Auf Betreiben einer kleinen Gruppe von Anwälten und Forschern hat Südafrika stillschweigend im Mai 2024 seine Ethikrichtlinien für Forschung im Gesundheitsbereich aktualisiert. Genetische Veränderung von menschlichen Spermien, Eizellen oder Embryonen werden nun unter bestimmten Voraussetzungen als ethisch erlaubt eingestuft. Dass damit durch die Hintertür ein weltweit geächtetes Verfahren erstmals legalisiert werden sollte, wurde kürzlich von der Bioethikerin Françoise Baylis aufgedeckt. Sie machte das Vorhaben Südafrikas in The Conversation (25.10.2024) einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und löste damit eine internationale Debatte aus.
Südafrika will „weltweit die Führung“ übernehmen
Die Befürworter des Genom-Editings am menschlichen Erbgut - allen voran der Jurist Donrich Thaldar von der University of KwaZulu-Natal in Durban/Südafrika – argumentieren, dass Krankheiten wie Tuberkulose oder HIV in Südafrika weit verbreitet seien. Südafrika habe seine eigenen Prioritäten und ethische Wertvorstellungen. Thaldar publiziert laufend Entwürfe für Gesetze und Verordnungen pro Genom-Editing. In einer 2022 in PlosOne publizierten Studie will er nachewiesen haben, dass eine „überwältigende Mehrheit“ der Südafrikaner dem Vorhaben positiv gegenüberstehe (The Conversation, 4.12.2024). Was in den Medien nicht gesagt wird: Seine Zoom-Umfrage umfasste nur 30 Personen.
Wer bestimmt, was normal ist?
Baylis kritisiert die mangelnde Transparenz und fordert eine breite gesellschaftliche Diskussion über die weitreichenden Implikationen der Genombearbeitung. Dazu zählt sie die Gefahr einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten, fehlender Akzeptanz von Menschen mit einem von der Norm abweichenden Genom sowie das Schüren von eugenischen Tendenzen. Die Ethikerin ist u.a. Mitglied des Internationalen Wissenschaftsrats und der UNESCO-Weltkommission für Wissenschaftsethik und Technologie (COMEST). Thaldar entgegnet: Es handle sich um „eine reflexartige, bio-konservative Reaktion“, nur weil „ein afrikanisches Land bei der Festlegung eines klaren ethischen Wegs für vererbbares humanes Genom-Editing (HHGE) weltweit die Führung übernimmt“. Südafrika wäre das erste Land, dass die Veränderung der menschlichen Keimbahn in klinischen Einrichtungen explizit erlaubt.
Eingriffe in das menschliche Erbgut sind in mehr als 70 Ländern verboten
Mit seinem Alleingang droht es einen internationalen Präzedenzfall zu schaffen, der sowohl im Land als auch in der internationalen Forschergemeinschaft große Besorgnis auslöst. In ihrer Analyse zeigt Baylis auf, dass die geänderten ethischen Richtlinien einem Passus des National Health Act von 2004 widersprechen. Dieser wird in weiten juristischen Kreisen als Verbot des HHGE ausgelegt. Hinter den Bestrebungen, dieses aufzuheben, vermutet sie handfeste ökonomische Interessen. Offenbar wolle man eine „Welle des Forschungstourismus“ herbeiführen, damit internationale Labore nach Südafrika übersiedeln, wo sie Genomeingriffe beim menschlichen Erbgut durchführen, die in mehr als 70 Staaten explizit verboten sind (Daily Maverick, 18.11.2024).
„Müssen wir Afrikaner schon wieder als Versuchskaninchen herhalten?“
Phila M. Msimang, Philosoph an der Universität Stellenbosch (Südafrika) zeigt sich besorgt über die mangelnde Redlichkeit in Thaldars Argumentation: Er stelle die Technik sicher dar, obwohl dies offenkundig nicht der Fall sei. Erschreckend ist für Msimang in seinem Kommentar, dass der Jurist Thaldar Eugenik in Südafrika als „abstrakte ethische Ängste“ abtut. Die Apartheid-Politik und der Kolonialismus haben tiefe Spuren im Land hinterlassen. Insbesondere eine rassenbasierte Eugenik habe eine lange Geschichte in Südafrika, so Msimang. Offenbar sollen wieder einmal Afrikaner als Versuchskaninchen für den Rest der Welt herhalten – aufgrund mangelnder ethischer und rechtlicher Schutzmaßnahmen, so die Kritik (The Conversation, 25.10.2024).
Forschungsgipfel: Vererbbares Genomediting ist „derzeit nicht akzeptabel“
Eingriffe in das menschliche Genom – sogenannte Keimbahnmanipulation – umfassen genetische Modifikationen in Spermien, Eizellen oder Embryonen, die an nachfolgende Generationen vererbt werden könnten. Die Technologie, die in der klinischen Anwendung weltweit verboten ist, schürt Hoffnungen, genetische Erkrankungen wie Mukoviszidose oder Sichelzellenanämie zu eliminieren. Gleichzeitig wirft sie schwerwiegende Bedenken hinsichtlich ihrer Sicherheit, Ethik und gesellschaftlichen Auswirkungen auf. Am 3. „Summit on Human Genome Editing“ 2023 hatte sich die Wissenschaftsgemeinschaft geeinigt, dass „Eingriffe in das menschliche Erbgut derzeit nicht akzeptabel sind.“ Es gäbe „keine Regulierung und keine akzeptierten ethischen Prinzipien für einen verantwortlichen Umgang mit dem Genomediting des menschlichen Erbguts.“ (Bioethik aktuell, 4.5.2023)
Technische Risiken, soziale Ungleichheit und Vernichtung von Embryonen
Die ethischen Bedenken umfassen nicht nur die möglichen Auswirkungen auf das Individuum, sondern auch die moralische Frage, ob Menschen das Recht haben, die genetische Zukunft ihrer Nachkommen zu bestimmen (Scientific American, The Dark Side of Crispr, 16.2.2021). Die Sicherheit der Technologie ist nicht gewährleistet und mögliche unerwünschte genetische Veränderungen könnten Generationen betreffen. Das Problem, dass nicht erwünschte Nebenwirkungen (sog. Off-Target-Effekte) aufgrund des Genome-Editing-Verfahrens auftreten, ist ebenfalls ungelöst (Parlament Österreich, Fachinfo Der gen-editierte Mensch, 30.11.2022). Zudem besteht die Gefahr, dass solche Eingriffe vor allem wohlhabenden Bevölkerungsgruppen zugutekommen, soziale Ungleichheiten verstärken und Diskriminierung auf genetischer Basis (Aussehen, Intelligenz, Menschen mit Behinderung) begünstigen. Außerdem ist die embryonale Forschung moralisch umstritten, da menschliche Embryonen im Zuge des Verfahrens vernichtet werden (Bioethik aktuell, 6.8.2019).
Nature fragt nach, südafrikanische Behörde räumt „Verwirrung“ ein
Als Reaktion auf die wachsenden Bedenken hat Nature (7.11.2024) das südafrikanische Gesundheitsministerium, das die überarbeiteten Richtlinien veröffentlicht hat, sowie den National Health Research Ethics Council (NHREC), das für die Ausarbeitung der Aktualisierungen zuständige Gremium, um Kommentare gebeten. Die NHREC-Vorsitzende, Penelope Engel-Hills, gab in einer Stellungnahme schließlich bekannt, dass die Novellierung „einige Verwirrung gestiftet“ habe, HHGE in Südafrika aber weiterhin „illegal“ sei (Genetic and Society, 18.11.2024). Der öffentliche Druck scheint damit gewirkt zu haben – fürs erste.