Der Verfassungsgerichtshof hat im Dezember 2024 mehrere Beschwerden gegen das Sterbeverfügungsgesetz zurückgewiesen und damit die gesetzliche Schutzarchitektur ausdrücklich bestätigt. Wie bewerten Sie diese Entscheidung – als klares Bekenntnis zum Prinzip eines „Sicherheitsgurts“, wenn es um den Wunsch nach Selbsttötung geht?
Wolfgang Mazal: Ja, die Entscheidung ist ein wichtiger Schritt. Sie bestätigt das System, das im Sterbeverfügungsgesetz geschaffen wurde, um sicherzustellen, dass der Wunsch nach assistiertem Suizid wirklich frei und ohne äußeren Druck getroffen wird. Der Verfassungsgerichtshof hat deutlich gemacht, dass niemand durch Zeitdruck oder andere Einflüsse in dieser existenziellen Frage, die ja irreversibel mit dem Tod endet, gedrängt werden darf.
Dass eine sachliche Information über die Möglichkeit des assistierten Suizids erlaubt ist, entspricht der bisherigen Rechtsprechung – das ändert aber nichts daran, dass die zivilrechtlichen Schutzmechanismen weiterhin bestehen. Was für mich jedoch nach wie vor unbefriedigend bleibt: Der strafrechtliche Schutz ist unzureichend ausgestaltet – das war aber nicht Gegenstand der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs.
In den Medien wurde mehrfach die Forderung geäußert, dass assistierter Suizid generell und in allen Einrichtungen ermöglicht werden sollte – auch in solchen, die sich bewusst für andere Formen der Begleitung am Lebensende entschieden haben. Der Gesetzgeber betont jedoch ausdrücklich das Prinzip der Freiwilligkeit. Warum ist es aus rechtlicher und ethischer Sicht wichtig, auch die Rechte von Mitarbeitenden oder Mitbewohnerinnen zu schützen, wenn eine Einrichtung sagt: „Wir wollen das nicht“?
Ich gehe davon aus, dass sich der Grundsatz der Freiwilligkeit nicht nur auf Einzelpersonen, sondern auch auf Einrichtungen bezieht – also auch auf juristische Personen. Auch sie haben Grundrechte. Sie können sich auf Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen. Unabhängig von den rechtlichen Regeln finde ich es auch aus ethischer Sicht wichtig, dass Einrichtungen klar sagen, wofür sie stehen. Auch beim Schutz von Konsumentinnen und Konsumenten ist es anerkannt, dass Unternehmen offenlegen sollten, welche Dienstleistungen sie anbieten. So wissen die Kundinnen und Kunden, was sie erwarten können. Niemand verlangt von einem veganen Restaurant, Fleisch zu servieren. Eine Einrichtung zu verpflichten, etwas anzubieten, das ihrem Selbstverständnis widerspricht, ist aus meiner Sicht weder rechtlich notwendig noch ethisch vertretbar – das würde zu stark in ihre Grundrechte eingreifen. Eine solche Verknüpfung würde das Gebot der sachlichen Gleichbehandlung verletzen, das sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergibt.
Viele konfessionelle Träger lehnen den assistierten Suizid aus ethischen Gründen ab. Haben diese Einrichtungen eine besondere rechtliche oder moralische Position? Und ist diese ausreichend abgesichert? In anderen Ländern wie der Schweiz oder Kanada mussten Hospize, die sich weigerten, schließen, weil die Politik kein Geld mehr gab.
Meiner Meinung nach sind die genannten Organisationen und Unternehmen in Österreich durch das aktuelle Grundrechtsverständnis gut geschützt. Es wäre verfassungswidrig, zum Beispiel eine Ordensgemeinschaft mit einem Gesetz dazu zu zwingen, etwas zu tun, das ihrem Selbstverständnis widerspricht – vor allem, wenn dieses Selbstverständnis durch die Glaubens- und Gewissensfreiheit geschützt ist. Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit verbietet nicht nur direkten rechtlichen Zwang, sondern auch wirtschaftlichen Druck. Wer etwa droht, Förderungen zu streichen, wenn eine Einrichtung bestimmte Leistungen nicht anbietet, überschreitet eine rote Linie. Ein solcher finanzieller Druck würde gegen das Sachlichkeitsprinzip und damit gegen den Gleichheitssatz der Verfassung verstoßen.
In der Praxis gibt es Hinweise auf problematische Entwicklungen in Österreich: Wenn von den Angehörigen Druck auf den alten Vater ausgeübt wird, was vom Personal beobachtet, aber nicht gemeldet wurde – mutmaßlich aus Angst oder Unsicherheit. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr einer „Kultur des Wegschauens“? Müssen wir hier von anderen Ländern – etwa den Niederlanden – lernen, wo von jährlich 10.000 Fällen nur ein Bruchteil tatsächlich überprüft wird?
Recht funktioniert nur, wenn es ernst genommen wird – von Bürgern wie von Behörden. Wird diese Akzeptanz verweigert, verliert das Recht seine verbindliche und gestaltende Kraft. In diesem Sinn sind sowohl Privatpersonen als auch Behörden in der Pflicht, den Willen des Gesetzgebers ernst zu nehmen und aktiv zu unterstützen – insbesondere dort, wo der Gesetzgeber bewusst enge Grenzen gezogen hat, wie im Fall der Sterbeverfügung. Diese Grenzen wurden nun durch den Verfassungsgerichtshof ausdrücklich bestätigt.
Wenn Menschen bei möglichen Missbrauchsfällen wegschauen oder Vorgaben ignorieren, gefährden sie nicht nur das Vertrauen in die Gesetze, sondern auch die Würde und Sicherheit Betroffener. Wir würden die Aushöhlung grundlegender ethischer Prinzipien riskieren. Darüber hinaus wäre ein solches Wegschauen auch aus demokratiepolitischer Sicht höchst problematisch: Es würde den Gesetzgeber missachten, der sich bei der Ausgestaltung dieser Regelung erkennbar um eine ausgewogene und verantwortungsvolle Lösung bemüht hat.
Apotheken verlieren die Übersicht, wohin tödliche Präparate gelangen, Totenbeschau und Statistik gelten als lückenhaft – ist das Gesetz in der Praxis überhaupt kontrollierbar?
Eine gute Gesetzgebung endet nicht mit dem Inkrafttreten des Gesetzes – sie braucht auch laufende Beobachtung und Bewertung ihrer Auswirkungen. Deshalb ist eine unabhängige, wissenschaftlich fundierte Begleitung wichtig. Wenn sich zeigt, dass das Gesetz seine Ziele nicht erreicht, sollte man überlegen: Muss das Gesetz selbst geändert werden oder reicht es, seine Anwendung zu verbessern? Auch hier gilt: Wegzuschauen wäre gefährlich. Wenn man eine Regelung schafft und dann zusieht, wie sie ignoriert wird, ist das ein ernstes Problem für den demokratischen Rechtsstaat. Menschen würden sonst das Vertrauen in das Gesetz und den Rechtsstaat verlieren. Was wir nicht brauchen, ist ein Staat, der Gesetze erlässt und dann einfach zusieht, wenn es Vollziehungsprobleme gibt.
Die Gewissensfreiheit ist eine große Errungenschaft der Moderne. Im Zusammenhang mit „Sterbehilfe“ wird mitunter gefordert, dass das Gesundheitspersonal das eigene Gewissen neutralisieren und zugunsten des Wunsches nach assistiertem Suizid zurückstellen sollen. Gibt es ein Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung?
Der Gesetzgeber hat ermöglicht, dass die Beihilfe zur Selbsttötung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Ein Recht im Sinne eines Anspruchs darauf gibt es aber nicht.
Die Gewissensfreiheit ist sowohl rechtlich als auch im Selbstverständnis der Ärztinnen und Ärzte fest verankert. Zum Beispiel darf niemand benachteiligt werden, weil er oder sie sich aus Gewissensgründen weigert, eine Abtreibung durchzuführen oder daran mitzuwirken. Das heißt aber nicht, dass Ärztinnen und Ärzte immer nur nach ihren eigenen Überzeugungen handeln dürfen – auch die Rechte und das Gewissen der Patientinnen und Patienten müssen beachtet werden.
Das Gesetz schreibt vor, dass Ärztinnen und Ärzte Menschen, die einen assistierten Suizid wünschen, umfassend informieren müssen – nicht nur über diese Möglichkeit, sondern auch über Alternativen. Es ist auch erlaubt, eine eigene Haltung zu äußern, solange dies nicht als einseitige Beeinflussung verstanden wird. Das lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung nicht anders ableiten.
Wie sehen die weitere Entwicklung in Österreich aus juristischer Perspektive? Zuletzt wurde ja auch das Verbot der Tötung auf Verlangen vor dem VfGH angefochten – allerdings erfolglos.
Es ist eine Frage der politischen Kultur, ob Lobbygruppen gesellschaftlich mühsam errungene Kompromisse respektieren – oder ob sie diese lediglich als Etappe auf dem Weg zu ihrem angestrebten politischen Ziel betrachten. Zwar ist es rechtlich zulässig, selbst verfassungsrechtlich bestätigte Regelungen ununterbrochen in Frage zu stellen, doch bindet ein solches Vorgehen erhebliche gesellschaftliche Ressourcen, indem es Konflikte immer wieder neu entfacht.
Der gesellschaftlichen Kohäsion wäre weit mehr gedient, wenn das Ergebnis eines sorgfältigen parlamentarischen Ringens akzeptiert würde – und Diskussionen zu hochkontroversen Themen erst dann wieder aufgegriffen würden, wenn sich die Rahmenbedingungen tatsächlich grundlegend verändert haben. Gerade wenn der Verfassungsgerichtshof eine Regelung als verfassungskonform bestätigt hat, sollte es nicht schwerfallen, diesen demokratischen Prozess auch mit entpsrechendem Respekt zu würdigen.
Das Gespräch führte IMABE-Direktorin Susanne Kummer.