bekannt, in denen erstmals eine Ärztin von den Behörden „gerügt“ wurde. Die Ärztin hatte zunächst einer Demenz-Patientin ohne deren Zustimmung ein Beruhigungsmittel in den Kaffee gemischt. Es gab keine gültige Erklärung der rund 80-jährigen Frau, wonach sie den aktuellen Wunsch hatte, getötet zu werden. Die Ärztin wiederum gab an, dass die Frau aus ihrer Sicht unerträglich leide. Als die Patientin sich mit Händen und Füßen gegen die tödliche Injektion wehrte, holte die Ärztin die Angehörigen zu Hilfe, um die Frau festzuhalten (vgl. Dailymail, online, 28.1.2017). Der Fall wurde der Regionalen Tötungskommission Euthanasie gemeldet. Diese rügte die Ärztin, beschied ihr aber, dass sie „in gutem Glauben gehandelt“ habe. Es kam zu keinem Gerichtsverfahren.
„Diesem Fall ist nichts hinzuzufügen: Das niederländische Rechtssystem hat offenkundig komplett versagt, es gibt keinen Schutz von vulnerablen Personen, Töten aus Mitleid ist salonfähig geworden. Daran sieht man, wie innerhalb weniger Jahre Gesetze zum sogenannten selbstbestimmten in einen fremdbestimmten Tod kippen“, warnt Kummer.