Das vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik veranstaltete Symposium Mensch und KI: Die Zukunft von Medizin und Pflege im Raiffeisen Forum Wien lud namhafte internationale Experten aus Philosophie, Medizin, Pflege und Forschung ein. „Medizin ist keine Technik, Ärzte sind keine Heilhandwerker. Sie bleibt eine Kunst, die Kunst des Heilens". In ihrer Begrüßung verwies IMABE-Direktorin Susanne Kummer darauf, dass das Ethos der Fürsorge, Kommunikation und Empathie Schlüssel zu einer guten, weil menschlichen Medizin und Pflege sind. „Der Einsatz von Technologie ist dann hilfreich, wenn wir sie unter dieses Leitbild einordnen“, so die Ethikerin.
Die Aufgabe des Instituts sei es, „gedankliche Räume zu öffnen und die Reflexion zu Themen der Medizin und Pflegeethik angesichts aktueller Entwicklungen interdisziplinär zu ermöglichen“, so Kummer. Das Kaleidoskop der verschiedenen fachlichen Zugänge zeigte facettenreich, welche Herausforderungen sich abseits des Hypes um die KI in der Praxis ergeben.
Die KI kann nicht leisten, was sie verspricht
Für Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin auf der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, verspricht die KI mehr als sie leisten kann. Mehr Daten über einen Patienten und dessen Erkrankung bedeute nicht per se eine bessere Diagnose und Therapie. Genau dies sei jedoch das „große Versprechen der KI“, so Maio. Dabei werde übersehen, dass die KI immer einen Reduktionismus bedeutet, weil sie nur einen Ausschnitt der Welt darstelle, bei der andere relevante Daten fehlen. Unreflektiert einem Algorithmus zu folgen, wäre daher eine Missachtung der ärztlichen Verantwortung (Die Tagespost, 20.11.2024).
Der Patient ist mehr als seine Daten
Die ärztliche Urteilskraft sei daher mehr denn je gefragt. Denn die KI kann weder erklären noch verstehen, was sie als Diagnose vorschlägt, so der Mediziner. Die Theorie der „Datafizierung des Patienten“ greife zu kurz. Der Mensch ist mehr als seine Daten: ein „Befund“ gibt keine Auskunft über das "Befinden" des einzelnen und die „Krankheit“ nicht über das „Kranksein“. Maio sieht in der KI große Potenzial - insbesondere im Bereich der bildgebenden Diagnostik. Gleichzeit bleibe die KI unabdingbar auf menschliche Entscheidungshoheit angewiesen, um sich tatsächlich als segensreich für die Medizin zu erweisen, so Maio.
„Die Tools sind da - jetzt müssen wir überlegen, wie wir sie richtig einsetzen“
Apropos Bilder: In der Diagnostik von Hautkrebs ist die KI überlegen. Für Harald Kittler, Professor an der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien, geht es nicht um „Ärzte versus KI“, sondern ein „Wir mit KI“. Er zeigte neue Möglichkeiten auf, um KI-Tools zu verbessern. So seien Interaktionen mit den Algorithmen möglich, um Verzerrungen zu vermindern, und die KI auf Unterschiede bei Krankheitsbildern zwischen Männer und Frauen gezielt zu trainieren. Gleichzeitig gehe es um grundsätzliche Fragen: „Der Algorithmus, die Technik ist da. Jetzt müssen wir überlegen: Bei wem wollen wir sie wie einsetzen? Wer soll das tun? Und mit welchem Ziel?“.
Hilfreich kann etwa eine App für Privatpersonen sein, die anhand dieser ihre Hautveränderungen überprüfen können und bei Verdacht eines Melanoms daher schneller einen Hautarzt aufsuchen, so Kittler. Die Kehrseite: Je mehr Personen die App nutzen, desto häufiger kommt es auch zu falsch-positiven Meldungen. Das führt dazu, dass „Personen glauben, Patienten zu sein, krank gemacht durch die App.“ Damit würden erst recht Patientenströme unnötig in die Ordinationen gelenkt – und die „Kosten auf die Allgemeinheit umgewälzt“, so Kittler.
Erfahrungswissen von Ärzten siegt vor KI-gestützter Unerfahrenheit
Entscheidend sei dennoch das Erfahrungswissen. In einem Experiment gaben die am wenigsten gut ausgebildete Ärzte an, am meisten von der Unterstützung durch die KI zu profitieren. Das Problem: Die Unerfahrenen glaubten auch den Ergebnissen einer komplett irreführende KI, während erfahrene Ärzte die Ergebnisse richtig einordneten. Dass im Medizinstudium der Umgang mit KI nicht thematisiert wird, wurde einhellig kritisiert.
Arne Manzeschke, Leiter des Instituts für Pflegeforschung, Gerontologie und Ethik der evangelischen Hochschule Nürnberg, spricht von „Robotik in der Pflege“ statt von „Pflegerobotern“ und warnt vor einer Vermenschlichung der Maschine: Den Einsatz von Robotern sieht der Ethiker in der Pflege bei Tätigkeiten wie Putzen, den Transport von Wäsche und anderen logistischen Aufgaben, aber nicht im Bereich von zwischenmenschlicher Pflege. Die größte Gefahr sieht er nicht in der Technik. Er konstatiert viel eher eine „intellektuelle Trägheit“, sich mit den ethischen Fragen der KI in der Praxis auseinanderzusetzen, um Prozesse entsprechend zu steuern.
Keine einzige Studie beweist, dass KI mehr Zeit für den Patienten bringt
Mit dem Einsatz von KI geht das Versprechen einher, mehr Zeit für den direkten Kontakt mit Patienten zu gewinnen. Die Not wäre gegeben: Laut aktueller Zahlen aus Deutschland ist ein Krankenhausarzt pro Arbeitstag im Durchschnitt mit drei Stunden Dokumentationstätigkeiten beschäftigt. Giovanni Rubeis, Leiter der Biomedizinischen Ethik auf der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems, sieht Potenzial, zeitintensive Datenerhebungen an die KI effizient zu delegieren. Ziel dürfe nicht der „digital überwachte Patient“ sein, der „gewartet wird“. Zudem besteht die Gefahr, dass diese gewonnene Zeit nicht dazu führt, den einzelnen Patientenkontakt zu intensivieren, sondern noch mehr Patienten durchzuschleusen.
Dem pflichtete Mona Dür, Präsidentin der Austrian Association of Occupational Science (AOS) in Krems, bei. Sie entzaubert das Wunschdenken: „Es gibt keine einzige Studie, die nachweist, dass durch KI mehr Zeit für den Patienten da ist.“ Eher möchte das überlastete Personal im Gesundheitsbereich diese Zeit, um pünktlich den Dienst abzuschließen zu können oder besser Qualitätszeit mit ihren Patienten.
Berühren und Fühlen kann eine Maschine nicht bieten
Mit dem Vortrag des international anerkannten Pioniers im Bereich der bionischen Rekonstruktion, Oskar Aszmann, stv. Leiter der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie in Wien, wurde der Fokus inmitten von KI und Technik auf die Leiblichkeit des Menschen gelenkt. Keine noch so ausgeklügelte und neuronal vernetzte Handprothese werde jemals die menschliche Hand als Sinnesorgan ersetzen können: "Nicht alles, was physikalisch, chemisch und chirurgisch möglich ist, bringt das Gefühl der Leiblichkeit vollständig zurück“. Dabei ist das Berühren und Fühlen für den Menschen von großer Bedeutung, diese Art von Präsenz könne eine Maschine nicht bieten, erklärt Aszmann.
Große Hürden für kluge Köpfe
Wie innovativ, effizient, kostensparend und am Patientenwohl ausgerichtet KI-Tools in der Praxis bereits entwickelt und eingesetzt werden können, zeigten Pioniere wie Jama Natequi (Symptoma, Salzburg); Herwig Loidl (Linked Care, Wien), Christoph Götz (ImageBiopsy Lab, Wien) und im Bereich der Telemedizin Manfred Sket (SeneCura/OptimaMed). Gleichzeitig wurde klar, dass die besten Lösungen nichts nützen, wenn für die Umsetzung und Implementierung der politische Wille zu zaghaft ist und an der eigenen Bürokratie scheitert. „Das Gesundheitssystem ist nicht darauf ausgelegt, eine bessere Medizin zu belohnen“, brachte Jama Natequi es treffend auf den Punkt. Genug Stoff für weitere Symposien...
Hinweise
Die Vorträge des IMABE-Symposiums werden in der Zeitschrift Bio.Ethik.Praxis (2025) als Tagungsband veröffentlicht.
Demnächst werden sie auch in der IMABE-Audiothek zum Nachhören bereitgestellt.
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