Alle Experimente, die zur Geburt von gentechnisch veränderten Menschen führen könnten, sollen gestoppt werden. Das erklärt der WHO-Ausschuss für Humangenombearbeitung in einer aktuellen Stellungnahme (26. Juli 2019). In einer Zwischenempfehlung an den Generaldirektor der WHO hält das 18-köpfige Expertengremium fest: „Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich, mit den klinischen Anwendungen für die Bearbeitung des menschlichen Keimbahngenoms fortzufahren.“ Die WHO reagiert damit auch auf die Ankündigung des russischen Genetikers Denis Rebrikov, menschliche Embryonen in ihrem Erbgut gentechnisch so verändern zu wollen, dass sie gegen HIV und Taubheit resistent sind. Er wolle noch dieses Jahr mit den entsprechenden Versuchen mittels der Genschere CRISPR/Cas9 starten. Das berichten Nature (570, 137 (2019)) und New Scientist (online, 4.7.2019). Rebrikov wäre damit nach dem Chinesen He Jiankui der zweite Forscher, der genmodifizierte Babys erzeugt.
„Die Bearbeitung des menschlichen Keimbahngenoms ist mit einzigartigen und beispiellosen ethischen und technischen Herausforderungen verbunden“, sagt nun WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Er habe die vorläufigen Empfehlungen des Expert Advisory Committee der WHO akzeptiert, wonach die „Regulierungsbehörden in allen Ländern keine weiteren Arbeiten in diesem Bereich zulassen sollten, bis die Auswirkungen ordnungsgemäß geprüft wurden.“ Mit der Genschere vom Typ CRISPR/Cas9 werden weltweit Heilmethoden entwickelt, die ethisch unbedenklich sind, wenn sie an Körperzellen der Patienten stattfinden. Kritisch wird es, wenn die genetische Manipulation das Erbgut betrifft und die Veränderungen damit an zukünftige Generationen weitergegeben werden. Das Problem, dass nicht erwünschte Nebenwirkungen (sog. Off-Target-Effekte) aufgrund des Genome-Editing-Verfahrens auftreten, ist ungelöst. Außerdem ist die embryonale Forschung an sich ethisch umstritten, da zahlreiche menschliche Embryonen im Zuge des Verfahrens vernichtet werden müssen.
Als im November 2018 bekannt wurde, dass in China die ersten beiden gentechnisch modifizierten Babys geboren wurden, rief dies weltweite Empörung hervor. Nach dem Tabubruch legten führende Forscher im Bereich Genom-Editierung ein Moratorium vor, das bis auf weiteres einen internationalen Stopp von Eingriffen in die Keimbahn vorsieht (vgl. Bioethik aktuell, 19.3.2019).
Der Genomforscher Fyodor Urnov vom Altius Institute for Biomedical Sciences in Seattle begrüßt die Haltung der WHO, die seines Erachtens „in die richtige Richtung weist“ (vgl. Wired, online, 30.7.2019). Urnov hält die Keimbahnveränderung beim Menschen nicht nur für technologisch unausgereift, sondern auch für medizinisch überflüssig. Die Risiken seien zu hoch und der mögliche Benefit zu gering, so Urnov in einem Kommentar in Nature (519, 410-411 (26. März 2015) doi: 10.1038/519410a). Er hofft, dass die WHO-Empfehlung, die ja rechtlich nicht bindend ist, zumindest eine abschreckende Wirkung zeigt. Klar sei aber auch, dass die CRISPR/Cas9-Technik leicht zu erwerben sei. Skrupellose Wissenschaftler könne man kaum daran hindern, die klinische Forschung im Bereich der Genombearbeitung im Geheimen zu betreiben.
Jennifer Doudna, Biochemikerin an der Universität von Berkeley, die die Genschere CRIPSR/Cas9 maßgeblich entwickelt hat, hofft, dass die Regierungsbehörden dazu beitragen werden, alle Empfehlungen der WHO durchzusetzen: „Mit einer solchen Aussage ist klar, dass es keinen Sinn machen sollte, das menschliche Keimbahngenom in Kliniken zu bearbeiten, und es wird für jeden sehr schwierig sein zu sagen, er habe nichts davon gewusst.