Insgesamt sechzehn von siebzehn Mitgliedern des dänischen Ethik-Ausschusses kamen zu dem Schluss, dass es „prinzipiell unmöglich sei, eine angemessene Regelung der Sterbehilfe festzulegen“ und gleichzeitig die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen. Sie empfahlen dem Parlament daher, das geltende Verbot in Dänemark für Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung aufrecht zu erhalten (The Local, 4.10.2023).
Damit wendet sich der dänische Ethikrat gegen einen vor dem Sommer von einem Pfleger eingereichten Bürgerantrag zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Das Volksbegehren hatte mehr als 50.000 Unterschriften, weshalb das dänische Parlament den Antrag nun behandeln muss.
Ethikrat befürchtet hohe gesellschaftliche Kosten im Umgang mit Schwächeren
„Die bloße Existenz eines Sterbehilfeangebots wird unsere Vorstellungen über Alter, den Eintritt des Todes, Lebensqualität und die Bedeutung der Rücksichtnahme auf andere entscheidend verändern“, heißt es in der 90-seitigen Stellungnahme des dänischen Ethikrates zur Sterbehilfe (2023). Eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe würde zu erheblichen gesellschaftlichen Kosten führen und Ältere, Behinderte oder chronisch Kranke stigmatisieren: „Wenn Sterbehilfe zur Option wird, ist die Gefahr zu groß, dass sie zu einer Erwartung wird, die sich an bestimmte Gruppen in der Gesellschaft richtet“, heißt es in der Stellungnahme. Ein weiteres Problem sieht der Ethikrat in der Definition und Beurteilung von unerträglichem Leiden sowie der der Frage, ob jemand mit dem Wunsch nach Selbsttötung überhaupt in der Lage ist, eine freie Entscheidung in Hinblick auf die irreversiblen Konsequenzen zu treffen.
Dänische Ärztekammer lehnt Tötungen ab und plädiert für Palliativ-Ausbau
Die dänische Ärztekammer hat sich mit einem klaren Nein zur „aktiven Sterbehilfe“ positioniert. „Wir sind der Meinung, dass Leiden nicht durch die Tötung von Menschen bewältigt werden sollte; wir befürchten, dass es zu einer schiefen Ebene kommt, wie dies in Ländern zu beobachten ist, in denen Euthanasie eingeführt wurde; und wir sind der Meinung, dass man in eine angemessene Palliativversorgung am Lebensende investieren sollte“, sagte Klaus Klausen, Vorsitzender des Ethikausschusses der Ärztekammer (The Local, 29.5.2023).
Druck wächst: Sollte ich vielleicht eine frühzeitige Tötung wollen?
Würde man aktive Sterbehilfe zulassen, wäre dies „mit einer Reihe anderer inakzeptabler ethischer Probleme verbunden, für die es keine Lösung gibt“, betont auch Leif Vestergaard Pedersen, Vorsitzender des dänischen Ethikrates (Jylands Posten, 4.10.2023). Wenn die Option einer frühzeitigen Tötung auf Wunsch im Raum stünde, müssten sich plötzlich Menschen darüber Gedanken machen, ob sie das nicht vielleicht wollen sollten – auch Personen, die das bislang nicht für sich in Betracht gezogen hätten. Jeder müsse sich überlegen, ob er nicht vielleicht eine Last für andere sei.
Verheerendes Signal an Menschen mit Behinderung
Pedersen befürchtet, dass „Töten unter Bedingungen“ ein verheerendes Signal an Menschen mit Behinderung aussendet. Gerade diese Betroffenen brauchen Anerkennung und Respekt: „Wir würden das Gegenteil bewirken, wenn wir sagen, dass behinderte Menschen sich für den Tod entscheiden können, wenn sie wollen, weil wir der Meinung sind, dass ihr Leben nicht lebenswert ist.“
Niederlande: 30.000 Fälle von Behandlungen mit Tötungsabsicht
In den Niederlanden wurden 8.720 Euthanasie-Fälle im Jahr 2022 gemeldet (Jaarverslag 2022 Regionale Toetsingscommissies Euthanasie), eine Steigerung von 13,7 Prozent gegenüber 2021. Somit sterben 20 Jahre nach der Legalisierung täglich 24 Menschen durch Euthanasie. Dazu kommen weitere 20.640 von Ärzten gemeldete Fälle, in denen eine medizinische Behandlung mit der ausdrücklichen Absicht verweigert oder abgebrochen wurde, um damit den Eintritt des Todes zu beschleunigen. In insgesamt 517 Fälle gaben Ärzte an, dass sie ihre Patienten auch ohne deren explizite Einwilligung getötet haben. Dies geht aus den Daten der offiziellen niederländischen Statistik StatLine 2021 hervor.
Nach niederländischem Recht muss das „unerträgliche Leiden“ eine medizinische Grundlage haben, die jedoch sowohl somatischer als auch psychiatrischer Natur sein kann. Erst kürzlich hat ein Forscherteam um Irene Tuffrey-Wijne (Kingston University London) 39 niederländische Fallberichte (2012–2021) von Euthanasie und assistiertem Suizid bei Menschen mit geistiger Behinderung und/oder Autismus-Spektrum-Störungen untersucht (BJPsych Open (2023) 9, e87, 1–8. doi: 10.1192/bjo.2023.69). Zu den Gründen, warum Menschen mit geistigen Behinderungen Tötung beantragten, gehörten soziale Isolation und Einsamkeit (77%) sowie fehlende Belastbarkeit oder Bewältigungsstrategien (56%). In einem Drittel der Fälle gaben die Ärzte ihre Zustimmung, da es „keine Aussicht auf Besserung“ gebe, da ASD und geistige Behinderung nicht behandelbar seien.
Das Ergebnis der Studie bestärkt die vom dänischen Ethikrat vorgebrachten Bedenken: Wo aktive Sterbehilfe erlaubt ist, sinkt die gesellschaftliche Fürsorge für Menschen mit chronischen Erkrankungen.
Kanada übertrifft bereits die niederländischen Zahlen
In Kanada starben seit der Legalisierung von Euthanasie und assistiertem Suizid (EAS) 44.958 Menschen nach EAS. Allein im Jahr 2022 waren es 13.241 Todesfälle - das sind 36 Patienten pro Tag. Dies geht aus dem aktuellen Medical Assistance in Dying-Report (MAID) hervor. Die Provinz Québec hat mittlerweile die höchste Euthanasie-Rate weltweit: Hier gehen bereits 7 % aller Todesfälle auf aktive Sterbehilfe zurück.
59 % der Betroffenen geben als Grund für den Wunsch nach Tötung das Fehlen einer bzw. die Sorge um eine adäquate Schmerzkontrolle an. Am häufigsten wurde jedoch der Verlust der Fähigkeit zur Ausübung sinnvoller Tätigkeiten genannt (86 %) (Bioethik aktuell, 6.9.2022). Das Durchschnittsalter lag bei 77 Jahren.
Aktive Sterbehilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Drogenabhängige
Im Frühjahr 2024 soll die Indikation für Euthanasie auch auf Menschen mit psychischen Erkrankungen und Drogensüchtige ausgeweitet werden. Betroffene Drogenabhängige fehlt es schon jetzt an Unterstützung und Hilfe, sie sprechen von „Eugenik“. „Die Regierung hat den Tod zugänglich gemacht, während ein besseres Leben weiterhin unmöglich ist“, kritisiert Karen Ward vom Vancouver Area Network of Drug Users (VANDU) (Vice, 19.10.2023).
90,6 % der Fälle wurden im Jahr 2022 von Ärzten durchgeführt, 9,4 % von Pflegern. Jeder der 1.837 Ärzte – vornehmlich Hausärzte – führte im Schnitt bei 7,2 Patienten Euthanasie durch. In einem eigenen Curriculum sollen ab 2024 Ärzte für qualitätsgesicherte Patiententötungen geschult werden.